3300000 Arbeitslose.
Gaisons und Konjunktureinflüffe.
Auch in der ersten Hälfte des Januar ist die Zahl der unterffützten Arbeitslofen nicht unerheblich gestiegen. Die besonders große Zunahme der männlichen Unterstützten läßt darauf fchließen, daß ein wesentlicher Teil der Steigerung auf das Daniederliegen der Außenberufe zurückzuführen ist. Daneben machen sich aber auch die Wirkungen der abgleitenden Konjunktur bemerkbar.
Die Zahl der Unterstütten in der Arbeitslosenversicherung belief sich am 15. Januar auf 2029 000 gegenüber 1 702 000 am 31. Dezember 1928. Die Steigerung in diesen 14 Tagen umfaßt also rund 327000 personen( 19 Proz.), und zivar haben die männlichen Hauptunterstützten um 298 000( 21,4 Pro3.), die weiblichen um 29 000( 9 Pro3.) zugenommen. In diesen Ziffern sind die Hauptunterstügten in der Sonderjürsorge bei berufs üblicher Arbeitslosigkeit mit enthalten.
In der risenunterstützung befanden sich im Berichtszeitpunkt rund 138 000 Hauptunterstützungsempfänger, das find 11 000 oder 8,7 Proz. mehr als am 31. Dezember. Bon der Zunahme entfallen rund 9000 Personen oder 8,4 Proz. auf männliche Unterstützte und 2000 oder 10 Pro3. auf weibliche.
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Zu diesen unterstügten muß man die nichtunterstüten Arbeitslosen rechnen, deren Zahl Ende Dezember nach den Ausweisungen der Arbeitsnachweise über 700 000 betrug. Da bei den Außenberufen die Arbeiter mit wechselnder Lohnarbeit, die nicht die notwendigen 26 Wochen Beschäftigung aufweisen, um unterstützungsberech tigt zu sein, start vertreten sind, dürfte die Zahl der Nichtunterstützten seitdem entsprechend gestiegen sein. Will man den vollen Umfang der Arbeitslosigkeit erfassen, dann muß man auch die Kurzarbeit mit berücksichtigen. Bei den freien Gewerkschaften betrug Ende Dezember der Prozentjag der Kurzarbeiter annähernd die Hälfte des Prozentfazes der Arbeitslosen. Aus verschiedenen Gründen dürfte der allgemeine Prozentsatz der Kurzarbeiter etwas niedriger sein. Nimmt man also im Durchschnitt nur ein Biertel statt der Hälfte an und rechnet man für Mitte Januar nur 750 000 Nichtunterstützte, rechnet man außerdem die Kurzarbeiter um in Arbeitslose, indem man sie halbiert, dann tommt man zu folgender Rechnung: 2 029 000 Hauptunterftügungsempfänger, 138 000 Krisenunterstüßte, 750 000 Nichtunterstützte, etwa 750 000 Kurzarbeiter gleich 375 000 Bollarbeitslose, macht zusammen rund 3 300 000 Arbeitslose. Eine Zahl, die nicht leichtgenommen werden darf!.
Der Arbeitsplan des Reichstags.
Kommunistische Beschwerde im Aeltestenrat abgewiesen.
Der völkische verlorene Sohn.
Was, mit Weibern hast du Echlingel dich rumgetrieben? Jungen in deinem Aiter haben so was nicht zu tun, die haben abends hübsch jüdische Friedhöfe schänden zu gehen!"
Die Steuervereinheitlichung.
Zweiter Beratungstag.- Zwischenspiel um Blenkle.
Im Reichstag teilte am Dienstag Präsident 25 be wieder einen neuen Auslieferungsantrag des Gerichts gegen den Abg. Goeb bels ( Nat.- Soz.) megen Beleidigung mit. Ferner machte der Präsident darauf aufmertfam, daß der neue Kommunalpolitische Ausschuß nicht ein geschäftsordnungsmäßiger Ausschuß des Reichstages ist, sondern auch aus Nicht abgeordneten be steht, wie schon der Ausschuß für Leibesübungen.
