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Morgenausgabe

Nr. 49

-46. Jahrgang

A 25

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Blid in bie

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Mittwoch

30. Januar 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Friede zwischen Rom   und Vatikan  ! Flüftern und Schweigen.

Abkommen nach 58jährigem Krieg geschlossen.

Genf  , 29. Januar. Der römische Berichterstatter des Journal de Genève veröffentlicht am Dienstag die Einzelheiten des zwischen dem Batikan und der italienischen Regierung am 6. De­zember des Borjahres abgeschlossenen vorläufigen 26. tommens. Die Verhandlungen hierüber sollen eineinhalb Jahre gedauert haben; sie wurden auf seiten des Vatikans von dem Bruder des Muntius Pacelli, auf italienischer Seite von dem Staats­rat Barone geführt. Das Abkommen, das nach den Mitteilungen

des Berichterstatters von beiden Seiten unterzeichnet worden ift, enthält folgende Regelungen:

1. der Batitan erhält ein Territorium, das den päpstlichen Palast in Rom  , den Batikan, sodann die Billa   Doria Pamphile, die Billa   Gabrielli, einen Teil des Gartens auf dem Janikulus und den Bahnhof von St. Peter umfaßt;

2. der Batikan erhält als Entschädigung für die 1870 enteigneten päpstlichen Güter einen einmaligen Betrag von 1. Mil. liarde Lire;

3. der militärische Dienst der auf päpstlichem Gebiet lebenden Italiener wird in einem besonderen Abkommen geregelt;

4. das beim Batikan aftreditierte diplomatische Korps geht auf päpstliches Gebiet über, diejenigen diplomatischen Bertretun gen, die in Rom   verbleiben, verlieren ihren exterritorialen Charakter und gelten als zufällig in Rom   anwesende Diplomaten; 5. Die Beziehungen zwischen dem Papst und dem italienis

schen König werden in der Weise geregelt, daß der italienische  

König dem Papst als erster einen Besuch ab. stattet, worauf der Papst in der Basilita des Lateran eine messe zelebriert, an die anschließend ein Besuch des Papstes beim König im Quirinal   erfolgt.

Dieses Abkommen soll nach den Mitteilungen des Bericht erstatters: nunmehr durch einen Kardinalausschuß geprüft werden, dem der Kardinalstaatssekretär Gaspari sowie der Kardinal Merry del Bal angehören sollen. Sodann soll das Ab­tommen zur endgültigen Zustimmung dem Papst vorgelegt werden. 3m Zusammenhang mit diesen Mitteilungen fann hinzugefügt werden, daß eine derartige endgültige Regelung der Beziehungen zwischen dem Balikan und der italienischen Regierung auch die Frage der Beziehungen des Batifans als unabhängige macht zum Böllerbund aufrollen würde. Ein einfacher Beitritt des Papstes zum Völkerbund kommt naturgemäß nicht in Frage, da der Papst auch im Falle der Erlangung vollständiger Oberhoheit feines. wegs als ein Staaf im Sinne des Bölferbundes aufgefaßt werden tönnte, insbesondere tüme eine Beteiligung des Papstes an den mit der Mitgliedschaft beim Völkerbund verbundenen Ber­pflichtungen bei Sanffionsmaßnahmen(!) unter feinen Umständen in Frage. Es kann ein Abkommen zwischen dem Batikan und der italienischen Regierung als ein internatio. naler Bertrag dem Bölferbund zur Beröffentlichung und Re­giffrierung übermittelt werden und damit international bin­dende Kraft gewinnen.

Rubelfälscheraften verkauft.

Photographiert und nach England gebracht.

Eine aufsehenerregende Angelegenheit, die in die seit| München   wohnte und der bei einem Berhör mit dieser überraschen Jahren in Moabit   geführte Voruntersuchung wegen der riefenhaften Fälschungen von Tscherwonzen ( Goldrubeln) hineinspielt, beschäftigt gegenwärtig die Staatsanwaltschaft I. Es hat sich herausgestellt, daß sämtliche in dieser Sache geführten Strafakten photo. graphiert und nach England verkauft worden

find.

Am 10. November 1927 wurden in Deutschland   eine Anzahl Personen verhaftet, die im Berdacht standen, russische Tscherwonzen gefälscht zu haben, und zwar in einem Maßstabe, wie er bisher in der Geschichte der Banknotenfälschung nur selten vorgekommen ist. Bei dem Bersuch, bei einer Berliner Bank Falsifikate abzusetzen, wurde der Georgier Sabathierasch wilt verhaftet und in schneller Folge eine Reihe deutscher   Mittäter. Man nahm zunächst qn, daß in der Druckerei von Böhle in Frankfurt   nur der Versuch gemacht worden war, die russischen Banknoten zu fälschen, später aber tonnte doch festgestellt werden, daß das Konsortium mit Erfoig Falschdrucke hergestellt hatte, und zwar sollen Ticherwonzen im Be frage von über 80 Millionen Mart gefälscht worden sein. 3m Zusammenhang mit diesen Berhaftungen fonnten dann intereffante politische Zusammenhänge festgestellt werden. Sadathierafchwili mar, wie er selbst zugab, nur ein Organ der in Paris   lebenden nationaldemokratischen georgifchen Regierung, einer Organisation, die vor der Sowjetregierung geflüchtet war und von Baris aus an der Wiederherstellung der Freiheit Georgiens  

arbeitete.

