f. Geita&e Mittwoch, 2 Januar 1929
SivAbnid SkäJauXfaS« Ak
Schicksal einer Mutter.
Was die Akten erzählen.
£xii Schwurgericht in Greifcwold verurteilt« die 28 Jahre alte polnische Schnitterin Josefa Masur, die feit 1914 m Deutschland lebt, wegen Kindeemordes zu 10 Jahren Zuchthaue... Die unmenschliche Mutter zertrümmerte ihrem Siebenjährigen mit einem Stein die Schädeldecke, erwürgte den zweiten ftnaben und warf die Leiche in einen Fluß. Die Schnitterin will Sie Tat begangen haben, weil sie wegen der Kinder kein« Stellung finden konnte/ Zeitungsnotiz. Das Schicksal der polnischen Schnitterin Josesa Masur will er- zählt sein. E» ist nicht blast Ihr Schicksal: es ist das vieler taufender Leidensgenossinnen in Deutschland .. Seit 1914 lebt« die Schnitterin Josefa in Deutschland. — Nirgend hatte st« ein richtiges Heim. Vier Kinder nannte sie ihr eigen: Johann acht Jahr« all. Viktor sieben. Maria fünf und Wladistaw sechs Monate. Trotz schwerer Arbeit sorgte st«. für die Kleinen so gut sie konnte. Di« Väter, die sie in die Well gesetzt, Schnitter gleich ihr, waren längst«ett weg. Seit 1924 orbettete sie auf dem Gut« Keffelbrinck, Kreis Grimmen. Sie lebt« mit dem Schnitter Fisch und erwartete von ihm ein Kind. Das fünfte. Fisch war ein tüchtiger Arbeiter: er hatte die Kinder gern, als wären st« seine eigenen und wollt« Josefa auch heiraten. Nichts deutete auf Unheil. Usder Nacht war es da... Am 1. Dezember 1927 kündigt« plötzlich der Vorschnitter dem Fisch und der Ios«fa Masur— well s i« schwanger war. W a soll aber eine Schnitterin im Dezember Arbeit finden? Kurz vor Weihnachtenl Mit vier Kindern. Ein fünftes unter dem Herzen. Fisch und Josefa sahen sich nach einer neuen Stellung um. Ohne Erfolg. Dann fanden sie etwas. In Hohenfeld. Anker einer Bedingung: nicht mehr als ein Kind durfte Josefa bei sich haben. Und hatte doch ihrer vier. Wohin mit den Kindern? Josefa Masur fuhr mtt Johann und Viktor nach Rostock . Im katholischeu Pfarramt wurde ihr Bescheid: Das Kinder- heim sei überfüllt. Man riet ihr, es in Grimmen zu versuchen. Sie ging nach Grimmen . Da gab es überhaupt kein Heim. Sie wandte sich nach Stralsund — das war am 10. Dezember. Nach dem Gottes- dienst« suchte sie den katholischen Pfarrer auf. Nichts zu machen. Alle» besetzt. Auch im Waisenhaus wurde sie abgewiesen. Zer- schlagen und zermürbt kehrte Josefa noch Kesfenbrinck zurück. Was nun? Noch«inen letzten Versuch beim Lorschnitter? Sie tat es— um der Kinder willen. Die Antwort war: v« r l ä h t du am 15. nicht da» Gut. so wirst du nach Polen zurücktransportiertl Räch Polen zurück?! Sie, die feit 1914 in Deutschland lebt, die hier ihre besten Kräfte gelassen, vier Kinder zur Well gebracht, in Polen keine verwandt« Seele hat? Unmöglich! Was soll sie tun? In der Nacht vom 11. zum 12. schloß Josefa kein Auge. Sie grübelte und grübell« und fand keinen Ausweg. Um 4 Uhr morgens— es war stockfinstere Nacht— erhob sie sich von ihrem Lager, zog Bittor und Johann ihre besten Monchesteranzüge an. Noch einmal wollte sie nach Rostock in» Pfarramt: sie konnte nicht glauben, daß es keine Hilfe für sie gäbe. Doch je weiter sie in den dunklen Morgen hineinschrttr. an jeder Hand«inen Jungen, um so unsicherer wurde sie. Der Hossnungsstrohl erlosch, der