Zur Geschäftsordnung erhält das Wort
Der Weltestenrat des Reichstages beschloß für Mitt moch die zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Warte standsbeamten und der Handwerksnovelle auf die Tagesordnung zu sehen. Man hofft, bis zum Donnerstag beide Gefeße erledigen zu können. Weiter sollen in dieser Woche noch der litauAbg. Torgler ( Komm.): Borhin ist bei einer Erwerbslosenfundgebung in Neukölln unser Fraktionsmitglied Abg. Blentle ische Handelsvertrag und das Gesez zum Schuße der unverhaftet worden, und zwar von zwei Polizeioffizieren, die ehelichen Kinder beraten werden. Für Sonnabend wird dann offenbar nach der geftrigen Kaisergeburtstagsfeier noch nicht ganz die Ratifizierung des Kellogg - Pattes auf der Tagesordnung ftehen. nuchtern waren.( Bräfident öbe erjucht den Redner, nicht folche Für die nächste Woche ist die Beratung des Arbeits hug.usbrüde zu gebrauchen.) Dieses Vorgehen der Polizet schließt sich. gefeges in Aussicht genommen. würdig bem an, was Präsident Löbe in der vorigen Woche zur Aus, ichließung der Erwerbslosen von der Zuhörertribüne des Reichstages ( lebh. Widerspruch der anderen Parteien) angefangen hat.( Stir mische Schimpfrufe der Kommunisten, andauerndes Läuten der Präsidentengloce.) Wir erheben schärfsten Einspruch gegen der artige Haustnechtsmanieren.( Lärm der Kommunisten, dauerndes Glodenläuten.) Man hat heute im Aeltestenrat von uns eine Mißbilligung des Verhaltens der Demonstranten auf der Reichstags tribüne verlangt( andauerndes Glodenläuten). Wir beantragen( die Ausführungen des Redners gehen im Lärm und unter dem starten Klang der Präsidentenglode vollkommen unter. Schließlich verläßt Torgler die Rednertribüne, indem er dem Präsidenten ein Blatt Papier hinaufreicht).
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Weiter beschäftigte fich der Aeltestenrat mit der Beschwerde der tommunistischen Frattion barüber, daß Bräfident Löbe ihr die ihr sonst zustehenden Tribünenkarten wegen der Vorfälle am Schluß der Donnerstagsfizung mit dem tommunistischen
Sprechchor von der Tribüne entzogen hatte. Der Aeltestenrat beschloß, daß es bei diefer Maßnahme des Präsidenten bleiben soll, folange die fommunistische Frattion nicht erflärt, daß sie solche Zwischenfälle nicht selber herbeiführen und unterftügen will
Der Fall Blenfle.
Am Dienstag mittag gegen 12 Uhr sammelten sich vor dem Arbeitsnachweis in der Thomasstraße in Neukölln Er. werbslose an, die allmählich auf eine Menge von etwa 300 Ber fonen anschwollen und unter Führung des fommunistischen Abgeordneten Blenke eine drohende Haltung einnahmen. Infolgedessen mußte die Polizei gerufen werden, die gegen allzu ungebärdige Elemente mit dem Polizeiknüppel vorgehen mußte. Bier von den lauteften Standalmachern, unter ihnen der Abgeordnete Blentle felber, mußten zwangsgestellt und dem Polizeipräsidium Abt . Ia zugeführt werden, wo man fie nach Feststellung der Personalien und furzer Bernehmung wieder entließ.
Der Geschäftsordnungsausschuß beschäftigte sich während der Plenarsigung mit der Frage der Berhaftung des kommunistischen Abg. Blenkle. Der Ausschuß stellte feft, daß der Abg. Blentle überhaupt nicht verhaftet worden, sondern wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und dem Polizeipräsidium vorgeführt worden ist. Dort ist nach seiner Bernehmung seine Entlassung erfolgt. Das Verfahren wegen Wider standes gegen die Staatsgewalt wird seinen Fortgang nehmen. Damit war die Angelegenheit für den Ausschuß erledigt.
Sozialdemokratische Reichstagsfraktion.
Die Fraktionsfigung der Sozialdemokratischen Partei nahm den Bericht des Reichsfanzlers Müller über seine Verhandlungen mit den Parteiführern, sowie den Bericht des Abg. Dr. Hertz über die Etatsfragen entgegen.
Karl Hildenbrand 65 Jahre.
Bortämpfer und Führer der Partei.
Mit dem 30. Januar vollendet Reichstagsabgeordneter Genoffe Karl Hildenbrand sein 65. Lebensjahr. Der Jubilar erfüllt feine Pflichten als Parlamentarier noch mit der gleichen Frische und Lebhaftigkeit, mit der er fie 1901 im Württembergischen Land tag, 1903 im Reichstag aufgenommen hat. Seine Verdienste als Parteiführer, Parlamentarier und seinerzeit als Gesandter Württem bergs bei der Reichsregierung sind erst vor einigen Monaten, an läßlich seiner 25jährigen Zugehörigkeit zum Reichstag, gewürdigt worden. Wir fönnen uns deshalb für heute damit begnügen, ihm zu seinem Wiegenfeste und für die Zukunft weiteres Glück zu wünschen. Diesen Wunsch verbinden wir mit der Hoffnung, daß Rarf Hildenbrand der Partei und damit der deutschen Arbeiter bemegang noch regt lange in aller Frische erhalten bleibt,
Präsident Löbe: Wenn die Glode ertönt, hat der Redner zu schweigen. Da Abg. Torgler sich daran nicht gehalten hat, mußte ich ihm das Wort entziehen; ein Antrag von ihm war nicht zu verstehen und liegt nicht vor.( Sehr richtig! b. d. Mehrh. Anhalten des Geschrei der Kommunisten.)
