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Rr. 3946. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 24. Januar 1929

Die Bühne in der Bahnhofshalle.

Der alte Dftbahnhof am Rüstriner Plah, der seit Jahr zehnten mußlos dasteht, präsentiert sich jetzt in feuchtendem Weiß. Und die große Halle des Bahnhofs, die einst die Fernzüge des Oftens aufnahm, ist jetzt zuschauerraum und Bühne des neuen Boltsparietés Blaza", das Ende des Monats seine Pforten öffnen soll. Es ist wohl das erstemal, das in einer mächtigen Bahnhofshalle Artiften von Tropez zu Trapez fliegen, das Brüllen dressierter Lömen sich art den Wänden bricht, die Füße der Tänzerinnen den Boden treten, der einft unter schweren Eisenbahn zügen dröhnte.

Der frühere Dftbahnhof, der ein im Klassischen Stil nach Schinkelschen Borbildern in Klinkerstein errichteter Mommentalbau ist, murde von der damaligen Königlichen Eisen­bahndirektion in den Jahren 1865/67 erbaut und sollte dem Ber­sonen- und Güterverkehr nach dem Osten dienen. Die Halle, nach den Entwürfen der Geh. Oberbauräte Lohse und Sielte, ift etwa 190 Meter lang und 40 Meter breit und gehört mit ihrer überaus flaren und übersichtlichen Konstruktion, somie ihrer schmung vollen Linienführung zu den schönsten und fühnsten Hallenbauten des vorigen Jahrhunderts. Durch den Bau der Berliner Stadtbahn mit dem großen Schlesischen Bahnhof verlor der Ostbahnhof seine Daseinsberechtigung, da vom Schlesischen Bahnhof aus der gesamte Personen und Güternerfehr nach dem Often abgefertigt wurde. So stand mum dieser riesige Bau nu glos da und wurde von der Reichs­bahn als Lagerschuppen, Materialdepot usw. benutzt. Nicht einmal während des Krieges ist er als Verladebahnhof für Truppentrans­porte oder Kriegsmaterial verwendet worden. Der allmählich immer mehr in Crheinung tretende Berfall brachte unternehmende Geister auf den Gedanken, wie man das Gebäude erhalten und wie es ver mendet merben tönnte. Biele Projekte schwirrten hin und her, aber feines schien groß genug, um einen so dekorativen Rahmen auszu­

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| füllen, bis es der Direktion der Scala gelang, den Komplex von der Reichsbahndirektion zu pachten und die Genehmigung zum Einbau eines großen Barietés modernstens Stiles zu erhalten. Die mit Zustimmung der Reichsbahndirektion vorliegenden Pläne der Archi teften 21. M. Can und Mar R. B. Abicht fanden den Beifall der Behörden und so begannen die Borarbeiten für den Bau. Da das flaffisch schöne Baumert unter Dentmalsschuß steht und aus diesem Grimde keinerlei mesentliche Beränderungen an seiner äußeren Gestaltung vorgenommen werden dürfen, da ferner gewiffe technische Bedingungen zu erfüllen waren( Erhaltung der alten Hallentonstruf­tion mit darauf befindlichem Glasbach), so war die Aufgabe für die Architekten schmer. Die Aufgabe bestand daran, ein Barieté mit einer Fassungskraft von 3000 Blähen und damit das größte Varieté in Europa zu schaffen. Zwei Drittel der Pläge befinden sich in dem riesigen opal geformten Parterreraum, ein Drittel ist auf dem Balkon eingebaut, der Zuschauerraum selbst ist von einem eff Meter breiten und sechs Meter hohen Wandelgang umgeben. In diesen Räumlichkeiten maren früher die Wartesäle, die Gepäc abfertigungen, Fahrtartenschalter, Diensträume usw. untergebracht. Die Zwischenwände des Kopfbaues mit den darüber liegenden Decken wurden im Erdgeschoß durch schwere Eisenträger abgefangen und fo der Platz für eine große Rassenhalle geschaffen. Im Anschluß daran treten wir in das Bestibül, das schon in der eigentlichen Bahnhofs­halle liegt, und dessen Dach durch acht Gitterträger getragen wird. Ueber dem Zuschauerraum wölbt sich die Moniertuppel. Ihre Höhe wird mit 19 Meter durch das vorhandene Dach begrenzt, das über dem Zuschauerraum vollständig erhalten bleibt. Allerdings durften die alten Binder feinerlei neue Nutzlaften erhalten, und es mußten infolgedessen zum Tragen der Moniertuppel neue Trage­fonstruktionen aus Fachwertwänden und Trägern angeordnet wer den, deren Systemlinien sich aus den Umrißlinien des vorhandenen

Die Arbeiten im Innern der Bahnhofshalle.

