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Morgenausgabe

Tr. 35

-46. Jahrgang

A 18

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Vorwürts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

22. Januar 1929

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Leffing und die Republik .

Zu seinem zweihundertsten Geburtstag.

Denn da sie unberauscht Die halbe Welt zerstören, Was würden fie nicht tun,

Wenn sie betrunken wären?

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In der Emilia Galotti " gärte die Revolte des nieder­In der Emilia Galotti " gärte die Revolte des nieder­getretenen und sich aufrichtenden Bürgertums gegen die scham­Lose Willkür von Winkeldespoten, wie sie das Deutschland Freiheitsmanifeste gegen die Tyrannen waren erst recht zwei des 18. Jahrhunderts zu Haufen aufwies, und dichterische Stücke, die in den Anfängen steden blieben, Samuel enzi", in dessen Mittelpunkt eine Gestalt aus der Zeit­geschichte, ein 1749 hingerichteter demokratischer Rebell gegen die Berner Oligarchie, stand, und ,, Spartacus", in dem ein Stlave als Stlavenbefreier auftrat. Da diesem Spartacus, der wie ein französischer Enzyklopädist für Menschenrechte schwärmt, satter Hohn entgegenhält, er philosophiere wohl, Fliert seine Antwort wie ein Schwert:

Wenn Leffing in einer Zeit lebte und wirkte, die| waren ,,, als ganz gewöhnliche Menschen", hat die geschäftige| Gegängel" seiner Jugend richtete ein Trinklied die Bitte an unter dem Druck des fürstlichen Despotismus notgedrungen unpolitisch war, hat seinen gewaltigen politischen Einfluß doch schon der Heidelberger Staatsrechtslehrer Bluntschli und nicht einmal als erster gebührend hervorgehoben. Wie sehr dieses Großen großes Wert ein Politikum war, verrät schon das heisere Geschrei der Vorläufer jenes geistigen Jan hagels, dessen Beitrag zur deutschen Literatur in der Be­Judelung von Abortwänden mit Hafenkreuzen besteht. Daß Lessing die Juden nicht nur gegen die Vorurteile feines Jahrhunderts verteidigt, sondern geradezu als die berufenen Erzieher des Menschengeschlechts gefeiert hat, genügt, ihn zu richten. Ein Antisemiterich wie Adolf Bartels jam­mert, daß nichts mehr zur Irreführung deutschen Bolks­tums und auch zur Verflachung und Verfinsterung benutzt worden ist als Lessings Andenken und Wert", und vorher schon verspritzte Eugen Dühring giftigsten Geifer gegen den ,, Judenanwalt" mit seinen Judenstüden", den Typus des judenhaften Zeitungs- und Theaterliteraten", der nur durch Judenreklame" zu Ruhm gelangt sei, und obwohl ber Urgroßvater von Leffings Urgroßvater schon die Kon­tordienformel unterschrieben hatte, galt der Ramenzer Pfarrerssohn diesem Rasseschnüffler auf Grund des raffe­jüdischen Charakters" seiner Schriften als Judenstämmling. Lessing ein Jud'! Juden' raus! für die Familie Ludendorff ist das Problem gelöst.

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In Wahrheit war von all unseren Klassitern teiner so männlich und aufrecht, hatte feiner eine so freie Stirn und ein so weites Herz, vereinigte feiner so sehr alle Eigen­schaften, die die nationalistische Ideologie als typisch deutsch rühmt, wie Lessing . Obwohl große Franzosen wie Bayle, Diderot und Boltaire zu seinen Lehrmeistern ge­hörten, war er der nationalste Geist seiner Zeit. All sein Mühen galt dem Ziel, die Deutschen zur Nation auf­zurütteln. Seine rüftige Arbeit verdrängte die französischen Muster und Vorbilder von der deutschen Bühne, und seine bitterste Enttäuschung hieß, daß sich sein Bolt als zu unreif, zu wenig als Nation mit Nationalgefühl erwies, um seinem Blan, in Hamburg ein Nationaltheater zu errichten, die nötige Unterſtügung zu leihen. In einer Epoche, da Franzö fisch die Bildungssprache der herrschenden Schicht war, und die kleinen und großen Tyrannen Deutschlands slavisch das Sonnentönigtum von Versailles nachäfften, steckte in diesem nationalen Drang ein gut Stüd Auflehnung gegen die über­lieferten Gewalten, und in der Tat erschien Lessing als Sprecher des britten Standes", als Bahnbrecher des Bürgertums, als Vorfämpfer der bürgerlichen Freiheit. Sein ganzes Bert war Revolution, sein ganzes Wesen

atmete Rebellentum.

