Beilage
Montag, 7. Januar 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwäre
Eine Woche Landleben
Wie die Großen und wie die Kleinen leben.
I.
Lieber von Mengelheimer!
Teile Ihnen mit, daß ich nach Neujahr Buchenauch besuchen werde. Meine Jagdgesellschaft, demgemäß Ihr Arrangement. Hörte von der Fürstin, daß legtes Monatsgeld zwei Tage später eintraf. Fürstin dadurch in größte Berlegenheit geraten. Darf nicht wieder vorkommen. Holzschlag muß doch fioziges Geld geben.
Nachschrift.
Ihr geneigter
Alexander Konstantin.
Bereiten Sie auch Hochwürden vor, Sonntagspredigt bei meiner Anwesenheit selbst zu halten. Soll aber feine Dummheiben sprechen die wollen wir unserm faiserlichen Better überlassen.
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II.
Geehrter Herr Lämmler!
Benn Jakobus nur Durchschnittspreis für Getreide zahlen will, soll ihn der Teufel holen. Da Landbund neues Geld besorgt, ist Berkauf nicht dringlich. Bei Steueraufstellung wollen Sie ja Aufenthaltskosten meiner Frau in Aegypten auf Betriebskosten mit an= fegen. Da sie Oberaufsicht über Federvieh und Obstgarten hat, ist dies juristisch zulässig. Daß die Leute sich wieder die Weihnachtsbäume aus der nächsten Schonung geholt haben, ist sehr gegen meinen Willen. Weshalb passen Sie nicht besser auf? Die können schon ein paar Minuten länger laufen sonst wird ihnen der kostenlose Bezug abgeschlagen. Am Ende verkaufen sie noch welche? Haben Sie alle Reviere ordentlich revidiert? Erbitte Bericht
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Georg von Schüßhausen, Majoratsherr.
III.
Herrn Verwalter Regenbach!
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Ihre Klagen über die Abwanderung der Leute sind mir nun wirklich nichts Neues mehr. Was fann ich dagegen num? Beschaffen Sie sich rechtzeitig Saisonarbeiter dann wird die Arbeit ebenso schnell und noch billiger als mit den Instleuten fertig. Auf wieviel Motorarbeit rechnen Sie in diesem Jahr? D. h. also, wieviel Pferde fönnen wir abschaffen? Dann sparen wir nicht nur Futter, sondern auch Leute. Haben Sie für die leer gewordenen Wohnungen Mieter? Sonst geben Sie ein Inserat ins Kreisblatt. Ihre Idee, zwei zusammenstoßende Häuser, also die Wohnungen, als Ferien heim für meine Fabritarbeiter einzurichten, macht Ihrem Herzen alle Ehre- aber nicht Ihrem Verstande. Die Fabrikarbeiter follen
dort wohl Sozis züchten!
SPFY
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IV.
Hochachtend
Butterecht,
Fabrit und Rittergutsbesizer.
Lieber Justas!
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Du rätst mich wat Scheenet. Id full min Küh mit Roloffen und Achtenhagen fine sammenbun un Melt- un Bottergemeenschaft maken. Da beschummelt eener den anmern ick kenn doch de Brieder. Wenn de Landbund dat wollen täte, hätt er schon längst wat geseggt. Am Sündag kommt sin Man, een Graf von Kohl vetter, wedder in uns Dörp ick kann ihm jo din Brief wise. Na Adjüs. Jochem, Dunkelhofbauer.
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V.
An den Güter- Mafler Robinson, Berlin .
Ich habe gehört, daß Sie auch kleinere Objekte in die Hand nehmen. Also ich möchte verfaufen. 16 Morgen Land, davon 4 Morgen Biese. Haus, Stall und Scheune 1921 aufgebaut. 10 Minuten entfernt von der Dorfstraße, mit bequemem Zugang( Straße allerdings nicht gepflastert). Mein Wunsch, zu vertaufen, entspringt aus der Verfolgung, der ich hier ausgesezt bin. Ich hatte beim Boltsbegehren wegen der Fürstenabfindung mich eingetragen und
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werde seitdem nicht nur in der gemeinsten Weise angepöbelt, sondern habe auch die ganze Kundschaft verloren. Also sehen Sie zu, daß Sie bald einen Käufer finden, der das Ganze preiswert erwirbt. Hochachtungsvoll
Karl Berner, Landwirt und Schneider. VI.
