Beilage
Freitag, 14. Dezember 1928.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Die Jugendstrafanstalt Wittlich.
Jugendgefängnis oder Jugenderziehung.
Zwischen Trier und Koblenz fiegt in industriearmer, aber landschaftlich schöner Gegend die Stadt Wittlich . In der Ferne dunkelt das Eifelgebirge, Weinberge grünen an den Mojelhängen. Am Rande der Stadt, in nächster Nachbarschaft des Männergefängnisses, befindet sich die im Jahre 1912 entstandene Jugendstrafanstalt Bittlich, einst Frauengefängnis. Bon den anderen Fürsorgeanstalten unterschied es sich nicht allein durch das Atler der jungen Leute, sondern auch durch das herrschende Regime. 3war murde ganz befonderer Wert auf Zucht und Diszi plin gelegt, es waren nicht 3öglinge, fondern Gefangene, die hinter Bittern zur Freiheit er 30gen" werden sollten; der Strafbollzug hatte in diesem Gefängnis vor den üblichen ErwachsenenGefängnis aber viel voraus: Stufenfystem, Schule, Turnen, Gefangenen- und Entlassenenfürsorge durch einen Fürsorgeinfpef= for waren seine Hauptmerkmale. Seitdem ist das alles Gemein jut des Strafvollzugs überhaupt ge worden, menigstens in der Theorie. Ist aber das Jugendgefängnis Wittlich über die Anfänge vom Jahre 1912 hinausgewachsen? Ein Gang durch die Anstalt sollte die Antwort darauf geben.
Beim Direttor.
Zwischen der schweren Eingangspforte und dem Verwaltungsgebäude liegt ein Hof, auf dem die dritte Stufe am Sonntag ihre Spielstunde hat. Im Verwaltungsgebäude gleich an der Türe befindet sich das Zimmer des Direktors. Dr. Bleibt, fatholischer Pfarrer, ist ein vielbeschäftigter Mann; er hat jetzt auch die Leitung des Männergefängnisses übernommen. 160 junge Leute im Alter bon 18 bis 25 Jahren, darunter 40 Proz. evangelisch, beherbergt fein Gefängnis. Es ist ein dreistödiges Bellengebäude. Der Direktor lernt gerade Neugekommene tennen. Er fragt sie nach Geburtsort, Alter, Beruf, nach Eltern und Vorstrafen. Er duzt die jungen Renschen und spricht freundlich mit ihnen. Zwischendurch bemerkt er, daß bei einem der jungen Leute oben und unten an der Jade ein Knopf offen steht. Das liebe ich nicht," sagt er. Die Haltung der Jungen ist ebenso militärisch wie die des Hauptwachtmeisters. Den Neuankömmlingen folgen zwei alte Bekannte des Direktors. Diese stehen weniger stramm, auch das Gesicht des Hauptmachtmeisters ist wie ungewandelt, es hat etwas Strahlendes. Die jungen Menschen bringen ihre Wünsche vor. Bei dem einen handelt es sich um das Rauchen, beim anderen um Arbeit und Freundschaft mit einem anderen Gefangenen. So sprechen mit: einander Leute, die sich gut kennen. Für den Abgang hat der Direttor feine Zeit, das besorgt der Inspektor. Pfarrer Bleidt will jeden feiner Gefangenen tennen- nur die letzten Zugänge fämen ein menig zu fnapp, meint er, und will auch mit allen gut auskommen, bloß mit einem nicht: es ist ein junger Kommunist, der wegen Batermordes verurteilt ist. Um teine Zeit zu verlieren, beginnen wir den Rundgang durch das Gefängnis.
Die Schule.
Der Unterricht der 160 jungen Leute
90 Prozent davon find hier wegen Eigentumsvergehen, 5 Prozent wegen Mordes, weitere
5 Prozent wegen Sittlichkeitsverbrechens
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wird von einem
Lehrer bewältigt; früher gab es deren zwei. Die Gefangenen sind in vier Gruppen geteilt. Um mir die Unterrichtsmethode zu zeigen,
Das Gefängnisgebäude.
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hat der Lehrer die oberste Gruppe beisammen. Er erteilt eine frieden, sie dürfen ja auch rauchen. Als mir ins Ges lebendige Stunde in der Staatskunde. Die jungen Leute wissen gut fängnis zurüdkehren, überholen wir eine Kolonne jugendlicher Bescheid über die Aufgaben des Reichstags, die Machtbefugnisse des Gefangener, die unter Begleitung eines tarabiner. Reichspräsidenten , die Stärke der Reichstagsfraktionen ufw. Die in bewaffneten Aufsehers von der Rodearbeit im Walde freundlichem Tone gestellten Fragen werden von vielen der jungen Leute militärisch laut beantwortet. Ebenso mili.
