Morgenausgabe
Nr. 93
A 47
46. Jahrgang
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Vorwärts
Sonntag
24. Februar 1929
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Ein mißlungener Schurkenstreich.
Deutschnationale Denunziation gegen die Sozialdemokratie wegen der Groener Denkschrift.
Die„, Rheinische Zeitung " brachte diefer Tage folgende Meldung aus Berlin :
Seif mehreren Tagen ist bekannt, daß eine Boruntersuchung gegen die Berliner Journalistin Frau Valentin schwebt, die angeblich die Groenersche Dentschrift nach England gegeben haben foll. Nun erfahren wir, daß die Anzeige durch einen der deutschnationalen Führer, den Reichstagsabgeordneten v. Cindeiner- mildau, im Aufirage der deutschnationalen Fraffion an den Oberreichsanwalt erstattet worden ist. In der Anzeige wird behauptet, daß in den Räumen des„ Borwärts" eine Besprechung zwischen Frau Balenfin, dem Parteivorsitzenden Wels und dem Chefredakteur des Vorwärts", Stampfer, über die Groenersche Dentschrift stattgefunden habe. Mit dieser natürlich frei erfundenen Behauptung foll die Sozialdemokratte fompromittiert werden. Die Landesverratshezze ist eines der Mittel, durch die die Deutschnationalen die innerpolitische Verwirrung mit dem Ziele auf einen Staatsffreich steigern wollen.
Zu dieser Meldung erläßt nun die deutschnationale Reichstagsfraktion die folgende Erklärung:
Die Rheinische Zeitung " bringt Mitteilungen über eine angebliche Denunziation deutschnationaler Abgeordneter gegen die Schriftstellerin Frau Antonia Balentin und Mitglieder der sozialBemokratischen Reichstagsfrattion in Sachen des Berrats der Groener Dentschrift. Gegenüber den unrichtigen Darstellungen des Blattes tönnen wir folgendes feststellen:
Der Fraktionsleitung der deutschnationalen Reichstagsfraftion wurden vor etwa zwei Wochen Aufzeichnungen übergeben, die die Schriftstellerin Balentin mit der Auslieferung der Groener Denkschrift an den Herausgeber der englischen Zeitschrift Review nf Reviews", Wickham Steed , in Zusammenhang brachten. Jn diefen Aufzeichnungen wurde weiter behauptet, daß nach der Weitergabe der Denkschrift nach England eine Besprechung zwischen Frau Balentin und einigen führenden mit gliedern des sozialdemokratischen Parteivorstandes stattgefunden hatte, in der Frau Valentin sich zu dieser
Tat bekannt hat.
Pflicht diese Aufzeichnungen der untersuchungführenden Behörde ohne eigene Stellungnahme zugeleitet. Diese Pflicht war um fo felbstverständlicher, als der Berdacht, daß sozialdemokratische Kreise mit dem Berrat der Denkschrift zu tun haben, nach dem offenen Betenntnis eines Teils dieser Partei zum Landesverrat durchaus begründet ist. Der deutschnationalen Fraktion ist bis heute nicht bekannt, welches Ergebnis die Erhebungen der Oberreidsanwaltschaft gehabt haben. Es ist also unzutreffend, daß eine Denunziation stattgefunden hätte. Ebenso erledigen sich damit alle politischen Kombinationen, die in der Presse an diesen Vorgang gefnüpft werden.
Die Formulierung dieser Erklärung läßt erkennen, daß die deutschnationale Partei sehr wohl über das Ergebnis der Untersuchung informiert ist und sich infolgedessen bereits auf dem Rüdzug befindet. Sie tut jezt desinteressiert, weil sie begriffen hat, daß sie von einem Schwindler hineingelegt
worden ist.
Es ist genug!
Bolkspartei und Zentrum vor der Entscheidung.