Weg nach Rostock schien lang und aussichtslos. Und plötzlich durchzuckt« st« der Gedanke— er mochte sie vielleicht schon früher irgendwie blitz- artig gestreift haben— jetzt wurde er zum Entschluß: vi« beiden Kinder beseitigeut Wären sie Seiner, sie hätte sie ausgesetzt. Aber sie waren groß genug, um den Weg zu ihr zurückzufinden. Gab es kein« Stellung m i t ihnen, so mußte sie nach Hohenfeld o h n e sie. Es gab keinen Ausweg!... Josefa Masur ließ den siebenjährigen Bittor am Feldweg« niedersitzen und ging mit dem achtjährigen Johann ins Gestrüpp zum Bruch. Hier nahm sie«inen faustgroßen spitzen Stein und schlug
dem Knaben mit voller Wucht gegen die Schläfe. Ein kläglicher Ausschrei, ein Sturz zu Boden, ein Zucken des kleinen Körpers, noch einige Schläge, erneutes Aufzucken— und alles, war still.. Auf dem Feldwege saß weinend der klein« Vittor: er fragte die Mutter noch Johann. Ja, wo ist Johann?! War sie nicht Mutter? Hatte sie nicht auch Viktor töten wollen? Den kleinen, weinenden, vor Kalle zitternden Viktor. Nein, nein, sie konnte es nicht. Sie faßte den Jungen bei der Hand und führte ihn den Weg nach Kesfenbrinck zurück. Dann kam ihr zu Bewußtsein: unmöglich bloß mit einem Jungen zurückzukehren. Würde er nicht erzählen, wie sie mtt Johann ins Gestrüpp gegangen? Sie führt« den Jungen zur Trebel , erwürgt« ihn und warf ihn ins Wasser. Um Z48 Uhr war Josefa wieder in Kesfenbrinck. Auf ihrem rechten Arm trug sie zwei zerrissene Jäckchen der Kinder. Wo sie die Kinder gelasien habe? Ach, sie war gerade dabei, nach Rostock zu fahren, als sie auf dem Bahnhof den Landjägermeister traf und dieser ihr«inen Bauern zeigte, der bereit war, dl« Kinder bei sich aufzunehmen. Seinen Namen kenne sie nicht, auch nicht die Adresie. Fisch meinte: schade, daß wir die Jungen nicht haben be- hallen können. Wenn es uns bester geht, wollen wir sie wieder holen. Am 15. Dezember verließen Josefa Masur und Fisch da» Gut Kesfenbrinck. Den Säugling brachten sie ins Krankenhaus. Das Verschwinden der Kinder hatte auf dem Gut doch einen gewisten Verdacht erregt. Der Oberlandjägermeister forschte nach ihrem Verbleib. Der Bauer blieb aber unauffindbar. Der Land- jägermeister, auf den Josefa sich berufen hatte, wußte von nichts. Man suchte nach der Schnitterin. Bloß im Säuglingsheim fand man ihr kleine», da» au» der Klinik dahinyegeben worden war. weil die Mutter«» nicht geholt hatte. Man veröffentlicht im Kreisblatt einen Steckbrief, erließ Haftbefehl. Am 1. März wurde die hoch schwangere Josefa verhaftet. Am 25. März fand ein Knecht in der Nähe de» Deysels- bruchs Mütze und Schürze: nicht weit entfernt eine bereits verweste Kindesleiche. Am 30. März fischte ein Fischer au» der Trebel «in« zweite Kindesleiche heraus. Es war der klein« Viktor. Nun legte Josefa Masur ein umfassendes Geständnis ab. Im Mai gebar sie das Kind, um dessen willen ihr in K«ffel- brinck gekündigt worden war. Im Juni stand si« vor dem Greif»- walder Landgericht. Die Anklage lautete auf M o r d. Der Staatsanwall beantragte zweimal Todesstrafe. Dos Gericht verurteilt« Josefa Masur wegen Totschlags zu 10 Jahren Zuchthaus. In der Begründung hieß es u. a., die Angeklagt«, der in der Hauptsache wegen ihres Schwangerseins gekündigt worden war, hat aus