Ausfahrt zur Landarbeit.
tärisch laut sind die Antworten auf die von mir angeregten Fragen nach Alter, Wohnort und früherer Beschäftigung der jungen Menschen.
Die Werkstätten.
Ein Gang durch die Werkstätten. In der Tischlerei arbeiten 8 bis 20 Gefangene. Die Arbeiten werden hand wertsmäßig hergestellt, Maschinen gibts hier nicht. In Zukunft soll eine Art Verbindung zwischen der Tischlerei des Männergefängnisses mit der Tischlerei des Jugendgefängnißfes hergestellt werden. Wie es einzurichten ist, daß die jugendpädagogischen Grundsätze hierbei nicht Schaden leiden, darüber ist sich der Direktor noch nicht im Maren. Die Schlosserei, nicht viel moderner als die Tischlerei, beschäftigt 4 bis 6 Gefangene. Viel größer ist die Zahl der Beschäftigten in der Mattenflechterei. Wenige arbeiten in der Schusterei und Schneiderei. Wäscherei und Küche werden gleichfalls von den Gefangenen bedient. Die Gefangenen der ersten und der Strafftufe find in thren Schlafzellen als Tischler und Mattenflechter beschäftigt. Die Gegend ist industriearm, das Handwerk fürchtet die Konkurrenz, Unternehmer, die das Gefängnis mit Arbeit versorgen fönnten, gibt es faum.
Der Gutshof.
Der Gutshof ist erst seit einem Jahr vom Jugendgefängnis gepachtet. Er hat etwa 20 Raffelühe, gute Schweine. und Geflügelzucht. Acht Jungen leben hier ständig unter Aufsicht des Guts verwalters und dessen Frau. Sie sind mit ihrem Leben äußerst zu1
tommen.
Im Lazarett.
Der Arzt ist nicht hauptamtlich angestellt. Er ist auch nicht täglich im Gefängnis. Einen psycho- biologischen Fragebogen, der ganz genau die psychische und physische Persönlichkeit des Ange. flagten zum Gegenstande hätte, ist hier unbekannt. Tubertulöse und Geschlechtsfrante gibt es nur vereinzelt. Dafür aber nicht wenige Psychopathen. Im Lazarett finden wir drei junge Menschen, die harte Gegenstände verschluckt haben. Einer von ihnen ist bereits dreimal operiert worden. Eine Anzahl Löffel und Gabeln wurden ihm aus den Gedärmen herausgeholt, verschiedene stecken noch drin. Der Kranke, der bereits mehrere Male im Irrenhause war, erklärt, er mürde doch immer wieder etwas runterschlucken. Er besitzt Frau und Kind und wollte verhindern, daß man ihn ins Jugendgefängnis bringt. Ein Dritter hat sich mit einem Nagel das Knie aufgerigt; die Folge war schwere Eiterung. Alle drei haben ihre selbstmörderischen Handlungen außerhalb der Anstalt vorgenommen. Was mußten all die jungen Leute schweres erlebt haben, wenn sie sich dazu entschließen fonnten!
Die Gelbstverwaltung.
Gie bildet die Krönung eines fomplizierten BergünstigungsStufensystems, an deffen unterstem Ende die Strafstufe steht. Der Selbstverwaltung gehören etwa 18 junge Leute an. Sie wählent ihre Dbmänner, versammeln sich abends ohne Aufsicht im früheren Schulzimmer. Jezt gibt es ja nur einen Lehrer und ein Schul zimmerspielen hier Gesellschaftsspiele, lesen Bücher, hören Radio. Das Zimmer ist ungemütlich groß und steht der Selbstverwaltung an den Abenden, an denen Gefangsübungen stattfinden, nicht zur Verfügung. Die jungen sind hierüber sehr ungehalten. Auch manches andere reden sie sich vorsichtig vom Herzen. Sie flagen, daß zu menig in geistiger Hinsicht geschehe. Borträge würden nicht gehalten. In physischer Beziehung merde zu wenig geboten. Seit einigen Monaten dürfe nicht mehr Fußball gespielt werden, früher hätten sie eine gute Fußballmannschaft beisammen
gehabt. Unbefriedigend auch das Effen, zu Mittag immer bloß flüssige Suppe. Und dann das Rauchverbot. Das sei das Schlimmste. Es führe zu ständigem Zuwiderhandeln, deshalb fühle man fich in der ersten Stufe niemals sicher.
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Beim Fürsorgeinspektor.
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es
stehen des Jugendgefängnisses. Ihm untersteht nicht nur die Der Fürsorgeinspettor Blum arbeitet hier seit Be Gefangenen, sondern auch die Entlassenen fürsorge gäbe genug Arbeit auch für einen zweiten Für. forger meint er. Gleichzeitig mit dem Direktor lernt er die jungen Gefangenen fennen und betreut fie seelisch während der ganzen Zeit ihres Hierseins. Während seiner viermaligen Dienstreisen lernt er nach Möglichkeit die Eltern der jungen Leute kennen und sorgt auch nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis für ihr weiteres Fortkommen.
