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Betlage

Dienstag, 5. Februar 1929

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärt

Die Freiwilligen des Jahres II

Die französische Republik schafft sich ihr Heer

Auch in dem gemeinen Soldaten der französischen | Verjagung des Feindes vom Territorium Frankreichs sich alle! Republit lebten die Gefühle der Baterlandsliebe und der persönlichen Ehre.

Daniels, Geschichte des Kriegswesens.

Da die Erörterung des Wehrprogramms in der deutschen Sozialdemokratie die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Volk und Wehrverfassung lenkt, bietet ein Rückblick auf die Truppe, mit der zuerst der moderne Boltsheergedanke Wirklichkeit ward, des Anregenden gemug: das sind

die Freiwilligen des Jahres II

der französischen Republit, das von September 1793 bis September 1794 reichte. Läßt eine gewisse Bunte- Bilderbogen- Legende diese ,, Volontaires de l'an II" in Holzschuhen und nur mit Biden bewaff­net die Parade- und Kasernenheere des alten Europa zu Paaren treiben, so hat auf der anderen Seite ihr Ruhm immer wieder den Einspruch nicht nur von Kommißtöpfen wachgerufen. Schon Na poleon I. schrieb die Erfolge dieser Jahre nicht den Neuausgehobe­nen zu, sondern den Mannschaften des alten Heeres und den ver­abschiedeten Militärs, die die Revolution an die Grenzen geworfen habe, und ein Historiker wie Camille Rousset sah in den Frei­willigen nur Zerstörer der vom Königtum der Revolution vermachten militärischen lleberlieferung; sein Ariom, in dem sich das Troutier­tum seiner Zeit, des zweiten Kaiserreichs, spiegelte, lautete: Nichts tommt selbst für den Verteidigungskrieg einem stehenden und regu­lären Heere gleich!" Aehnlich führten andere reaktionäre Militär­schriftsteller die Siege der Republik einzig auf

das Erbe der alten Armee

zurüd, das sich die Freiwilligen allmählich angeeignet hätten! Bei Ausbruch der Revolution war diese Armee, bestehend aus ben königlichen Haustruppen, dem stehenden Heer, der Gendarmerie und Küstenwache und einer Art Provinzialmiliz, der Zahl nach - rund 270 000 Mann!

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die imposantefte Wehrmacht des Erdfeils.

Ihr Kern, die 102 Infanterie, 62 Ravallerie- und 7 Artillerie regimenter des stehenden Heeres, setzte sich aus gemorbenen Söldnern zusammen; fennzeichnend genug zählte das Fußvolt nicht meniger als 23 Fremdenregimenter, darunter acht deutsche! So wenig diese Soldknechte zur Blüte der Nation gehörten, so hatten fie doch mehr Ehrgefühl als die Grenadiere des Fridericus Re teg, denn als nach dem Siebenjährigen Kriege der Kriegsminister St. Germain nach preußischem Muster das Fuchteln mit der blanken Klinge einzuführen strebte, stieß dieser Versuch, die Zucht durch Prügel zu heben, bei Offiziertorps und Mannschaft auf ein­mütigen Widerstand. Vor dieser Truppe machten auch die Ideen, die das Jahr 1789 in den Köpfen vorbereitete, nicht halt. Die

innere

Jerfehung des Heeres war die Borbedingung für den Erfolg der Revolution.

Wenn", sagt Albert Mathiez , seit dem Tod Alphonse Au= lards der berufenfte Historiker der Großen Revolution, die fönig­liche Armee den alten Geist passiven Gehorsams und unbedingter Ergebenheit ihren Chefs gegenüber bewahrt hätte, wäre die Revo­lution unmöglich gewesen." So aber war es ein Sinnbild, daß am 14. Juli 1789 Leute des berühmten Regiments Gardes Françaises die Geschütze richteten, die die Bastille zur Uebergabe zwangen. Folgerichtig begann schon in den ersten Abschnitten der Revo­lution das alte Heer auseinanderzufallen. Die Mannschaft fündigte vielfach den Gehorsam, und die Offiziere, durch die Bank stramm royalistisch gesinnt, schlugen sich seitmärts in die Büsche. Namentlich als im Juni 1791 die hochverräterische Flucht Ludwigs XVI. ins Ausland aufgehalten worden war, fehrten auf einen Schlag 2000 Offiziere, ehe fie den neuen Machthabern den vorgeschriebenen Treueid leisteten, dem Heer den Rüden, und später gingen jogar ganze feudale oder fremde Kavallerieregimenter wie Royal- Allemand und Sachsen und Berchiny- Husaren über die Grenze. Da zugleich die Drohung eines gegenrevolutionären Kreuzzugs der alten Mächte Europas als finstere Wetterwolte über dem revolutionären Frank­ reich hing, war es die verzweifelt schwierige Aufgabe der neuen Gewalten,

