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BERLIN Montag 18. Februar

1929

Der Abend

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Spätausgabe des Vorwärts

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Nr. 82

B 41 46. Jahrgang.

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Das mörderische Gas.

Das Zerstörungswerf am Wedding .

Die Gasexplosion, die sich in der Nacht zum Sonntag auf dem Wedding ereignete, stellt einen der seltsamsten Unglücksfälle diefer Art dar. Auch Fachleute können teine völlig zureichende Erklärung für die Ursache der Explosion abgeben. Auf freiem Gelände in der Sellerstraße stehen zwei von einem Steinbau umgebene Gasometer mit einem Faffungsvermögen von je 30 000 Subit­meter. Einer dieser gewaltigen Gastants, in dem fich 27 000 Subit­meter Gas befanden, explodierte und sprengte feine Umfassungsmauern. Die unmittelbaren Folgen waren ver­heerend. Ein Stein hagel praffelte in einem Umfang von vielen hundert Metern auf die benachbarten Wohnhäuser der Seller-, Müller- und Fennstraße nieder. Hunderte von Scheiben gingen in Trümmer, und die Bewohner wurden durch die Explosion, die alle Häuser in ihren Grundfesten erbeben ließ, jäh aus dem Schlaf geriffen. In knapp zwei Minuten befand sich die ganze Gegend in Aufruhr. Von allen Seiten raffelten Feuerwehren heran. Der Explosionsherd war schon von weitem deutlich zu er­tennen. Aus dem Sodel des Gasometers, mehr war von dem 30 Meter hohen Bau nicht übrig geblieben, schlugen wie aus einem Krater lange blaugelbe Flammengarben hervor. Befürchtungen wurden um den knapp 12 bis 15 Meter entfernt stehenden zweiten Gasometer gehegt. Zum Glüd gelang es, durch starkes Waffer­geben ein Uebergreifen des Feuers rechtzeitig zu verhüten. Erfreu­licherweise hat das Unglüd teine Todesopfer gefordert. Da­gegen find sechs Straßenpaffanten durch umherfliegende Mauerteile verletzt worden, zwei von ihnen mußten ins Kranken­haus übergeführt werden. Der Herd der Explosion war in weitem Umkreise durch ein starkes Schußpolizeiaufgebot abgesperrt worden. Bis in die Nachmittagsstunden des Sonntags hinein war die Feuer­wehr mit zahlreichen Zügen mit den Lösch- und Aufräumungs­arbeiten beschäftigt. Erst um 18 Uhr wurden die lekten Schlauch leitungen von den Hydranten gelöst.

An der Explosionsstätte.

Zu der Behälterstation der Städtischen Gaswerfe gehören ins­gesamt vier große ummauerte Gasometer. Zwei davon stehen längs der Panke mit der Straßeneinfahrt von der Chaussee­straße. Schräg gegenüber, faum zwei Minuten entfernt, steht noch die verräucherte Warenhausruine des Kaufhauses Tieß. Diese beiden Gasometer sind jedoch seit einiger Zeit außer Betrieb. Die beiden anderen Gasometer stehen auf freiem Gelände zwischen den parallel gehenden Straßenzügen Seller- und Fennstraße. Die Gastanks, die von den Städtischen Gaswerken in Tegel gespeist werden, enthalten durchschnittlich einen Vorrat von 20 000 bis 30 000 Rubikmetern. Gas wird von den Gasometern dem Leitungsnetz, also den Ver­brauchern, zugeführt. Sonntags sind jeweils außer dem Playwächter zwei Regulatoren anwesend, denen die leberwachung der Mechanerie der Gasometer obliegt.

Das

Genau um 2.24 Uhr durchzitterte die Umgebung der Seller­straße eine möchtige Detonation. Auf dem Gelände der Städtischen