Der Tag in Wittlich ist zu Ende. Er hat tausenderlei Fragen im Besucher aufgemühlt; eine meldet sich besonders aufdringlich: Bird hier im Gefängnis in genügendem Maße an die fchöpferisch selbsttätigen Kräfte der jungen Menschen appelliert, damit fie den Stürmen des Lebens in der Freiheit standhalten? Bird nicht im Gegenteil der Wille unter dem 3wange erbrüdt?
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WAS DER TAG BRINGT.
Ein fünfjähriges Rechenwunder.
Bei einem Budapester Impresario erschien fürzlich eine Frau aus Kaschau mit ihrem fünfjährigen Jungen Emmerich Ivancso. Das Kind scheint ein würdiger Nachfolger des seinerzeit so berühmten Bunderknaben Moriz Frankl zu sein, der übrigens diesen anstrengenden Beruf bald aufgeben mußte und heute in Budapest Hausdiener ist. Der fleine Emmerich multipliziert in, wenigen Minuten fünfftellige Zahlen im Kopf, errechnet aus der Stunden. geschwindigkeit einer Bewegung augenblicklich die Zeit, die für einen Kilometer gebraucht wird, erhebt brei bis pierstellige Zahlen ins Quadrat und in die dritte Potenz, verheimlicht aber die Methode feines Rechnens, und wenn er bemerkt, daß man ihn beobachtet, dämpft er das für gewöhnlich halblaut gesprochene Rechnen. Natür lich hat er eine Menge Kniffe im Schnellrechnen ausgearbeitet. Er rechnet auf ungarisch , deutsch und tschechisch. Kürzlich wurde er auf der Brünner Universität untersucht, wo man feststellte, daß er ein abnormer pathologischer Fall sei und ein genial entwideltes Gedächtnis habe. Nun will man ihn in einem Barieté auftreten laffen.
Allen Bölkerbundskommissionen zum Trog blüht in China der Opiumhandel wie nie zuvor. Daß aber selbst führende Mitglieder der Regierung und der Polizei daran teilnehmen, hätte man doch nicht gedacht. Eben erst ist in Schanghai eine weitverbreitete Schmuggelorganisation aufgededt worden, an der der Gouverneur der Provinz Schanghai beteiligt ist. Abenteuerlich flingen die Umstände, die zu der Aufdeckung der Schmuggelorganisation geführt haben. Am 22. November traf der Dampfer Kjan Gan" in Schanghai ein mit einer Opiumladung, die mit 60 000 Dollar persichert war. Die Polizei versuchte die Ladung zu beschlagnahmen Doch eine Schiffswache von 30 bewaffneten Soldaten ließ sie nicht auf den Dampfer. In Nanking aber, wohin der Kapitän von Schanghai aus feine Opiumladung bragte, griff die Hafenvermaltung trog der militärischen Bewachung scharf durch und beschlag
nahmte das Opium. Es stellte sich heraus, daß ein Teil davon dem Leiter der Kriminalpolizei von Schanghai gehörte. Daß unter solchen Umständen ein Kampf gegen den Opiumschmuggel erfolglos bleiben muß, liegt flar auf der Hand. Lautlose Straßenbahnen.
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Wir haben uns daran gewöhnt, den Straßenlärm als ein une Dermeidliches llebel hinzunehmen. Eine Straßenbahngesellschaft zu San Franzisto hat, so lesen wir in der Umschau", jedoch den löb. lichen Versuch unternommen, den Lärm ihrer Wagen nach Möglich. feit zu vermindern, zur Freude der Fahrgäste und der Anwohner. Der Hauptlärm stammt von den Zahnrädern des Triebwerkes. Um ihn herabzusetzen, wurden die Lüden der Zahnräder mit Blei aus gegoffen, so daß nicht mehr Eisen auf Eisen trifft. Die Geräusche, die durch das Schütteln des Wagens entstehen, ließen sich dadurch dämpfen, daß zwischen Chassis und Karosserie starte Kautschukplatten verschraubt wurden. Die Wagen selbst wurden mit shalldämpfendem Material ausgefleidet. Schießlich wurden die Schienen, in schmale Asphaltbetten verlegt, die einen Teil der Stöße herausfangen, die von dem fahrenden Wagen den Erdboden treffen. Hundegericht in Chikago.
Mie es bereits verschiedene Kammern für bestimmte Arten von Straf- und Zivilsachen gibt, soll beim Stadtgericht in Chikago eine Abteilung für solche Prozesse eingerichtet werden, die Hundefachen betreffen. Dadurch soll erreicht werden, daß zur Beurteilung aller Straf- und Zivilsachen, die aus der Haltung von Hunden entstehen, sachverständige Richter urteilen.
Der Rat.