1929
Der Abend
Ericheint täglich außer Sonntagi Fugleich Abendbausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Erpedition: Berlin SW 68, Lindenfir.3
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Spätausgabe des„ Vorwärts"
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B2 46. Jahrgang.
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Bisher 82 Tote gezählt.- Unwetter in aller Welt.
Die Nordwestküste von Japan wurde gestern von! einem Ortan und einer dadurch hervorgerufenen Springflut heimgesucht. In den Küstenstädten des Bezirks Niigata wurden Hunderte von Häusern zerstört und fortgeschwemmt. 56 Personen tamen ums Leben, viele sind verlegt. Die telegraphischen und telephonischen Verbindungen sind unterbrochen. Der Dampfer ,, Toyotomi Maru" ist untergegangen. 31 Mann der Besakung sind ertrunken oder wurden erfroren aus dem Meere aufgefischt. Vier Mann konnten lebend geborgen werden.
Berheerungen in Spanien und Frankreich .
In der Nacht zum Mittwoch ist über Saragossa ein schweres Unwetter niedergegangen. Telegraphen- und Telephon ve: bindungen find unterbrochen, die elektrischen Leitungen zerstört Infolge zahlreicher Kurzschlüsse erlitten mehrere Personen Brandwunden. Ein zwölfjähriges Mädchen wurde durch einen elektrischen Schlag getötet. Der Straßenbahnverkehr ist eingestellt.
Während der gestrigen Ueberfahrt des Dampfers Gouver neur General Jonnart" von Algier nach Marseille wurden drei junge Leute über Bord gespült. Rettungsverfuche blieben ohne Erfolg.
Aus verschiedenen Teilen Frantreichs fommen Berichte über starte Schneefälle, große Sälfe, Stürme und Ueberschwemmungen. Die Telephonverbindungen mit Südfrankreich sind seit gestern zum größten Teil unterbrochen. In der Gegend von Berdun ist die Marne auf eine große Strede über die Ufer getreten. In der Auvergne ist so ftatter Schnee gefallen, daß der Eisenbahnverkehr an mehreren Stellen unterbrochen wurde. In verschiedenen füdfranzösischen Städten ist Schnee gefallen. Auf allen Meeren herrscht ein starker Sturm. In Toulon ist ein tunesischer Frachtdampfer gestrandet. Durch eine Sturzwelle ist in den Hafenanlagen von Toulon beträchtlicher Schaden angerichtet worden Mehrere Fischerboote sind aufs Meer hinausgetrieben worden. Zahlreiche Schiffe haben sich in die Häfen von Cherbourg und Le Havre geflüchtet. Die Züge find in Paris gestern zum Teil mit achtstündiger Berspätung eingetroffen, was meist den Schneestürmen zuzuschreiben ist. In Marseille ist gestern abend 3 um erften mal feit fünf Jahren wieder Schnee gefallen.
Kälte in Ober: und Mittelitalien .
Die strenge Kälte in Mittel- und Oberitalien hält an. In der Lombardei und in Benetien hat der starke Schneefall vielfach Berkehrsstörungen zur Folge gehabt. Auf der Eisenbahnlinie Trieft- Adelsberg find alle 3üge im Schnee stedengeblieben. Zahl. reiche Arbeitergruppen sind mit der Beseitigung der Schneemassen beschäftigt. Auf dem Karst liegt der Schnee drei Meter hoch. Fiume ist durch den starken Schneefall vom Eisenbahn, Telephonund Telegraphenverkehr gänzlich abgeschnitten. Man erinnert sich dort seit 30 Jahren nicht mehr an einen so schneereichen Winter. Der Monte, Maggiore ist bis zum Meer herunter mit Schnee bedeckt. Aus Grado werden heftige Schnee- und Regenfälle gemeldet. Der Dampferverkehr an der Triestiner Küste mußte wegen des hohen Wellenganges eingestellt werden.
Wetternachrichten.
Auf Anruf beim Haupttelegraphenamt.
Damit das Bublifum die amtlichen Wetternprhersagen schneller und bequemer erhalten fann, hat die Deutsche Reichspoft auf Antrag der Deffentlichen Wetterdienststelle Berlin vom 1. Januar 1929 ab perjuchsmeije nachstehende Neuerung für die Fernsprechteilnehmer des Drisfernsprechnezes Berlin zugelassen.
Danach fann jeder Fernsprechteilnehmer von seinem Anschluß aus durch Anruf der Telegrammaufnahme des Haupttelegraphenamtes den neuesten amtlichen Wetterbericht erfahren, während er bisher eine Auskunft von der Deffentlichen Wetterdienststelle selbst einholen mußte, was höhere Kosten verursachte und auch umständ= licher war, da bei der Fülle der Anfragen zu gewissen Zeiten längeres Barten auf Anschluß vorfam. Von nun an wendet sich jeder Fernsprechteilnehmer über sein Bermittlungsamt an die ,, Telegrammaufnahme des Haupttelegraphen amtes" und erhält dort die um 11 Uhr pormittags für den nächsten Zag herausgegebene amtliche Wettervorhersage. Die für die Ausfunft zu zahlende Gebühr von 20 f. wird in üblicher Weije zu fammen mit den Fernipredygebühren eingezogen.
