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Sonnabend 2. Februar 1929 Groß-Äerlin Vf. Auswärts 45 pf.
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poimares große Elsaß-Z�ede. phantastische Behauptungen über„pangermanistische Propaganda".
Paris ,\. Februar.(Eigenbericht.) Poincare bestieg am Freitag wiederum die Kommer- tribün«, um über das Eisab Zu sprechen. Als klar wurde, daß diesmal die-angekündigten Abrechnungen mit den Autonomisten erfolgen sollten, begann die Atmosphäre erhitzt zu werden. Kaum hatte der Ministerpräsident mit seinen Zitaten begonnen, als sich von den Bänken der Elsässer laute Proteste «hoben, die bald die mit Mühe zurückgehaltene Erregung der Kaim mer auf allen Seiten entfachte. Die Elsässer riefen Poincore entgegen, er zitiere falsch, er gebe als von outo- nomistischer Seite stammend aus, was.in Wahrheit in einem Blatt gestanden habe, das in Berlin erscheint. Es entstand eln Tumult, wie ihn die Kammer seit Beginn der nationalen Einheit nicht mehr gesehen hotte. Rur mit groher Mühe gelang es dem Kommerpräsidenten, poincare weiler Ge- hör zu verschassen. Der Ministerpräsident begann seine Erklärungen,<r habe nun wohl klar gezeigt, daß weder die Wirtschaftslage, noch die Schulpolitit der Regierung im Elsaß die autonomistische Bewegung rechtfertigen könne. Das Hebel müsse also ander« Ursachen haben. Die autonomistischen Umtriebe hätten bereits im Oktober ISIS begonnen. Der Kaifet habe besonders dem Boter des Autonomismus, chauß, den Posten eines Unterstaatssekrelärs für Elsaß anvertraut, chouß hob» sogleich eine Erklärung erlasien. (Hier Unterbrach«in Abgeordneter: Sie war gegen Ricklin gerichtet.) Zwei Priester, suhr Poincare unbeirrt fort, hätten ein Manifest zur Rückkehr de» Elsaß zu Frankreich verbreitet. Die Autonomisten hätten auch später ihre Hoffnungen nicht oufge- geben. Im August ISIS habe eine in Diedenhofen «rscheinend« Zeitung geschrieben, dos Elsaß wolle das sranzösische Joch nicht ertragen, das oft noch härter wie das dcutfche sei. (Als der Abg. Walter hier unterbrechen wollte, rief ihm poincare entgegen: Unterbrechen Sie mich nicht, sonst stell« ich Ihnen Fragen, die Sie in Verlegenheit setzen.) Die Klage. die man im Jahre 1919 erhoben Hobe, sei genau so berechtigt, wie die heutige. Im September 1919' hätten die Föderalisten die Gründung einer Elsässischen Republik gefordert eventuell unter fran- zosischem Protektorat. Zahlreiche Propagandaschriften seien durch eine autoaomlstlsche propagandazentrale in Baden-Baden verbreitet worden. Nach den Wahlen vom November, fr« einen vollständigen Sieg der nationalen Kandidaten gebracht hätten, sei der Autonomismus zusammengebrochen. Aber seine Führer hätten den Willen gehabt, mit ihrer Tätigkeit fortzufahren. Im Jahre 1923 sei aus Veranlassung zweier deutscher Per- eine«in« Elsaß-Lothringische Woche in Boden» Baden abgehalten worden Dort habe«in Pfarrer sogar fest- stellen wollen, daß die Kundgebungen der Bevölkerung im Jahr« 1918 von Frankreich bezahlt gewesen seien. Im Jahre 192< seien auf die Erklärungen der neuen Regierung