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Beilage

Dienstag, 15. Januar 1929

Luise Kautsky :

Der Abend

Spadausgabe des Vorward

Rosa Luxemburg .

Zur 10. Wiederkehr ihres Todestages./ 15. Januar 1919-15. Januar 1929.

Im Jahr 1893 in Zürich beim Kongreß der Sozialistischen Inter -| nationale tritt als Vertreterin der Sozialistischen Partei Bolens und Litauens ein kleines Persönchen vor die versammelten Genossen, so flein, daß man es auf einen Tisch heben muß, damit es gesehen und ge­hört werden kann. Das ist Rosa Luxemburg . Aber ist die Dreiund zwanzigjährige auch flein und unbedeutend von Statur, so zeigt doch der leidenschaftliche Widerspruch, den ihr Auftreten besonders bei den Delegierten der PPS.( Polnische Sozialistische Partei ), erregt, daß man ihrem Wesen Bedeutung beimißt.

In Warschau , wo sie Vorschulen und Gymnasium absolvierte, war fie, ganz jung noch, Mitglied geheimer revolutionärer Stu­dentenzirkel gewesen und hatte bei allen ihren Lehrern wie bei ihren Freunden und Kollegen als die flügſte gegolten.

Rosa Luxemburg .

DA

Sechzehnjährig muß fie ins Ausland fliehen, will sie nicht den zariftischen Echergen in die Hände fallen. Sie geht in die Schweiz und wird auch dort bald von ihren Professoren nicht nur als der scharfsinnigste, begabteste Kopf, sondern auch als der zur Lösung scharfsinnigste, begabtefte Kopf, sondern auch als der zur Lösung der schwierigsten theoretischen Probleme befähigtste unter all den vielen polnischen und russischen Studenten erkannt und gewürdigt, vielen polnischen und russischen Studenten erkannt und gewürdigt, die damals die Schweizer Universitäten bevölkern. Jahre emfigen Studiums lassen sie bald den Doktorgrad erlangen, Jurisprudenz und Philosophie sind ihre Fächer. Daneben betreibt sie aber leiden­schaftlich Politik.

3wiefach ist ihr stolzer Geist in der Heimat gedemütigt und zugleich zur Rebellion ang est acheit worden: als Polin und

als Jüdin hat sie die Schrecken der Unterdrückung, der Verfolgung

teils mitangesehen, teils miterleben müssen.

Daher gilt ihr Streben der Befreiung aller Unterbrückten, aller

Getretenen, darum hat sie sich als 3iel ihres Lebens geſtedt den Kampf gegen Unterdrücker und Ausbeuter. Und darum ist von dem Augenblick an, wo sie selbständig zu denken beginnt, ihr ganzes Interesse der sich allerorten mächtig entwickelnden Arbeiterbewegung zugewendet. Im Züricher Arbeiterverein nimmt sie schon als Stu dentin regelmäßig an den Diskussionen teil. In der polnischen illegal erscheinenden Arbeiterpresse wird sie zur geschäßten und von den Gegnern gefürchteten Mitarbeiterin, denn ihre Feder ist so scharf und spiz wie ihre Zunge, ihr Stil ist sorgfältig und gefeilt und zeigt und spizz wie ihre Zunge, ihr Stil ist sorgfältig und gefeilt und zeigt von Anbeginn an ihre eigene Noie.

Nach Erlangung des Doktorgrades geht sie nach Paris , um die französische Arbeiterbewegung zu studieren. Sie schließt dort Freundschaft mit den bewährten Führern Jules Guesde und Edouard Baillant, die der jungen Mitkämpferin größte Sympathie entgegenbringen. Aber ihr Traum ist, in der deutschen Sozialdemokratie arbeiten und wirken zu fönnen, die damals, von August Bebel und Wilhelm Liebknecht geführt, an der Spitze der Internationale marschiert.

Wie aber diesen Traum verwirklichen? War auch 1890 in Deutschland das Sozialistengefeß gefallen, so herrschte doch noch unumschränkt der brutale preußische Polizeigeist, und jeder Nicht deutsche, besonders jeder Russe, der es wagte, fich in Wort und Schrift gegen die Staatsgewalt aufzulchnen, lief Gefahr, furzerhand über die Grenze befördert ausgewiefen zu werden. Da greift sie zu einem in russischen revolutionären Kreisen beliebten Mittel, sich das Heimatrecht zu ertrozen: fie schließt eine Scheinehe mit einem Deutschen und wird dadurch zur deutschen Staatsbürgerin. Jezt beginnt für sie eine herrliche Zeit. In Dresden , wohin sie sich zuerst mendet, wird sie sofort für die dortige Bolkszeitung" gewonnen und in deutsche Parteitreise eingeführt.

