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Nr. 6946. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag. 10. Februar 1929

Unsere Filmexpedition

Die zähe, zielbewußte Arbeit der Sozialdemofrafie auf dem Gebiete der kommunalpolitit und der Wohl­fahrtspflege im Filmbild festzuhalten, war der Zwed einer Aufnahmereise, die durch ganz Deutschland   führte. Berlin   war der Ausgangspunkt.

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-durchs Riefengebirge in die Sächsische Schweiz  , nach Thüringen  , über Nürnberg   und München   durch das Allgäu zum Bodensee  , durch den Schwarzwald   an den Rhein  , durch das rheinische Industriegebiet nach Hamburg  , durch Schleswig- Holstein   bis an die dänische Grenze und zurück durch die Lüneburger Heide  - das war die Reiseroute, die vor uns lag. Würde unser Raketenauto durchhalten? Das war unsere zweite bange Frage.

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Der erste Arbeitstag

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entschädigte für die Strapazen der Reise. Kaum hatten die Genossen die Ankunft der Filmleute erfahren, streckten sich uns überall hilf­reiche Hände entgegen. Herrlicher Sonnenschein begünstigte die Außenaufnahmen in einem Erholungsheim für Pro letariertinder. von der Arbeiterwohlfahrt geschaffen. Die Jungen und Mädel gerieten außer Rand und Band: Wir werden gefilmt...!" Einen Hohlwangigen, mit tiefliegenden Augen frage ich, ihm die Bonbontüte hinhaltend: Wo bist du her?- Aus Walden­ burg  ! Was ist dein Bater? Grubenarbeiter. Es galt noch das Innere des vorbildlichen Heimes festzuhalten. Während der Regisseur und Operateur die Außenaufnahmen drehen, haben die Beleuchtungstechniker die Lampen aufmontiert. Der Ruf, Licht!" ertönt und ein begeistertes Aah!" tommt von allen Rinderlippen, als hätten wir ihnen den schönsten Weihnachtsbaum angezündet. Ludwig- Frank- Heim bei Triberg   im Schwarzwald  Der Raum erstrahlt in Uebertagshelle. Die Kinder sind die Schau­spieler. Bir achten streng darauf, daß sie fich in gewohnter Weise in den Räumen bewegen, damit wir flare und ungestellte Bilder vom Tun und Treiben in diesem Heim mit nach Hause bringen. Licht aus!" ist der Ruf, der anzeigt, daß die Arbeit beendet ist. Eine stärkende Mahlzeit aus der Mustertüche inzwischen ist es Abend geworden, wir besteigen unseren Karren und fahren wieder durch die Nacht.