Freitag beschlossen, den Zentralvorstand für Dienstag zuDer Parteivorstand der Deutschen Volkspartei hat am fammenzuberufen. Die Aufgabe dieser Instanz wird dahin umschrieben, daß sie eine einheitliche Willensfundgebung der Partei angesichts der gegenwärtigen ernsten Lage schaffen soll, und aus dem Kommuniqué der Sigung des Parteivorstandes fann geschlossen werden, daß man von der Körperschaft, die im vergangenen Frühjahr die gleich zeitige Umbildung der Regierung im Reiche und in Preußen gefordert hat, jetzt nach dem Scheitern aller Einigungsver fuche in Breußen einen Verzicht auf diesen Anspruch erwartet. Nachdem die preußische Landtagsfraktion der Bolkspartei in unverständlicher Verblendung nicht nur alle Berständigungsvorschläge zurückgewiesen, sondern auch ausdrücklich erklärt hat, sie werde sich in ihren Entscheidungen durch etwaige Beschlüsse des Parteivorstandes nicht beirren laffen, bleibt jetzt in der Tat kein anderer Weg mehr als die Lösung der Krisis im Reich ohne Rücksicht auf die volksparteilichen Wünsche in Preußen. Borausgesetzt natürlich, daß man nicht das Chaos will.
Dieser Schwindler hat die Sigung erfunden, die in den Räumen der Vorwärts"-Redaktion stattgefunden haben soll. Wahrscheinlich hat er sich diese Erfindung sehr gut bezahlen Wir sollten meinen, daß der Zentralvorstand diesen laffen. Es wäre ja zu schön gewesen, wenn die Groener Sachverhalt flar erkennt und aus seiner Erkenntnis die notDenkschrift von einer Bertrauten der Sozialdemokratischen wendigen Schlußfolgerungen zieht. Es gibt jezt nur noch Partei die Frau Balentin freilich nie gewefen ist nach ein deutliches und unumwundenes Ja oder Nein. Ein Ber London geschickt worden wäre und wenn führende Sozial- fud, neue Berhandlungen oder neue Besprechungen anzudemokraten als Mitwiffer oder gar als Mittäter daran Antnüpfen, wäre zwecklos und gefährlich. Zwecklos, meil doch teil hätten!
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Da sich nun schmerzlicherweise die ganze Gefchichte als von 2 bis 3 erlogen herausgestellt hat. zieht man sich auf Berleumdungen allgemeinerer Art zurück. Man hat sich zwar einer eigenen Stellungnahme" enthalten, findet aber den ,, Berdacht", daß sozialdemokratische Kreise mit dem Berrat der Denkschrift etwas zu tun haben ,,, be= gründet. Fazit ist, daß die deutschnationale Partei in parteipolitischer Absicht, um gegen die Sozialdemokratie einen großen Schlag zu führen, die Behörden auf eine falsche Spur gelenkt hat.
Die deutichnationale Frattionsleitung war nicht befugt, ihrer Es läßt sich voraussehen, daß diese Angelegenheit am feits Untersuchungen über den Tatbestand vorzunehmen. Sie hat Dienstag im Reichstag bei der Besprechung über die Groener: vielmehr in Ausführung einer selbstverständlichen staatsbürgerlichen| Denkschrift eine Rolle spielen wird.
Wahrscheinlich ruhiger Verlauf.
Aus den telegraphischen Meldungen ist schon befannt, daß für| Noch einmal wiederholte Bauer die Bereitwilligkeit der Sozial den heutigen Sonntag in Wien die Polizei mit der Heimschutz demokratie zu brüstung und Aufmarschverbot je bewegung und mit dem Republikanischen Schutzbund Marschver einbarungen getroffen hat: die Faschisten ziehen nicht am sozial demokratischen Barteihaus vorüber, darum der Schutzbund auch nicht am christlichsozialen Zeitungsgebäude.
Wegen des angekündigten neuen Rälteeinbruchs ift der bezirksweise Aufmarsch der sozialdemokratischen Parteimit. glieder abgesagt worden; natürlich fönnen sie sich den Aufmarsch des Sajuzbundes ansehen.
