Beilage
Sonnabend, 26. Januar 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Frau Nothnagel
Eine Vorgängerin von Ludendorffs Tausend
Herrn Ludendorff, der auf den Goldmacher Tausend hereingefallen ist, mag es ein schwacher Trost sein, mit seinem dummen Aberglauben in der Weltgeschichte nicht alleine dazustehen. Schon eine Reihe brandenburgischer Kurfürsten aus dem Hohenzollernhause hat sich mit der Goldmacherei abgegeben, und bedas für einen der berühmtesten hohenzollernschen Goldmacher gebaut fannt ist das Laboratorium auf der Pfaueninsel , murde, und in dem zwar kein Gold, aber Rubinglas entstand.
Wenige wissen, daß die merkwürdige Bezeichnung Karpatho -| das Elend mur vermehrt. So wird es noch geraume Zeit dauern, rußland " auf einen Teil der Tschechoslowatei angewandt wird, bis die Bemühungen der Regierung, durch Schaffung von Schulen und zwar auf den östlichsten, der breits an kaukasien und die( natürlich tschechischen) dem Lesen und Schreiben größere VerbreiUkraine grenzt und innerhalb der Republik eine administrative Einstung zu verschaffen, Erfolg haben werden. Anstandshalber hat man heit bildet. Die Bevölkerung dieses gebirgigen Landstriches am aber auch der starken ungarischen Minderheit einige Elementarschulen Immerhin war das zu einer Zeit, als man sich über die GrundHang der Waldkarpathen setzt sich aus Ruthenen, Ungarn und Juden belassen, es gibt sogar Mittelschulen mit ungarischer Unterrichtsbegriffe der Chemie und die Unveränderlichkeit der Elemente auch in Gelehrtenkreisen noch nicht flar war.
zufammen( lettere zählen in der Tschechoslowakei als Nation). Auffallen ist der hohe Prozentsaz von Analphabeten( 60 Broz.), der sich in einigen Romitaten( Marmaros) bis auf 80 Proz. steigert. Unterfucht man die Ursachen dieser geistigen Zurückgebliebenheit, so muß man einerseits die elenden wirtschaftlichen Verhältnisse, andererseits den übermächtigen Einfluß der Geistlichkeit, in diesem Falle der griechisch- fatholischen, anführen. Die Geistlichkeit hat es glänzend verstanden, die' Ruthenen hier Ruffinen genannt in einem Zustand geistiger Stumpfheit zu erhalten, der an das Mittelalter erinnert und der dem modern gesinnten Dorfschullehrer das ärgste Hindernis bereitet.
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Ganze Dörfer leben noch mit dem Vieh unter einem Dach, ja in einer Stube. Krankheiten sind die Folge, und die Zahl der Kretins und Luetifer ist gerade unter der Baldbewohnerschaft erschreckend hoch. Hinzu kommt der Alkoholgenuß, der auch vor dem ordinärsten Fusel nicht halt macht, ja dem Spiritus einen besonderen Ruf als begehrtes Getränk verschafft hat. Der Krieg, der bis tief in die Täler der Waldkarpathen den Vormarsch der Russen brachte, hat all
Kromm
LUTE
sprache, z. B. in Beregsas.
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In den großen Wäldern finden die Bergbewohner färglichen Berdienst als Waldarbeiter. Landwirtschaft kommt hier fast gar nicht in Frage, nur in dem südlichen, ebenen Teil ſizen wohlhabende Bauern. Von dem geschlagenen Holz, das auf einheimischen Säge merten bearbeitet wird, geht nur ein fleiner Teil als Flöße auf der Theiß nach Ungarn . Der Großteil wird nach allen Ländern erportiert nach Ungarn allein jährlich 50 000 Waggons Brennholz. Holz ist auch das Baumaterial der zahlreichen, verstreut liegenden Bergdörfer. Die schmucken Holzkirchen mit dem hochstrebenden Glockenturm und dem griechischen Kreuz erinnern an das große Ruß land; seit zwei Jahrzehnten ist eine Bewegung im Gange, die etma 400 000 Ruthenen, die kleinrussischer Abstammung find, der griechisch orthodoxen Kirche wiederzugewinnen. Die Tracht der Bergbewohner, die man auch Huzulen nennt, besteht aus dunklen Belzröcken, weißem selbstgewebten Leinenzeug, nach russischer Art verziert, und Opanken, die ein sicheres Gehen auf dem steinigen Boden ermöglichen. In der Hauptstadt Uschhorod findet sich eine Zigeunerschule, die einzige in Europa ; Zigeuner sind denn auch in Karpathorußland fo zahlreich ,, beheimatet", daß diese Schule zweifellos einem dringenden Bedürfnis entsprang. Krommer .
Krommer
WAS DER TAG BRINGT.
Ein Gespenst der Justiz.
