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81.

Rr. 3546. Jahrgang

1. Beilage des Borwärts

Dienstag, 22. Januar 1929

Der Sonnenburger Zuchthausprozeß.

Die Vernehmung der angeklagten Beamten. - Ein Racheaft der Gefangenen?

Sonnenburg, 21. Januar. Im Laufe der gestrigen Verhandlung wurde mit der Bernehmung der angeklagten 24 Zuchthausbeamten begonnen. Als erster wurde der Hilfswachtmeister Woithe vernommen, dem zur Caft gelegt wird, daß er sich Militärbekleidungsstücke aus dem Alfverwertungs­betrieb der Firma Schwarzschild durch Bermittlung von Gefangenen angeeignet habe. Woithe bestritt, daß er diese Gegenstände unrecht­mäßig erworben habe. Die Beamten hätten das Recht gehabt, aus dem Lager Kleidungsstüde zu kaufen, und so habe er bei dem Wert­meister der Firma den entsprechenden Antrag gestellt. Während Woithe in seinen Aussagen ziemlich unsicher mat, bestritten die nach ihm vernommenen angeklagten Beamten sehr entschieden und flar jegliches Berschulden, und zwar jetzten sie auseinander, in welcher Weise die Borwürfe als Racheattion von Gefangenen zustandegekommen feien.

Den Höhepunkt der geftrigen Bernehmungen bildete bie Aussage des Hauptwachtmeisters Kind, der ebenfalls die gegen ihn erhobene Beschuldigung als reinen Ra che att von Strafgefangenen erflärte. Jo mundere mich darüber nicht," so betonte er, denn ich war ja als größter Halunte" verschrien. Bei der furchtbaren Lotterei mar ich nämlich der einzige Beamte, der sich gewehrt hat und der überall durchgriff, trotzdem ich feine Unterstützung fand. Immer mie­

Berteidiger: Gerade die politische Amnestie im Jahre 1928| aber damit gezögert, und zwar, wie der Verteidiger betonte, weil

bildete doch den Höhepunkt, weil Hölz auch den gemeinen Ber­brechern die Amnestie versprochen hatte.

Angefl, Klud: Jawohl, der Krach, der aus den Fenstern er tönte, war bis in die Stadt hinunter zu hören. Auf der Chaussee stand halb Sonnenburg, um sich das mitanzuhören. die Gefangenen noch durch eine besondere Beföstigung belohnt. Ift

Verteidiger: Nach Beendigung des Hungerstreifs wurden

es nicht auch richtig, daß eine Zeitlang die Gefangenen zur Frei stunde so erschienen, daß sie in der linken Hand die Tabatpfeife, in der rechten Hand das Taschenmesser trugen? Direktor Lüdecke ist ja auch schon von einem Gefangenen verwundet worden. Angefl. Klud: Das ist richtig.

Angel. Inspektor Hintel: Direktor Lüdide ist Anfang 1928 von einem Gefangenen, cinem geistig minderwertigen Menschen, mit einem Bfriem in den Arm gestochen worden,

dann noch darauf hin, daß wegen der von der Verwertungsstelle be­Sowohl der Hauptwachtmeister Klud, wie der Berteidiger miesen 80genen Ausrüstungsgegenstände immer wieder die Rechnungen angefordert worden seien; die Firma Schwarzschild habe

der habe ich Direktor Lüdede gesagt, wie die Zustände waren, aber Lessings Berliner Wohnhaus.

er hat nur die Schulter gezuckt und nichts veranlaßt.

Er war eben zu gut.