In einer großen Bertrauensmännerversammlung haben Otto Bauer für die Partei und Julius Deutsch für den Schuß bund berichtet. Bauer machte darauf aufmerksam, daß, je näher die Entscheidung im Kampf um den Mieterschuß rückt, die Real fionäre versuchen, die Arbeiterschaft zu provozieren, um fie als gewalttätig erscheinen zu lassen und Stimmung gegen fie und ihre Forderungen zu machen; desto arbeiterfeindlicher ist der Versuch der kommunisten, eine Berhinderung des Heimwehr marsches durch den proletarischen Stadtbezirk XII( Meidling ) herbeizuführen. Bei der Bedeutungslosigkeit der Kommunisten in Bien bürfte diefem Beginnen ebensowenig Erfolg befchieden sein wie am 7. Oftober in Wiener- Neustadt .
Die Störungsparole der Kommunisten hat zur Beschlagnahme ihres Blattes und zur Dorsorglichen" Berhaftung einer Anzahl Kommunisten Anlaß gegeben.
Deutsch teilte u. a. mit, daß der Grund zur Auflösung bes Arbeiterschützenvereins und damit zur Waffenfuche im Partei haus bie bei ihm beftellte und von ihm gemäß seiner magiftratlichen Befugnis übernommene Lieferung von 200 Pistolen für die Wiener Gemeindewa de gewesen ist. Die Auflösung ist angefochten. Die Wiener Arbeiter- Edüzenvereine werden in einen Verband zu fammengefaßt, deffen Genehmigung durch den Landeshauptmann erfolgt. non Bien Bürgermeister Seiz Bauer heb eindringlich hervor, daß nach dem Linzer Parteiprogramm von 1923 die Partei nur in einem Fall von den onft ausschließlich benugten Stampfmitteln der Demotratie an die Gewalt appelliere: menn nämlich die Gegner der Arbeiterbewegung thr die demokratischen Rompfmittel durch Gemalt rauben wollen.
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doch nur zu vollständiger und gegenseitiger Anwendung dieser Maßnahmen zur Sicherung des Friedens.
Dritte Woche Parisfonferenz.
Man wird bald von Ziffern sprechen.
Paris , 23. Februar.( Eigenbericht.)
Die zweite Woche der Reparationstonferenz hat die Führung der Berhandlungen mehr und mehr an den Fünfer ausschuß übergeben, der die Beratungen ein beträchtliches Stud vorwärts gebracht hat. Seine Mitglieder haben das ausgiebige Wochenende der Bollversammlung benußt, um die Idee einer 3 weifeilung der deutschen Annuitäten zu einem bestimmten Vorschlag auszugestalten. Die Aussprache darüber wird von selbst zur Aufrollung derjenigen Fragen führen, denen man bisher allzu ängstlich aus dem Wege gegangen ist. So wird man wahrscheinlich in der kommenden Woche zum ersten Male von 3iffern fprechen und dabei wird sich zeigen müffen, mie groß die Kluft zwischen den Forderungen der Gläubiger und den 3 ahlungsmöglich feiten Deutschlands ist, und welche Möglichkeiten bestehen, sie zu überbrüden. Insofern hot die Pariser Preffe nicht ganz unrecht, wenn sie schreibt, die Konferenz werde entweder in acht Lagen zu Ende sein oder aber, wenn sie diese Frist überlebt, noch sehr viele Wochen dauern.
Peling, 23. Februar.