Diele Gruppe unterhielt Beziehungen zu dem Exponenten der englischen Shell- Gruppe, Sir Deferding, und es wurde behauptet. daß der verstorbene General Hoffmann mit Deferding wieder­317 18 holt verhandelt habe.

Bon russischer Seite wurde behauptet, daß die Tscherwonzen fälschungen nur verübt worden seien, um die russische Gold­währung zu erschüttern, und man deufete vorsichtig an, daß dieser Versuch in gewisser Beziehung ein Teil des Kampfes ge= wesen sei, der damals zwischen dem Shell- Konzern und der Sowjetregierung herrschte, die durch ihre Delpolitik die eng­lifche und amerikanische   Ronkurrenz beunruhigte.

den Behauptung herausfam. Er wollte wissen, daß die Photo­graphien nach England gegangen feien, wo man für das Material ein außerordentliches großes Interesse gezeigt habe. Es handelt sich dabei in erster Reihe um die Aussagen des Georgiers Sadathieraschwili, der in einer etwa 50 Schreibmaschinen­seiten umfassenden Schuhschrift sich in äußerst interessanter Weise über die politischen Zusammenhänge der Affäre ausge: lassen hat, wie sie sich ihm darstellen. Sa dathieraschwili hat vom ersten Tage an bestritten, daß er Kriminalverbrecher sei.

Im übrigen geht auf Grund neuen Beweismaterials, das gerade in den letzten Wochen zusammengetragen werden konnte, die Unter­fuchung gegen Sadathierafchwili und Genossen verstärkt weiter. Die Beteiligten waren durch das Amnestiegesetz bereits außer Berfol aung gesetzt worden, doch hat das Kammergericht auf Einspruch des Anklagevertreters den Amnestiebeschluß aufgehoben und die Durch führung des Berfahrens angeordnet.

Artillerieaufstand in Spanien  . Der Diftator berichtet dem ernannten Parlament. Madrid  , 29. Januar. General Primo de Rivera   gab im Nationalrat eine Erklärung über die Aufstandsbewegung ab, die in der vergangenen Nacht in Spanien   hätte zum Ausbruch fommen follen. Diese Bewegung fei überall, außer in der Hauptstadt der Provinz Ciudad Real  , ge­scheitert. Hier habe das 1. Leichte Artillerieregiment offen gemeutert. Außer diesen Nachrichten feien weitere nicht bekannt, doch könne man annehmen, daß im übrigen Spanien   Ruhe herrsche. Strenge Strafen für die Schuldigen wolle man nicht androhen, aber die unerläßlichen Mittel zur rüdfichts losen Unterdrüdung würden durchgeführt. Man werde zwifchen den Soldaten, die man zur Rebellion verleitet habe, und den Urhebern des Aufstandes zu unterscheiden wissen.

Kein Wojewodschaftsrat in DOG.  Gesetzlofer Zustand.

Kaffowik, 29. Januar.

Die Untersuchung in dieser Angelegenheit, die wirtschafts­politisch von sehr großer Bedeutung ist, wurde so geheim geführt, wie faum eine andere. Nur einmal haben die riesigen Aftenbündel In der Finanzfommission des Schlesischen Sejms gab ein Re Berlin   verlassen, als nämlich die Münchener   Staatsangierungsvertreter die Erflärung ab, daß die schlesische Wojewodschaft waltschaft mit den Ermittlungen in der bayerischen   Hauptstadt fidh   zurzeit in einem gefeßlofen 3ust and befinde, well sich befaßt murde. Man hält es an zuständiger Stelle nicht für möglich, daß im Justizministerium, im Auswärtigen Amt  , beim General staatsanwalt oder im Justizpalast selbst die Aften entwendet und photographiert worden sind. Dieser Berdacht ist aber nun von einem als Zeugen vernommenen Mann geäußert worden, der damals in

gegen die Wahl des Wojewodschaftsrates vor etwa zehn Tagen Bro­test eingelegt worden sei. Eine Mitteilung darüber, wer diesen Brotest erhoben hat, ist nicht gemacht worden. Auf Grund dieses Brotestes fann weder der neue noch der alte Wojewodschaftsrat zu sammentreten.

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Wofür vier

Faschistische Lockspitel in den Börsensälen. römische Matter hohe Gefängnisstrafen erhielten. ( Bon unserem Sonderforrespondenten.)

Locarno  , 28. Januar.

