Är. 49* 46. Jahrgang
Mittwoch, SV. Januar 492.9
Das Zuchthaus bessert nicht. Die Gonnenburger Belastungszeuge«.
L. R. Soaaenbatg.29. Zammr. Räch dem jmsakionelleu Zeugenaufmorsch der Sonne«. burger Zuchchausiasaffen hat der JJcozetz gegen die angc- schnldiglen Beamten seinen Höhepunkt erreicht. Iri den Personen der Aengen trat einem hier das leibhaftige Anchchaus entgegen: Das also macht es aus den ihm anvertrauten Menschen; so wenig versteht es mit ihnen arrsiftarrgen. Da war z. B- Paasch, der Hauptbelastungszeuge im Prozeß, ein wegen Eirrbruchsdiebstohls vorbestrafter schwerer Junge". Man sah sich einer Persönlichkeit gegenüber, die unter anderen Umständen viel- leicht die berühmt« Führernarur geworden wäre. Sein« ruhig sachlichen Auslastungen, sein malitiöses Lächeln, seine abgerundete Stimme verfehlten nicht den Eindruck der Wahchoitigkeit. Ein gefährlicher Zeuge, dieser Paasch! Und wie natürlich sein« Er- reguirg über die von der Press« aufgebauschte angeblich« Meuterei wäl�rcnd des Transporte» nach Sonnenburg..Was soll mein« krank« Mutter denken, wenn sie das liest? Ei« wartet, daß ich begnadigt werde und nun...* Man versteht, daß dieser Mann der Vertrauensmann de» Oberwachtmeifter» Naumann war und begreift feinen großen Einfluß auf den brutal- kindlichen Mörder Steinbock. Ein Wort von Paasch und e» genügte, daß dieser mit der Zeugnisverweigerung«in Ende macht«. Ja, dieser Steinbock, der dastand mit herausfotderöem Hntertinn und vorstehender Lipp«, troßig und keß die wohlwollen- den Fragen de» menschenfreundlichm Vorst tzenden beantwortet«, um gleich hinterher fast knabenhaft über das ganz« Gesicht zu lachen, wenn ihm irgend etwa» Anlaß dazu bot. Seit sechs Jahren ist der Vierundgwansigjährige im Auchchaufe, sein« Straf « zählt lebenslänglich. Nicht» scheint da» Zuchthaus an seinem Charakter geändert zu halben, gut wenigsten», daß e» ihm nicht seine blühend« Kraft und fein« roten Backen gencmnnen. Vielleicht wäre aus dem Burschen doch noch was zu machen. Neben ihm. der nicht weniger brutal« Hosfmann, der Mörder de» DörfenmaS«rs Friedmann mit blutleerem Gest cht: der mächtige Unterteil de« Schädels in schreiendem Gegensatz zur niedrigen Stirn. Ihm hat da» Zuchthaus bestimmt nichts gegeben. War der Eindruck, den er in der Gerichtsverhandlung machte, ungünstig, so schein«« feine üblen Eigenschaften nun um ein Diele» vermehrt. Au» ganz«nst»er«m Holz« geschnitzt der Zeug« Carow, der im Jahre 1924 wegen Staube» zu acht Jahren Zuchchau» verurteilt wurde. Seine Art zu sprechen und sich zu geben, hat etwa» Bedrückendes, feine tonlo» weiche Stimme und sei» krankhaft graue» Gesicht, da» da» Lache« verlernt haben muß, sprechen von großer Empfindsamkeit und schwerem Erleben. Kürzt man ihm nicht die Strafe, so kürzt da» Zuchthau» ihm da» jung« Leben. Schwer scheint die Gefängnislnst auf die Einbrecher Gränmg und Martz zu wirken. Stimme, Haltung, ihr ganzes Wesen ist, als wären sie nur noch Schemen, nicht Menschen. Die ander« Gruppe von ZoUgen stich ehemalige Sträf- kling«. Das Zuchthlms hat sie dem Leben zurückgegeben. Sang- law nur finden st« sich in ihm zurecht. Da war«irrer au» Frank- furt, der elf Jahr« wegen einer Reihe von Diebstählen während des Kriege» zu verbüßen hatte. I» feinem Gesicht liest man noch die Spuren der Gefängnisjahre. Es ist«in intelligenter, sachlicher Mensch, den da« Zuchthausleben um ihn her wenig berührte. Ein anderer, diu» der Staatsanwalt vorhielt, daß er anstatt«in neue» Lehen zu beginnen, sein« allen Serlnrtnmgcn wieder ausgenommen Hab«—«r hatte einige Sonnenburger Geiängnisbeomt« besucht— vsfenbart« in zwei Sätzen sein« Stellung zum Stromollzug:.Der Beamte ist hier mein Freund." sagt- er..der Beamte soll ja des Gesängen« Fmnid sein." Anders steht der Kommunist F. zu den Beamten. Er hatte für kein«, etwas übrig. Ais er aber hörte, daß der Hauptwochtmeister Naumann, gegen den sich alles ver- ichnjorn, hatte, zusammengebrochen sei, suchte er ihn auf. Der simg« Sachse aus Apolda , der hier wegen Einbruchdiebstahl» saß,