das Heer zu reorganisieren,

bamit es wieder schlagfräftig werde,

und zugleich zu demofrafisieren,

bamit es nicht zur Waffe der Gegenrevolution werde. Aber wie sich der Uebergang von der Monarchie zur Republit nur Schritt für Schritt und nicht planmäßig, sondern unter dem Drud der Ereig nisse vollzog, so wandelte sich auch die alte in die neue Heeres: verfassung nur allmählich und unter der Pressung der Not. Zwar stand schon in der Nationalversammlung von 1789 in der Sigung des 12. Dezember der Abgeordnete von Bitry- la- François, Du bois Crancé, auf und verfocht in hieb- und stichfester Rede den Gedanken, daß

jeder Bürger Soldat und jeder Soldat Bürger sein müsse, wenn Frankreich vor der Vernichtung bewahrt bleiben solle; mit der Forderung: Sobald das Baterland in Gefahr ist, muß jedermann bereit sein, zu marschieren!" wurde er recht eigent­lich zum Vater der allgemeinen Wehrpflicht. Aber der Bourgeoisie graute vor der Aussicht, ihre Söhne der Rajerne zu überantworten, und das Parlament entschied sich für Beibehaltung der Werbung. Neben dem stehenden Heer aber hatte auch die Revolution ihre für den Dienst im Innern jederzeit aufzubietende die Nationalgarde,

Armee:

auf die in der Stunde der Bedrängnis die Konstituante zurüdgriff: nach der Flucht des Königs verfügte sie die Aushebung von 100 000 Freiwilligen, die aus der Nationalgarde zu ent­nehmen seien, 169 Bataillone bilden sollten und zur Keimzelle der neuen Armee wurden. Als sich die Republik gegen die Koalition ter Feudalmächte auf Tod und Leben zu mehren hatte, dekretierte in Februar 1793 der Konvent die Aushebung von abermals 300 000 Mann und bestimmte im Auguft des gleichen Jahres, daß bis zur

Franzosen dem Heeresdienst zur Verfügung zu halten hätten. Das war die ,, levée en masse",

das berühmte Maffenaufgebot, Dubois Crancés allgemeine Wehrpflicht, die die Streitkräfte der Republik rasch bis auf über eine halbe Million Mann der Republik rasch bis auf über eine halbe Million Mann brachte.

Da die Revolution von dem Bürgertum getragen wurde, mar auch die Armee der Revolution, wie sie fich 1789 gebildet hatte, eine Armee des Bürgertums:

die von einer gewissen Steuerleistung abhängige Wahlfähigkeit war Voraussetzung für den Eintritt in die Nationalgarde; auch daß der Gardist sich selbst zu fleiden und auszurüsten hatte, schloß Habenichtse parzellierten Nationalgütern Besizer geworden waren, entsprach denn aus. Neben den neuen Freibauern, die durch Zuteilung von vor allem das Kleinbürgertum dem ersten Aufruf zur Stellung von Freiwilligen. Obwohl es jenseits des rein Idealen manche Anreize gab, höheren Sold und mildere Zucht als in der Linie, Verpflichtung Offizier gewählt zu werden, erkennt doch gerade Jean Jaurès an, nur für einen Feldzug und die Möglichkeit, von der Kompagnie zum daß patriotische Hingabe diese Schichten, da sie sich für die eigene daß patriotische Hingabe diese Schichten, da sie sich für die eigene Privileg der Bejizbürger durchbrochen; die Losung: Das Baterland in Sache schlagen sollten, zu den Waffen trieb. Aber rasch wurde das