In einem Jahrhundert, in dem der entmarkten bürger lichen Klasse Deutschlands nur der Schweif fehlte, um vor jedem Hochgeborenen hündisch zu wedeln, lehrte Leffing durch das Beispiel seiner Nadensteifheit Bürgerstolz und Bürgertrok vor den Großen dieser Erde. Während es all gemein üblich war, daß sich der Literat nach einem Mäzen umschaute, zog er vor, als erst er freier Schrift steller der Deutschen ein Sperlingsleben auf dem Dache" zu führen, und erst als ihn seine Nation im Stiche gelassen hatte, und es galt, seiner geliebten Frau Brot zu schaffen, schlüpfte er als Hofbibliothekar in Wolfenbüttel unter, ohne deshalb seine Ansichten über die Machthaber zu ändern. Zu Hofe ging er nach eigenem Eingeständnis. als ob er dazu geprügelt würde; den Hofratstitel nahm er wider willig und widerstreben nur an, um den alten Herzog von Braunschweig nicht zu tränken, dem Erbprinzen , der sich als Gönner von Kunst und Wissenschaft aufspielte, traute er zu, daß er, zur Regierung fommend, die ganze Bibliothet mit samt dem Bibliothekar lieber verkaufen wird, sobald sich nur ein Käufer dazu findet," und als ihm auf einer Italienreise, auf der er einen anderen Sprossen des Welfenhauses be­gleitete, manches quer ging, Inurrte er gereizt: Das hat man davon, wenn man sich mit Prinzen abgibt."

Obwohl auch der preußische Friedrich für ihn zu den Großen gehörte, die er fühlen Blicks als das ansah, was sie

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Hohenzollern - Legende Fridericus Reg und Lessing Gott ,,, daß Könige nicht trinken", auf einen Nenner zu bringen versucht. Da es in der Ge­schichte von Mußpreußen wimmelt, rückte der geborene Kur­sachse zum Wahlpreußen auf, und sein Soldatenstück ,, Minna von Barnhelm " ward zu einer Feier des großen Königs"; Wilhelm Scherer entdeckte als erster, daß fein deutscher Schriftsteller dem inneren Geiste des Königs so verwandt gewesen sei wie Lessing , stempelte ihn zum frei­willigen Anhänger Preußens und fand gar, daß er, menn auch nur indirett", Friedrich II. besungen habe. Troß Mehrings Lessing- Legende" betet eine dynastisch poreingenommene Literaturgeschichte das Märchen bis auf diesen Tag nach. In Wahrheit hatte der große Vorfämpfer des Bürgertums mit dem grimmen Verächter des Bürger tums nicht das geringste zu schaffen. Den Monarchen, der deutsch nur redete ,, wie ein Kutscher" und seit seiner Jugend fein deutsches Buch zur Hand genommen hatte, lehnte der Wegbahner deutscher Bildung schon wegen seiner literarischen Franzöfelei ab; auf den umschmeichelten Herrn von Sanssouci zielte in einer Prosaode der Pfeil: Ein König mag immerhin über mich herrschen; er sei mächtiger, aber besser dünte er sich nicht!" und die ,, Minna von Barnhelm " stedte voller Spigen gegen das friderizianische System, deffentwegen er in einem Brief an Nitolai Preußen ohne Umschweife das fflavischste Land von Europa " hieß.

Wie Lessing mit seinem ganzen Schaffen als Autori­tätenstürzer, ob er nun durch die hamburgische Dra maturgie" die Autorität der französischen Tragödien schreiber, ob durch die Wolfenbütteler Frag mente" die Autorität der Bibel brach, der Befreiung der Menschheit diente, so ging er auch allenthalben der Autori tät der Großen zu Leibe. Schon in dem anatreontischen

Was ist das: Du philosophierest?"

Doch ich erinnere mich. 3hr habt den Menschenverstand In die Schule verwiesen, um ihn lächerlich machen zu fönnen. Bo du nicht willst, daß ich philosophiere foll Philosophieren es macht mich lachen! Nun wohlan! Wir wollen fechten!

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Scharfsinnig knüpfte Lassalle an diese Stelle die Fol­gerung: 3wei Dezennien darauf und die Prophezeiung traf ein. Rousseau hatte genug vergeblich philosophiert und der Spartacus der Französischen Revolution fing an zu fechten."