meinte schließlich in feiner temperamentvollen Art, die großen Diode ließ« man laufen, die«einen häng« man..Wenn ich mich hier umsähe, so sind' ich keen'n. der was genoenm'n hat. Di« sitzen hier of den andern Benk'n und erfcht ob'n im Noichswehrminist«- rium und der Herr Benarüz von der Firma Schwarzschild ." Der Bursche hat den Nagel aus den Kops getroffen. » Sonaenbarg. ZK. Januar. Di« Sitzung begann heu« morgen mit einer Sensation. Der Zeuge Steinbock hatte an den der Gerichtsverhandlung als Sachverständigen und Zeugen beiwohnenden Staatsanwatt- schaftsrat Dr. Knvbloch einen schriftlichen Antrag gestellt, in dem er um eine kurze Beratung mit seinen Mitgefangenen bot. Der Bor - sitzende erklärt«, daß dies der Prozeßordnung widerspreche. Darauf überreichte Steinbock ein Schreiben, in dem es u. a. hieß, daß oll« fein« früheren Aussagen erlogen feien, daß er mit keinem Beamten geschoben habe, und daß alle feine Bezichti. gungen nur auf bitteren Haß wegen der ihm von den Beamten geschehenen Mißhaichluna und Ungerechtigkeit zurückzuführen seien. Da ihm die Familien der Angeklagten leid tät-m, habe er de» schloffen, seine Aussag« zu ändern. Steindocks Auslagen werden mm, da«r sich zu äußern weigert, oerlesen. Dann wurde der Nachfolger de» Direktors Lüdeck«. Direktor v. Norman», der jetzige Leiter de, Zuchthaus« Sonnnckmrg. oer> nommen. Er stellte dem Gefangenen Paasch da» denk»
barichlechteste Zeugnis aus. schilder!« an Hand verschiedener Beispiele seinen schlechten, bösartigen Charakter und betont«, daß dieser Gesangen« sowie Steinbock und Sommer zu den schlechtesten Insassen der Anstatt gehörten. Paasch sei besonders gejährlich, weil er immer al» H e tz« r und P u t s ch e r im Hintergrund bleib«..Zum Schutzder Beamten muß ich sagen, daß sie nicht die Schuldigen sind. Di« sitzen ganz wo anders." Zwischen Direktor v. Normann imd dem Vertreter der Ankkige, Staatsanwaitschaftorat Matthias, kam es dmm zu längeren Auseimmdersetzungm Der Anklogeverirenr gab seinem Erstaunen dori/ber Ausdruck, daß gegen Paasch und Grümng damals kerne Strafanzeige wegen Meuterei usw. erstattet worden sei. worauf Direktor v. Nonimnn erwiderte, daß er»ach Lage der Ding« es bei einer disziplinarischen Strafe betasten und daß das Straft Vollzug samt anscheinend seinen Standpunkt geteilt hat-r. Diese Aus- einandersetzungen spitzten sich so zu. daß der Verteidiger. Rechts- amoalt Themal, um Abbruch dieser Dftckuffion bat, weil er sonst gezwungen werde, Staatsanwaltschastsrot Matthias als Zeugen da- für zu benennen, daß man in der Vonmterfuchung immer mir gegen die Beamten, aber nicht gegen die Gefangenei, vorgegangen fei. Auch im weiteren Verlaus der Beweisausnahme traten i» erster Linie die Gefangenen Paasch und Grüniitg ata Belastungszeuge» gegen die Beamten auf, die sowohl die widerrechtlich»« AnÄgrning von Sachen aus dem Attverwertungsbetrieb wie auch— in einem Fall— den von Paasch erhobenen Vorwurf der oersiichtm-Zeugen- beeinfiusseing abstritten. Rur einer von den Aiwektagten, der frühere Hilssauffeher Rettich, war geständig, aus Rat«in- zelne Bekleidungsstück«„englisch gekauft" zu haben. wie nach Paaschs Bekundung der Fachausdruck tautet. In diesen, Zusammenhang verwies der Anklagevertreter auf die Tatsache, daß vor einiger Zeit eine große Meng« von Sachen aus der Altver- Wertung bei einem Sonnenburster Gastwirt beschlagnahmt ward«» ist, die dieser von dem Werkmeister Goossimder gekauft hosten will.