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Die Weltstadt mit ihrem Riesenverkehr Straßenbahn, Auto­bus, Untergrundbahn, Stadtbahn! Der sozialdemokratische Verkehrs­stadtrat brachte alle Beförderungsmittel unter einen Hut und schuf den 20 Pfennig- Einheitstarif. Im Film zu zeigen, wie dadurch den schaffenden Menschen der Großstadt der oft weite Weg zur Arbeit erleichtert und verbilligt wird, war der erste Gegenstand unserer Arbeit. Mutig stürzten wir uns in die brandenden Wogen; immer waren wir da, wo es Berlin   gerade am eiligsten hatte. Tage­lang ließen wir uns von den Verkehrsfluten hin und her tragen, bis alles eingefangen war, was dem Kurbelmann wichtig erschien. Dann drückte man uns ein erstaunlich umfangreiches Adressen material in die Hand: Empfehlungen an parteigenössische Staats­und Kommunalbeamte, Landräte, Bürgermeister und Stadträte, Senatoren und Beigeordnete in allen Ländern des Reiches. Mit einem Auto, das vor 25 Jahren seinen letzten Schönheitspreis erhalten haben mochte, rollten wir ab. Ringsherum war der Wagen mit Risten von aufsehenerregendem Umfang behängt, in denen Jupiterlampen verstaut waren. Das gab dem Behitel die schnittige" Form. Unter der in vielen kleinen Koffern verteilten Apparatur hatten sich die Teilnehmer der Expedition im Innern des Wagens verkrochen. Die vornehmste Unterhaltung während der Fahrt be Großzügigkeit, durch die Initiative eines sozialdemokratischen Bürger­stand darin, in jeder Kurve die schwankenden Gepäckstücke mit Händen und Füßen von sich zu halten. Ein sinnvolles Gesellschaftsspiel. Bald meisters dieser kleinsten Stadt geschaffen. In Celle   hat sich die Ar­beiterschaft ein großes, zweistödiges Sportheim errichtet. Nach fandte man jedem vorüberfahrenden Eisenbahnzug neidische Blicke nach. Der Reihe nach gab es Außendienst; das bedeutete, mit der Feierabend und an Sonntagen, wochenlang oft bis in die späte Nacht Landkarte in der Hand neben dem Chauffeur sizen und von Zeit hinein, stellten sich die Genossen, Bauhandwerker und andere frei­willig und ohne Entlohnung zur Arbeit, um ihr Haus zu bauen. zu Zeit an Wegtreuzungen auf die falsche Landstraße zu führen. In allen Gegenden Deutschlands  Aber nicht nur auf proletarische Jugendpflege hatten wir unser Auch das mar besonders nachts und bei regnerischem Wetter Augenmert zu richten, auch von der Wohlfahrtspflege an der er= äußerst anregend. Als wir nach zwölfftündiger Irrfahrt trafen wir auf solche Seime für Arbeiterfinder. Die in einem schlesischen Gebirgsstädtchen aus dem Wagen tletterten, um landschaftlich am schönsten gelegenen boten dem Kameraauge be­machsenen Arbeiterschaft sollte die Kamera erzählen. Da waren neben Erholungs- und Altersheimen Alkoholentziehungsheime und uns einige Stunden Bettruhe zu gönnen, überfiel uns ein gelindes greiflicherweise die dankbarsten Motive. So gab es reichliche Kurbel­Grauen: viele Bochen sollten wir so auf der Landstraße verbringen| arbeit in der Sächsischen   Schweiz   im Schloß Sedlig, im arbeit in der Sächsischen   Schweiz   im Schloß Sedlig, im Lungenheilstätten. Daß sich die Sozialdemokraten auf die Bedin­August Bebel- heim bei bergungen der modernen Wirtschaft verstehen, wiffen wir längst. Sn  Festung Königstein  , im Schwarz einer alten Patrizierstadt hatten die Kaufmannsgenerationen die Festung Königstein  , im Schwarz Möglichkeit und den Vorteil einer Hafenanlage bis auf den heutigen Tag übersehen oder die Kosten gescheut. Die Sozialdemokratie schuf diesen Hafen aus den Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge.

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Das Bergstadion in Michelstadt  

Der Aufruhr des Schiefen Calm

Roman einer Revolution.. Don Gerhart Herrmann Mostar  

Drinnen jetzt ein Scharren von Stühlen, darauf die Präsidentengloce, dann eine tiefe, laute Stimme, die jemandem das Wort zu erteilen schien.

,, Manu!" Der Stenograph legte das Ohr ans Schlüssel­loch. Der stellvertretende Borsigende leitet die Bersamm lung an Stelle Dehlfes. Also muß sich die Rede des Herrn Don Gloß mit Dehltes Person befassen!" Der Schreiber knöpfte der Vorsicht halber seine Beste gerade der

wieder zu.

,, Hören Sie? Gloß redet weiter. Gloß schweigsame Gloß gegen Dehlte..."

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Drinnen unterbrach eine aufgeregt zitternde Stimme den Redner. Das ist Dehlke!" flüsterte der Lauscher. Bernehmlich rief der stellvertretende Präsident den Ab­geordneten Dehlte zur Ordnung.

,, Der Präsident selbst zur Ordnung gerufen! Noch nicht bagewesen! Was ist los?"

