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Nr. 44

46. Jahrgang

Technik

Sonnabend

26. Januar 1929

Bildungswerte der Technik.

Die Technik gehört zu den umstrittensten Kulturerscheinungen| die gesamten Produktionsstätten der unseres Jahrhunderts. Ihre Freunde und Vertreter preisen sie als die Wegbereiterin des fulturellen und zivilisatorischen Fortschritts, ohne deren Großtaten der Mensch noch heute auf der Stufe der Urzeit stünde. Im schärfsten Gegensatz zu dieser freudigen Bejahung der Technik steht die Weltanschauung derer, die am liebsten jede Technik ausschalten möchten, die allen Materialismus, alle Ent artungserscheinungen unserer Zeit auf das Schuldtonto unserer hoch­entwidelten Technik sezen.

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Diefen gewaltigen Kampf zweier Weltanschauungen versucht ein foeben erschienenes Buch zu schlichten, das der B.- D.- 3.- Berlag her­ausgegeben hat. Es ist von Dr. Hermann Weinreich verfaßt und betitelt sich Bildungswerte der Technit". Es bietet eine einleitende Uebersicht über die Geschichte der Technik vom Alter­tum bis zur heutigen Zeit und geht dann in tiefgründigen Ausfüh­rungen auf den Widerstreit in den Beurteilungen der Technik ein. Technik und Zivilisation, Technik und Kultur werden in ihren ver­schiedenartigsten Erscheinungsformen ausführlich behandelt, und ab­schließend wird in einem bedeutsamen Kapitel die Technik in der Er­ziehung der Jugend von einer Fülle von Gesichtspunkten aus be­trachtet.

Aus der Geschichte der Technik. Werkzeuge friedlichen Gebrauchs und Werkzeuge des Kampfes find die ersten Aeußerungen einer primitiven Technit. In die Belt reiche Assyrien und Babylonien , nach Mesopotamien und Aegypten müssen wir wandern, wenn wir die Geschichte der fortentwickelten Technik beginnen wollen. Auf einer altassyrischen Stulptur ist ein bedeutsamer technischer Arbeitsvorgang abgebildet, der uns in die antife Technik einzuführen vermag: Eine Unmasse von Sklaven ziehen auf riesigen Schlitten, die porn durch Rollen, hinten durch Hebel unterstügt werden, gewaltige Lasten vorwärts. Diefe Stulptur hat einen Arbeitsvorgang aus der Bautätigkeit der riesenhaften ägyp tischen Pyramiden festgehalten und der Nachwelt überliefert. Sie wird durch Mitteilungen des griechischen Geschichtsschreibers Hero dot ergänzt, der ausführlich beschreibt, wie Tausende von Stlaven die gewaltigen Steinmaffen der Riefenbauten zusammenfügten. Zu Lande wurden die Felsblöcke durch ungeheure Holzschlitten oder Schleifen, zu Wasser durch große Transportflöße herbeigeschafft. Ms Baugerüst diente eine aufgeschüttete schiefe Ebene, die mit dem Wachsen des Baues zugleich größer und höher wurde. An der Cheops- Pyramide waren 100 000 Staven zwanzig Jahre lang tätig. Die Anlage der Straßen zum Materialtransport hatte schon vorher ein Jahrzehnt beansprucht. Antife Belt wunder", die auf Titanenmaße berechneten technischen Bauten des Altertums, der Artemis Tempel in Ephesus , die hängenden Gär. ten der Semiramis, die das Mausoleum in halitar. nassos, der Koloß von Rhodos , der Leuchtturm auf der Insel Pharos bei Alexandria , alle diese Baudenkmäler find in jahrzehntelanger, mühevoller Fronarbeit Hunderttausender von Proletariern, von recht- und eigentumslosen Stlaven entstanden. Aus der Geschichte der Technik des Alterums wiffen wir ferner von Kanalnegen und Schöpfrädern, von Staudämmen, Zisternen und Brunnen, die zum großen Teil als hervorragende Schöpfungen zu betrachten sind. Die Assyrer besaßen Sand- und Waffer. uhren, die Aegypter benutten den Web stuhl, die Töpfer­fcheibe, fie fannten die Herstellung des Papyrus und die Balsamierung. Die Phöniger maren geschickte Berg­Ieute und Färber, die Griechen maren Meister der Erz­gießerei. Sie tannten eine Anzahl einfacher Maschinen, so Pflug und Sichel, Tretrad und Göpelwert, Hebel und Balze, Zahnrad und Flaschenzug. Die Römer haben Hervorragendes in Straßenbau und in der Anlage von Bädern( Thermen), von Wafferleitungen und Abzugstanälen geleistet.

