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Beilage

Dienstag 29. Januar 1929

Reise nach Tunis

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärt

Eine Veranstaltung des Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit

Der Reichsausschuß für sozialistische Bil dungsarbeit veranstaltete im Herbst vorigen Jahres eine Gesellschaftsreise nach Tunis . Die Fahrt führte über Straßburg nach Marseille . Von hier aus erfolgte die Ueber: fahrt. Genosse Hartig, der Führer der Veranstaltung, schildert den Eindruck dieser ersten Berührung mit Nordafrika . Zwei Nächte und den dazwischen liegenden Tag dauert die Ueberfahrt von Marseille nach Tunis auf dem modernen 8000­

Tunis: Araberviertel

Tonnen- Dampfer der französischen Linie. Am Tage sieht man die Steilfüste von Sardinien in der Ferne stundenlang vorüberziehen. Allmählich spürt man das Klima milder werden. In der Frühe taucht Afrika auf, fahl und felsig ist seine Steiltüste. Wir sind im Golf von Tunis . Um aber in den Hafen zu gelangen, ist erst noch der Bahirasee zu durchqueren, eine Lagune, durch die etwa 12 Kilometer lang ein schnurgerader Fahrtanal läuft. Und nun legen wir an. Ein buntes Menschengewimmel herrscht auf dem Kai, dazwischen steht eine Kompagnie schwarzer Soldaten in straffer Hal­tung, ihre Kapelle spielt ununterbrochen, dem Schiff zum Gruß. Die an Land gehenden Passagiere werden von den Einheimischen lärmend empfangen, zerlumpte, dunkelhäutige Gestalten drängen sich heran, wollen durchaus das Gepäd tragen. Schon sind wir von Bettlern umschwärmt, die verstümmelte Glieder zeigen. Es ist noch nicht 8 Uhr, aber schon strahlt auf uns eine grelle, brennende Sonne. Unser Hotelier erscheint und hilft uns rasch durch die Zollstelle. Wir besteigen die Autos, in sausender Fahrt geht's in die Stadt.

Unser Führer führt uns gleich in echt orientalisches Gewimmel, auf den Lebensmittelmartt. Am liebsten würden wir uns vor dem Gestank, den die Fleisch- und Fischbuden ausströmen, die Nase zuhalten! Da gibt es Würste aus Milcheselfleisch. Berge von Granatäpfeln sind aufgetürmt neben unglaublich schmutzigen To­maten und unansehnlichen grünen Zitronen. Dort hängen Bündel von Datteln noch an Zweigen, auf denen zahllose Fliegen, wie auf allem hier, herumkrabbeln, hier liegen Haufen von riesigen Kürbissen und Melonen in seltsamen Formen. Ueberall stehen Köche und backen in Del flache Kuchen, braten Würste und erfüllen die Luft mit ranzigem Geruch..

Durch die schöne Porte de France kommen wir in die eigentliche arabische Stadt, die noch von der alten Festungsmauer umzogen ist. Auf dem kleinen Platz hinter dem Tor befindet sich das Denkmal des katholischen Kardinals Lavigerie. Wir kommen in die berühmten Gouts, Märkte, in denen immer nur eine Warengattung gehan­delt und vielfach auch hergestellt wird. War das Menschengewimmel im Lebensmittelmarkt schon groß, hier glaubt man in den engen Straßen in einem aufgeregten Ameisenhaufen zu sein. Die Straßen der Souks sind der Sonne wegen überdacht. Rechts und links reiht sich ein schmaler Laden und eine Handwerksbude an die andere. Gelbe Lederpantoffeln, die vor den Augen des Publikums hergestellt werden, scheinen der gängigste Artikel zu sein. Zwischen den kleinen Läden gibt es große Bajare mit wundervollen Teppichen, Kissen und Lederartikeln. Ein ganzes Biertel umfaßt nur Parfüm­geschäfte. In einer besonderen Straße wird Silberschmud hergestellt und feilgeboten. Die Handwerker in den Souts sind zunftmäßig zusammengefaßt; jede Zunft hat ihr besonderes Arbeits- und Ber­kaufsviertel. Wir bemerken in allen Gewerben starke Verwendung von Kinderarbeit, es scheint, daß die billigen Preise auf ihre Kosten gehen. Frauen sehen wir dagegen bei der Arbeit in den Soufs nicht, doch sind sie unter den Besuchern verhältnismäßig zahlreich.