1899 tommt fie nach Berlin und wird auch hier von den an­gefchenjten Parteigenossen freundlichst aufgenommen.

Mit Bebel, Rautsty, Mehring führt sie in der Neuen Zeit", deren gelegentliche Mitarbeiterin sie schon seit mehreren Jahren ist, einen erbitterten Kampf gegen die sogenannten Revi­ sionisten ", die an den alten marristischen Grundsäzen der Partei zu rütteln, sie zu revidieren versuchen. Daneben entfaltet sie eine rege agitatorische Tätigkeit. Ihre flammenden Reden begeistern die Massen und empören die Bourgeoisie, die von ihr nicht anders als von der blutigen Rofa" spricht.

Defters gerät sie mit dem Staatsanwalt in Konflikt, und 1904 wird sie zum ersten mal verurteilt, und zwar zu sechs Monaten Gefängnis, die sie in 3widau abfißen soll. Nachdem sie awei Monate gesessen, stirbt der sächsische König, und sie wird einer Sureftie teilhaftig, die anläßlich der Thronbesteigung des neuen

Königs erlassen wird. Sie ist wütend darüber und will das Gefäng nis nicht verlassen, denn es geht ihr gegen die Natur ,,, sich von einem König etwas schenken zu lassen"

Kaum in Freiheit, setzt sie eifrig ihre schriftstellerische und agi­tatorische Tätigkeit fort, so lange, bis die Sturmglocke der russi­tatorische Tätigkeit fort, so lange, bis die Sturmglode der ruffi­schen Revolution von 1905 läutet. Da duldet es sie nicht länger im faulen Westen", sie eilt nach Barschau, das sie seit ihrer frühen Jugend nicht wiedergesehen hat. Dort arbeitet sie fieberhaft in der unterirdischen revolutionären Bewegung, schreibt Tag für Tag flammende Artikel für die sozialistische Presse, für Blätter, die von der Zensur immer wieder verboten und immer wieder unter neuen Titeln in geheimen Druckereien, oft unter Lebensgefahr, her­gestellt werden müssen, und agitiert unermüdlich bei den täglich allerorten aufflackernden Streifs. Nach einigen Monaten wird sie dabei gefaßt und eingesperrt, erst im Stadtgefängnis, dann in der Warschauer Festung.

Die Haft vermag ihr nichts anzuhaben, nie flagt sie in ihren Briefen, im Gegenteil, über alle kleinen Leiden und Schikanen seizt fie fich mit goldenem Humor hinweg, Angst wegen ihres eigenen Schicksals fennt sie nicht, ihr Geist ist nur mit der Sorge um den Fortgang der Revolution beschäftigt. Nach langen Monaten wird fie wegen mangelnder Schuldbeweise freigelassen und geht über Petersburg nach Finnland , wo sie sich etmas Ruhe gönnt, um in einem einsamen Landhaus ihr Buch über die Lehren des russischen Majsenstreits zu schreiben.

Auf Kautskys Borschlag überträgt ihr der Parteivorstand 1907 das Lehramt für Nationalötonomie an der von der deutschen Bartei gegründeten Arbeiterhochschule. Hat sie als Schrift­stellerin und Redakteurin, als Agitatorin und Rednerin schon Her­Dorragendes geleistet, so übertrifft sie als Lehrerin sich selbst. Ihre Schüler vergöttern sie, bald ist sie der Mittelpunkt der ganzen An stalt, es ist, als hätte sie nun erst recht ihren wahren Beruf ge­funden. Nicht nur, daß es ihr gegeben ist, ihren Schülern das schwierige Thema flar und fäßlich vorzutragen, nein, sie versteht es auch, sie durch ihre eigene fodernde Begeisterung für den Gegen stand zu erwärmen, ja hinzureißen, so daß der Unterricht bei ihr zu wahren Feierstunden für die Schüler wird.

Aber ihr streitbares Temperament und ihre Begeisterung für die Wissenschaft hindern sie nicht, zugleich die lustigste Spieltamerabin

Längst hat sie sich von ihren alten politischen Waffengefährten getrennt und im Spartakusbund die neuen Anhänger gesammelt, die num darangehen, sich zur Kommunistischen Partei " zu organi­fieren. Aber schon bei deren Gründungsparteitag am 31. Dezember 1918, zu dem aus Mostau Karl Radet, früher ihr Widersacher, heimlich herbeigeeilt ist, muß Rosa die schmerzliche Erfahrung machen, daß ihre Gefolgschaft ihr den Gehorsam verweigert. In der Frage der Beteiligung an Frage der Beteiligung an den Wahlen zur Nationala versammlung, für die sie entschieden eintritt, holt sie sich eine Schlappe, wird sie überſtimmt. Und die folgenden Wochen bringen ihr die Tatsache nur zu oft zum Bewußtsein, daß sie über die sich an ihren eigenen Phrasen berauschenden Heißsporne in ihrer Partei nicht mehr genug Macht besitzt, um sie vor manchen gewiſſenlofen