Abg. Stöder( Komm.): Der Präsident hat Torgler die Abgabe einer Erflärung vor Eintritt in die Tagesordnung unmöglich ge. macht. Derartige Erklärungen find dugendfach abgegeben worden, ohne vorher dem Präsidenten vorgelegt worden zu sein. Der Antrag Lorgler verlangt, daß der Reichstag die fofortige rei Iassung des Abg. Blentle fordere. Dieser Antrag ist dringlich, er muß heute auf die Tagesordnung gestellt werden, wenn Sie nicht alle bisherigen Gepflogenheiten mit Füßen treten wollen.( Weitere Ausführungen des Redners nach Mißachtung des Glockenzeichens gehen unter.)
Abg. Diffmann( Soz.): Ich bitte den Geschäftsordnungsausschuß, son heute zusammenzutreten. An der Dringlichkeit der Sache tann tein Zweifel bestehen. Wir alle wissen ja, daß ein Abgeordneter auf frischer Tat verhaftet merden fann, daß aber der Reichstag das Recht hat, die Freilassung zu verlangen. Bei der Verhaftung eines Mitgliedes des Reichstages mird fein Reichstags abgeoroneter, wie er politisch auch stehen mag, die Dringlichteit der Angelegenheit bezweifeln. Ich bitte daher, den Geschäfts ordnungsausschuß. noch heute zusammen zu treten.
Präsident Lobe: Wir fönnen nichts anderes tun, als unferen Wunsch dem Ausschuß zu übermitteln. Ich sehe den Borsitzenden des Ausschusses, Abg Graef, nicht im Hause, sobald ich ihn sehe, werbe ich ihm den eben gehörten Bunsch aussprechen
Das Haus trist in die Tagesordnung ein. Das Gesetz über die Wartestandsbeamten wird von der Tagesordnung abgefeßt, da der*** Ausschuß eben erst mit seiner Beratung zu Ende gekommen ist, es wird die
erste Beratung der Steuervereinheitlichungsgesehe
fortgesetzt.
fraktion, die mit dem Entwurf einer einheitlichen Bewertung ein Abg. Nauheim ( 3.) verliest eine Erklärung der Zentrums verstanden ist, die Vereinheitlichung der Realsteuern begrüßt und davon eine Sentung dieser Steuern erhofft. Es muß erwogen merden, wie weit die öffentlichen Betriebe zur Steuer herangezogen werden fönnen. Zur Gebäude- Entschuldungssteuer nötigen Mittel für den Wohnungsbau herauskommen. Die dauernde wird das Zentrum seine Haltung davon abhängig machen, daß die Beibehaltung dieser Steuer lehne das Zentrum ab.
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Abg. Dr. Beder Hessen( D. Bp.): Die sehr scharf flingenden Erklärungen des Dr. Rademacher follten hoffentlich nicht befagen, daß die Deutschnationalen ihre Mitarbeit im AusSchuß überhaupt verweigern wollen, das Steuervereinheitlichungs gesetz ist doch eine alte Forderung auch der Deutschnationalen. Die Deutsche Boltspartei geht an die Arbeit im Ausschuß mit der Abficht, den an fich begrüßenswerten Entwurf möglichst günstig für die deutsche Wirtschaft zu gestalten. In Einzelheiten hat die Bolts partei viele Beanstandungen an dem Entwurf zu machen, vor allem vermißt sie darin die Gewähr für eine Realsteuerfentung Herbeirufung des Reichstanzlers zu beschließen. Bor Abg. Stöder( Komm.) beantragt zur Geschäftsordnung, die der Abstimmung bezweifelt er die Beschlußfähigkeit des Hauses. Es tritt eine furze Pause ein, während der die Signalglocken die Mite glieder herbeirufen, die der Dauerrede Beckers- Hessen entflohen waren. Der Antrag wird dann abgelehnt.