Direttor Lüdede fonnte meber einem Beamten, noch einem Gefange nen etwas sagen. Er mar ein seelenguter Mensch, aber fein Zucht, hausdirettor. Mit den Bergünstigungen für die politischen Gefange nen fing es an. Manche verstanden es, sich diese Vergünsti. gungen mit zu erzwingen. Die Beamten fanden teine Unter­stüßung von oben und sagten sich schließlich: Wir laffen die Karre cinfach laufen. Ich selbst habe mich aber immer dagegen gemehrt und habe Me Beamten zu Anzeigen veranlaßt. Aber in unserer Anstalt bestand ein Nachrichtendienst", bei dem fann die Preffe nicht mitmachen. Was ich auch immer zu den Beamten gesagt habe. In fünf Minuten mar es durch die ganze Anstalt, so daß ich immer ver haßter murde. Eines Abens mollte die Abteilung A 7 nicht vom Arbeitsfaol in den Schlaffaal, weil ihnen die Abendsuppe nicht gefiel. Als ich die Suppe probierte und als genießbar feststellte, murde ich ausgeschmiert und furchtbar beschimpft. Daraufhin ließ ich das Schupofommando fich bereithalten und drohte mit gewaltsamem Ab­transport, mas auch schließlich half. Einige Tage später fand dann ein Beamter einen Rasfiber, der aus einem Fenster auf den Hof geworfen war, damit ihn ein Beamter finden sollte. Darin stand, daß für den nächsten Morgen eine Meuterei geplant war. Bei der Kaffee­ausgabe mollie man den Beamten anfallen und ihn einschließen. Dann mollten alle durch das hintere Tor entweichen. Nachschlüffel für sämt­liche Schlöffer und für den Torweg waren in der Anstalt selbst an­gefertigt und hinter einem Blech im Abort versteckt. Wir forschten daraufhin fofort nach und fanben auch tatsächlich Schlüssel für alle Türen vor. Die Tatsache, daß ich die Schlüssel gefunden hatte, war binnen furzem mieber in der ganzen Anstalt bekannt. Hätte ich mir nur die geringste Unrechtmäßigkeit zufchulden tommen lassen, dann märe es fofort befannt gewesen. Jetzt haben wir den Salunken!" Wir haben bei Revisionen in den verschiedenen Abteilungen manchmal fuhrenweise Sachen aus der Berivertungsstelle beschlagnahmt. Da hätten wir uns genug Sachen nehmen tönnen, wenn wir es wirklich gewollt hätten. Die halbe Anstalt trug ja Sachen aus der Ver­wertungsstelle. Troß unserer Meldungen wurde auch dagegen nichts unternommen."

3]

Der Aufruhr der Achiefen Calm

Roman einer Revolution. Von Gerhart Herrmann Mostar

Einstweilen jedoch hingen sie ruhig und melancholisch über die Brüstung. Endlich waren die Kugeln gegossen, der Borhang fiel, auf dem Boden des Orchesters bildete der Speichel der Trompeter bereits fleine Rinnsale gottlob: aus der Hofloge pidte fpißfingriger Beifall, dem sich das Parkett beruhigt und breithändig anschloß. Also ein Erfolg.. auch Wagner durfte sich verneigen.

Steife Saaldiener entzündeten mit Hilfe langer Stangen umständlich die als Kerzen markierten Delleuchter. Im Raum verbreitete fich brenzlicher Geruch. Wagner ging

in die Garderobe. Das Bublikum jedoch blieb fizen; das Foyer war traditionsgemäß den Herren des Hofstaats nor behalten.

Dort gruppierten sich Uniformen und Fräde um den jungen, eleganten Baron von Brittmig, der ob seiner zahl­reichen Amouren mit Schauspielerinnen als Sachverständi­ger für Theaterfragen galt.

Also ich muß fagen," interniemte ihn der blaffe Graf Millhoff, Ihre Demoiselle Schönauer übertrifft sich heute felbst!"

-

Brittwig ignorierte die Befißbezeichnung. Gewiß, aber bebenten Sie auch, bei solcher Führung! Dieser Kapell meifter erzellent!" Jaja, gewiß. So'n fleiner Kerl nicht zu glauben!" " Zweifellos ein begabter junger Mann," jagte läffig Anhalt- Bernburgs derzeitiger Ministerpräsident von Kersten, der eben aus der Hofloge gelommen mar. ,, llebrigens: mo ift der junge Herr von Trosegt? Ihre Durchlaucht die Herzogin wünschen ihn zu sprechen."

Interessiert sich nicht für Kunst. Nur für Pferde, gloffierte Brittmis.

Haus Nikolaikirchplatz 10, das längst verschwunden ist.

,, Eben deshalb benötigen ihn ihre Durchlaucht," ließ ihn Kersten lächelnd abfahren. Ihre Durchlaucht bitten die Herren, morgen an einer Fuchsjagd in der Großen Aue teil­zunehmen. Wollen Sie bitte Herrn von Trosegt mitteilen, daß er die nötigen Borarbeiten leiten soll."

,, Eine Fuchsjagd? Im März?" fragte der fleine Gerbit erstaunt. Er war eben erst von seiner Landflitsche an den Hof gekommen.

Was wollen Sie? Ein herrlicher Einfall! Echt Ihre Durchlaucht!" Gerade ihrer burschitosen, sprunghaften Ein­fälle wegen war die Herzogin Friederike bei der Jugend Aber die Saaten- ,, Gott , die paar Halme!"

beliebt.

