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Nr. 142.

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8. Jahrg.

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Fernsprecher: Amt 6, Nr. 4106.

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Sonntag, den 21. Juni 1891.

Expedition: Beuth- Straße 3.

зи dem weiteren Schlusse liefert, daß den Keim des Todes in sich und sind nicht als berechtigt Revolutionäre im Grunde nicht als Staatsverbrecher, zu betrachten.

Einmal möchten wir bitten, daß Leute, wie die

Sind Revolutionen eine Noth- Material zu wendigkeit und Revolutionäre sondern als Wohlthäter der Menschheit anzusehen ſeien. Die zahlreichen von der National- Zeitung" zitirten Wohlthäter der Menschheit? Derjenige Mann, der die fraglichen wissenschaftlichen Beispiele Lombroso's von den Wirkungen des Misoneis­Untersuchungen angestellt hat, ist der berühmte Turiner   mus, des Neuerungshafses, oder wie man es auch einfach Ein allerhöchst bemerkenswerthes Zeichen unserer Zeit Professor Lombroso  . Derselbe hat vor kurzem ein nennen kann, des unberechtigten Hangens am Alther­ist es, daß das Schreckenswort Revolution anfängt, seinen umfangreiches Werk erscheinen lassen, welches über das für gebrachten, sind sehr interessant, würden uns aber an Stachel zu verlieren. uns ganz besonders interessante Thema das Staats- dieser Stelle zu weit führen. Nicht mehr blos in staatsrechtsgelehrten Kompendien, verbrechen und die Revolution"( Il Delitto Uns handelt es sich heute nur um folgendes: die man für das profanum vulgus*) für unzugänglich| Politico et la Revoluzione) handelt. hält, wagt man gegenwärtig über das Recht zur Der Bericht darüber befindet sich in der National- Redakteure der National- Beitung", welche unter dem Revolution höchst ernsthafte Betrachtungen anzustellen, Beitung", welche zwar so vorsichtig ist, den Nachdruck zu Strich solchen revolutionsfreundlichen Gedanken zustimmen, sondern sogar in Broschüren, welche ausdrücklich auf die verbieten, uns aber an der Wiedergabe des hauptsächlichsten fünftig überhaupt nicht mehr mit den Bezeichnungen große Masse berechnet sind, diskutiren die Gelehrten von Inhalts dadurch nicht hindert, da wir nicht einmal eine Revolution und Revolutionäre politischen Kindern Angst heute bereits höchst ungenirt, was wohl als das Wesen Beile abzudrucken gewillt sind und uns auch an der Form einzujagen versuchen möchten. der Revolution anerkannt werden und wie weit eine Revo- der Gedanken, soweit diese Eigenthum des Bericht- Außerdem aber mögen die Herren bedenken, daß es lution berechtigt sein könne. erstatters der National- Beitung" sind, nicht das mindeste sich vom Standpunkt ihrer eigenen wissenschaftlichen Ueber­Bu einem sehr bemerkenswerthen Schlusse ist in gelegen ist. zeugung aus garnicht mehr darum handeln kann, ob die dieser Beziehung nun in einer Schrift, die betitelt ist Professor Lombroso   geht in dem erwähnten Werke betreffenden Feinde für revolutionäre Gedanken eintreten, Die soziale Frage, eine fittliche Frage" von der Behauptung aus, daß die große Mehrheit der also selber Revolutionäre genannt werden dürfen oder der Philosophieprofeffor Dr. Theobald Ziegler in Bewohner aller Länder, selbst die bedeutendsten Köpfe nicht, sondern daß es stets auf sorgfältige Untersuchung Straßburg   gekommen. unter ihnen, mit einer psychologischen Eigenschaft behaftet der etwaigen neuen Gedanken ankommt und daß es vom Nachdem er dem wesentlichen Inhalt der Grund- sind, welche er den Misone is mus*) nennt und nach miſoneiſtiſchen" Standpunkte aus jedenfalls sehr schwer gedanken des Sozialismus durchweg zugestimmt, kommt er ihm in der Abneigung gegen alles Neue in Sitten, An- zu entscheiden ist, ob diese neuen Gedanken durch die Ver­auf die Frage der sozialdemokratischen Propaganda und schauungen und Einrichtungen aller Art besteht, wissen berechtigt sind, selbst wenn sie auch noch so sehr der Revolution zu sprechen; er erkennt das rapide schaftliche, künstlerische, politische, soziale u. f. w. Wachsen der sozialdemokratischen Stimmen rückhaltlos an dem Bestehenden feindlich erscheinen. Dieser Misonëismus ist nun entschieden kulturfeindlich, und hält die Möglichkeit für durchaus nicht ausgeschlossen, da offenbar überall, wo er allein herrschend bleibt, jeder daß in absehbarer Zeit die Klinke der Gesetzgebung" in Fortschritt der menschlichen Gesellschaft gehemmt und un­sozialdemokratische Hände gelangen könnte. Dann bleibe freilich noch, meint er, vor Allem in monarchischen möglich gemacht wäre.