Erst recht erschien Leffing als Vorläufer des Jahres 1789, das die große Bresche in die überlieferte Ordnung schlug, wenn er in einer Abhandlung Deutsche Frei­

Rheinland und das Finanzkapital.

Befreiung durch Mobilifierung.

Paris , 21. Januar. ( Eigenbericht.)

3m Populaire" fommt Léon Blum bei einer ausfährlichen Gegenüberstellung des deutschen und franzöfifchen Standpunktes in der Reparationsfrage zu dem Schluß, die Befreiung der befehten Gebiete hänge offenbar allein davon ab, daß die amerikanische Finanz ihre Beihilfe mindestens zu einer Teilmobilisierung der deutschen Schuld leihe. Das Schidfal von Locarno hänge also zuleht von den amerikanischen Großbanten ab.

Bezüglich der Mobilisierungsmöglichkeiten macht sich auf Grund amerikanischer Meldungen in einem Teil der franzöfifchen Preffe ein gewisser Pessimismus bemerkbar. Die radikale Bolonté" weist aber darauf hin, daß nichts bisher einen folchen Pessimismus rechtfertige. Weder die französische Regierung noch die anderen alfilerten Regierungen, mit Ausnahme etwa der englischen, tönnten auf die Kommerzialisierung verzichten.

2-3 Monate Arbeit.

New York , 21. Januar.

Pierpont Morgan und Owen D. Young belannt, daß der Bankier Der britische Botschafter gab nach seiner Unterredung mit John Thomas Bertins als Erfagmann für Young und der Teilhaber im Banthaus Morgan, Thomas Lamont, als Ersatzmann Morgans an den Verhandlungen der Sachverständigenkonferenz teil nehmen werden.

In einer formellen Erklärung führte Owen D. Young aus, daß die Sachverständigenkonferenz den Dames- Blan nicht revidieren werde. Eine derartige Annahme gehe von einer ganz falschen Auf­faffung aus. Der Zwed der Sachverständigenfonferenz sei vielmehr, den Dawes- Plan durch eine Festsetzung des Gesamtbetrages, den Deutschland zu zahlen habe, und durch eine Festsetzung der 3 ah! der Annuitäten zu ergänzen. Es würde zu Mißver­

ständnissen führen, falls der Eindruck bestünde, daß man an Stelle des Dawes- Planes einen neuen Plan aufbauen wolle. Es ist weit beiser," jo heißt es in der Erklärung Youngs, diejen einheitlichen

Plan, den wir einmal haben, beizubehalten. Das ist wenigstens meine persönliche Ansicht." Nach seiner Schätzung werde die Lösung dieser Aufgaben etwa 60 bis 90 Tage beanspruchen. Die Voraus fegungen, unter denen der Sachverständigenausschuß seine Arbeit be­ginne, seien ganz andere als jene, unter denen der Dawes- Plan zu­stande gekommen sei. Damals hätten noch große und bittere Ge gensäge bestanden, jede Partei hat die Tatsachen bestritten, die von der anderen Seite vorgelegt wurden. Der Sachverständigen­tonferenz werde jedoch das von der Organisation des Reparations­agenten während ihrer fünfjährigen Tätigkeit gesammelte Tat­lachenmaterial zur Verfügung stehen und außerdem herrsche unter den Beteiligten eine bessere Stimmung.

Hinsichtlich der Haltung Washingtons, erklärte Young, die ameri­tanische Regierung habe seinerzeit während der Arbeiten des Dawes Komitees den amerikanischen Mitgliedern des Komitees gegenüber teinerlei Wünsche geäußert, und er nehme an, daß die amerikanische Regierung auch der tommenden Konferenz gegenüber die gleiche Haltung einnehmen werde.

Ueber neue Anleihen wird vorläufig nicht beraten.

Paris , 21. Januar. ( Eigenbericht.)

Die amerikanischen Sachverständigen Owen Young und Pierpont Morgan werden sich schon am 1. Februar in New Borf nach Europa einschiffen. Sie rechnen mit einem Aufenthalt von 2 bis 3 Monaten. Owen Young foll aufs neue erklärt haben, daß die Konferenz über etwaige Emissionen deutscher Reparationsobligationen nicht beraten werde. Die Aufgabe der konferenz liege mehr in einer Ergänzung, als in einer Revision des Dames- Planes. Es handele fich vor allem um die Feststellung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands und der Gesamthöhe der deutschen Schuld. Sollte die Frage einer Anleihe erwogen werden, so würden die Sachverständigen ein diesbezügliches Projekt erst den Regierungen zur Genehmigung unterbreiten.