Auf den Trümmern von Karthago .

Ein gewaltiges Häusermeer muß diese Stadt einmal gewesen sein. In den arabischen Teilen von Tunis findet man heute noch Säulen aus Karthago als Schmud privater und öffentlicher Bauten. Kairouan , 200 Kilometer füdlich, wurde zum Teil aus fartha­gischen leberresten gebaut, für die Sidi Ofbamoschee wurden hunderte von mächtigen Marmorfäulen nach Süden geschleppt. Heute ist von den Trümmern der riesigen Stadt fast nichts mehr zu sehen. Wo die Priester Eschmuns ihre blutigen Opfer verrichteten, und später die Christen von den wilden Bestien in den Arenen der Römer zerrissen wurden, wächst heute der rote Bein, reift das Weizenje. Nur menn man hinauffährt auf die Byrsa, dest

Die Steppe ist nicht etwa mit einer zusammenhängenden Gras­decke überzogen, sondern von weit auseinander liegenden Büscheln eines Bärlappgemächses, das den Boden entlang friecht. Für anderen Pflanzenwuchs ist der Boden zu hart und salzig. Seit

einstigen Burghügel von Karthago , tommt man an einem Amphi-| Jezt überholen wir eine Kamelfarawane, Die bepackten Tiere er­theater vorbei, dessen Fundamente freigelegt worden sind und das greifen die Flucht. Ein Kamel verliert seine Last und galoppiert man in einer unglaublich dilettantischen Weise zu restaurieren ver- feitwärts davon. sucht. Auf der Byrsa aber steht eine riesige neue Kathedrale im maurischen Stil, an die ein Kloster der weißen Väter angrenzt. Karthago besteht heute außer der Kathedrale und dem Kloster mur aus einigen Häusern und wenigen fümmerlichen Hütten, aus denen die geschäftstüchtigen braunhäutigen Rangen stammen mögen, die jeden Fremden aufdringlich und unablässig umschwärmen, um alte Münzen und Gemmen zu verkaufen, die sie in den Schutthaufen der Trümmerstätte gefunden haben.

Nur ein Bauwerk aus der Römerzeit hat die Stürme der Jahr­hunderte überdauert und der alles vernichtenden Zerstörungswut standgehalten! Eine einfache, aber gewaltige 3isterne, die von den Soldaten aller Lager aus Gründen der Lebensnotwendigkeit vor der Bernichtung verschont wurde, und deren ummauerte Bassins noch heute Karthago und seine Umgebung mit Wasser versorgen.

Fahrt in die Steppe.

Wenn man Tunis auf der Fahrt nach Süden verlassen hat, dann tommt man zunächst durch eine monotone, leichtgewellte Ebene, die einst durch ihre Fruchtbarkeit, berühmt war. Da und dort beginnen die Saaten aufzulaufen wir sind im Herbst. und legen einen grünen Schleier über das flache Land. Primitive Bauernhöfe sind über die Felder zerstreut, ihre Gärten werden von Kaktushecken umzäunt.