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Gaswerte Sellerstraße 7-11 fchoß eine Flammengarbe| zum Himmel empor, für Gefunden war die ganze Gegend tag­hell erleuchtet. Die Erde erbebte, und ein Höllenlärm ging los. Zentnerschwere Mauerblöcke, Eisenträger und Holzbalken wurden Hunderte von Metern weit geschleudert. Die Sellerstraße war im Augenblid mit Schuft- und Trümmermaffen buchstäblich überfät. Auf die Dächer der umliegenden Häuser praffelte ein mächtiger Steinhagel nieder; durch den Luftdruck wurden zahllose Scheiben zertrümmert. Auf Straßen und Höfen, überall zeigten sich die Spuren des Vernichtungswertes. Das ganze Stadtviertel, über das sich lange die Ruhe der Nacht gebreitet hatte, wurde in Angst und Schrecken versetzt. Die Bewohner eilten, zum Teil nur notdürftig bekleidet, auf die Straßen. Schon nach wenigen Minuten rückte von allen Seiten die Feuerwehr an. Den Feuerwehrautos war die Zufahrt zur Sellerstraße zunächst versperrt, da große Mauerblöde und Steinhausen den Fahrdamm bedeckten. In groben Umrissen ließ sich aber schon von weitem erkennen, daß der eine der Gaso­meter in die Luft geflogen war. Nur der etwa drei Meter hohe Sodel stand noch, aus ihm schlug ein Flammenmeer hervor. Troy der großen Gefahr rückten die Feuerwehrleute gegen den Explosions herd vor, es galt, in erster Linie den benachbarten Gaso. meter, an dem feine Fensterscheibe ganz geblieben war, gegen ein Ueberspringen der Flammen zu schüßen. Diese Maßnahme wurde auch erfolgreich durchgeführt, und nach halb stündiger Löschtätigkeit bestand bereits teine unmittelbare Gefahr mehr. Auf einem Nachbargrundstüd war eine Maschinen­werkstätte faft dem Erdboden gleichgemacht. Der Inhaber sowie dessen aus Frau und Tochter bestehende Familie, die in einem fleinen Gebäude neben der Werkstätte schliefen, wurde in den Betten von einem Steinhagel überschüttet; die durch den Luftdruck fort­geschleuderten Mauerblöcke hatten das leichte Dach durchschlagen und den Ausweg durch die Tür versperrt. Den brei Menschen, die wie durch ein Wunder unverlegt geblieben waren, blieb mur die Flucht durch ein Fenster übrig, von wo sie das Nachbargrundstüc erreichen fonnten. Ueberall harrschte Aufregung, und erst das Auftauchen der Feuerwehrleute schaffte nach und nach wieder einige Beruhigung.

Sechs Passanten verlegt.

Sechs Personen, die im Augenblick der Explosion die Seller straße passierten, waren durch fortgeschleuderte Steintrümmer ver­letzt worden. Vier von ihnen fonnten nach Anlegung von Not­verbänden auf der nächsten Rettungsstelle in ihre Wohnungen entlassen werden. Die beiden anderen Verletzten, ein 34jähriger Kaufmann Emil Karol aus der Scharnhorststraße und ein. 52jähriger Theo Langer aus der Müllerstraße, mußten ins Virchow- Krankenhaus gebracht werden.

Fort mit den Menschenfallen! Die Reihe der Gaserplosionen aller Art in den Großstädten hat in den letzten Wochen wohl zum Teil auch unter dem Einfluß ( Fortsetzung auf der 2. Seite.)

Die Trümmer des Gasometers.

Alwin Saenger gestorben.

Aus München kommt überraschend die Trauerbotschaft, daß Alwin Saenger heute früh um 5 Uhr an den Folgen einer Operation gestorben ist. Mit ihm verliert die Partei eine hervorragende Kraft. Besonders hat sein Ableben auch die Reichstagsfrattion zu beklagen, der er als tief­schürfender Bearbeiter schwieriger juristischer Fragen mit Fleiß und Sachkenntnis zur Seite stand.

In der Partei galt Alwin Saenger von jeher als Bayer. Bekannt sind seine engen Beziehungen zu Georg v. Boll­

Alwin Saenger.

mar, dem großen Führer der bayerischen Sozialdemokratie, der ihn zu seinem Testamentsvollstrecker ernannte. In dessen Haus in Soiensaß am Walchensee konnte er nun nach Tagen der Arbeit Ruhe und Erholung suchen. Dort arbeitete er auch an einer Biographie Vollmars, die ein wertvoller Beitrag zur Parteigeschichte zu werden versprach. Und doch stand seine Wiege im Norden Deutschlands , in dem holsteinischen Städtchen Eutin , in dem er ebenso wie Wilhelm Ditt= mann und Heinrich Hüttmann, der erst jüngst ver­storbene Reichstagsabgeordnete und Führer des Bauarbeiter­verbandes, feine Jugendjahre verlebt hatte.

Im Jahre 1881 als Sohn eines Apothekers geboren, studierte er in Kiel und München und war seit dem Jahre 1910 als Rechtsanwalt in der Hauptstadt Bayerns ansässig. Bon jung auf galt seine große Liebe der Partei; als ein glänzender Redner und aufrechter Mann erwarb er sich das Bertrauen der Münchener Arbeiterschaft in steigendem Maße. Seine Reden zur Fürstenabfindung im Reichstage gehören zu den besten inhaltlichen und rhetorischen Leistungen, die in diesem Hause gehört worden sind.

Dem Freistaat Bayern diente er nach dem Umsturz im Jahre 1919 als Staatsrat und bis zum März 1920 als Staats­sekretär im bayerischen Unterrichtsministerium. Sein Mandat zur Nationalversammlung in Weimar legte er dem bayerischen Landtagsmandat zu Liebe nieder. Diefer Tätigkeit widmete er feine ganze Kraft, bis er im Jahre 1924 in den Reichstag gewählt wurde und sich hier rasch gleiche Beliebtheit und

Die erste Reparationswoche Trotzki transportunfähig

Berichte 2. Seite