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Das hervorstechende Mertmal der mittelalter lichen Technit ist die Ausnügung der Wasserträfte und der indbewegung. Schießpulver, Rompaß und Buchdrud werden erfunden. Zerstörungsmaschinen aller Art, Wurfgranaten und Geschütze werden immer mehr vervollkommnet. Das Gebiet des Hüttenwesens und des Bergbaus nimmt eine immer höhere Stellung ein. Zmei unsterbliche Namen aber find in der Ge­schichte der mittelalterlichen Technik besonders zu nennen: Lionardo da Vinci , der größte Ingenieur des Mittelalters und der hervor. ragende Festungsbauer Albrecht Dürer . Endlich möge der gotischen Dome des Mittelalters, die Oswald Spengler als Ausdruck der faustischen Seele des Abendlandes bezeichnet hat, gedacht werden.

Alle Fortschritte der vorausgehenden Jahrtausende jedoch wer den überragt durch die technischen Leistungen der Neuzeit. Nahezu

Menschheit werden heute durch die Technik beherrscht. Bon 65 Millio­nen Menschen finden etwa ein Drittel ihr Brot mittelbar oder unmittelbar in der Technit. Zählt man die Landwirtschaft hinzu, die in immer fortschreitendem Maße fich mit der Tedynit verbündet, so steigt diese Zahl auf etwa 40 Mil­lionen. Die Technit hat diese füh rende Stellung vor allem ihrer Be­fruchtung durch Naturwissenschaften und Mathematik zu verdanken. Die Ausnüzung der Dampfkraft, das Aufkommen der Elektrotechnik, das Wachstum der chemischen Industrie, denen schon vorher das Thomas­verfahren, die Gewinnung des Gases aus der Steinkohle, die Herstellung der Anilinfarben vor­ausgegangen waren, find Mark­steine dieser Entwicklung. Mißbrauch der Technik

Darf diese immer höher fich entwickelnde Technit mun mirklich ein Freund des Menschen genannt werden, eine Wohltat für ihn?

Der alte Leuchtturm von Alexandria .

Technik im Unterricht.

Diese große Frage gilt es zu prüfen und zu beantworten.| Coudenhove Calergi sagt in seiner Apologie der Technik Der Einmand, daß der heutige Industrietapitalismus un mit Recht, daß Gutenberg den Federn die Macht ge­gezählte soziale Schäden heraufbeschworen hat, fann zur Berurteilung geben habe, die Schwarz mit der Erfindung des Pulvers den der Technik nicht stichhaltig sein, denn nicht sie trägt die Schuld, Schwertern mahem. sondern die Art ihrer Anwendung. Nicht ihre Erfindungen und Ent. bedungen haben Armut und Arbeitslosigkeit erzeugt, sondern die falsche Anwendung, der Mißbrauch der Technik in der Hand eines gewinnfüchtigen Unternehmertums. Der moderne Induſtriekapitalis nicht denkbar. Aber die Technit tann sehr wohl ohne mus ist zwar, wie G. 5. Bells einmal schreibt, ohne die Technik diesen Rapitalismus bestehen, und darum muß der Kampf gegen diefen Mißbrauch der Tehnit in aller Schärfe und Entschiedenheit weitergeführt werden. Dieser Kampf richtet sich nicht gegen die Maschine. Aber er stellt den Gebrauch der Maschine unter moralische Kontrolle.( Das Endziel aber muß nach unserer Auffaffung darin bestehen, daß die Menschen mit Hilfe des Sozialis mus die Technit zu ihrer treuesten Berbündeten gemacht haben.