In Wien ist die 75jährige Katharina Steiner gestorben. Der Volksmund nannte sie das lebendige Gespenst eines Justiziertums. Sie lebte vor 50 Jahren als Prostituierte mit einer ihrer Kolleginnen zusammen. Eines Tages fand man diese Kollegin tot im Zimmer auf. Ermordet....
Sofort fiel der Verdacht auf Katharina Steiner. Sie wurde verhaftet, trotz aller Unschuldsbeteuerungen zum Tode verur teilt und nach vier Monaten zu lebenslänglicher Rerterhaft begnadigt.
Vier Jahre saß Katharina im Kerker Jeden Tag beteuerte fie ihre Unschuld, jammerte, flagte, schrie, tobte, drohte und verfiel langsam dem Wahnsinn. Wurde oft zu disziplinarischen Strafen verurteilt, Bekam das Brot entzogen, fam in Dunkelzellen, auf hartes Lager.
Nach vier Jahren meldete sich ein Soldat: er habe den Mord im Jahre 1878 begangen! Man nahm an, daß er irrfinnig sei und steckte ihn in das Irrenhaus. Eingehende Beobachtung und wiederholte Berhöre ergaben schließlich, daß die Selbstbezich tigung zu Recht bestand. Man entließ den Soldaten aus dem Irrenhaus, das Verfahren drohte, der Soldat beging Selbst.
mord.
Spenst eines Juftizirrtums! Und zugleich ein Zeugnis menschlichen Elends, das für die Abschaffung der Todesstrafe plä
biert!
Laddie Boys Ende.
Laddie Boy, ein Hund, der während der Amtsführung des Präsidenten Harding im Weißen Haus in hohem Ansehen stand, ist an Altersschwäche gestorben. Seit dem Tode des Präsi denten Harding ist Laddie Boy von einem Mitglied des ameri tanischen Geheimdienstes mit großer Sorgfalt verpflegt worden. Zu den merkwürdigsten Gewohnheiten Laddie Bons gehörte seine Vorliebe für Kaffee mit Zucker und Milch, den er sich jeden Morgen schmecken ließ. Friede seiner Afche. Ein Denkmal für Deserteure.
In Kaschau hat sich nach Berichten tschechischer Blätter ein Ehrenausschuß für die Errichtung eines Denkmals auf dem Dukla paß in den Karpathen gebildet. Es soll den Massenübergang des Prager ausregimentes Nr. 28 im Weltkriege zu den Russen und die flawische Solidarität" verherrlichen! Die Passion.
Ein verschwenderischer Fürst bedrückte sein Land mit hohen Steuern. Als er einmal auf der Jagd einen Bauern traf, der ihn nicht kannte, fragte er ihn, was er wohl über die Fürsten und die Steuern dächte. Der Bauer antwortete:„ Herr, das ist die um gekehrte Passion!" „ Wie das?"
Weniger bekannt aber ist, daß auch noch der sogenannte Große Friedrich die Goldmacherei betrieben hat, obwohl er als der Aufklärer unter den Hohenzollern gilt. In dem sehr beachtlichen Werte von Hegemann Friedericus" liest man darüber auf Seite 289:
,, Friedrich und sein Rammerdiener Fredersdorf hatten noch tiefere Geheimnisse zusammen: Fredersdorf und sein aufMärerischer Rönig rangen gemeinsam um die Kunst des Goldmachens. und auf diesem Gebiete war Fredersdorf der geistige Führer des Königs, der durch seinen Umgang mit allerlei ,, Freigeistern" anfangs ein wenig für die Alchemie verdorben war und erst allmählich unter dem Einflusse seines fongenialen Kammerdieners zu den Wunder wirkungen des Steins der Weisen und des blutigen Lamms" Vertrauen faßte. Fredersdorf errichtete für die sicher zudrängenden Schwindler und Schwindlerinnen große Laboratorien in Berlin und Potsdam , und des Königs Erwartung wurde aufs höchste gespannt; mit seinem weiten staatsmännischen Blick gedachte er, die kriegerische Politik Preußens durch die neue Goldquelle beeinflussen zu laffen. Im September 1753 schrieb er darum an seinen getreueu Fredersdorf :
Was du mihr von der Frau Nothnagel gesaget hast gibt mihr würtlich hoffnung; und Glaube ich, wann die letzte probe goldt ist, daß man darauf Staht machen Kan. ich denke, daß dieffe Woche die Sache Clar werden mus. Wann Du was davon hörest, So schreibe mir doch, denn auf die grenzen fangen die Umbstände wieder an verworren zu werden. gott be= wahre Dihr!"
Und ein andermal:
,, wann wohr die frau goldt Machen Solte, So schicke Keine andere posten in der Münze! und darbei geschriben, ich häte das golt vohr mihr Komen lassen. So tan feiner uns in die Carten Rufen!"