Anträge im Gtadtvarlament.
vi« Stadtverordneten mußten gestern zu einer außerordentlichenSißung zusammentreten, um einige von den Resten aufzuarbeiten, die sich fest Wochen und Monaten ange- sammelt hatten. Sie erledigten diesmal nur Anträge, darunter ein paar, die schon im November vorigen Jahres eingebracht worden waren. Lebhafte Auseinandersetzungen gab e» besonders bei einem Antrag der Kommunisten gegen du» kommende Konkordat zwischen Preußen und der päpstlichen Kurie. ♦ An erster Stelle kam ein Antrag der sozioldemokra« tischen Fraktion zur Verhandlung, der den Magistrat«•sucht, die seit 8 Jahren schwebende Umbeneaaung der Straßen endlich zur Durchführung zu bringen. Genosse Arnberg forderte. daß im Interesse des Verkehrs die Dovpelbenen» nu na der Straßen aufhört. Selbstverständlich versuchten die Vertreter der Recht-rarreien die Sache noch mehr hinaus- zuzögern: sie hatten aber kern Glück, der Antrag wurde an- genommen.— Bei einem Antrag der Kommunisten wegen des Ersatzes der ansgeläslen Semelndeschule in der keibelstraße, machte Stodtverorbneter Menz(KPD .) der Schulverwaltung«wen Borwurf daran», baß sie nicht sofor, ein neue» Schulhau« bau«. Skadllchulrak Genosse Ztydahl betont«, daß in der Nähe der bisherige» Schul « kein geeignete« Grundstück mehr zu finden sei. Es bestand ursprünglich der Plan, die Kinder in einer Waldschule unterzubringen. Gegen diesen gewiß fortschrittlichen Plan hätte sich in«rner Ellernversammluiuz ausgerechnet der Stadtver- ordnete Menz gewandt!(Lebhaftes hört, hört, bei den Soz.) Leider läßt sich aber der Plan nicht verwirklichen, und so ist be- schloffen, die Schüler in geschloffen«» Klassen mit ihren Lehrern in ein« andere Schule überzuführen. Was Herr Menz zu erwidern hatte, war auf der Tribüne unverstävblich. Nicht zu verstehen war auch, was ti zu dem Antrag seiner Parteifreunde wegen des Abschlusses eine» Konkordats zu sagen hotte. Stadtschulrat Tlydahl gab namens de» Magistrat»
die Erklärung ab, daß auf ein« Anfrage beim preußischen Ministerium dieses versprochen habe, sich im gegebenen Falle mit dem Magistrat in Verbindung zu setzen. Soweit bei einem etwaigen Konkordatsabschluß die Berliner Schulen einbezogen werden, wird der Magistrat seine Maßnahmen zu treffen wissen. Genosse Hö dicke meinte, wir wissen nichts über den Inhalt eines Konkord-its oder den Stand der Verhandlungen. Herr Menz scheint hellhöriger zu sein. Die sozialdemokratische preußische Landtag»fraktion ist gegen. ein Konkordat. Die Tage der jetzigen Kirche sind gezählt. Die Stellungnahme der Stadtverordne, enoersommbinq und der Stadt- Verwaltung dürftg ohne Einfluß aus die Emscheidungeu des Landtags sein. Der Stadwerardnete Salhgeber lZ.) fragt? die Kam- mumsten, warum sie die städtischen Körperschaften mit der Knnkar datsangelegenheit behelligen, wo sie doch ihr« Abgeordneten im Landtag« haben. Stadtverordneter Lange(Komm.) wußte nichts Vernünftiges zu sagen und schimpfte deshalb auf die Sozialdemokraten. Nach dem Genoffen Dr. Kawcrou, den Rednern der Demo. traten, der Doltspartei und noch einmal der Kommunisten wurde einem ZusatzantragderSozialdemokraten zugestirimr. der den kommunistischen Proteftantrag dahin ändert, daß gegen seglrche Zugeständnisse an den