hin wieder mitono- mistisch« Kundgebungen erlassen worden. Poincarö fuhr dann in seinen Zltaken unbeirrt fort. In einer Zeitung Hab« gestanden, die Elsässer müßten die Franzosen mit aller Kraft zurückweisen. Die elsässischen Abgeordnelen protestierten hier immer stärker, bei diesen Artikeln handle es sich lediglich um die Sihuldsrage. P o i nca ri rief ihnen erregt entgegen ob sie diese Artikel etwa oerleugneten. Es entspann sich zwischen dem Ministerpräsidenten und einigen elsässischen Abgeordneten e i n heftiges Wortgefecht, aus dem hervorging, daß der von ihnen zum Beweis der Hetzkampagne der Elsässer zitierte Artikel in Berlin veröfsentlicht worden war, und zwar in einem Blatt, das im Elsaß oerboten war. poincare fuhr fort, eine vom Abbe Haegy im Ottober ISZ'l herausgegebene Zeitschrift habe einen Artikel über die Rückkehr des Elsaß zu Frankreich verösfemlicht. Abg. Waller rief dazwischen, am letzten Dienstag habe der Ministerpräsident einen Artikel un- vollständig zitiert, poincare erwiderte, trotz aller Ab- lentungsmanöver werde er sein« Zitate fortsetzen Es seien merkwürdige Sympathien zwischen Elsässern und deut- schen Autonomisten zu beobachten. In einer anderen Zeitung, der „Zukunft*, ließen sich Beziehungen zwischen den Autonomisten und den Saardeutschen nachweisen. Daher sei die„Zukunft* verdächtigt geworden. Man könne darin u. a. lesen, daß die Elsäsier und Lothringer «ine nationale Minderheit seien und ihr eigene» Leben führen wollten. Gerade, al» die» geschrieben worden sei, Hab« di« R«gierung aber den Elsässern alle nötigen Zusichernngen bezüglich der Aufrechter Haltung de» religiösen Statut» gegeben. Die Autonomist«» sollten also nicht erklären, sie hätten Be- fürchtungen In religiöser Hinsicht.
Der Ministerpräsident besprach weiter di« Neugründung einer autonom! st ischen Zeitung im Jahre 1926 und zitierte aus ihr Artikel. Damals seien Sanktionen gegen den Auto- nomisten Rosse von denen gefordert worden, die heute für ihn eintreten. Alles dies sei aber nur ein Anfang. Eine auf- merksame Lektüre der Autonomistenzeitungen ergebe, daß es sich hier um eine Bewegung Handel«, di« auch in der Bretagne und Korsika Boden gefaßt habe. Die„Zukunft* habe die Autonomie im Rahmen des sranzösischen Staates gefordert, das freie Elsaß solle als Mittler zwischen Frankreich und Deutschland dienen. Er habe, fuhr Poincare fort, von General Bourgeois einen Briet erhalten, in dem auf das Doppelspiel hingewiesen sei, dos der. Abgeordnete Malst er treibe.. Er werde ihn am Dienstag»er- lcscn. Er werde restlos alles Nor legen, damit die Kammer ihm di« Mittel gebe. dieser abscheulichen Kampagne«in Ende zu machen. Die K o m m u n i st i s ch e Partei im Elsaß habe viele Berührung»- punkte mit den Autonomisten. Zur Stützung dieser Behauptung verlaß der Ministerpräsident eine Serie vön Zeitungsausschnitten, u. a. auch von Artikeln des Abg. D a h k e t, in denen gefordert wird, daß die Elsässer ats nationale Minderheit vom Völker» b u n d'betrachtet werden. Der Abg. Grumbach warf ein. daß gerade dersetb« Dahiet in einem im