Verzweiflung gehandell: sie war«ine gut« Mutter und hat für d i e Kinder gesorgt: d«ss«n ungeachtet haben ihr mildernde Umstände oer« sagt werden müsten.. Das Zwstizministerium hat die zehnjährige Zuchthausstrafe in «in« Gefängnisstraf« von acht Jahren umgewandell... Dies das Schicksal der Josefa Masur. Der ganz« Jammer de» Schnltterdosein» wird hier offenbar. Saisonarbetterinnen. von Ort zu Ort gehetzt, die im Sommer nicht wissen, wo sie im Winter mit ihren Kindern— in der Regel unehelichen— Unterkunft, noch im Winter, wo sie im Sommer Arbeit finden werden. Dumpfe und stumpfe Wesen, mtt gesunden Instinkten und kräftigen Armen, werden sie als billige» „Arbeitsvieh" von den Gutsherren gewöhnlich zu zweien— Männlein und Weiblein— zusammengekoppell in Stellung ge- nommen. An wen soll sich«ine polnische Schnitterin hallen, wenn nicht an den Schnitter? Was misten sie von Empfängnisverhütungsmitteln? Höchstens, daß si« im Augenblick der Not in die Hände weiser Frauen fallen oder im Augenblick der Geburt aus Verzweiflung das Neugeborene töten oder Engel- mocherinnen zu langsamem Sterben ausliefern. Josefa Masur tat weder das eine noch das andere noch da» dritte. Sie war Mutter und wurde daher zur Mörderin... Leo Roscnthal.
Die Krinoline. Eine soziologische Plauderei.
Der Tyrannei der Mode sich unterwerfen, dos bedeutet für viele schon«in Eingeständnis der Schwache, Eitelkeit und Oberflöch- lichkeit. Wie wett indes«in« solch« Aufsastungsweise entfernt ist, dem Wesen der Mode wie der menschlichen Natur gerecht zu wer? den da» zeigt un» in launiger und überaus sestellrder Weis« da» ,m Verlage von Paul Aretz. Dresden , erschienen« Buch Friedrich Wendel»?„Die Mode in der Karikatur"(dem auch die beiden Bilder entnommen sind), und da» un» in Wort und Dild sd«r rtch- tiger im Zerrbild, drastisch vor Augen führt, wie über hie Jahr- hunderte hinweg die Modetorheit das einzig Beständig« blieb in der Modeerfcheinungen Flucht. Geboren aus dem Kampf zweier Gegensätze----- dem Hang zur sozialen Unlformität auf der einen, dem mächtigen Drang auf der anderen Seite, sich individuell auszuleben—, das bildet einen un- erschöpfl'.chen Stoff für die Komik. Dies« Komik, dies««Karikatur in der Mode" aufzuzeigen, ist der Hauptzweck de« amüsanten Buche«- An vielen Stellen aller- ding» verbirgt sich hinter dem Hauptzweck noch«m Nebenzweck, hinter dem scherzhaften Gewand« ein ernster Kern. Zt«, stock. Krinoline. Empire. Schlepp«, kurzer Rock plu» Bubikopf- sie alle passieren in verzerrter Uebertreibung Reou«—. nicht aber ahn, daß zugleich ihre Abhängigkeit von den gesellschaftlichen, ikanomi. schen und polttifchen Bedingtheiten aufgezeigt würde. Besonders geglückt Ist Wendel diese Aufwestung de« sozialen Unterbau- der Mode an dem Beispiel der.Krinoline", die zwei Jahrzehnt« hindurch, von 1840 bis 1S«9. die europäisch«, besonder, aber die tonangebende sranzöstsche Frauenwelt tyrannisiert hat. In
> der Unnatur dieser Modeentartung, in dieser Verhöhnung des guten Geschmacks, fand die Karikatur ein dankbares Feld, das si« denn auch nach a?«n Richtungen hin tüchtig beackert hat. Auch allerlei praktisch« Verwertungsmöglichkeiten der Krinoline ersinnt die Satire, um sich für die unsinnige Materialvergeudung
01» Krinolla» als SornmoneU.