Dev erste Zeppelin auf dem Bodensee .

Die Red.) Auch von den Gegnern fann nicht bestritten werden, daß unsere Lebenshaltung hoch über der des Höhlenmenschen steht. Wenn dagegen angeführt wird, die Menschheit habe sich ohne Technit genau so mohl gefühlt, so möge man sich nur einen Generalstreit vor Augen halten, in dem alle Heinzelmännchen der Technik die Groß­stadt verlassen, Berkehr, Nachrichtenwesen, Gas, Wasser und Licht versorgung unterbunden werden. Wohl bergen die Großstädte un­gezähltes Elend in ihren Mauern, aber auch der Minderbemittelte steht in seiner Ernährung, feiner Wohnung und Kleibung doch über der Lebenshaltung selbst vieler Könige" vergangener Jahrtausende. und wenn der Arbeiter heute immer mehr dazu kommt, sich in den, wenn auch leider noch viel zu beschränkten Freistunden, geistigen Interessen hinzugeben, so läßt sich auch dieses gesunde, geistige Selbst­bewußtsein nicht im entferntesten mit der Sklaverei schwerster förper­licher Arbeit vergleichen, unter der die rechtlosen Proletarier früherer Jahrtausende ihr Leben lang seufzten. Die Technik hat aber den Menschen nicht nur zu einem großen Teil von schwerster Muskel­arbeit entbunden, sondern sie hat auch Geißeln früherer Jahr hunderte, wie z. B. Hungersnöte, denen ganze Länder und Land­

Gransport einer Riesenstatue im allen Assyrien

streden zum Opfer fielen, durch die Bervollkommmung der Melde- und Berkehrstechnik überwunden. Un aufhörlich arbeiten heute Eisenbahn und Schiffahrt, um mit dem Ueber­fluß der Bodenerzeugnisse des einen Landes dem Mangel des an­deren abzuhelfen. Die Technik hat aber auch überall die fortschreitende politische Entwicklung gefördert. Das schwere Los der Galeerenstla­ben, die menschenunwürdige Fron der versflavten Maurer und Bau­arbeiter des Altertums, die Leib­eigenschaft der Bauern, erst im Ge folge der fortschreitenden Technit war ihre Befreiung möglich. Wo zuerst die Gewerbe blühten, wie in England, Holland und Frank reich, ba beginnt zuerst die poli­tische Freiheit sich durchzusehen. Die Technik ist aber auch eine ge maltige, pölterverbindende Macht, eine Bertreterin des Weltbürger tums, die mit Hilfe eines groß entwickelten Berkehrsnezes bie Bölter einander näher bringt.