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Die moderne glatte Teerstraße für Autos freuzt ein gigantisches Bauwerk. Zwei Jahrtausende sind diese Ruinen der großen Wasserleitung von 3aguan nach Karthago alt! In schrurgerader Linie reiht sich auf mächtigen, 20 Meter hohen Sockeln ein Bogen an den anderen, 60 Kilometer lang. Die Alten bauten tühner und solider als die jetzigen Herren von Tunesien ! Der gute Zustand der Autostraße hört bald auf, aber man ist emsig beim Wegebau. Moderne Straßenwalzen und uralte Eselstarren arbeiten einträchtig zusammen. Immer wieder begegnet uns dieses seltsame Nebeneinander von Gegenwart und uralter Vergangenheit. Dort steht ein Motorpflug, der in breiten Streifen und schweren Schollen den Ader aufgerissen hat, daneben müht sich ein Büffelgespann, den trockenen Boden zu lockern. Acht bis zehn Büffel sind vorgespannt, ein Pferd an der Spize spielt den Schrittmacher. Mit lautem Ge­schrei und flatschenden Hieben geht's über die geduldigen Tiere her. Am Feldrand rastet ein Gespann, empört fährt man auf, aber schon ist das Auto porbei. Ein Pferd stand da, vom Geschirr an den Seiten so aufgescheuert, daß handtellergroße Wunden zu sehen waren. Die mißhandelte stumme Tierfreatur im Orient! Wir über­holen Reiter auf so kleinen Efeln, daß die Beine der langen Kerle Und dabei haben sie den Tier­auf ihnen fast den Boden streifen! chen noch andere Lasten aufgepackt!

Bald sausen die Autos auf gewundenen Wegen die ersten Höhen hinan. Die Hänge sind mit wilden Oliven und blaublühendem Rosmarin überwachsen, der seinen sanften Duft verströmt. Auf dem neuen Plateau breiten sich Getreidefelder, Aecker von Wein und silbergraue Olivenpflanzungen. Nun folgt eine Hügelwelle der an­deren, der Anbau wird seltener, die Gegend struppiger. Die Felder sind von leeren Wasserläufen durchschnitten, die der Plazregen ge­rissen hat. Hier pflügt der Bauer mit nur einem Pferd und einem Pflug, wie ihn gleich primitiv in Europa nur der russische Bauer fennt, wie ihn vor dreitausend Jahren der Fellah in Aegypten auch nicht anders besaß. Die Furchen sind flach und unregelmäßig. Um jedes Gebüsch werden sie herumgezogen. Man scheut die Mühe es auszuroden und läßt es so mitten im Acker stehen.

Hinter Enfida ville, einer landwirtschaftlichen Siedlung, die eine europäische Gesellschaft angelegt hat, dehnt sich die endlose Ebene, flach wie ein Tisch. Allmählich geht sie in graubraune, öde Steppe über. Doch bietet sie manches Interessante. Hier scheint die Zeit seit Jahrtausenden stehen geblieben zu sein. Die Bilder der Bibel tauchen auf. Ist das nicht Josef und Maria auf der Flucht nach Aegypten , die wir überholen? Auf dem Eselchen sizt in bunten Gemändern eine Frau, ein Kind in den Armen tragend, zur Seite geht im wallenden Burnus, den Turban auf dem Kopf, der Mann. Eine Herde von Fettschwanzschafen und schwarzen Ziegen will über den Weg, in toller Flucht stiebt sie davon, von unseren Autos er= ihre dicken, teller­schreckt. An einer riesigen Katteenpflanzung liegt förmigen Blätter dienen trotz der Stacheln als Kamelfutter eine Siedlung. Hier pflügen die Bauern mit Kamelen. Grotesker Anblick, diese hohen, langsamen und schmalen Tiere vor dem Pflug.

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Die Moschee des Freundes der Propheten

Kairouan : Kinder aller Rassen

wärts des Wegs taucht nun ein Brunnen auf, Ramele, Rinder, Schafe, und schwarze Ziegen weiden in seinem Umkreis. Am Brunnenrand steht, den Tonkrug im Arm, eine schlanke, braune Ber­berin und lächelt uns zu, daß ihre weißen Zähne blizen. Neben der zerbröckelnden Umfassungsmauer, auf einigen Platten bewegen sich zwei andere Frauen. Rhythmisch treten und klatschen die Füße auf naffen Geweben sie waschen!