Gerade bei einem nochmaligen Zwischenruf Dehltes und einem zweiten Ordnungsruf des Präsidenten öffnete fich die Tür. Der erste Stenograph trat schwißend heraus, der zweite ging hinein, rasch die Jacke überwerfend. Man hörte ein paar Worte des Abgeordneten von Gloß: An der persön­lichen Wichtigkeit des Bergrats 3inden ist ja auch nicht ge­zweifelt worden. Aber seit acht Jahren herrscht nur eine Stimme gegen Herrn 3inden, der auf die unerhörteste Weise also unmöglich, daß nach dem plötzlichen Wechsel des Richters und des Verteidigers alle Zeugen nur Gutes Wahrheit. Die Tür wurde wieder geschloffen und verschluckte das Weitere,

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wald, am Rhein  , an Der

DUGO

Nordseeküste, in der Lüne. burger heide. überall Luft, Licht, Sonne und Lebensfreude, überall wirken sozialistische Helfer im stillen und trachten, die Schäden, die der Krieg gerade dem profeta rischen Nachwuchs zugefügt hat, auszumerzen. Auch der arbeiten den Jugend gilt die Sorge der Sozialdemokratie. In muster gültigen Jugendheimen und herbergen, in behaglichen Lehrlingsheimen alle unter der Leitung geschulter und auf die Psyche der Jugendlichen eingestellter Genoffen waren wir gern gesehene Gäste und trafen überall auf begeisterte Filmstars. Moderne Badeanstalten, vorbild liche Sportpläge, zum großen Teil aus eigenen Mitteln der Arbeiter schaft für die Jugend errichtet. Geradezu vernarrt war der Kurbel mann in das Bergstadion in

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Was gibt's drin?" fragte der Schreiber den Einge­tretenen.

Der öffnete das eine Fenster, das zur Saale   hinaus ging; aber feine Kühle brang ein, nur ftidiger Geruch faulenden Wassers. Der Abgeordnete von Gloß wirft dem Richter, der die Verhandlung gegen den Bergrat Zinden führte, und dem Abgeordneten Dehlte Zeugenbeeinflussung Dor. Er spricht mit einer Sachfenntnis, als hätte er sein Leben lang das Bergwerkswesen studiert. Man ist allgemein erstaunt: ein Adliger und greift die Regierung an! Es hätte sicher schon einen Tumult gegeben, wenn's nicht so fcheußlich heiß märe."

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Stelette

Aber den Redenden drin schien die Hige nicht anzu fechten. Seine Stimme fämpfte fich frei, sie wurde laut und hallend, manchmal verstand man einiges. Bergmeister Roch ermordert... aber entfeßlich und dennoch wahr... den armen Leuten.. fein anderes Mittel als Selbst hilfe... Hunger.. Und dann rief Gloß laut in den Saal:.. aber feit Einführung des Zinden Rochschen Systems in den Gruben ist das durchschnittliche Alter der armen, gedrückten Bergleute in Anhalt- Bernburg  von siebenundfünfzig Jahren auf fiebenunddreißig ein Biertel heruntergegangen.

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Der Stenograph wischte sich den Schweiß von der Stirn. nicht wunderlich bei der Hige!" stöhnte er gefühllos. Drinnen jedoch schien man die Sache wichtiger zu nehmen. Woher wollen Sie das wissen?" hörte man Dehlte laut rufen. Bapier Inisterte. Ich habe hier die Totenlisten Das Geräusch einer Unruhe drang durch die Tür. Gloß sprach weiter: Ohne Wissen des Justizministers nicht mög lich... Atten einsehen... das Bolt hat ein Anrecht darauf

Man hörte Trofegts Stimme. Gloß erwiderte mit ruhiger Schärfe. Nach turzer Zeit wurde die Tür von drinnen mit hartem Rud geöffnet. Trosegt trat schnell heraus und auf den Schreiber zu. Er war sehr blaß; feine Stirn wies feinen Schweißtropfen auf. Zu Ihrer Instruktion!" fagte er leise und hastig. Ein Abgeordneter verlangt Einsicht in gewiffe Atten. Ste werden-

,, Wo liegen fie, Herr Baron?" fragte der Schreiber rasch Ich bin in zehn Minuten­