Jahre 1922 erschienenen Artikel ge- schrieben habe, daß Elsaß und Lothringen als Sonderorganismus müsse aufgelöst und neu mit dem sranzösischen Organismus ver- einigt werden. Die französischen Gesetze müßten überall An- Wendung finden, auch wenn die Bevölkerung ihnen feindlich sei. Die Sitzung wurde hieraus um 6 Uhr unterbrochen. Nach einhalbstündiger Sitzungspause nimmt poincare seinen Redefluß wieder auf. Er beschäftigt sich mit den Zusammenhängen die zwischen den elsässischen Autonomisten und den gleichgesinnt«» Kreisen in der Bretagne und in Korsika bestanden. Man habe. die Elsässer glauben gemacht, daß in verschiedenen Teilen Frankreichs Minderheiten lebten, die sich unterdrückt sllhlten, man habe von Frankreich verlangt, daß es diesen angeblichen Minderheiten die gleichen Rechte gib:, di« es selbst für die europäischen Mh»J>erheiten verlangt habe, und in Genf sei aus dem Minderheiten- kongreß sogar«in Franzose aufgestanden, der erklärt hob«, kein einziges Land Eiiropas umfasie derart viel« u n g« e i n t e L o l k» st ä m m« wie gerade Frankreich . Alle die Strömungen hätten natürlich die deutschen Nationalisten nicht ruhig gelassen. Poincarö fährt fort: Der Propagandafonds im Budget de» Deutschen Kelches über- steigt die Summe von 630 Millionen.<?!?) wolle man etwa glauben machen, daß die Vorkämpfer des pangermanismu» Im Ausland bei dieser Verteilung ganz vergessen würden? Nur die deutschen Sozialisten sähen, welche Gefahr für den Frieden die Propaganda für die Ausrechterhaltung des Pan» germanismus im Ausland bedeute. Man könne sich nur schwer vor- stellen, welche Massen von Eist täglich im Elsaß über die öfsent- lich« Meinung ausgeschüttet würden. Im Colmar « r Prozeß habe die Justiz«inschreiten müssen. Es sei dabei formell f e st> gestellt worden, behauptet Poincarö, haß einige der Angeklagten s bedeutende Geldunterstützungen in Deutschland gesucht hätten. Di« französische Regierung Hab« dann trotz aller Schuld, die sich auf den Häuptern der Angeklagten aufgetürmt habe, die Abgeordneten R i ck li n und R o s s ö begnadigt. Man verlang« heute aber noch mehr. Wenn es dein Frieden dient«, würde di« Regie»
puischnachrichten unbestätigi. Woldemaras sitzt auf dem Ministerthron. Die über Warschau nach Berlin gelangten, sehr ins einzelne gehenden Nachrichten über Putsch und Gegen- putsch in Litauen sind bisher noch unbestätigt ge- blieben. Nachrichten darüber, was sich nach der Ent» lassung des Generalstabschefs Plechavizius in Kowuo er» eignet hat, fehlen ebenfalls. Dennoch gespannte Tage? Königsberg, !. Februar.(TU.) Die alarmierende» warschauer Meldungen über wilna , die von einem Miliiärpulsch In Likauen sprechen, best öligen sich nicht. Am Freitag nachmittag war In Kowno noch olle» ruhig. Au» Litauen herüberdringende Gerüchle deuten jedoch darauf hin. daß die Lage gespannt ist. Entgegen den polnischen Meldungen ist der zurückg-iretene Oberst Plechavizius nicht verbatet. aber unter Bewachung gestellt worden. Außerdem soll der Minlsterpräfldent woldemaras die Polizeiwache vor seinem eigenen hause verstärkt hoben.