Sehr geehrter Zunstgenosse!
Ich komme erst heute dazu, Ihnen Dank zu sagen für das schöne Baar Blaue Winner, das Ihre Frau am Montag, als ich in der Kreisstadt war, bei mir abgeliefert hat. Ich werde Ihnen den Gegenich Ihnen den Brief eines alten Kriegskameraden, der sich im Seemert bei unserer nächsten Zusammenkunft zustellen. Einliegend sende freise ansässig gemacht hat. Er schlägt vor, daß wir Gemüsebauer|
zusammenkommen sollten, um gemeinsame Arbeitsleistung und ge= meinsamen Absatz zu vereinbaren. Wir müßten das gleiche Saatgut beziehen und uns auf wenige Sorten beschränken. So könnten mir, bei Anschluß noch einiger Kollegen, große Bosten Gemüse auf einmal liefern. Das Höfern mit der Tragkiepe und die Fahrt nach der Markthalle hört dann auf. Ich finde den Gedanken sehr be. achtenswert. Da der Samenbezug bald erfolgen mußte, ist Gile geboten. Besten Gruß Ihr Emil Wach, Siedler.
DA
VII.
An den Herrn Parteisekretär in N.!
Die Brochüren haben hier wie das bekannte ,, rote Tuch" gewirkt. Mein Sohn hat sie alle selbst verteilt und da mußten sie gleich), pon wem ,, der Landwirt und die Sozialdemokratie" fam. Sie sind auch gleich gelaufen gekommen aber sie können mir nichts tun. Der Bauer, bei dem ich arbeite und von dem ich die Wohnung gemietet habe, ist ebenfalls ein ,, Roter". Er hat beide Söhne im Kriege verloren und das hat ihm die Augen geöffnet. Die Gutsinjassen sind Ueberraschung geben. auch nicht alle stubenrein" bei den Wahlen wird es wohl manche Mit Parteigruß
Friz Standhaft, Landarbeiter.
Fahrt über die Grenze
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Die fürzeste Bahnstrede von Berlin nach Baris führt über Köln und Belgien . In der Jägerstraße zu Berlin ist das belgische Konsulat von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Kurz nach 10 Uhr trete ich ein. Ich will nach Paris zurückfahren. Man weist mich in einen kleinen Wartesaal. An den Wänden hängen Anschläge: Das Visum ist aufgehoben zwischen Belgien und. ,, Das Visum besteht noch zwischen Belgien und Keiner kennt sich mehr aus. Drei Personen warten außer mir. Ein alter Herr, der sich dem Akzent nach bald als Russe zu erkennen gibt, fizt in einem abge. muzten Belzmantel an einem kleinen Tisch, an dem mohl manchmal ein Konjulatsbeamter Platz zu nehmen pflegt. Neben mir auf der Holzbank sind zwei Frauen. Es ist 15 Minuten nach 10 Uhr. Man fit, wartet und sprich vom Wetter. Ein junges Mädchen fommt aufgeregt herein. Auf den Russen stürzt sie zu, da sie ihn für einen belgischen Beamten hält und bittet ihn sogleich um ein Visum. Lebhaftes Bedauern is die Antwort. Beschämt sezt fie fich wortlos nieder, zur Vermehrung der kleinen Schar von Wartenden. Es ist