Eine Brigade meuterte bei ihrer Abbeförderung von Nantau, 25 Meilen nordwestlich von Beting, fie erklärte ihren Uebertritt zu Tschanglungt chang und marschierte in Richtung auf 2Biting, 60 Meilen nordöstlich von Tsinan ab, um sich mit dem Bros der Truppen Tschangfungtihangs zu vereinigen.
feine neue Bafis gefunden werden kann, und gefährlich, weil die Unsicherheit der Lage noch mehr verstärkt würde. Das Ergebnis der Beratung vom Dienstag muß also dem Reichsfanzler die Möglichkeit eröffnen, die Ernennung der brei 3entrums minister im Reich unverzüglich vorzunehmen und damit die Große Koalition ins Leben zu rufen.
Aber auch an die Adresse des Zentrums ist ein ernſtes Wort zu richten. Fällt der Beschluß der Volkspartei so aus, wie wir es einstweilen erwarten möchten, so darf das Rentrum, deffen ursprüngliches Begehren damit doch erfüllt ist, feine neuen Schwierigkeiten machen. In den letzten Tagen fonnte man von seinen führenden Mitgliedern immer wieder Bedenten gegen die Uebernahme des Justizministeriums durch einen Zentrumsmann hören. Die Berantwortung für die Einbringung eines Chereformgefeges und anderer jüngst viel diskutierter Vorlagen sei für die Partei eine zu schwere Belastung. Man solle deshalb an eine Umgruppierung im Kabinett, wie etwa die Berufung Don Dr. Curtius zum Justizminister und die Besetzung des Wirtschaftsministeriums durch das Zentrum denken.
Würde diesem Berlangen entsprochen, so hieße das, nene Mirrsale und neue Komplitationen heraufbeschwören. Wider seinen Willen kann man Herrn Curtius nicht aus feinem Reffort entfernen, dem er lange Zeit hindurch seine eifrige Arbeit gewidmet hat und in dem ein Wechsel gerade jekt während der Reparationsverhandlungen höchst unzwedmäßig sein würde. Bielleicht besteht die Möglichkeit, dem Zentrum eine gewisse Erleichterung dadurch zu verschaffen, daß die Geseze, für die es eine Verantwortung nicht übernehmen mag. auf dem Initiativwege durch die Parteien eingebracht werden. Jedenfalls aber geht es nicht an, jezt aufs neue auf die Suche nach einem der Partei mehr genehmen Minifterium zu gehen.
Wir hoffen also, daß die Bahn im Reich nunmehr frei gemacht wird. Nach all den schlimmen Erfahrungen der letzten Wochen sind wir allerdings genötigt, auch der Möglich feit eines anderen Ausganges ins Auge zu sehen. Was foll geschehen, wenn der Zentralvorstand der Deutschen Boltspartei nicht die Kraft zu dem rettenden Beschluß findet, und wenn er etwa durch die frankhaften Gelüfte der preußischen Landtagsfraktion angesteckt wird? Dann gibt es nach unserer Auffassung nur eins, und das ist, daß troßdem die Zentrum minister umgehend ernannt werden. Ob in diesem Fall ote Volkspartei ihre beiden Vertreter aus dem Kabinett zurückziehen oder sich vielleicht auf den Standpunkt stellen würde, daß fie sie nicht mehr als ihre eigentlichen Vertrauensmänner betrachte, steht dahin. Täte fie aber einen solchen Schrift, fo müßte die Regierung, wie immer sie ausfähe, vor den Reichs tag treten, und die Bertrauensfrage stellen. Für ihren etwaigen Sturz trüge dann die Volkspartei vor dem Lande die flare Berantwortung.
Aehnlich wäre vorzugehen, wenn das Zentrum sich ver fagte, weil feine Ressortwünsche unbefriedigt blieben. Es handelt sich jetzt darum, nach all dem fleinlichen und für die Maffe des Volfes unverständlichen Geraufe und Gezänt endlich Klarheit zu schaffen. Es muß den Wählern draußen gezeigt werden, welche Partei im gegenwärtigen Augenblid den verhängnisvollen Mut aufbringt, einen t zu vollziehen, durch den nicht nur ein Kabinett gestürzt. sondern Staat und fein Regierungssystem den denkbar größten Gefahren ausgesetzt wird.