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Und nun sehen wir einige niedrige Erdhügel wie die Kartoffel­

mieten auf unseren Feldern. Kniehohe Wälle aus undurchdring­lichen Dornen sind um sie gelegt. Wir stehen vor einem Berbera dorf! Man läßt uns gern in die Hütten hineinschauen. Im Zwie­licht erkennen wir einige Tongefäße, Kleiderbündel, und ein Schock verwahrloster Kinder. Die fräftige, hagere Mutter hält einen Säug­fing an der Brust. Reicher Silberschmuck flappert bei jeder Be­wegung. Der Vater zeigt stolz auf seinen Viehstand, Hühner, Razen, einen falben Kabylenhund und die Ziegen, Schaje, Rinder und Ramele, die friedlich weiden..

In der Nähe der Erdhütten befindet sich ein Beduinen lager aus fünf Zelten. So primitiv, dürftig und schmutzig hätte sich niemand von uns die Behausungen der Steppen- und Wüsten­Grobgewebte, zerschlissene schwarze Wolltücher föhne vorgestellt! sind über einige Stecken gespannt und mit Schnüren am Boden be­festigt. Darunter liegen zwischen Heu- und Lumpenbündeln ein paar Bretterkisten und Konservenbüchsen, die wohl irgendwo auf gelesen worden sind. Es wimmelt auch hier von Kindern, die hoch gewachsenen Frauen tragen Tätowierungen auf Stirn und Kinn, Männer sind nicht zu sehen, sie sollen beim Straßenbau beschäftigt ſein. Wir fahren weiter, entsegt über diese Armut und Anspruchs­losigkeit, denen gegenüber der ärmste Bauer bei uns fürstlich wohnt! In der Ferne blizt ein Silberstreifen auf, wird breiter und breiter. Ein riesiger See, der hier nur in der Regenzeit eriſtiert, taucht auf und verschwindet langsam. Die Straße beginnt sich zu beleben. Wir überholen Reiter, armselige Eselskarren, Kamelfarawanen. Da steigt am Horizont ein zartes Gebilde hell aus dem Graubraun der Steppe, stellt sich mit unwirklich weißen Kuppeln und Türmen gegen das Blau des Himmels, deutlicher, fest umrissen werden die Konturen. der Moscheen und der Zinnenkranz der wuchtigen Stadtmauern mit den festen Toren, wir fahren in Kairou an ein, dem Metta Nordafrikas.

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Kairouan .

Kairouan ist die einzige Stadt Tunesiens , in der auf Grund des Protektoratvertrages die Moscheen den christlichen Besuchern- nicht aber den Juden zugänglich sind. Die prächtigste ist die Sidi Otba Moschee, eine der ältesten des Islam . Das Schiff und die gewölbten Kuppeln werden von 500 Marmor- und Porphyr säulen aus den Ruinen Kathagos getragen.( Kairouan wurde im 7. Jahrhundert von den Zerstörern Karthagos gegründet.) Die Moschee enthält einige wundervolle arabische Holzschnigereien, dar unter die arabestengeschmückte Kanzel, von erstaunlicher Feinheit und Zierlichkeit. Am Freitag, dem mohammedanischen Feiertag, finden hier 6000 Gläubige Platz. Vor dem Betsaal liegt der große quadra­tische Hof, der mit weißen Marmorplatten belegt ist unter dem Hof befinden sich die Zisternen der Stadt, um ihn herum führt ein schöner Säulengang zu einem maffigen und dennoch schlanken Turm, dem Minaret.

Noch ein Besuch im Kloster der heulenden Derwische, deren sadistische Vorführungen uns bald verjagen, und wir steigen wieder in unsere Autofars, um langsam durch eins der geschwungenen weißen Stadttore in den sinkenden Abend der Steppe hinauszufahren. V. Hartig.