zu rächen. Als Hühnerkorb eigne sich die Krinoline vorzüglich: Sommerfrischlern wurde sie als Wohnzelt wärmstens empfohlen, in dem man bequem den Rest des Sommers verbringen könnte. Sogar die Mauern mußte man durchbrechen, um Platz für die Krinoline zu schaffen I Hier verbirgt sich ein Symbol: die reizvolle Erscheinung, daß«in« Krinoline die andere aus dem Raum zu verdrängen sucht, charakterisiere das allgemeine Wellverhältnis da draußen.„Wir treten ein," sagt Wendel,„in die Zeit der ungenierten V o l l h e r r-
1
schaft de« Geldes?, in die Zeit seiner unzweifelhaften und erstaunlichen Produktionstriumphe, in die Zeit aber auch einer all- Semeinen Unsicherheit der Existenz, wie sie im Wesen der freien Konkurrenz begründet liegt.„Alles ist ins Maßlose gesteigert in dieser Zeit der prall gefüllten Geldsäcke: Decken und Deckchen auf den Möbeln, riesige Stoffdraperlen und Portleren In den Wohnun- gen, überall herrfch« Protzentum und Unkultur. Keine Ahnung, so medittert Wendel, kam diesen Menschen vom ungemütlichen lieber-
Wie der Sent die Krinoline verwenden möchte.
morgen.„Man berauschte sich vielmehr am Anblick der aufgedonnerten Jndustriefassade und aufgedonnert rauschte im Salon die Krinoline der Gnädigen einher." Alles in allem, ein gut gelungener Versuch, auf dem Wege über Humor und Satire» in der„Karikawr", eine soziologische Begrün- dung des so interessanten Phänomens der Mode zu geben! Dr. Lily Herrberg.
Was der Tag bringt iMminunnnmimniuiunnniuiiiiiimiiiiiiiiiiiiimiiiiiniiiiiiiiniiuiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiininiiiiiiimmiiinniiiintffun Die Klage des Prinzen von Montenegro. Er hall nämlich etwas auf sich und will nicht karikiert werden. Der Fttm„Die lustige Witwe " spielt ihm aber böse mit. Auch der montenegnnische Hos kommt dabei nicht ganz gut weg. Also setzte der Prinz eine beleidigte Miene auf und strengte eine Zivilklag« an. AI » Wiedergutmachung fordert« er die Kleinigkeit von 500 000 Franken. Entweder schätzt der Prinz seine werte Persönlichkeit-u hoch«in oder er kann Geld brauchen. Ein geschäftstüchtiger Arzt. Gaston Priere war Unfallarzt, d. h. er zauderte Unfälle auf dem Papier hervor. Kleine Kratzer wurden da zu Verletzungen, blutunterlaufene Stellen zu inneren Blutungen. Di« Unsallversiche- rung kassierte er selbst ein. Dr. Gaston Priäre war auch durchaus nicht kleinlich. Den Arbeitern, die feine Agenten aus allen Arbeits- quartieren von Paris zu ihm brachten, erhielten nicht bloß die Fahrt in der Untergrundbahn ersetzt, sondern auch dazu noch 30 Franken. Sein Geschäft führte er so glänzend, daß er es aus große Ein- kommen brachte. Er wurde Eigentümer eines Rennstalls, Besitzer eines Nachtlokals am Montmartre, und hätte wer weiß wieviel Mil lionen noch zusammengescharrt, wenn eines Tages sich nicht d:e Staatsanwaltschaft seiner angenommen hätte. Jetzt hat er im G<- fängni» genügend Zeit, über die Tücke des Schicksals nachzudenken. Sowjetpresse und Prostitution. Ein geniales Mittel zur Bekämpfung der Prostttution schlägt dl« Moskauer „Lrbstterzettung" vor: 1. sollen in den Zeitungen die Namen all der Leute veröffentlicht werden, die in den Häusern der Unzucht ertappt werden: 2. sind die..Prostitutionskonsumenten" durch die Gewerkschaften zur Verantwortung zu ziehen. Ein ge fährlicher Dorschlag! Wer weib, wieviel Kommunisten und Jung tommunisten da» Vergnügen haben würden, ihren Namen in k-n Zeitungen zu lesen!