Michelstadt im Odenwald  , eine Anlage von erstaunlicher

Siedlungsbauten

stand als ein anderer wichtiger Hauptpunkt in dem Aufnahmepro­gramm. Imposante Häuserblods in größeren Städten, von Ar­beiterbaugenossenschaften errichtet in tleinen Orten mit fozialdemokratischer Berwaltung schmude Siedlungshäuser. Eine Gemeinde mit mur 700 Einwohnern legte sich Neubauwohnungen und eine moderne Wasserleitung zu. Die Lösung des Wohnproblems läßt sich die Partei überall da, wo sie auch nur den geringsten Ein­fluß hat, fehr angelegen sein. Schon um Gegensätze aufzuzeigen, find wir auch an traurigen Bildern, beschämend für die Sozial­politit des Bürgertums", nicht vorübergegangen. Baraden, durch die der Mind pfeift, alte, ausgediente Güterwagen, sind einem großen Industriewert im Hannoverschen als Wohnungen für seine Arbeiter gut genug. Aber unter dem Einfluß der sozialistischen   Gemeinde­verwaltung ist in diesem selben Ort vor kurzem ein ansehnlicher Siedlungsblod mit modernen Kleinwohnungen erstanden. Man tat noch ein übriges und errichtete eine Schule, in der die Lehr- und Lernmittel frei sind. Besonders reizten den Filmoperateur die Sied­lungen, die sich der Landschaft harmonisch angliedern und durch tünstlerische Formen in der Anlage auffallen. Viele dieser Bilder beweisen, daß die Erbauer neben der Zweckmäßigkeit auch die Ges

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,, Hierbleiben sollen Sie!" herrschte Trosegt ihn an. ,, Die Aften hole ich selbst aus bestimmten Gründen Sie würden sie nicht finden. Also bitte, verfolgen Sie die Sizung!"

Der Schreiber unterdrückte mühsam ein Kopfschütteln und ging in den Sizungssaal.

Trosegt war sich unten in seinen wartenden Wagen. Nach kurzer Zeit beugte er sich zum Rutscher vor: Fahren Sie nicht durch die Stadt. Den Schloßberg hinauf!" Und als die schwizenden Gäule die Steile mühsam überwunden hatten: Nicht in den Hof fahren. Borm Tor halten!"

Schon als der Wagen bremste, schritt Trosegt schnell an der falutierenden Wache vorüber, an der Seite des Schloß­hofes im Mauerschatten entlang, durch ein fleines Bförtchen zu einem Altan, der den Blid ins sonnenzitternde Tal frei­gab. Dort, in einem Liegestuhl mit Sonnendach, fand er die Herzogin.

Sie sah scheu um sich. Niemand war zu entdecken außer ihr und Trosegt. Nun?" fragte sie leise, mit schmalem Lächeln. Bist du schon bei ihm gewesen?" fragte er zurüd. Noch nicht.

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Warum nicht?" fuhr er grob, unbeherrscht heraus. Sie sah ihn heiter überlegen an. Sie liebte es, wenn er so bäuerisch war und derb. Ich mag feine Politik in solcher Hige," sagte sie leichthin. Er trat nahe an sie heran. Stuhl Du mußt zu ihm, fofort. als der Landtag."

Seine Hand frallte den Wir müssen schneller sein

,, Als der Landtag? Läuft der Landtag fort?" ,, Der verrückte Adlige aus dem Harz  , der Herr von Gloß, läuft Sturm. Gegen mich. Wegen der Untersuchung gegen den Bergrat Zinden. Vielleicht beschließt der Landtag in diesem Augenblic. mich unter Anflage zu stellen."

,, Dich unter Antlage stellen? Der Landtag?" Sie lachte leise auf. Was kann das dir schaden!"

Er stampfte mit dem Fuße auf. Solange er nicht unterschrieben hat, mehr als du denkst. Alles steht auf dem Spiele. Ich bitte dich: Geh!"

Sie sah sein zudendes Gesicht und stand lässig auf. Hast du das Papier?" fragte er. Sie zog ein Schreiben aus dem Kleide, zeigte es ihm ftumm und ging. ( Fortjeßung folgt.)