10.20 Uhr.
Mensch unverschuldet in seinem Leben warten muß? Alle die Haben Sie schon einmal ausgerechnet, wieviel Zeit ein normaler Berabredungen, bei denen jemand zu spät fomint, alle die Telephongespräche, die nicht klappen, all die verlorenen Minuten vor irgend
einem Schalter! Allein aus der Zeit, die fünf Menschen dem Warten opfern, fönnte schon wieder ein eigenes Menschenleben aufgebaut werden. Manches Warten dauert ewig. Beim belgischen Konsulat dauert es nur über 20 Minuten. Für ein Transitvisum" zahlt man 2,25 Mart. Es lautet folgendermaßen: Tranfitvisum. Eingetragen unter Nummer 23 569 bei der belgischen Gesandtschaft in Berlin , um dem Inhaber zu gestatten, durch Belgien zu fahren, wobei er in Belgien freiwillig feinen Aufenthalt nehmen darf. Wichtige Anmerkung: Es ist streng verboten, in Belgien aus freien Stücken Halt zu machen oder ganz im Lande zu bleiben. Berlin , den 18. Dezember 1928. Für den belgischen Gesandten( Unterschrift unleserlich)." Der Beamte trägt das Visum in sein mit laufenden Nummern versehenes Buch ein, und man hat endlich die amtliche Durchfahrtserlaubnis im Reisepaß.
In Herbesthal, hinter Aachen , zeigt man das Visum zum ersten Male zur Abstempelung vor. 2 Stunden, von Serbesthal bis Jeument( über Lüttich und Namur ) fährt der Zug auf belgischem Gebiet Paris entgegen. Wer in der 3. Klasse fährt, hat keinen Zugang zum Speisewagen. Die Reisenden der 3. Klasse werden auch damit bestraft, daß sie in Lüttich umsteigen müssen. Für sie gibt es feinen direkten Wagen von Köln nach Paris . Im Gang des Wagens spricht mich jemand an:„ Es ist ja hier so langweilig. Spielen Sie Karten?" Ich betrachte den Mann. Er raucht an seiner
Die Schulbank ist abgeschafft!
Eine Aufbau Klasse des Berlin Neuköllner Realgymnasiums kennt, wie die moderne Schule über haupt, keine Schulbänke mehr. Lehrer und Schüler sitzen nach neuesten Erziehungsgrundsätzen zang los zusammen. Der Lehrer ist keine furchtgebielende, Respekiperson", sondern Kamerad der Schüler.
Pfeife, mir direkt ins Gesicht. Ein fleines Ordensband ist an seinem Knopfloch: Kriegsteilnehmer. Belgier . Ich verneine seine Frage. Und damit nimmt seine Langeweile zu. Er weiß sich nur noch damit zu helfen, daß er jeden Zentimeter des Wagens musternd betrachtet. Es ist ein deutscher Wagen 3. Masse. Ah, ces boches, ils sont ingénieux, ces saligauds," ſagte er plößlich zu mir:., Ach, diese Boches", das sind doch tüchtige Kerle, diese Schweinebande." Ein Schimpfsatz, wie er heutzutage nur noch in Belgien möglich ist. Ich ermidere nur drei Worte, auf die er allerdings nicht vorbereitet war: Ich bin Deutscher ." So verlegen sah ich selten einen Menschen. Als wir uns eine Stunde später trennen, weiß ich, daß der Ausdruck ,, Boche" nie wieder über seine Lippen kommen wird.
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Bei der Einfahrt in Jeumont stürzt ein neuer Feind auf den Zug los: Die 3olltontrolleure nahen sich ihrem den Zug los: Opfer. Kaum hält der Zug, so führen sie in ihm einen wahren Beitstanz auf, der andauert, bis die fahrplanmäßige Zeit der Zugabfahrt glücklich überschritten ist. Sie springen auf die Sitze und leuchten darunter. Sie befühlen alle Winkel und Ecken und fassen mich bei der Taschenuntersuchung an alle möglichen und unmöglichen Körperteile. Meiner Ansicht nach kommt das Zollkontrollattentat auf die Freiheit des Menschen direkt hinter der Militäruntersuchung. Die so
medizinische Untersuchung vor Eingehen einer Che ist nicht fa schlimm, weil sich dabei jeder freiwillig in Fesseln begibt( mehr oder