"

Gerbig gab sich zufrieden. Werden auch Seine Durch

laucht-"

Seine Durchlaucht lieben feine Fuchsjagden," schnitt Kersten ab.

Seine Durchlaucht sehen auch immer noch recht ange­griffen aus," tastete Brittwig.. ,, Merkwürdig, diese Sache mit dem schiefen Calm..."

Kersten schien bereits nicht mehr gehört zu haben und wollte wieder verschwinden, wurde aber noch an der Tür der Loge von dem Kammerherrn und Hofmaler Wilhelm von Rügelgen, der zugleich die Intendang des Theaters inne hatte, aufgehalten. Die Galerie ist recht leer," teilte er seine Sorgen mit Sonderbar, angesichts dieser Boltsoper!"

Es findet heute eine große Bürgerversammlung ftatt, megen der Borfalle in Breußen!" meinte der sich rasch hin­zudrängende Millhoff bedeutsam. Es war fein Ehrgeiz, immer auf dem laufenden zu fein.

Soso," machte Sterften achtlos. Ich darf Sie bitten, Herr von Kügelgen, mich morgen bei etwaigen Audienzen zu vertreten. Ich reite mit Ihrer Durchlaucht zur Fuchs jagd." Er verschwand.

Rügelgen verbeugte sich geschmeichelt und grüßte flüchtig die plaudernden jungen Kavaliere. Brittwig äußerte gerade ironisch und leise getränkt, daß Pferdekenntnis anscheinend bei Ihrer Durchlaucht derzeit hoch bewertet werde. Kügelgen lächelte und schritt zum Bühneneingang.

"

,, Aha!" flüsterte es ihm nach. Er wird den Kapell­meister in die Hofloge bitten. Wir haben, scheints, einen neuen Musitdeftor"

fich der Geschäftsführer der Firma megen des im Hinblick auf die anderweitigen Schiebungen schwebenden Verfahrens nicht mehr nach Sonnenburg fraute. Der Berteidiger betonte zum Schluß dieser Ver­nehmung, daß neuerdings unter den Gefangenen erzählt worden sei, die ganzen Belastungen seien auf ein Komploit zurückzuführen, meil die Verbrecher auf diese Weise hofften, bei den Transporten zu

den Bernehmungen Gelegenheit zur Flucht zu haben. Hauptwacht­

meister Rlud bestätigte das. Ihm jei bekannt geworden, daß die Gefangenen Paasch und Brüning, zwei Mörder, auf diese Weise fliehen wollten. Auch die übrigen, gestern noch vernommenen an­getlagten Beamten bestritten jede Schuld und be= haupteten, daß sie das Opfer von Racheatten von Gefangenen geworden seien. Der Obermachtmeister Kleinert, der vor einigen Jahren schon einmal wegen einer ähnlichen An­gelegenheit bestraft morden ist, betonte dabei, daß eine Zeitlang die vom Bahnhof Sonnenburg fommenden Wagen mit Heeresgutladun­gen einfach die ganze Nacht über vor dem Tor der Anstalt ohne Auf­ficht stehen gelassen worden seien, weil keine Beamten zum Desffnen der Lore nach 7 Uhr abends dagewesen wären.

Zum Schluß des gestrigen Verhandlungstages wurde der an Rang höchste Beamte unter den Angeklagten, der Inspektor intel Dernommen. Er bestritt die ihm von der Anklage zur Last ge= legten Beschuldigungen, daß er sich einen Belz, Lederjacke, Leder­hose und zahlreiche andere Bekleidungsstücke widerrechtlich angeeignet habe. Dagegen legte er eine Quittung vor, wonach er für den geringen Preis von 34,90 M. u. a. aus der Altverwertungsstelle bezogen habe: einen Belz, Schaftstiefel, Filzschuhe, Lederhandschuhe, Fausthandschuhe, Drillichzeug, Zeltbahnen, Unterwäsche, Feldflaschen und sonst noch eine ganze Reihe Kleinigkeiten. Bors.: Sie wollen mal geäußert haben: Alle neuen Sachen interessieren mich. Angefl. Hinkel: Jawohl, da ich damals bauen wollte, brauchte ich einen Arbeitsanzug. Den Belz und die Langschäfter brauchte ich für die Entenjagd. Staatsanwalt: Ein Sträfling hat von Ihnen ausgesagt: Ganze Wagenladungen sind in seine Wohnung gegangen. Er nahm allen Quart mit, wenn er nur neu war, sogar Flieger­hauben. Angeft. Hintet: Nein, das ist nicht wahr. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß ich selbst, Direktor Lüdece aus­mertsam gemacht habe, daß eine Untersuchung wegen Unter­schlagungen eingeleitet werden müsse, und ich selbst habe den be­treffenden Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben. Mir war es auch bekannt, daß ein Kriminalbeamter in der Maste eines Werfmeisters zur lebermachung des Betriebes angestellt wurde.