Der Aufruhr des Achiefen Calm

Roman einer Revolution. Von Gerhart Herrmann Mostar

Awwer mitrejieren wolln mer!" ergänzte Rniephade schnell und trat einen Schritt zurüd. Es war heraus. Der Herzog hatte vor Erstaunen den Mund weit aufge­

der

Daches ergaben. Das Bühnen­haus, das durch einen eisernen Borhang von 20 mal 12 Meter vom Zuschauerraum getrennt ist, hat eine Grundfläche von 40 mal 15 Meter. Um die erforderliche Tiefe zu gewinnen, mußte einer vorhandenen Doppelbinder, die in etwa 7,5 Meter Abstand stehen, ausgebaut werden. Die Bühne ist als Voll­bühne in Stahltonstrut­tion ausgeführt und ragt mit einer Firsthöhe von 31 Meter noch 12 Meter über den Scheitel des vorhandenen Bogendaches hinaus.

Un die Rückwände des Büh­nenhauses schließen sich Saal­

aus

bauten an. Auch die Monier­fuppel des Hauptsaales besteht einer besonderen Stahl­konstruktion, die sich weder an das vorhandene Dach anschließt, noch an sie Lasten abgibt.

Eine Fachwerkwand, die sich freistehend 19 Meter hoch bis zum First erstreckt und so berechnet murde, daß sie vollen Wind druck aufnehmen fann, schließt die dann noch verbleibenden 80 Meter von dem Neubau ab. Das Innere der Plaza" ift in einem beigebraunen Naturton

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,, Na also! Das war doch immer so!" ,, 30 jo das schonn Kniephade fand jetzt feine brauchbare Ueberleitung zu dem, was er eigentlich sagen sollte und wollte. Da plagte auch Menge schon in das entstehende Schweigen: ,, Un um Pressefreiheit mechten mer jehorsamst jebäten han, Hoheit!" Auch er trat einen Schritt zurüd.

| gehalten, der sich nach oben zu aufhellt. Der Hauptvorhang prä­fentiert sich in fattem feurigen Rot, der den Farbenafford des ganzen Hauses marm zusammenfaßt. Die zwölf Logen sind ebenfalls mit roten Portieren abgeschlossen. Der Zuschauerraum der Plaza" mird aus dem riesigen ovalen Spiegelplafond in der Kuppel mit 350

Das Bühnenhaus im Bau.

Spiegelreflektoren beleuchtet. Der riesige Komplet des Ostbahnhofes hat es gestattet, daß im Anschluß an das Theater als zweiter Bau­abschnitt noch ein ebenso großzügiger Festsaal, der 3500 Menschen faffen kann, für Tanzvergnügungen, Bälle, Bereinigungen, Berjamm lungen usw. usw. angegliedert werden kann. Die Verbindung mi der Plaza" ist bereits durch zwei Tunnels vorgesehen, die von den Besuchern des Theaters benutzt werden können, ohne daß dieje durch Garderobenwechsel irgendwie behindert werden.

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Die Plaza" beabsichtigt in ihrer gesamten Anlage, Programm­gestaltung und Preispolitik ein Boltsvarieté im großen Stil zu werden. Das vollständige Programm soll zweimal monatlich ge­wechselt merden, d. h. am 1. und 16. jeden Monats. Ferner finden mochentäglich zwei Vorstellungen, um 5 Uhr und um 8.15 Uhr statt, an Sonn- und Feiertagen drei Vorstellungen, 2.15, 5 und 8.15 Uhr. Die Eintrittspreise für die erste Vorstellung betragen 0,50 bis 1 M., die Eintrittspreise für die zweite und dritte Borstellung betragen 1 bis 2 M. Garderobenablage 10 Pf. und ein vollständiges Pro­grammheft ebenfalls 10 Pf.

Alexander Cart, schon wieder in sein Buch vertieft, wintte ab.

,, Schlecht sieht e aus, ich jloowe, machts nich mehr lange!" sagte Menge unten im Hof. Schade: es is doch woll an juter Mensch! Wenn bloß die Ministers nich wärn!"

Aber Alexander Carl wandte sich an Kügelgen: Bresse freiheit? Sagen Sie bitte, Rügelgen: was ist das, Preffe- weeß niche, ich weeß niche. Wir sind doch alle feene Redner

freiheit?"

,, Bielleicht erklären die Herren erst einmal, was fie fich darunter vorstellen," meinte Rügelgen diplomatisch.

,, Nu, wir meenen man, daßn die Zeitungen schreiben bürfen, wasn se wolln!"

Rönnen fie!" jagte der Herzog lakonisch. Er las teine

,, Awwer eejentlich," stellte Kniephate zufrieden fest ,,, han wir doch allens gesat, un er hat doch oo allens zujejat." Nur Jümer schüttelte den großen, bärtigen Kopf... ,, Ich an'n Avtaten wenden missen. Vielleicht an Rechtsanwalt niche un teene Diplomaten. Ich jloome, wär wärn uns doch Dehlten..."

Kügelgen schritt ins herzogliche Zimmer zurück, nicht allzu besorgt wegen des eben Geschehenen: der verbindliche

riffen. Kügelgen lächelte noch immer, was Kniephade 3 Beitungen, geschweige denn das in Bernburg erscheinende Kersten würde die Sache schon wieder in die Reihe bringen.

irritieren begann.

,, Wie? Mitregieren?" fragte Alexander Carl verständ­nislos. Wie meint ihr denn das?"