Klerus und gegen jedes Zurückweichen vor den Förderungen der katholischen Kirche protestiert wird. Die bLegmstchen Parteien enkhielien sich der Stimme. Zu einem Antrag der sozialdemokratischen Frokü»u wegen der Verlegung der SäiießstSade in der Hajenheide sprach Genosse Großmann. Er betont«, daß die Kranken in den benachbarten Krankmlsiiusern durch die Schießerei stark be- löst igt und die Erholungsuchenden sogar durch abirrende Kugeln gcsährdet werden. Auf jeden Fall sollten dl« Schießstöiid« den. nir Erholung bestimmten Termin angegliedert werden. Di« dahingehenden Bestrebungen der Bezirksämter Neukölln und Kreuzberg müßten weitestgehend unterstützt werden. Die Abstiinmung über den Antrag wurde oertagt.— Zu einem Antrag, betreffend die De- st e u e r u n g d e r„Toten Hand", sprach mn Schlich der Sitzung Genosse Dr. Weinberg.
Ropham einec ReaolulioM. Von Gerlta-ri hierztttAH* Mostac „Andre vllleicht!" erwiderte Calw , plötzlich heiser vor ver- haltener Wut.„Wer ich war woll nich mehr jut anjeschriem n sind bei der Herzoglichen!" Wagner blickte gespannt auf.„Aber ich verstehe nicht—_ Den Lohgerber überfiel ein jähes Mitteilungsbedursnis nach den Stunden des Insichhineinschluckens. Er schlug mit der geballten Faust auf das Papier, das neben der Lampe lag. ,L>a, Se känn'n läsn, Harre!" Wagner überflog die geschnörkelte Schrift und lachte laut auf. Es war eine in Vertretung des erkrankten Justiz- minister» vom Präsidenten Kerften selbst unterzeichnete, an Ealm gerichtete Perordnung. die in gewundenem Kanzlei- stil dem Empfänger sein„störrisches und defpektables Ver- halten" gegenüber dem Herzog vorwarf, das„Seine Durch- taucht in Lebensgefahr" gebracht habe, und„dem pp. Calm anbefahl,„künftighin ein Erblicktwerden durch Seine Durch- laucht tunlichst zu vermeiden." „Ungefähr dasselbe hat man mir auch anbefohlen." sagte Wagner, noch immer lachend. � � , Ihnen9" fragte Ealm naiv,„«in Sie denn oo Jude? ..Soviel ich weiß, nicht." Wagners Lachen wurde bitter. „Aber ich scheine Seine Durchlaucht ebenfalls in Lebensgefahr gebracht zu haben." Calm brachte heute keinen Humor auf.„Sie können freilich driwwer lachen, Härre. Sie fahrn nach Dresden , un dann jeht Sie das nischt mehr ane. Awwer ich muß hier bleiben un mich lassen schikanieren..■" Wagner wurde ernst.„0 nein, Herr Calm. Es hing sehr viel für mich davon ab, wie ich dem Herzog gefiele." Calm hatte kaum hingehört, war noch immer nur mit
sich beschäftigt.„Awwer jestraft wärn wird der Härr von Kerften." knurrte er mit gekniffenen Augen und gefaustet aneinander gelegten Händen,„jezählt wern sin feine Tage als Minister, jefchla'n wird er fein von Gott !� Die Maßlosigkeit belustigte und erschreckte Wagner zu- gleich.„Woher wissen Sie das?" „Ich weeß es. Seit hefte. Awwer ob der annere besser is—" „Der andere?" Die erstaunte Frage weckte Calm. Er begriff jäh, wie unvorsichtig er gewesen war diesem Fremden gegenüber. „Na, nischt für unjut, jnädiger Härre... also wäjen de Fahrt nach Halle... es wird"—„wirklich nicht gehen", wollte er sagen, hielt inne— er mußte verhindern, daß der da noch mit Leuren aus der Stadt sprach.„Es wird je woll jshn." Calm wollte hinausgehen, um die Pferde anzuspannen. Aber Wogner hielt ihn zurück. Der Regen draußen war zum Wolkenbruch geworden, zuweilen hörte man Eiskörner prasseln.