Bei der Bernehmung dieses und einer Reihe anderer Ange­flagter fam noch zur Sprache, daß die der Alfverwertungsstelle über­gebenen ehemaligen Militärausrüftungsstüde teilweise noch in sehr gutem Zustand, zum Teil ganz neu gewefen feien.

Die Verhandlung wurde dann auf Dienstag früh 10 Uhr vertagt.

Eine sonderbare amtliche Erflärung.

Zu den Vorwürfen gegen das Reichswehrministerium im Sonnenburger Brozeß wird von zuständiger Stelle mitgeteilt: Seit Jahrzehnten besteht zwischen der preußischen Justizverwaltung und dem Reichswehrministerium ein Vertrag, wonach die ge­brauchten Kleidungsstücke des Reichswehrministeriums zur Ver fügung gestellt und in der Strajanstalt Sonnenburg verarbeitet werden. In der Anstalt werden die Gegenstände von den beteiligten Stellen und in Anwesenheit eines Vertreters des Reichswehrministe­riums a bg es chätzt. Selbst wenn zu gute Gegenstände abgeliefert worden sind, hat der Reichsfiskus teinen Schaden erlitten, da die

Langsam verteilte man sich in die Logen.

Als Wagner wieder erschien, wurde er mit Beifall emp­fangen. Es hatte sich herumgesprochen, daß Kügelgen zu ihm in die Garderobe gegangen war. Orchester und Sänger hatten sich auf die Art des neuen Leiters eingestellt, hatten mohl auch den Ehrgeiz, dem zukünftigen Fürstengünstling zu gefallen: alles flappte vorzüglich. Die weißen Handschuhe blieben an ihrem Blaz, obgleich Alexander Carl , auferzogen im musikalischen Geschmack des Italienertums und unfähig, aus eigenem Fühlen sich auf anderes einzustellen, der für ihn profanen Oper nicht viel Verständnis entgegenbringen konnte.

Die Aufführung neigte sich ihrem Ende zu. Marens Schuß war gefallen, Agathe und Kaspar waren getroffen zu Boden gesunken die Hofleute in den Logen sahen, daß der Herzog sich verblüfft vorgebeugt hatte. Er nidte aner­fennend mit dem Kopf.

-

Die Musit setzte ein. Agathe wachte wieder auf. Aus dem Kopfniden wurde ein mißfälliges Schütteln. Jezt begann auch Kaspar wieder zu reden... da rief es plötzlich laut aus der Hofloge:

Nochmal schießen!!"

Wagner hatte den mysteriösen Ruf gehört, wußte nicht, was das sollte und woher es fam, und dirigierte weiter. Aber Orchester und Sänger hörten sofort auf zu spielen, die Szene gruppierte sich um, und indes Wagner hilflos die Arme finfen ließ. begann man noch einmal mit der Sprechizene. ,, Sie waren ja beide nicht richtig tot," wandte sich der Herzog gutmütig erklärend an seine Gemahlin Friederike, geborene Brinzessin von Dänemark , die von Scham und Zorn blaß geworden war, obgleich fie dergleichen an Alexander Carl fannte.

Es Inallte nochmals, Agathe und Kaspar janten zum zweitenmal um, Wagner, der inzwischen unflar begriffen hatte, ließ die Musit einsehen, und es wurde diesmal zu Ende gespielt. Aber als Agathe wiederum auferstand, schüttelte der Herzog verständnislos den Kopf mit der frant­haft schmalen Stirn: diese ganze Oper war für ihn zwar nur eine Art Jahrmarktsrummel, der von dem fleinen Kerl da am Dirigentenpult recht gut gemacht wurde aber daß diese Demoiselle Schönauer nicht tot zu friegen sein sollte, ging ihm nicht ein. Er nahm sich vor, sich darüber nachher bei Wagner oder am besten bei Brittidig zu erfundigen, und flatschte wader Beifall

( Forts folgt.)