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Die Technik enthält eine solche unübersehbare Anzahl von Bil­madyfenden Menschen Beachtung zu finden. Gewiß besteht die Auf­dungswerten, daß fie auch berufen ist, im Bildungsgang des heran­mitteln, aber sie sollte doch den jungen Menschen mit einem Wissen gabe der Schule nicht darin, technische Fachkenntnisse zu über­ausrüsten, das ihn zum Berstehen der ihn umgebenden Gegenwart, bie start von der Technik beeinflußt ist, befähigen fann. Von der Betrachtung des Wunderwerkes der Maschine sollte sich die Auf­merkjamfeit auch auf den Mann an der Maschine richten, ben der Schüler der höheren Schulen und der Universität oft wenig ober gar nicht fennt. Nirgends findet sich in den Lehrplänen ein Hinweis auf die entscheidende Frage unserer gesamten Kultur, auf bie soziale Frage. Die Jugend sollte nicht in einer fernen. Bergangenheit, sondern auch in der Gegenwart zu Hause sein. Sie muß Bescheid wissen über die Herkunft der täglichen Verbrauchs­gegenstände, über Werkstätten und Fabriten, über Welthandel und Arbeitsteilung. Leider liegt die heutige Erziehung immer noch auf Kosten der Anschauung ein zu großes Gewicht auf das be­griffliche reine Denfen. Die Technik ist deshalb das beste Gegen­gewicht gegen Historismus und Dogmatismus, wie er leider noch in allzu vielen Schulen der Gegenwart vorherrscht. Die Aufgaben, bie der modernen Schule hier erwachsen, sind in erster Linie eine Angelegenheit der naturwissenschaftlichen Fächer, also des Physik­und des Chemieunterrichts. Es ist deshalb außerordentlich erfreu lich, daß die Richtlinien für die Neuordnung der höheren Schulen in Preußen die Besprechung der Errungenschaften der Technik und die Berücksichtigung der hieraus sich ergebenden, den Schüler oft aussetzung dafür sind allerdings nicht weltfremde, der Gegenwart start fesselnden Fragestellungen ausdrücklich empfehlen. Die Vor­abgewandte Lehrer, sondern Pädagogen, die der Wirklichkeit des gegenwärtigen Lebens mit offenem Blid gegenüberstehen. Aber auch in anderen Fächern, im Deutschen , in Geschichte und Erdfunde bietet fich Gelegenheit, technische Erfindungen und Entdeckungen zu be­handeln, sei es im Rahmen eines Auffazes oder innerhalb eines

mündlichen Gedankenaustausches zwischen Lehrer und Schülern oder

einer freien Arbeitsgemeinschaft. Ebenso ist die Technik ein frucht­bares Gebiet für den modernen Zeichenunterricht. Daneben ist es aber auch sehr wünschenswert, daß die Schulbibliotheten endlich von allem peralteten Wust befreit und durch inter­effante technische, dem Verständnis der Jugend angepaßte Werte bereichert werden. Diese Forderung gilt sowohl dem Lehrer als den Schulbüchereien. Die Werte von Bitrup, Georgius Agri­cula, Jakob Leupold , Athanasius Kircher , ferner die von Matschoß herausgegebenen Jahrbücher, die Geschichte der Technik von Neubed, die Bändchen von Dr. ing. e. h. Feld­haus und viele andere, die an dieser Stelle übergangen werden müssen, gehören hierher. Ferner ist zu wünschen, daß die technischen Lehemittelsammlungen der Schulen nicht veraltete Mobelle, sondern wirklich brauchbare moderne Modelle und Zeichnungen enthalten, die dem Schüler einen lebendigen Einblick in die Gegenwart ver­mitteln fönnen. Auch auf die vom Deutschen Museum entleihbaren Lichtbilder und die von der Museumsbuchhandlung zu beziehenden Postkartenbilder feien alle technitfreundlichen Bäbagogen hiermit hingewiesen. Ebenso können von der Technisch- Wissen­fchaftlichen Lehrmittelzentrale Berlin RB. 7, NW. Dorotheenstraße 53, viele brauchbare Diapositive und Ba pierabzüge von wichtigen Gegenständen aus den verschiedensten tech­nischen Gebieten bezogen werden.

So enthält das Wert von Dr. Beinreich auch für den Sozialistes eine Fülle von Anregungen und Gebanten, benen er nur freudig zustimmen fann. Das Buch ist eine Streitschrift gegen den Mih brauch der Techmit. Es zieht einen scharfen Sirich amischen Technit und Rapitalismus und arbeitet so an seinem Teil mit an der Vor­bereitung einer neuen Zeit. Eine intereffante Einführung in die mannigfachen Probleme unserer Zeit, die von der Technit beherrscht wird, ein Wert, das für jeden Hand- und Geiftesarbeiter, vor allem für den Lehrer und Erzieher, von weittragenbfter Bedeutung sein tann, Dz.& M.