,, Bir meenen man

Da müßt ihr euch doch aber," unterbrach der Fürst, dem plöglich etwas Erlösendes eingefallen mar ,,, da müßt ihr euch doch an den Ministerpräsidenten non Kersten menden! Der regiert hoch!

,, Nu ja, ammer-"

Aber der Herzog mußte feinen Gedanten erst zu Ende führen. Der mird einen Schred triegen, der gute Kersten! Er wird zwar taum damit einverstanden sein, nicht mahr, Rügelgen

Bahrscheinlich taum, Hoheit, erwiderte Rügelgen. Alexander Carl lacte luftig. Jedoch der unerbittliche Kniep­hade fuhr diplomatisch fort: ,, Wir sin awwer äwend desmäjen zu Hoheit jetommn, damit daßn Se mit'n Herrn Don Kersten badriwwer sprechen. Uff Shnen fimmets doch an, Hoheit." ,, Allerdings!" sagte der Herzog geschmeichelt.

Na also! Kniephaden brachte feinen Erfolg ins Fahr maffer. Un da mechten wir nu ämend, daßn oo uff unfre Winsche an bißchen Ricsicht jenommen wird beis Rejieren!"

Aber das ist doch geschehen! Als hier die Eisenbahn hindurchgelegt werden sollte, da habt ihr Eingaben gemacht megen der Pferdehalter, die immer die Fuhrmerte den Wein­berg hinaufziehen und also ihr Brot verlieren würden durch Die Bahn, und megen der Beschädigungen des Grafes und so meiter nun, und ist die Bahn etwa gebaut worden?" tee, jewiß nich, Hoheit!

Regierungs- und Intelligenzblatt, das wöchentlich einmal

auf vier Seiten Quart herausfam.

,, Un denn," meinte nun auch der wieder zu sich ge­tommene und mutig gewordene Jumer ,,, un denn fordern mir das einije Deutschland ."

Ich auch," sagte Alexander Carl . Er war der Sache müde geworden, sah angestrengt aus und wollte Ruhe haben. Unter den Auseinandersetzungen der großen Staaten leiden doch bloß die fleinen. Aber fragen Sie einmal meine Herren Bettern in Cöthen und Deffau, die denken da ganz anders... das ist nicht so leicht, wie ihr euch das denti, das ist über haupt alles nicht so leicht..." Er jah gequält zu Rügelgen hinüber. Rügelgen, ich befomme schon wieder meine Kopf­Der Kammerherr erhob sich. fchmerzen

Dem Böttcher Kniephade war inzwischen sein Uebergang eingefallen. Ich wollte man bloß noch ema, Hoheit, von wäien das Mitrejieren-es is nich bloß. daß unsere Winsche männijesma anjeheert wärn- mer wolln oo jefragt wärn!"

Gefragt? Aber wie soll ich denn das machen, ich fann doch nicht jedes Mal zu euch tommen­,, Dabrumme mechten mer ämend an Parlament han!" Rniephade stand jetzt schon fast an der Tür, feine eigene Tapferfeit schien ihn hinauszujagen.

Aber das wird sich ja machen lassen!"

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Rügelgen trat an die Tür. Seine Hoheit werden mit dem Herrn Ministerpräsidenten von Kersten Rücksprache nehmen und das für ein Gedeihen des Baterlandes Erforder liche veranlassen, fagte er. Die drei verneigten fich tief:

Als er eintrat, hatte der Herzog ,, Paul et Virginie" wie­der aus der Hand gelegt und stand an einem der Fenster, durch die man ins Saaletal blidte. Dieses Blickes wegen hatte Alexander Carl sich das Zimmer zum fast einzigen Wohn­raum gewählt, obgleich es eines der kleinsten im Schlosse war. Die unauffällige Romantit entsprach dem Wesen des Herzogs, Das in eine naive, lärmferne Welt gehörte. Die Saale man­derte ihm geruhsam zwischen hohen, eben vom ersten Grün überschimmerten Laubwäldern entgegen, ab und an dicht unterhalb des Schloffes von dem kleinen Fährboot überkreuzt; über den weichlinigen Baumkronen sah man den Turm des zwei Wegstunden entfernten Schlosses Plögkou, und an klaren Tagen, wie heute, lag ganz weit hinten der Broden mie eine im langsamen Aufsteigen verweilende, silberne Wolfe unten am Himmel.

Die Kopfschmerzen, Kügelgen," flagte der Herzog leiſe, immer diese Kopfschmerzen!

,, Eure Hoheit sollten einmal wieder derp Schloß Ballen­stebt auffuchen," riet Rügelgen und wies zum Brocken. Die Harzluft wird Eurer Hoheit gut tun."

Silft ja auch nichts, Rügelgen! Haben Sie auch manch mal Kopfschmerzen, dieselben Kopfschmerzen wie ich? Wissen Sie, das wandert immer so herum im Kopfe." Er suchte mit der Hand dem Zuge der Schmerzen zu folgen, jah zer­quält aus. Immer so herum wie mie ein Tier..." Es wird vorbeigehen, Hoheit." Kügelgen mußte nichts als diese Plattheit. Borthegung folgt.)

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