weniger freiwillig). Was wäre, wenn sich alle Zoll- und Visum beamten in der ganzen Welt eines Tages organisieren und wenn sie streifen würden, um vernünftigeren Berufen zugewiesen zu werden? Würden die Züge nicht weiter fahren? Oder würde man nach unerfahrenen Streitbrechern Umschau halten? Solch ein Streit wäre viel wirksamer als manche Zusammenkünfte der Bereinigungen für Zollaushebung. Den Reisenden würde er allerdings die grenzenlose Freude nehmen, die sie heutzutage haben, wenn sie an all die tausend Dinge denken, die von den Zollbeamten natürlich" nicht entdeckt worden sind. Kurt Lenz
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Katzen auf Reisen
Das Schiff ist zur Abfahrt fertig: Der Kapitän gibt das Kom. mando: Zieht die Brücke ein und werft die Leinen los!" In diesem Augenblid springt eine ruppige schwarzweiße Kaze blitzschnell über den Gangwag und ist ebenso schnell im Schiff verschwunden. Ein Bier- Jumper" ist an Bord, ein Nachkomme jener Generationen von Kazen, die auf die Schiffe schlüpfen und deren Lebenszeit sich zunächst auf der Fahrt abspielt. Es sind eigenartige Geschöpfe, schreibt dia ,, New York Times ". Die Tiere scheinen instinktiv zu erraten wanit das Schiff sich zur Reise fertig macht und verstehen es, im letzten Augenblid noch an Bord zu kommen. Sobald das Schiff einen Hafen anläuft, gehen sie an Land wie ein Seemann , der seinen Landurlaub genießen will. Sie durchstreifen dann die Lagerhäuser und schlafen im Schatten verlassener Schuppen. Sobald aber das Schiff meiterfährt, sind auch sie wieder rechtzeitig an Bord.
Unter ihnen sind alle Sorten vertreten. Katzen von Cardiff und Antwerpen , von San Franzisto und Montreal von Rio Nagasaki und Hongkong , von Bangkot, Bombay und Aden. Alte Kazen, junge Kazen, Kazen von allen Farben und Größen. Es kommt häufig vor, daß Kazen, die jahrelang mit einem Schiff gefahren und dort gut behandelt worden sind, ohne jeden Anlaß das Schiff in einem Hafen verlassen und nie wieder zurückkehren. Manchesmal tauchen auch solche Katzen wieder auf, wenn man sie schon längst verloren gegeben hat. Schwarze Kazen sind im allgemeinen bei der Mannschaft nicht beliebt. Es ist noch gar nicht so lange her, daß auf dem Walfischfänger Chliffton" fast eine Rebellion der Mannschaft ausbrach, weil der Kapitän Hilding Peterson seine schwarze Kaze mit an Bord brachte. Um das Tier zu schüßen, sperrte es Peterson in seine Kajüte, aber es wischte in einem günstigen Augenblick hinaus, und fletterte bis in das Krähennest, den obersten Ausgud. Da der Kapitän teinem seiner Leute befehlen wollte, das Tier wieder her. unter zu holen, so stieg er selbst hinauf und entdeckte zu seiner Ueber. raschung eine große Herde Walfische. Man hatte dann eine norzügliche Jagd. Bon jenem Tage an war die schwarze Kaze der Liebling aller, und die Mannschaft kaufte im nächsten Hafen ein seidenes Kiffen, auf dem die Kaze schlafen sollte.
Katzen finden, wenn sie wollen, immer an ihr Schiff zurück. Siebzehrumal murde ,, Minnie" von dem Bermuda - Dampfer Fort St. George" an die frische Luft befördert, vor allem wegen ihrer regelmäßigen Wochenstuben, die sie an Bord des Schiffes abzuhalten pflegte, aber sie tam immer wieder. Das: einemal nahm sie ein Matrose mit nach New York , setzte sie dort zwischen dem Brodway und der 72. Straße ab, wünschte ihr alles Gute und empfahl sich auf Nimmerwiedersehen. Es verging aber nicht viel Zeit, da erschien Minnie wieder in Hamilton auf den Bermudas an Bord. Sie hatte die Reise dorthin auf einem anderen Schiffe gemacht und nahm nun die günstige Gelegenheit wahr, wieder auf ihr Stammschiff zurüdzufehren. Es gibt unter diesen Katzen Exemplare, die allgemein befannt sind. Unter ihnen stand der einäugige Mife" obenan. mite war ein großer Fechter, und ein Stück eines großen Fells blieb fajt in jedem Hajen gurid