„Wollen wir nicht abwarten, bis der Regen vor- über ist?" „Meinswäjn," murrte Calm mißtrauisch. Sie setzten sich an den Tisch, lauschten dem tausendfüßig über die Dächer jagenden Regen, schwiegen. Wagner spürt« erst jetzt den scharfen Geruch nach Gerberlohe und Tierfellen, der in der Stube beizte.„Sie haben eine große Gerberei?" fragte er endlich, um nur etwas zu sagen. „Ach nee. Es i« man een kleenes Jeschäft, un de Etei- ern sin hoch un de Zeiten schlecht." „Es wird besser werden, Herr Calm. bald besser werden. Es sind viele Köpfe am Werke, gute und schöne Köpf«, um alles zu änderst." „Wie meenen Se'n das?" Calms Mißtrauen war n,cht gewichen. „Run, in der Paulskirch« in Frankfurt tagt da» deutsche Parlament, und Berlin scheint zu erwachen..." „Dadermit," sagte der Lohgerber schroff,.Dadermit haww' ich nischt nich zu tun." Wagner ergriff die Dekehrungswut des Revolutionärs. Cr beugte sich zu Calm hinüber und fragte scharf:„Und warum nicht, Herr Calm? Soll diese Zeit ewig dauern, in der man Ihnen, dem unbescholtenen Bürger, die Siraßen Ihrer Heimat verbieten kann, weil Sie einem schwachsinnigen
Duodezfürsten nicht passen? Soll es nicht möglich sein, von diesen Herren die Einlösung der Versprechungen zu fordern, die vor dreiunddreißig Jahren gegeben wurden?" Wagners Blick fiel, von Calm weichend, auf den siebenarmigen Leuchter, der auf dem Schranke stand.„Luch Ihrem Volke gegeben wurden, Herr Calm?" „Die hat mer jo injeleest, Härre. Man hat nns rausje- lassen ausn Ghetto und—" „Na und? Ist Ihr Los besser geworden?" „Nee. Aewen dadrumme halte ich nischt von Frankfurt un so. Mit Verfiejungen un Jesetze is nischt nich zu mache» da. Die Gojim — die Christen wollen uns doch nich«—" Er unterbrach sich, winkte sich selbst ab mit flatternder Hand. „Gott hat sein Volk jestraft vor seine Sinden. Ev wird misse» abwarten, bis es Gott wird jefallen, daß annerlch zu mache«. Mir könn'n da nischt zu tun." Wagner fühlte das dumpfe Grübeln dieses Hirns, da» an die Mauer einer düsteren Religiosität stieß. Er sprach hastig weiter:„Aber haben Sie denn gar nicht den Wunsch. dos Leben Ihres Volkes zu ändern, besser zn machen, selbst in die Zügel zu greifen—" „Jche?" Calm zeigte an sich herunter.„Sähn Se wich an. Was bin iche? An kleener, verkrüppelter Jude, bloß zum Auslachen jut. Nee, nee, da ommne, da jehörn hin jrvße Menschen, scheme Menschen, wie de Herzoiin oder där Härr von Trosegk, die mer anreden kann mit Hoheit und Durch- laucht un so—" „Bald wird man niemanden inehr so anreden, Ealm. Und es gibt auch Durchlauchten im Reiche des Geistes. A»f die kommt es an." Calm schwieg und sann dem Wort nach. Er hatte, wie alle körperlich Benachteiligten, Sinn für die große Geste und Sehnsucht danach. Wagner stand auf, trat zum Fenster, ging im Zimmer umher.„Teufel noch mal, was das regnet!—«ie haben hier ein Klavier? Spielen Sie?" „Nee. Meine Frau selig hat jespielt." Wagners Erregung drangt« ihn zum Instrument. Er schlug den Deckel auf.„Stört es Sie oder andere un Hause, wenn ich etwas spiele?" .„Nee," sagte Calm, froh, des Gesprächs enthoben zu fein, „Sarah un die Jesellen schlafen janz obne." (Fortsetzung folgt.).