Gefahr! brachte

auch das Proletariat

auf die Beine. Wenn man sie nicht zurüdwies und vermögende Patrioten für ihre Ausrüstung auffamen, rückten Arbeiter auch schnell zu Führern auf; ein Marseiller Bataillon zählte unter seinen Offi­zieren je einen Maurer, Schloffer, Schreiner, Zimmermann, Schuster, Küfer, Schneider, Maschinisten und zwei Lastträger. Als vollends der August 1792 mit dem Ende des Königtums das allgemeine Wahlrecht und die Niederlegung der letzten Feudalrechte brachte, hatten alle Proletarier in Stadt und Land ein Vaterland zu ver­teidigen; Proletariermassen waren es, die hinter der Trifolore, die Marseillaise auf den Lippen, gegen das Europa von vorgestern ins

Feld rückten.

Bei Valmy sah Goethe die ersten dieser Freiwilligen im Feuer, an dem Septembertag 1792, an dessen Abend er den weichen­den Preußen prophezeite:

,, Von hier und heute beginnt eine neue Epoche der Wellgeschichte, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!" Und wenige Wochen später schlugen sie bei Jemappes die gedrillten Desterreicher in die Flucht. Wohl fehlte es auch in ihren Reihen nicht an Rück­schlägen, an Paniken, an Fahnenflucht und der Neigung, zur Feld­bestellung nach Hause zu gehen, aber als im Winter 1793 Carnots Heeresreform überall Freiwillige und Formationen der alten Armee zusammenwarf, geschah es mindestens ebenso sehr, um die Linie durch den hochgemuten Bürgersinn der Frei­willigen durch die überlieferte Zucht und Gehorsamspflicht der Linie willigen zu republikanisieren und zu nationalisieren, als um die Frei­zu disziplinieren. Durch diese Verschmelzung entstand

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die neue Armee,

die dank ihrer Zahl und einer fieberhaft betriebenen Rüstung, aber weit mehr als erstes großes Boltsheer der Geschichte durch die helle Flamme ihres Patriotismus und die sich aus ihm ergebende neue Tattit und Strategie gewaltigen Schicksalsmächten die Stirn bot. An den Grenzen der Feind in Gestalt österreichischer, englischer, preußischer, piemontesischer, spanischer Heere, innerhalb der Grenzen der Feind in Gestalt von 63 aufrührerischen Departements, äußerer Krieg und Bürgerkrieg zugleich, und doch behauptete sich die Re­ publik dant der gründlich demokratisierten Armee! Ja, es war wirklich etwas ganz Neues: Soldaten, die nicht ins Gefecht geprügelt werden mußten, sondern im Bewußtsein ihrer Pflicht freiwillig mit Todesverachtung vorgingen, Generale, die keine greisen Gamaschenknöpfe, sondern junge Feuerköpfe waren, und als oberste Behörde, die diese Bataillone aus dem Boden gestampit, mit Waffen versehen und auf die Bahn der Siege geschickt hatte, eine Kommission von Kriegsgegnern und Militärfeinden. Unter den zwölf Mitgliedern des Großen Wohlfahrtsausschusses, der Frankreich im Jahre II rettete," sagt Mathiez , gab es nicht einen einzigen, der aus seinen antimilitaristischen Gefühlen ein Hehl gemacht hätte!" Hermann Wendel .

Reise nach Venedig

Der Brenner war in der dritten Morgenstunde erreicht, die Paßkontrolle war bald überstanden, und als der frühe Morgen fam, zeigte er das wilde Tal der Eysack und hohe, fahle Berge. Auf einem Bergriegel schimmerten die weißen Mauern des Klosters Säben. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Die Eisenbahn donnerte, und die Brücken legten sich leicht über den rauschenden Gesang des schäumenden Flusses. Steile Porphyrmände glühten. Das Licht stürzte über die Berge, und dann tam die Stadt Bozen und entfaltete fich lieblich wie eine junge Frau inmitten großer Schönheit und Abenteuer.

