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Beilage

Donnerstag, 10. Januar 1929

Der Abend

Spalausgabe des Vorwants

Europa   revolutioniert Vorderasien

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Gegen Turban, Harem, Schleier, Fez

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er

Die Bölfer des Drients das ist die Welt des Islams Leben gegenwärtig die Uebergangsperiode ihrer Geschichte vom Mittelalter in die neue Zeit. Man fönnte sie mit der Periode des aufgetlärten Absolutismus in der europäischen   Geschichte vergleichen. Die Reformbewegungen in der Türkei  , Persien  , Afgha­ nistan  , Arabien   find eng mit den Persönlichkeiten ihrer Herrscher

Nasrullah Khan   beseitigt und sich durch einen fühnen Staatsstreich| zum Emir von Afghanistan   aufgerufen, indem er auch bald darauf durch einen Kriegstonflitt mit England die Anerkennung der völligen Unabhängigkeit seines Landes durchgesetzt hatte.

Bald nach der Abschaffung des Sultanats und des Kalifats, die man als epochemachende Ereignisse in der ganzen Geschichte der Türkei   und des Islams bezeichnen kann, defretierte Kemal   eine Reihe von gesellschaftlichen und kulturellen Reformen. Nachdem er nun einmal das Kalifat abgeschafft und somit auch die Trennung von Kirche und Staat vollzogen hatte, ging er im weiteren energisch vor, schaffte auch das Scheriat oder das religiöse Gesetz ab und verordnete die Einführung des schweizerischen bürgerlichen Gefeßbuches und des italienischen Strafgesetzes. Er befahl ferner, die religiösen Orden und die Klöster zu schließen, die Bielweiberei abzuschaffen und die Einehe obligatorisch zu machen, den Schleier der mohammedanischen Frau wegzuwerfen,

den berühmten Fes sowie die nationale Tracht mit europäischem Hut und Bekleidung zu erfeßen. Desgleichen andere Reformmaßnahmen, deren aller Endziel sein soll, dem Osten den Rüden, sich aber mit

mianti

Rope

Schwarzes

Turkestan

Meer

Tiflis

Türkisches

Armenie Tabris

Teheran

Klein- Asien

Kurdish

20485

Chiwa Suchara

Kabyl

Afghanista

Diktator- Freimaurer   beabsichtige nämlich, überhaupt den Islam abe zuschaffen und an seiner Stelle eine neue Religion einzuführen; welche allerdings, das soll noch nicht bestimmt sein. Dem Christen­tum und namentlich dem Protestantismus gegenüber, mirò es leise gesagt, jei Kemal geneigter als einer anderen Religion; wohlgemertt: nicht für seine eigene und seiner Nächsten Person, vielmehr für die

Waschung vor und nach dem Gebet

selbst verbunden, die ,, aufgeklärte Monarchen" sind: Amanullah von Afghanistan, Risa Schah von Persien, ferner, wenn auch nur einiger maßen, Ibn Saud   von Arabien  , vor allem aber Mustafa Kemal  , der Alleinherrscher der Türkei  . Wenn auch diese seit einigen Jahren formal eine Republit" genannt wird, ist Kemal   doch ihr Präsi dent  ", ein typischer Diftator; zeitlich in dem Grade feiner repo lutionären Reformtätigteit geht Kemal allen seinen asiatischen Kollegen voran. Was ihnen gemeinsam ist, entnehmen sie dem Beispiel west und osteuropäischer aufgeflärter Monarchen des 18. Jahrhundert, namentlich Friedrich ,, dem Großen" und Peter dem Großen". Manch einer von ihnen studiert die Biographie der letzteren mit besonderem Eifer. Bie Beier setzen sie mit radikalen Maß­nahmen die Europäiſierung ihrer Länder durch, und zwar gegen den ausgesprochenen Willen ihrer Völker oder wenigstens ihrer bisherigen Führer.