Präsident Löbe: Allen übrigen Mitgliedern des Hauses ist betannt, daß nach§ 85 der Geschäftsordnung Erklärungen vorher dem Präsidenten vorgelegt werden müssen. Das hat Abg. Torgler nicht getan. Allen übrigen Mitgliedern des Hauses ist auch bekannt, daß die Worterteilung zur Geschäftsordnung in das finanz und Dr. Hilferding als Interessenvertreter der deutschen Abg. Höllein( Komm.): Der Fronvogt der internationalen Hoch Belieben des Präsidenten gestellt ist.( Lärm der Komm.) Ich habe Bourgeoisie wollen gemeinsam den Ländern und Gemeinden die dem Abg. Targler mitgeteilt, daß die vom Aeltestenrat beschlossenen Mittel für die soziale Fürsorge entziehen. In unsere FinanzMaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf der Tribüne und Arbeiterangelegenheiten hat Barker Gilbert nichts hineindes Hauses nicht der Besprechung und Genehmigung des Reichstags zureben.( Lebhafte Zustimmung äußerst rechts. Wegen unterliegen, sondern in die Befugnisse des Bräsidenten fallen.( Buchmähender Wendungen gegen den Reichsfinanzminister erhält ber ftimmung der Mehrheit. Rufe der Kommunisten Haustnecht!") Redner einen Ordnungsruf.) Das Ziel der Vorlage ist die Be Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, daß schränkung der Länder- und Gemeindeſteuern, Senfung der Real fbeuern für die rimmersatten Rafftes, Besteuerung der öffentlichen Betriebe.( Den zweiten Ordnungsruf erhält der Redner für den Ausdruck demokratische Gaunerrepublit".)
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in Ihrem Parlament in Rußland viel fürzerer Prozeß gemacht wird.( Große. Heiterfeit und lebhafte Zustimmung.) Wir haben nun den Antrag Stöcker, den Abg. Blenkle sofort aus der Haft zu entlaffen. Die Immunität der Abgeordneten erfährt eine gewiffe Einsdyräntung, wenn ein Abgeordneter bei Begehung eines Verbrechen in flagranti festgenommen wird. Dem Abg. Stöder habe ich das Wort entziehen müssen, da er ungeachtet des Gloden zeichens weitergefprochen hat. Die Ordnung des Haufes muß jedermann respettieren, auch die Kommunisten tönnten sonst das Wort nicht erhalten.
Der Präsident bittet nun, bei der Lage des Falles einen Wider spruch gegen die Aufsetzung des Antrages auf die Tagesordnung zu unterlassen. Es wird auch ein Widerspruch nicht erhoben, fo daß der Antrag auf die Tagesordnung gestellt wird. Antrags an den Geschäftsordnungsausschuß. Abg. Schulz- Bromberg )( Dnat.) beantragt die leberweisung des Abg. Stöder( Romm.)) spricht dagegen und verlangt sofortige Entscheidung im Hause. Die
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Ueberweisung an den Geschäftsordnungsausschus
wird mit den Stimmen fast des ganzen Hauses gegen die Kommunisten beschlossen.( Stürmische Pfui- Rufe der Komm.)
Präsident Löbe bittet den Geschäftsordnungsausfauß, möglichst Ichon morgen zur Beratung diefer Angelegenheit zufammenzutreten
Abg. Dr. Fischer- Köln( Dem.) begrüßt die Vorlage als Schritt zur Steuervereinheitlichung. Das Kompromiß ist allerdings auf dem Rüden der Steuerzahler zustande gekommen. Die Deutschnationalen möchten gern vergessen machen, daß auch die Rechtsregierung auf die Senfung der Realsteuern verzichtet hat, wir wollen die
Senfung als unmittelbare Folge diefes Gesetzes. Notwendig ist ein Steuerhöchst là stengeset. Die Reichs. regierung hätte gleichzeitig mit dem Gebäudesteuergesetz ein Wohmungs- und Bauwirtschaftsprogramm vorlegen sollen. Die Kom pliziertheit des Verwaltungsapparates wird durch diese Borlage eher pergrößert als verfleinert. Man sollte nicht nur die Ber anlagung, sondern auch die Erhebung dem Reich übertragen, Die Weiterberatung wird vertagt auf heute, Mittwoch, 3 Uhr. Borher Warteftandsbeamtengefeß.
Präsident Löbe teilt mit, daß der Abg. Blentle feit 5 Uhr nach mittags wieder im Hause ist und nicht verhaftet, sondern nur poli
zeilich zwangsgestellt war.( Inzwischen hat der Geschäftsordnungsausschuß getagt und der Kommunist Geschte den Frei laffungsantrag als gegenstandslos zurüdgezogen.)
Schluß 6½ Uhr.