Und so nimmt das

Schritten zurückzuhalten, die in solchen, aufgewühlten Zeiten nur allzuoft zu politischen Verbrechen ausarten. Verhängnis seinen Lauf und Rosa wird das Opfer einer Politik, die sie selber gar nicht gewollt hat.

der Kleinen, die fröhlichste Wandergefährtin der Jugend, die zärt- 0006 Karl Liebknecht. lidyfte, verständnisvollste Freundin ihrer Freunde zu sein, die sich auch für alle Künste begeistert und beglückt alles Schöne im Leben genießt. Ihre bereits veröffentlichten Bricfe aus dem Gefängnis an Sonja_Liebknecht) und eine sich über 22 Jahre erstreckende Korrespondenz mit Karl und Luise Kautsky **) legen dafür Zeugnis ab, und in einer zwanzigjährigen intimen Freundschaft hat die Schreiberin dieser Zeilen das Glück gehabt, den Zauber der reichen Persönlichkeit Rosas in seiner ganzen Bielseitigkeit kennenzulernen. 1914! Mit einem Schlag ändert sich das ganze Gesicht der Welt. Schrecklich wirkt der Ausbruch des Krieges auf Rosas leidenschaftliches Gemüt, schrecklicher noch die Haltung der deutschen Partei. Sie ist dem Wahnsinn, der völligen Verzweiflung nahe, fie denkt an Seibstmord. Aber nicht lange, und ihr starter Geist überwindet diese Schwäche. Fieberhaft stürzt sie sich in die Arbeit and sieht von nun an ihre einzige Aufgabe derin, die Massen über den Krieg und seine wahren Ursachen und Urheber aufzuklären, sie gegen den Krieg zu entflammnen. Nach wenigen Monaten setzt die Militärbehörde dieser unterirdischen Bühsarbeit ein Ziel. Rosa ftraße in Berlin , wo sie bis zum März 1916 festgehalten wird. Dort wandert am 18. Februar 1915 ins Weibergefängnis in der Barnim schreibt sie heimlich unter dem Pseudonym Junius ihre Schrift über Die Krise der Sozialdemokratie", berühmt geworden unter dem Namen ,, Juniusbroschüre", die eine der flammendsten Anklagen gegen das Verbrechen des Krieges bildet. Kaum aus dem Gefäng­fort. Doch ihrem Feuergeist sagt diese langsam wirkende Tätigkeit nis entlassen, setzt sie ihre aufrüttelnde unterirdische Propaganda nicht zu. Mit Kari Liebknecht, der eben von der Truppe beurlaubt nach Berlin fommt, will sie eine Maidemonstration er­zwingen, und die beiden stellen sich, allen Gefahren des Belagerungs­zustandes trozend, am 1. Mai 1916 auf den Potsdamer Platz und rufen mit lauter Stimme: Nieder mit dem Krieg!"

In den Straßen Berlins tobt tagelang blutiger Kampf zwischen Spartakusleuten und wild gewordenem alten Militär, und in Rosa sieht die durch vierjährigen Krieg verrohte Soldatesta die Ur­heberin der Greuel dieses Bürgerkrieges. Alle Grausamkeiten, die begangen werden, schiebt man ihr und Karl Liebknecht in die Schuhe, und es beginnt eine wilde Heze gegen ihre Person. Sie fann nicht mehr in ihre Wohnung zurück und verbringt die Nächte auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Zwei Wochen gelingt es ihr. sich ihnen zu entziehen. Am 15. Januar 1919 aber erfährt das Militär ihren Aufenthaltsort, und sie wird aus dem Bett geholt und ins Hotel Eden geschleppt, wo sich der Stab des Gardeschüßen­

"