Die Schönheit: die Landschaft. Das Abenteuer: die faschistische Diftatur. Auf dem Bahnhof sieht man überall das römische Ruten­bündel und das blanke Henterbeil. Viele grünweißrote Fahnen weben. Im Zug fährt ein bewaffneter Faschist mit, und an unserem Abteil wandert ein junger Offizier mit taltem, hochmütigem Gesicht Wir fahren in den blühenden Morgen hinein. Jetzt vorüber. wird in Südtirol die Schulstunde beginnen. Die deutschen Kinder müffen italienisch sprechen und Mussolini mit ins Gebet einschließen. Die Lehrer dürfen nur mit der theatralischen Gebärde des aus geftredten Armes grüßen. Auf den südlichen Fieberinseln bei Si­ zilien schmachten viele Verbannte.

Die Eyjack ist schon lange in die Etsch gemündet. Das blaue Massiv des Mendels ist versunken. Hinter der Salurner Klause beginnt das italienische Sprachgebiet. Die rund 160 Kilometer Fahrt vom Brenner war Reise durch altes, deutsches Kulturland, über dem, wie über ganz Italien , heute die schwarzen Schauer der Bedrückung wehen. Aber immer noch blühen die Berge, immer noch schwellen die Weingärten. Die ersten 3npressen schießen steil ins Licht. Bald tommt Trentino , die weiße Stadt mit den römischen Ruinen und den pompösen. Palästen.

Das Tal der Etsch wird weit und breit. Rovereto zeigt sich und seine schwarzen Fabriken. Die brandigen Narben des Welt­trieges werden sichtbar, man sieht Trümmerhaufen und Schützen gräben, halbzerstörte Dörfer und Gehöfte. Durch das Land und über die Berge ging die österreichisch- italienische Front und donnerte Der Anblick der Trümmer ist wie der und blutete vier Jahre. Bald

Anblick einer gräßlichen Wunde in einem schönen Gesicht. ist der Schrecken hinter uns, wir fahren im Engpaß von Verona , der nur der Etsch , der Eisenbahn und der Straße Raum zum Durchbruch gibt. Hinter dem vielverschlungenen Felsentor stürzt wie aus einem Füllhorn die Schönheit: wir fahren durch die Landschaft Balolicella, die durch ihre Marmorbrüche und Weingärten berühmt ist.

Ja, wir sehen endlose Beingärten und sanfte Hügel, auf denen weiße Villen schimmern. Die Lessiner Berge bauen ihre flammenden Badenmauern, die Hügel von Verona erheben sich, und an den Füßen aller Berge und Hügel liegt die alte Stadt selbst, in die Shakespeare das Schicksal einer großen Liebe stellte. Aber man sieht nur graue Festungsanlagen, die zwei schmutzigen Bahnhöfe, ferne Türme und die Mitspieler im neuen italienischen Trauerspiel: fa­schistische Wachtposten.

Von Verona aus fährt man in zwei guten Stunden mit dem Schnellzug nach Venedig und mündet, nachdem man die Voralpen durchquert hat, in die reiche venezianische Ebene ein. Die blauen Täler der Lessiner Berge suchen das Tiefland, links und rechts der Strecke bauen sich vulkanische Hügel auf, man sieht alte Türme, Ruinen und Schlösser, weiße Dörfer und eine ferne kleine Stadt. Bald tommt Vicenza und dann die Stadt Padua . Das Land rings­um ist antifer Boden und Kampfplag vieler Bölker und Geschlechter gewesen. Biele Kriege gingen brüllend durch die Jahrhunderte. Die l'fruchtbare Erde hat viel Menschenblut getrunken. Die Felder, auf