Revolution im Mietpalast.
Kein„ Eingang für Herrschaften" mehr!
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Wieder einmal sehen die besseren Kreise tränenden Auges ein sich darin ausdrückte, daß auch die Dienstmädchen den Weg der Stück der guten alten Zeit auf Nimmerwiedersehen verschwinden." Gnädigen zu gehen wagten und niemand kümmerte sich darum. Im Namen des Boltes hat das Berliner Arbeitsgericht ein Urteil Als sich jedoch die Verhältnisse wieder stabilisierten, wurde der verkündet, bas im Namen des Königs niemals hätte gefällt werden Bordereingang wieder auf den alten Glanz hergerichtet und mit ihm fönnen. Es gibt keinen„ Eingang für Herrschaften" mehr! die Tafel: Eingang für Herrschaften". Damit begann in den ,, hochherrschaftlichen Häusern die Zeit eines erbitterten fozialen Aus der Vorfriegszeit stammt der Typ des Mietpalastes, der Kleintriegs. Die„ Dienstboten", die sich jetzt ,, Sausangestellte" nur geschaffen scheint, um dem Pöbel zu zeigen, daß es noch Unter nannten, empfanden das erneute Verbot nicht nur als boshaften schiede gibt. Durch geschliffene Scheiben blidt man auf ein Treppen. Entzug einer ihnen gewährten Erleichterung, sondern auch als haus, das mit schwellenden Teppichen belegt ist und neben dem Angriff auf ihre Ehre. Manche Träne der Wut wurde geweint, wenn der Hausverwalter in barschem Ton auf seinem Recht beftand, ein in Mahagoni ausgeführter Fahrstuhl greziös auf- und niederschwebt. Ein Schild mit goldenen Buchstaben belehrt dich jedoch, daß dies ein„ Eingang für Herrschaften" ist. Für Bedienstete
nebenan."
Nebenan bemerfst du eine bescheidene Türe, die dich meist zunächst ein Etüd fellerwärts führt. Heimliches Dunkel umfängt dich, und wenn sich dein Auge erst daran gewöhnt hat, findest du auch den Anfaß zu einer hölzernen Wendeltreppe, die spiralen förmig zur Höhe strebt. Das ist der Weg, den das Dienst mãdoen zu gehen hat, wenn die Gnädige es einholen schickt oder menn es nach feltenem Ausgang nachts der Ruhe auf dem Hänge: boden zustrebt.
Dann kam eine böse Zeit, in der die Teppiche verschlissen und der emig reparaturbedürftige Fahrstuhl unbeweglich zwischen Himmel und Erde hing. Und dann fam die Revolution, die
Berichte 2. Seite
Aber auch unter den ,, Herrschaften " selbst bildeten fich Parteien. Oder vielmehr, die schon vorhandenen Parteigegensätze kamen zum Ausbruch. Die Monarchisten begrüßten die Wiedereinführung des Zweiflassensystems als erfreulichen Erfolg. Manche Republikaner empfanden diese Rückkehr zum Alten nicht mehr als zeitgemäß. Sozialpsycho. logisch intereffart war es, daß gerade Frauen des Mittelstandes, die selber keine Hausangestellte mehr halten können, die strenge Durchführung der Zweiflaffenordnung mit besonderem Eifer überwachten. So fand man sich doch in dem angenehmen Bewußtfein gestärkt, etwas Besseres zu sein!
Ein Zustand höchster Gereiztheit war erreicht, Ermissionstlagen drohten, als das Arbeitsgericht mit seiner Entscheidung bazwischenfuhr. Das Arbeitsgericht hat entschieden, daß den Hausangestellten der Berzicht auf Teppichtreppe und Fahrstuhl nicht mehr zugemutet werden könne und daß der Versuch, sie auf die Hintertreppe zurückzudrängen ,,, im höchsten Grade unbillig und unsozial", ,, mit den sozialen Empfindungen unserer Zeit nicht mehr in Einklang zu bringen" sei. Die deutschnationalen Hochherrschaftlichen haben also die Bartie verloren; zähnefnirschend werden sie zusehen müssen, wie Mine, Trine und Stine als Siege= rinnen vergnügt über dicke Teppiche hüpfen oder im Fahrstuhl mit Mahagonibekleidung zur Höhe schweben.
D, diese Sozialdemokraten! D, diese Republik!
Wenn der Winter in Berlin sein härteres Gesicht zeigt, leiden auch die Vögel Not. Besonders die Möwen, die an der Spree und den Kanälen auttauchen, sehen es gern, wenn für sie vom
Tische der Großstadt etwas abtällt.