Staaten die Regierung zu berücksichtigen. Auf die Dauer Es ist demnach gar kein Zweifel, daß diese allen könne freilich auch diese nicht dem Willen der Majorität wider- Veränderungen abholde Neigung von Zeit zu Zeit be­stehen. Versuche sie das dennoch, so falle die Verantwortung fämpft werden muß.

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Mehrheit unserer Herren Gesetzgeber darauf aufmerksam Zum Schluß möchten wir aber noch die misonëistische machen, daß Gesetze, welche auf Umsturz gerichtete Bestrebungen verpönen, gegenüber wissenschaftlichen An­schauungen, wie sie Lombroso   vertritt und wie sie von der National Beitung" afzeptirt worden sind, als ebenso thörichte wie aussichtslose Maßregeln betrachtet werden

für das, was da kommt, ihr allein zu; ihr Recht sei Sofern nun Revolutionen den Zweck haben, die- müssen. nichts weiter als ein ein Nothrecht desjenigen Veränderungen, welche durch den Geist der Zeit Also soyons amis, Cinna!*) Oder vielmehr: äußersten Falles", welches nicht beffer und nicht bereits vorbereitet und nothwendig geworden sind, zur Seien wir Revolutionäre, liebe Natio schlechter sei als das Recht des Voltes zur Re- äußeren Erscheinung zu bringen, dürfen diese Revolutionen n al 3eitung"! und: Nieder mit dem Miso­unbedingt nicht als Verbrechen betrachtet werden, sie sind is mus!

volution.

In allerjüngster Zeit nun, nämlich am 18. d. M., vielmehr geschichtliche Nothwendigkeit, durch welche an die haben wir wieder einen durchaus ernsthaften Bericht über Stelle veralteter, den Geist der Zeit nicht mehr ent­eine wissenschaftliche Untersuchung der Frage, ob und sprechender Religionen und Staatsformen neue gesetzt inwieweit von einem Rechte auf Revolution gesprochen werden, die mit den allmälig entstandenen Anschauungen Gedenktage des Proletariats.

Die Pariser   Junischlacht 23. bis 26. Juni 1848. I. Am 24. Februar 1848 verbrannten die Proletarier von Paris  

werden dürfe, an einer Stelle gefunden, wo wir einen und zur Geltung gelangten Thatsachen besser harmoniren. Rebellionen dagegen, das sind gewaltsame Erhebungen, folchen Bericht nicht erwartet hätten, zumal die fragliche wissenschaftliche Untersuchung zu dem Schluſſe gelangt, welche solchen inneren Beränderungen nicht entsprechen, den Thron des Bürgerkönigs" auf dem Baſtilleplay. Nach brei­Revolutionenseien eine kulturhistorische und welche einer künstlichen Erhitzung der Volksleiden- tägiger Straßenschlacht hatte die Revolution der Berachtung" Nothwendigkeit, und gleichzeitig übergenug schaften ihren Ursprung schulden, tragen nach Lombroso  

*) Das gemeine Volt".

Feuilleton.

Nachdrud verboten.]

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Die Falkner von St. Vigil. Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tyrol von Robert Sa, weichel.

*) Stelle aus dem französischen   Dichter Racine: Seien wir

*) Griechische Wortbildung- wörtlich: Haß gegen das Neue. Freunde, Cinna.