Auch da ganz der große verschwiegene Steptifer, Menschentenner und Prattifer! Es ist derselbe weitsichtige und vielgelehrte Landesvater, der es verschmähte, der epochemachenden Entdeckung des 3udergehaltes in der Runtelrübe irgendwelche Beachtung zu schenken."
Soweit Hegemann. Immerhin tönnte auch Fridericus zu feiner Entschuldigung sagen, daß er einige Jahrhunderte vor Luden dorff gelebt hat, wenn auch sicher die goldmachende Frau Nothnagel Herrn Tausend ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann.
Artamanen
Es gibt einen Bund Artam. Sein Sitz ist in Halle und er organisiert Landarbeitertrupps, die unter einem Führer stehen und auf Gutshöfen Dienste tun. Die Angehörigen dieses Bundes sind nichts mehr und nichts weniger als Lohndrücker, die vor dem Rittergutsbesitzer auf dem Bauche rutschen und gegen vierzig Mark monatliches Entgelt und freie Station von sechs Uhr früh bis sechs Uhr dreißig abends sich in die Arbeit einspannen lassen. Berdrängen der polnischen Wanderarbeiter ist ihre wirtschaftliche Lofung, aber sie denken sich dieses Bordrängen so, daß man seine eigene Arbeitsfraft womöglich noch billiger verkauft als die billigen Polen dies tun. Nun, den Junkern tam's recht sein. Rauchen und Trinken ist Derboten. Die jungen Leute, die sich für diese Sache hergeben, find durch eine Idee eingefangen worden. Selbstverständlich, immer wenn jemand einem anderen zumutet, ihm für ein Schundgeld zur Verfügung zu stehen, verbrämt er seine Forderung mit Philosophie. Die artamanische Idee fuchtelt mit Schollenromantik herum. Heraus aus den Asphalthöllen!, deklamiert sie. Arbeit adelt! Bauerntum ist heilig.... Man tennt die Melodie. Die Artamanen, die nicht trinken und rauchen, von Weiberdingen nichts wissen wollen und an ihren Leseabenden in die Edda und in Löns sich vertiefen, müßten also mun wohl, so denkt man, fieffittliche, goldbrave Kerle sein. Ein Artikel, der dieser Tage in der ,, Deutschen Zeitung" stand und in dem ein Artamane sich in Erinnerungen erging, flärt darüber auf, was diese Art von Deutschen unter Deutschsein sich vorstellt.
Der Erzähler berichtet, daß der Artamanentrupp, dem er zu geteilt war, eines Tages auf einem Felde Kartoffeln buddelte. Plötzlich hatten fie bemerkt, daß der polnische Ausseher des Gutes hinter ihnen mit seiner Hade nachgehackt habe, um zu ermitteln, ob auch sauber gearbeitet worden sei. Da wäre einem von ihnen die Gebulb geriffen" und er habe gesagt: Hund von einem Pollacken, scher dich zum Teufel! Kraze bei deiner Mischpoche!"
Ein vom gleichen Gutsbesizer, bei dem sie selber arbeiteten, engagierter Kontrollarbeiter also, der in Ausübung seines Berufes nichts anderes als seine einfache Pflicht erfüllt, wird von einem taft- und herzlosen Flegel als und von einem Pollacken" be zeichnet, und der Erzähler findet das völlig in der Ordnung, ift stolz auf seinen Kameraden und lobt ihn ob seines männlichen Wortes. Leute, die sich nicht genug darin tun können, das Vaterland als das Heiligtum der Menschen hinzustellen, erklären grundlos und ein für allemal jemand für einen Hund und seine Mitbürger für Mischpoche, nur weil er zufällig in Bolen geboren ist. Wo auf der Welt ist eine schäbigere, dreckigere, kleinlich- rachfüchtigere Denfungsart vorzustellen als diese scheinheiligen Knechtsteaturen fie besigen.
Hans Bauer.
Ford, der billige" Straßenbauer Wie die ägyptische Zeitung ,, Siaffa" berichtet, ist die ägyptische Regierung zurzeit mit der Prüfung eines Vorschlages beschäftigt, den ihr Henry Ford unterbreitet hat Dei Automobilkönig hat sich erboten, auf eigene Roften in Aegypten eine 250 Kilometer lange Asphaltstraße moderner Art zu erbauen und instandzuhalten. Als In der Passion leidet einer für alle; wir aber leiden alle Gegenleistung forderte er die Ermächtigung, feine Automobile zoll
Und Katharina Steiner? Sie wurde entlassen und befam eine monatliche Unterstügung von 40 Schilling. Wie fie lebte? Sie war auf einem Auge völlig blind geworden, auf dem anderen sah sie nur noch ganz wenig. Schwerhörig war sie außer dem noch geworden, förperlich zusammengefallen, daß sie in der erften Zeit weder gehen, figen noch stehen konnte. Erst Monate später lernte sie sich am Steden fortbewegen: Das lebende Gel für einent"