denen Mais, Reis und Wein gedeiht, sind heute wohlgepflegte Gärten. Aber bald endet die Pracht, Rauch schwärzt den Himmel an. Mestre ist erreicht, die alte Stadt Mestre , die auch einmal von Atilla zerstört wurde und nun wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und Handelsplatz iſt. Das feste Land wird von Sumpf und Wasser gefressen. Kleine zer­fetzte Inselchen stehen in der blauen Flut. In die Flut stößt der mächtige Damm der Eisenbahn, links und rechts von den schwarzen Adersträngen elektrischer Lichtleitungen begleitet. Dann tauchen die fostbaren Schattenrisse Benedigs auf. tostbaren Schattenrisse Benedigs auf. Ein Fischerboot mit ocker­gelben, lichttriefenden Segeln schwimmt über das Wasser. Ueberall strömt das Licht, bis der häßliche Bahnhof alles auslöscht. Der Bahnhof ist, wie viele Bahnhöfe in der Welt, nur ein Tor, durch das man gehen muß. Und wir gehen durch das schwarze Tor, durchbrechen die schreiende Mauer der Portiers und Schlepper, die für ihre Hotels werben, und stehen vor dem Canal Grande . Von den Wänden der kleinen Kirche links am Bahnhof blickt das finstere Schauspielergesicht des Renegaten Mussolini .

Der Reisende aus dem Schnellzug war vor fünfzehn Jahren schon einmal in Benedig gewesen, da war er ein junger Landstreicher und mußte nach sechs Stunden schon weiter. Diese sechs Stunden hatten sein Blut viele Jahre verzaubert, und das Bild, das sich heute entfaltete, stimmte mit dem Bilde seiner Erinnerung nicht mehr überein. Ja, das war schon die alte Stadt mit den 119 Inseln und Inselchen, das waren schon die berühmten Paläste, aber als er mit der Gondel einen unberühmten Kanal befuhr, zu dessen Seiten die nackten Ziegelmauern unberühmter Häuser emporwuchsen, da wußte er, daß er damals nur eine Seite der Stadt gesehen hatte, die Lichtseite. Auch das mar Benedig: die baufälligen Häuser, die schmutzigen Kanäle, die dunklen Gassen, die wachsbleichen Kinder, die Arbeitslosen, also: der Schatten hinter dem Licht, die Tränen hinter dem Gelächter. Und als die Gondel die stillen Gewässer ver­ließ und in gelinder Schleife am Canal Grande bei der Terrasse eines Hotels anlegte, da kam der Rausch der frühen Jahre wieder, aber vielleicht war es nur das Triumphgefühl: einmal im Licht zu

leben am Canal Grande des Lebens

Der Canal Grande ist nur eine der vielen Wasseradern, die Ve­ nedig durchkreuzen. Hier gibt es teine Wagen, Autos und Pferde, auf den Kanälen braust Tumult der Arbeit, kleine Dampfer fahren, schwarze Gondeln gleiten dahin, schmere Laftkähne schwimmen tief in der Flut. Der Reisende verließ das Hotel und streifte durch die Stadt. Er kam nach dem Markusplatz, bestaunte die Markuskirche und den Dogenpalast, der so schön ist, daß er manchmal wie eine Imitation seiner selbst aussieht. Dann ließ er sich blenden von der Piazetta, aber bald verließ er den Platz, fam an die Seufzerbrücke ( die Tränen hinter dem Gelächter) und wanderte über die Riva degli Schiavoni, an der die Schiffe nach dem Lido anlegen, zur Via

Garibaldi.

Auf dem Marktplatz schwärmten die Fremden, auf dem Markus­play flatterten die Tauben, auf der Via Garibaldi strömte das Boll, geisterten die Fledermäufe. Die ersten Lichter brannten schon. Ein Kino war zu sehen, dessen Eingang ein altes, firchliches Portal war. In diesem Kino warb Amerika mit aller Macht für sein Weltbild und Schönheitsideal. Auch das war Venedig , und das neue Gesicht sah der Fremde noch viele Male. Auf dem Lido tanzten und sangen die Neger. Viele Glasfabriken der Insel Murano lagen still. Ueber­all in den schmutzigen Vorstädten sah man die Schatten hinter dem Licht. Und als unser Freund an jenem ersten Abend heimging, stieß er an der Sestri di Castelli auf eine Menschenansammlung, die einem Lautsprecher zuhörte. Die Technik triumphiert über die alten Paläste. Paris war in jener Gasse zu hören und dann hymnische Mujit aus Berlin . Max Barthel .