Die Reformbewegung in den Ländern Vorderafiens vollzieht sich auf politischem, gesellschaftlichem, religiösem und fulturellem Gebiet gleichermaßen. Sie ist von einem raditalen Natio= nalismus druchdrungen. Dieser hat in den Augen der heutigen Lenker Afiens die Bedeutung einer neuen Religion. Wie diese oft, fennzeichnet sich auch der siegreiche Nationalismus mand) afiatischer Reformatoren durch seine Intoleranz aller anderen, namentlich minderheitlichen Nationalitäten gegenüber; desgleichen gegenüber allen anderen Richtungen, die einfach nicht geduldet werden. Demo­tratie und demokratische Methoden hassen sie aus tiefem Herzen. Unterdrückung der Bresse und der bürgerlichen Freiheiten ist eine der schneidigsten Waffen in ihrer Hand. Der politische Um chwung ging in allen orientalischen Ländern der Reformtätigkeit voran. Mustafa Kemal   schaffte zuerst( 1922) das Sultanat ab, führte die ,, Republik  " ein und machte sich zum absoluten Herrscher der neuen Türkei  . Bald darauf hob er das Kalifat auf und verjagte den letzten Kalifen aus dem Lande. Wenn auch später hier und da, so z. B. in Kairo   und in Mekka  , Versuche unternommen wurden, das Institut des Kalifats wieder­herzustellen, fie verliefen jedoch erfolglos. Es ist oft die Rede davon gemejen, Kemal beabsichtige, fich zum Sultan ausrufen zu lassen. Diese Gerüchte entbehren jedoch aller Grundlage; einmal, weil sich Remal als lebenslänglicher Diftator nicht weniger wohl fühlt als ein Sultan, zum zweiten aber, weil er seinen faiserlichen Thron feinem leiblichen Erben hätte hinterlassen können. Risa Khan, feit 1922 Diftator Perfiens, wünschte anfänglich ebenfalls die Mon­archie abzuschaffen. Er stieß dabei auf mirtliche und scheinbare Schwierigkeiten seitens der einflußreichen höheren Geistlichkeit, im Berein mit den Sowjetleuten, die ihn damals für den Mann der Engländer hielten. Risa Khan betrat bald darauf den Weg seines perfischen Vorgängers Nadir- Schah  . Er stürzte den jungen Achmed Schah, den er schon vorher zu Vergnügungszweden nach der franzö­fischen Riviera geschickt hatte, und bestieg( 1926) den Thron des Darius und Xerges. Noch früher( 1924) hatte 3bn Saud, das eifrige Oberhaupt der mohammedanisch- puritanischen Wahabitenjefte und der Herrscher des zentral- arabischen Gebietes Nedschd  , den König von Hedschas Hussein sowie seinen Sohn Ali vom Lande vertrieben und sich des Thrones, von Metfa bemächtigt. Bedeutend früher, 1919, hatte der junge und tatkräftige Amanullah Khan   bei den anläßlich des Mordes seines Baters Habibullah Khan   entstandenen Thronjolgerstreitigteiten seinen älteren Bruder sowie feinen Outd

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Miffellandisches Meer

Agypten

Syrieb

Reich

Arabien

Persien

Die Länder Vorderasiens

Balu chishaw

vollem Gesicht nach dem Westen zu menden. Der neueste und mich­tigste Aft in all dieser kaleidostopartigen Reformen Kemals ist die Abschaffung der arabischen   und die Einführung der lateinischen Schrift. Der türkische   Diktator ist hierbei nur in die Fußtapfen feiner Sowjetfreunde getreten ist diese haben noch 1925 den Ge­brauch des lateinischen Alphabets für ihre mohammedanischen Unter­tanen befretiert. Diese neueste Reform Kemals ist vielleicht die wichtigste und die entscheidendste unter den bisherigen. Ihr ist es zweifellos vorbestimmt, im tulturellen Aufwachen des türkischen   Volkes eine außerordentlich große Rolle zu spielen. Wenn man anfänglich davon sprach, daß diese Reform erst allmählich, im Laufe von 15 Jahren, durchzuführen sein wird, nun sind es nicht ein­mal 15 Wochen verflossen, seit Kemal   sie anordnete und auch in zwischen durchführte. Ab 1. Januar erscheinen alle türkischen Zeitungen, Bücher, sonstige Veröffentlichungen und überhaupt jede Drucksache im neuen Alphabet. Auch

die Uebersetzung des Korans ins neutürkische hai Kemal   befohlen. Bei strengster Bestrafung darf keine einzige Beile mehr in arabischen   Schriftzeichen gedruckt werden. Kaum sind nun alle diesen radikalen Gedanken in die Tat umgesetzt worden, da spricht die türkische   Bresse schon heute von einer anderen, bevor­stehenden Reform: die Aufgabe des Freitags als des heiligen Tages aller Mohammedaner und seine Ersetzung durch

den Sonntag als den einzigen Ruhetag für die ganze Türkei  . Noch mehr: Sensationslustige Quellen wissen von einem allerneuesten Vorhaben des reformluftigen Kemal zu erzählen. Der türkische

Drei Stück für einen Groschen!