Etwas kann man dem Faschismus nicht absprechen: er hat die früher so gesprächigen, lauten und lärmfreudigen Italiener zwei Dinge gelehrt, zu denen sie, seit der erfolgten Einigung, feine Regierung erzogen hatte, nämlich fI ü stern und schweigen. Noch ein Drittes fönnte man hinzu fügen, das sich aber nicht in einem einzigen Zeitwort aus brüden läßt; wir meinen jene langsame vorsichtige Drehung des Kopfes, durch die man sich zu über­zeugen versucht, ob jemand hinter einem steht und horcht. Diese drei Dinge sind dem heutigen Italiener so nötig, wie etwa einem Tiere seine Schußfärbung; wie ein braune Hase im arktischen Schnee verloren wäre, so wär's im heutigen Italien   ein Italiener, der mit lauter Stimme fagte, was er denkt und nicht Umschau hält nach Spigeln. Sobald sich aber das Wild besser schüßt, schärft auch der Jäger seine An­griffsfünfte. Wo der bloße Spigel nicht mehr ausreicht, braucht man den Lock spitzel  .

Der am 23. d. Mts. in Rom   beendete Prozeß gegen die Verbreiter falscher Börsennachrichten" war durchaus nicht ein Prozeß gegen Leute, die ihre Zunge nicht im Baum zu halten wußten. Die vier Börsenmänner, hinter denen der Faschismus die Falle hat zuklappen lassen, ver­standen sich sehr wohl auf Flüstern und Schweigen. Drei von ihnen erklärten, sie hätten keine der ihnen zur Last ge legten Bermutungen ausgesprochen. Weder hatten sie gesagt, daß für die Staatspapiere eine Baisse bevorstünde, noch haben sie die Dauer der Hauffe der Littorenanleihe" in Frage gestellt. All dieser entfeßlichen Verbrechen macht sich fein Italiener mit normalem Verstande schuldig, und nun schon ganz und gar nicht in den heiligen Hallen der Börse, wo jeder weiß, daß es von Polizisten wimmelt.

Einer, ein gewisser De Massimi, hat seine Schand­tat zugegeben. Er war wegen Betruges vorbestraft und hatte also Freunde unter der faschistischen Polizei. Ein solcher Freund" wendet sich an ihn und bittet ihn um Erklärung über die Ursachen einer gewissen Unruhe der Staatspapiere. Er erhält zur Antwort, daß sie durch Gerüchte veranlaßt werden könne. Welche Art Gerüchte?" forscht der mißbegierige Polizist. Und da hat ihm De Maffimi erklärt, daß etwa die Nachricht von einer Amtsenthebung des Generalsekretärs Turati, wenn dieser das führen würde. Bertrauen des ,, Duce" verlöre, zu einer fatastrophalen Baisse Auf diese Worte hindie übrigens die Börse für viel orthodorer halten, als sie ist wurde De Massimi verhaftet.

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Bei der Verhandlung ist kein einziger Belastungszeuge aufgetreten, der nicht Polizeibeamter gewesen wäre. Wohl wollte man die Aussage eines früheren Offiziers gegen die Angeklagten verwenden, aber dieser erklärte mit aller Energie nichts gehört zu haben. Den vier Beschul­digten konnte nichts anderes nachgewiesen werden, als daß sie gelegentlich auf Baisse spekuliert haben. Ver­gebens machten die Verteidiger geltend, daß die Angeklag­ten die ihnen zur Last gelegten Bemerkungen nicht gemacht hatten, daß sie von den Ümstehenden, soweit diese nicht Poli­zisten waren, nicht gehört morden waren; vergebens betonte der Verteidiger von De Massimi, daß im Gespräch mit einem einzigen getane Aeußerungen niemals den. Tatbestand der Verbreitung von Gerüchten" darstellen konnten. Der Staatsanwalt bedauerte zunächst, sich noch nicht auf das brücklich den vorliegenden Fall vorsieht und Strafen von neue faschistische Strafgesetzbuch stüßen zu können, das aus einem bis fünf Jahren androht, nahm dann an, daß die Ber­breitung falscher Nachrichten zu Spekulationszweden vorläge und forderte für den im Greifenalter stehenden Angeklagten Sartori, im Hinblick auf sein Alter und darauf, daß ihm ein für die zwei anderen je zwei Jahre und für de Massimi zwei­Sohn im Kriege gefallen ist ,,, nur" 15 Monate Zuchthaus  , auf 4, 8, 10 und 12 Monate, mit bedingter Verurteilung einhalb und ein Jahr Polizeiaufsicht. Das Gericht erkannte nur für den greisen Sartori.

Keiner der vier Angeklagten gehört zu den großen Finanzleuten, die Einfluß auf die Börse haben. Es sind, wenn nicht ,, fleine Fische", so doch kaum mittelgroße. Die Polizei hatte Auftrag, ein Erempel zu statuieren. Nur Eingeweihte fönnen wissen, ob man die vier Opfer blindlings gewählt hat, oder ob bei ihrer Wahl private Rache eines maßgebenden Funktionärs der Faschistischen   Partei im Spiel war. Man sagt nun, daß nach dem ,, brillanten Coup" die Staatspapiere beffer quotiert würden. Die Angst vor dem 3uchthaus foll den Börsenmaklern und den übrigen Börsenleuten Ber­trauen in die Staatspapiere lehren. Gerade diese Herrschaften verstehen das Flüstern und Schweigen vorzüg lich; in Sachen Vertrauen dürften sie weniger gelehrig sein.