Der feldgraue Armierungssoldat Liebknecht mird augenblidlich gepackt und ins Gefängnis geschleppt. Rosa bleibt merkwürdiger meife frei und entgeht der sofortigen Berhaftung. Bald darauf aber wird sie auf militärischen Befehl in Schußhaft" genommen, zuerst wieder in das Beibergefängnis in Berlin gesteckt, dann nach der Festung Bronke bei Bosen, später nach Breslau ins Festungs­gefängnis gebracht, wo sie bis zum Ausbruch der Revolution bleibt. Ihre' wundervollen Briefe an ihre Freunde aus den verschiedenen Gefängnissen beweisen die Wahrheit des Dichterwortes: Sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!" Sie zeigen, wieviel Heldenmut in diesem kleinen schwachen Wesen steckt, das nun in dieser Zeit des Lebendigbegrabenseins erst seinen wahren Charakter offenbart. dessen hohes soziales Berantwortungsgefühl in einer geschlossenen großen Weltanschauung" jest veranfert ist. Während draußen " Throne bersten, Welten stürzen", arbeitet sie unermüdlich an sich selbst und ihrer Weiterbildung und schenkt sie dem Proletariat als tostbare Gaben ihre Korolenko- Uebersetzung mit der prachtvollen Einführung in die russische Literatur und ihr fleines, aber inhalts: reiches Werf über die russische Revolution, deren Fehlschläge sie mit prophetischem Blick aufzeigt.

Durch die Revolution aus dem Gefängnis befreit, betritt Resa stolz und ungebrochen nach jahrelanger zermürbender Haft im November 1918 wieder die politische Arena. Ihr erster Weg führt sie auf den Domplatz in Breslau , wo sie in begeisternder Rede der ihr zujauchzenden Menge die Stunde der Befreiung verkündet. Dann eilt sie nach Berlin , um mit dem gleichfalls aus dem Zuchthaus befreiten Karl Liebknecht die Revolution in ihrem Sinne und nach ihrer Methode weiterzutreiben.

*) Berlag der Jugendinternationale Berlin 1920. **) E. Laub Berlag Berlin 1923.

regiments befindet, das in diesen Tagen Berlin vor der Bolsche. misierung" schützen soll.

Welch nichtswürdiges Spiel die tapferen Herren Offiziere mit dest schwachen wehrlosen Frau getrieben haben, wird die Welt nie er fahren. Daß es durchweg ehr- und schamlose Buben waren, das ergibt sich aus ihrem späteren Verhalten. Nicht einer tritt für sie ein, nicht einer schützt sie. Aus dem Verhandlungszimmer wird sie stehendes Auto besteigen. Im Augenblid, wo sie das Haus verfäßt, in die Halle hinausgestoßen, und man heißt sie ein vor der Tür schlägt sie der von den Offizieren dazu gedungene Unteroffizier Runge mit dem Gewehrkolben auf den Kopf, so daß sie ohn­mächtig niedersinkt. Die Bewußtlose wird ins Auto geworfen, und da sie noch Lebenszeichen gibt, schießt ihr einer der Helden es

ist strittig, ob Leutnant Bogel oder Leutnant Krull eine Rugel durch den Kopf. Runge, der sich später mit seinen edlen Auftraggebern entzweite, hat die graufige Szene in allen Einzelheiten vor Gericht geschildert. Die Mörder fürchten aber auch die Tate noch und werfen den Leichnam nächtlicherweile ins Wasser, so daß tiefes Geheimnis über dem ganzen grauenvollen Drama maltet und Refas Anhänger lange Zeit noch gläubig auf die Wiederkehr ihrer Führerin hoffen. Bis nach Monaten der Fluß den entſtellten Leich­nam ans Ufer schwemmt und sie nun die Gewißheit haben, daß sie ihre beste, treueste, opferfreudigste Kämpferin auf immer verloren

haben.

Heute streiten Kommunisten verschiedener Richtungen unterein ander darüber, in welchem Lager Rosa stünde, lebte sie noch. Und audy Sozialdemokraten legen fich öfters diese Frage vor. ihr Andenken lebt noch in Tausenden von Proletarierherzen fort.

Denn

Aber so unwahrscheinlich es ist, daß sie sich widerspruchslos zuerst dem Diktat Lenins und dann dem Stalins gefügt hätte, fo ift es ebenso unwahrscheinlich, daß sie zur deutschen Sozialdemo fratischen Partei zurückgekehrt wäre, von der sie sich seit 1914 end­gültig losgesagt hatte.

So müßig dieses Rätselraten auch ist, es beschäftigt dennoch öfters die Geister, und nicht die schlechtesten, mögen sie nun dieser oder jener Partei angehören.

Darin sind aber alle einig, denen es ernst ist mit dem Glauben und mit der Zuversicht auf die Verwirklichung unseres großen 3ieles, daß Rosa Luxemburg das höchste und letzte getan hat für diesen Glauben: sie hat für ihn gelitten und gestritten, sie ist für ihn gestorben. Und ihr Tod verklärt ihr Bild und tilgt jeden Schatten, der darauf fällt, und ein Gefühl der Trauer eint die Streitenden: D welch ein edler Geist ward hier zerstörtt"