Volksmassen. Nach all dem, was bis heute dort geschehen ist, ist es auch nicht unmöglich, daß diese Idee sich eines Tages ebenfalls bemahrheitet. Es genügt nur, daß sich Kemal dazu entschließt. Das sogenannte Angoraer, Parlament", das von ihm selbst eingesetzt ist, wird selbstredend die betreffende Gesetzesvorlage", wie bisher immer, annehmen.

Kemals persischer und afghanischer Reformgenosse sind zwar noch nicht so weit wie ihr türkischer Lehrmeister sie haben damit auch bedeutend später begonnen immerhin sind ihre

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Leistungen auf diesem Gebiet ebenfalls beachtenswert. Der Perfer­schah somie der Afghanenjultan haben gleichfalls eine Schleier­verordnung im Sinne des türkischen   Borbiides erlassen. Amanullah   hat jattisch die Bielweiberei abgeschafft; Risa muß erſt folgen. Immerlin nimmt heute schon die Frau auch in Persien   eine viel freiere Stelle ein, als vor ganz furzem. Amanullah   und Risa haben ferner der Allmacht der Geistlichkeit eine Grenze gesetzt; sie be­mühen sich nun, das bestehende religiöse Gesetz sowie die tirchlichen ,, Schulen" mit modernen, europäischen zu ersetzen. Die beiden stammesverwandten Machthaber haben das Tragen der alten Tracht verboten und das der europäischen   angeordnet, wobei sich Risa Schah für die Kopfbedeckung zugunsten der sogenannten Behlewi- Müße" entschlossen hat. Die allerlegten Nachrichten aus Teheran   bejagen, daß man dort ebenfalls die Abschaffung der arabischen  Schrift und die Einführung des lateinischen oder die Wieder­belebung des altpersischen Alphabets praktisch in Erwägung zieht. Bei alledem find der Perser- und der Afghanenfönig erst am Anfang ihrer Reformtätigkeit und müssen auch, wie das afghanische Beispiel deutlich zeigt, allerlei Schmierigkeiten beseitigen. Was Ibn Saud  anbelangt, so scheint er feine ähnliche Pläne verfolgen zu wollen. Er betrachtet eben seine Sefte als eine reformierte, puritanische Richtung im Islam  , dessen Ueberlieferungen und rückständigen In­ftitutionen die erwähnten mohammedanischen Machthaber erst jetzt loswerden wollen.

Zum Schluß fei es festgestellt, daß alle diese tulturellen und gesellschaftlichen Reform und Gegenbewegungen Borderafiens nicht gulegt eine wirtschaftliche Basis haben. Das feudale Wirt­schaftsinftem macht dort vor dem bürgerlich en allmählich Play. Das Handelstapital spielt in unseren Tagen eine bedeutende Rolle in der Gesamtwirtschaft des vorderen und mittleren Asien  . Dies er­schließt sich allmählich den Weltmartt. Die energische Bahn- und Straßenbautätigkeit, die in den letzten Jahren namentlich in Bersien und in der Türkei   mit einem Erfolg durchgeführt wird, trägt seiner­feits zu ihrer weiteren Erschließung und Europäiſierung im beträcht lichen Maße bei. Dr. Artasches Abeghian.

Wer weiß das?

Es gibt Fixsterne, die über zehnmillionenmal größer als die Sonne sind.

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Ein Ameisenstaat besteht aus etwa 100 000 Einzelwese

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Das Fleisch enthält in rohem Zustande 75 Broz. Waff

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England verbraucht beinahe die Hälfte der Teeproduktion der

Türkenfrau mit Schleier

Welt.