Der ist ein Feiger und Verräther, der sich als Rekrut auf den Klosterhof, jedoch ohne sein Glasergeräth; denn unter die bayrischen Fahnen wegschleppen läßt. Flüchtet er wollte später über das Jöchl in das obere Gaderthal. Eure Jünglinge in Feld und Wald und ins hohe Gebirg." Auf dem breiten Scheitel des Kreuzkofl lag der erste Schnee Hartwanger gab jedem seiner Zuhörer zwei Bettel. und es war bitter falt. Der Vigilbach hüpfte so eilig Das würde für St. Vigil   genügen, meinte er und bat sie, über und zwischen den Steinen und stürzte sich mächtig auf vorsichtig zu sein. die Räder der Mühlen, als ob er sich warm machen wollte. " Und der Aufruf kommt von dem bärtigen Andrä?" Die Stampfen der Lohmühle in Monthan gingen dröhnend fragte Mutschleitner, nachdem Beide ihre Bettel sorgfältig auf und nieder und von dem Klosterhofe scholl der weggesteckt hatten. Schlag der Dreschflegel dem Glaser im muntern Takte Der Glaser schüttelte den Kopf. entgegen. Der Klosterbauer stand auf dem Wege zwischen dem Wohnhause und den Wirthschaftsgebäuden und schaute nach den gepuderten Häuptern der Kallberge, die in der Sonne funkelten. In einigen Tagen mußten die Heerden von den Hochalpen zu Thal steigen. Breits beinig, den Leib vorgestreckt und die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt, so erwartete der Klosterbauer den heran­kommenden Glaser.

Grüß Gott, Klosterbauer!"

Dieser hob seine rechte Hand lässig bis in die Region seiner Pelzmütze, wandte sich und schritt dem Glaser bedächtig voran in das Haus und in die Wohnstube. Hier erst brach er das Schweigen und sagte:

Freilich darf's nicht sein", nickte Hartwanger, oder Tyrol bleibt im bayrischen Joch für alle Ewigkeit. Das ist Von Wien   kommt er", flüsterte er. Ihr sehet daraus, auch die Meinung der Andern und darum hat mir der daß unsere Sach' wirklich vorwärts geht. Der Hofer wird Peter Hueber in Bruneck   gedruckte Bettel mitgegeben, die sollt freilich wohl dazu gerathen haben. Wir dürfen uns selber ich unterwegs vertheilen. Das hab' ich denn auch redlich halt nicht ohnmächtig machen." gethan und hab' davon den Wirthen gegeben in Salen Bal" Jetzt, den möcht ich sehen, der nicht lieber in die frad und Zwischenwasser  , daß sie's herumschicken, jeder in Berge schlüpfte als in die bayrische Montur", äußerte das feinem Kreis. Ihr hier werdet's eben so machen und die Gamsmanndt. Schrift denen ausdeuten, die nicht lesen können oder nicht Deutsch  " Es ist halt auch keine leichte Sach', von Haus und verstehen. Von Zwischenwasser   hab' ich den Löffelfranz in Hof und von den Seinigen ins Elend zu wandern," sagte Bleilen beschickt; war aber auf der Wanderschaft mit seinem der Glaser ernst. Kram und statt seiner kam die Frau. Da ich ihr trauen Mutschleitner griff einige Akkorde auf seiner Zither. könnte, sagte der Wirth, so ist die Sach' dort oben auch Sein scharfes Dhr hatte den Kies vor dem Hause knirschen besorgt." hören. Es kamen noch einige Gäste, junge Bursche, die Er vergewisserte sich, daß die beiden Thüren der Schenk nach Wein und Karten riefen. Das Gamsmanndl reckte stube geschlossen waren und brachte dann aus dem Rücken- seine steifen Glieder und machte sich auf den Heimweg. Sein polster seines Glaserkastens einige bedruckte Bettel zum letztes Wort war: den Ambros finde er doch noch. Hart­Vorschein. Die drei Männer steckten die Köpfe dicht zu- wanger ließ sich ein Nachteffen geben und zog sich dann auf ſammen und Hartwanger las mit flüsternder Stimme vor, die ihm angewiesene Schlaflammer zurück, wo er die auf­was auf dem groben, grauen Papiere ſtand. Es war ein getrennte Naht an dem Kissen seines Glaserkasten mit einem wieder auf den Rücken und sagte in offenbar gereizten Aufruf, der sich in feuriger Sprache an die Vaterlands- geschwärzten Faden wieder zunähte. Nadel und Zwirn Tone: Warum redet Ihr nicht? Was habet Ihr aus­und Freiheitsliebe der Tyroler wandte und wörtlich hieß es führte er bei sich. Am folaenden Tage nach dem Frühstücke ging er Nichts, Klosterbauer." entgegnete Hartwanger und

darin:

" Ihr habet lang' auf Euch warten lassen. Aber setzet Euch. Hartwanger folgte mit einem leichten Achselzucken der Einladung. Der Klosterbauer blieb vor ihm stehen, legte die Hände

gerichtet in der Sach'?"