rung nicht zögern, aber die beiden Begnadigten hätten Frankreich um so wilder angegriffen, so daß eine neue Maß, nahm« der Milde nicht am Platze sei. Kein Volk könne versuche zu seiner Zerstückelung ohne Strafe hinnehmen. Die Regierung müsse die Einheil und Uniellbarkeit Frankreich » verleidigen. Sie veUange daher die nötigen wassea vom parlameni, ohne die sie nicht mehr länger im Amte bleiben würde. Doch nicht nur mit den Mitteln der Repression wolle die Regierung vorgehen, sie wolle vor allem die Beziehungen zwischen den Elsässern und den Franzosen vervielfachen und sie wolle in Stvaßburg«inen großen Rundfunksender gründen. Di« Wiedereinrichtung des Oberkommissariats dagegen fei abzulehnen, denn sie bedeute nichts anderes als die Wiedereinführung jenes künstlichen Gebilde» des„Reichslandes Elsaß-Lothringen *. Ponincare schließt dann mit einer Aufzählung oller großen patriotischen Tage, die das Elsaß seit der großen Revolution mitgemacht hat und mit einem pathetischen Appell an die 1109 99 Tote des Weltkrieges, di« nicht umsonst(ststorbeti seien. Die gesamte Sammer bereitet ihm miaukenlange Ovationen. Alle Abgeordneten erheben sich, nur die Elsässer bleiben«roh wütender proleste demonstrativ sitzen! • Ein rhetorischer Triumph ist nicht immer ein politischer Erfolg. Dir höchste Erfolg ist dem sranzösischen Minister- Präsidenten gestern versagt geblieben, er hat eine Demon- stration verursacht, die das Bild nicht der Einigkeit, sondern einer klaffenden Spaltung zurückläßt. Wir sind weit davon entfernt, uns dieser Bilder zu freuen, wir bedauern viel- mehr, daß es geboten wurde, denn es kann zu falschen Deu - tungen Anlaß geben. Ihnen gegenüber muß wieder einmal festgestellt werden, daß es keine Strömung im elsässischen Volke gibt, die eine Trennung von Frankreich will. Was Herr Poincare über die Propagandafonds des Deutschen Reiches gesagt hat, ist p h a n t a st i s ch und hat mit der Wirklichkeit n ckts zu tun. Es ist wiederum tief zu bedauern, daß der französische Ministerpräsident durch solche phantastische Behauptungen das Mißtrauen gegen den Nachbar und Locarno -Partner nährt. Der Colmarer Prozeß hat trotz angestrengter Nachforschungen nicht den leisesten B'weis dafür erbracht, daß sich eine amtliche deutsche oder überhaupt eine deutsche Stelle durch Geldzuwendungen in innere Angelegenheiten Frankreichs eingemischt hat. Daß die deutsche Sozialdemokratie eine solche Einmischung nicht zu dulden gewillt wäre, hat Herr Poincar6 selbst gesagt. Aber er kann von ihr nicht oerlangen, daß sie etwas bekämpft, was nicht existiert. Sie aber kann von Herrn Poinca«! oerlangen, daß er das, was er behauptet, endlich einmal auch b e w e i st.
Versuch einer Entwirrung. Ein Beitrag zur Wehrdebaite. Von Dnul l,vvl Wenn ich von dem Angebot des Genossen Stampfer, das Meinige zu seinem Aufsatz„Wehrwirrwarr" zu sagen. Gebrauch mache, bin ich mir der Schwierigkeit bewußt, auf engstem Raum eine der Gedankenrichtung des Genossen Stampfer völlig entgegengesetzte in Worte zu kleiden. Ich will es damit versuchen, kritisch zur Kritik des Genossen Stampfer am Wehrprogrammentwurf des„Klassenkampfes* mich zu äußern. Erstens vermißt Genosse Stampfer eine scharfe Scheidung zwischen„bürgerlichem Staat* und„sozialistischer Gesell» schaft", von der übrigens ich— im Gegensatz zum Genossen Stamvf.'r— nicht der Meinung bin, daß sie zu ihrem Leben des Staates bedürfe. Auch Marx und Engels waren wohl nicht ganz der Meinung des Genossen Stampfer. Rich- tig ist: eine Bretterwand zwischen„bürgerlichem Staat" und „sozialistischem Staat" gibt es nicht. Das hat auch noch nie« mand behauptet. Auch Lenin sagt einmal:„Die Arbeiter» tlasse ist n'cht von der bürgerlichen Gesellschaft durch eine chinesi'che Mauer abgeschlossen und wenn eine Revolution ausbricht, verläuft die Sache nicht so wie beim Tode einer Einzelperson, wo man den Toten hinausträgt. Wenn eine alte G.'sellschaft zugrunde geht, kann man nicht den Leichnam in einen Sarg legen, zunageln und in ein Grab verscharren.* Aber dieser scharfen Unterscheidung bedarf es auch nicht dann, wenn im Kampf der Klassen sich jede ihre Forderungen oder Interessen auf das schärfste zuspitzt, wie gemeinhin in Revo» lutionen geschieht. Dann merkt man an der Entscheidung über diese Interessen sehr rasch, wer„herrschende Klasse* ist.