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Morgenausgabe

Rr. 109

A 55

46. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Mittwoch 6. März 1929

Groß Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Die elaipattige Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflame eile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das eitge brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zmet fettgebruare Worte), jedes meitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erite Wort 15 Pfennig, jedes meitere Mort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden ftraße 3, wochentagl. von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Ferniprecher: Tonboft 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Knapp am Schafott vorbei.

Unschuldig zum Tode verurteilt.

Im Preußischen Landtag brachte gestern bei der Beratung des Juftizetuis Abg. Ruttner( S03.) den besonders trassen Fall e ines Justiz irrtums zur Sprache, der alljeitiges Aufsehen zu erregen geeignet ist Ruttner führte in der Besprechung des Pro­blems der Todesstrafe aus:

Die Erklärung des Justizministers, daß er gegen die Todes strafe sei, begrüßen wir auf das wärmste und hoffen, daß bald die Tat folgen wird. Da der Minister sich dem Botum des Professors Kahl gegen die Todesstrafe angeschlossen hat, sollte eigentlich ihre Tilgung unabweisbar sein Im Hauptausschuß hat bei der Besprechung des Brucknerschen Dramas Die Ber­brecher der deutschnationale Redner gemeint, was dort auf der Bühne geschehe, das tomme in Wirklichkeit nicht vor. Ich werde zeigen, daß Brudner noch hinter der Wirklichkeit zurückbleibt.

Die beiden Kölner Arbeiter Jöbtes und Hüppler, die vor zehn Jahren wegen Raubüberfalls auf einen Kaffenboten zu fünf und sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, haben die Strafe fast ganz verbüßen müssen. Jetzt hat man die wirklichen Täter auf ihr Geständnis hin verurteilt und der Staatsanwalt hat den unschuldig Verurteilten eine warme Ehrenerflärung gegeben.( Lebhaftes hört! hört!) Wäre bei dem Ueberfall der Saffenbote getötet worden, so wären Jöbfes und Hüppler damals zweifellos zum Tode verurteilt worden.

Im Jahre 1919 wurde in Gelsenkirchen ein Raubmord an der Ehefrau des Bureaubeamten Röttgen verübt. Sechs Wochen danach wurde der Schmelzer Heinrich Malfus als des Mordes verdächtig festgenommen. Malfus mar neunmal wegen Diebstahls norbestraft und gab selber zu, sich um die kritische Zeit des Mordes it der Nähe der Mordstelle, erft bei einem Bekannten und dann mit Freunden an einer Seltermafferbude aufgehalten zu haben. Damit war Maltus schon halb überführt Als gar noch zwei Zeugen in ihm den Mann wiederzuertennen glaubten, den fe furz nach dem Mord mit einem grünen Segeltuchtoffer aus dem Hause haben schleichen sehen, zweifelte niemand mehr an der Schuld des Maltus,

Das außerordentliche Kriegsgericht verurteilte Malfus zum Tode. Zwar ffanden den belastenden Indizien auch entlaffende gegenüber; aber hier nahm das Gericht furzerhand Irrtümer der Zeugen oder auch offenbare Unglaub­würdigkeit an. Das Urteil bedurfte der Bestätigung durch den obersten Gerichtsherrn. Dieser erteilte fie nach mehrmonatigem

Zögern, froß des Abratens feines Gerichtsreferenten. Cof­ficher wäre Malfus hingerichtet worden, wenn nicht gerade um diese Zeit die außerordentlichen Kriegsgerichte aufgehoben worden wären,

wodurch die Sache nunmehr an die Zivilbehörden fam. Während diese noch über die Frage der Begnadigung berieten, gelangte Malkus bei Unruhen anläßlich des Rapp Butsches auf freien Fuß. In denselben Tagen aber gelang es der Kriminal polizei, einen gewissen Grabowski zu verhaften, in dessen Befiz das gesamte Raubgut aus der Röttgenschen Wohnung gefunden wurde! Durch das Zeugnis feines eigenen Bruders, dem er den Raubmord eingestanden hatte, wurde Grabowski restlos überführt und zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.

Das tollfte ist aber die Behandlung des gänzlich un­fchuldigen Malfus. In der Urteilsbegründung wird dem Maltus besonders erschwerend sein unverfrorenes und taltblü tiges Beugnen" angerechnet. Der Untersuchungsrichter, Land richter Thebied, hat auf eine Beschwerde des Maltus in dienst licher Aeußerung zugegeben:

Als Malkus, dem ich die Verdachtsmomente vorhielt, sehr heftig und ausfallend wurde, hielt ich es für angebracht, ihn energisch darauf hinzuweisen, daß ihm bei den vorliegenden Indizien sein Leugnen taum etwas nügen würde, und daß ich ihn für den Täter hielte. Ich hoffte, ihn dadurch zu einem Geständnis zu bemegen, in dem ich ihm meine Ueberzeugung von seiner Laterschaft vorhielt."

Dieser Untersuchungsrichter Thedied hai als Beifiher und Bericht­erstatter an der Hauptverhandlung teilgenommen und sich dienst­lich für nicht befangen erflärt! Als nicht Befangener" haf er dann das Todesurteil über den unschuldigen Malfus

gefällt.

Benn neulich im Rundfunk Geheimrat 3 a pf als Befürworter der Todesstrafe beruhigend erklärte, daß noch nie ein Todesurteil gegen einen Unschuldigen vollstreckt worden sei, so hoffe ich, burch diefe Darlegungen diese trügerische Ruhe zerstört und einen neuen Beitrag für die Beseitigung der Todesstrafe geliefert zu haben. ( Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) alp

( Weiterer Landtagsbericht auf der 2. Seite.)

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Zehn Tage ,, Utrecht ".

Der deutschnationale Bumerang.

Seit den Zeiten des Utrechter Friedens, also seit mehr als zwei Jahrhunderten, hat der Name des fleinen und stillen niederländischen Provinzstädtchens wohl niemals so fehr im Mittelpunkt des europäischen Interesses gestanden, wie in den letzten zehn Tagen. Indessen dürfte diesmal diese Berühmtheit von furzer Dauer gewesen sein. Die ,, Utrechter Dokumente" haben sich als gefälscht herausgestellt, und zwar in einer Weise, die feinen Zweifel mehr zuläßt: durch das umfassende, freiwillige Geständnis des Herstellers.

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Wäre es nach den Deutschnationalen gegangen, dann würde sich Deutschland bei dieser Gelegenheit schwer bloß­gestellt haben; verlangte doch eine deutschnationale Inter­pellation im Reichstag die zum Glück einstweilen gar nicht beantwortet wurde nicht nur, daß die Reichsregierung. offizielle Protestschritte in Paris , Brüffel und London unter­nehme und sich nicht mit einer unsubstanziierten Ableug­tagung demonstrativ fernbleibe, solange die Frage der Ge= nung begnüge", sondern auch, daß Stresemann der Rats­heimverträge nicht restlos geflärt sei. Die Antwort auf dieses mehr innerpolitische als außenpolitische Manöver des Grafen Westarp wird wenn überhaupt erst nach der Rück­fehr Stresemanns aus Genf erfolgen...

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Im Gegensatz zu der Rechtspresse, die die Echtheit der Dokumente von der ersten Minute an für unzweifelhaft er­flärte, und die jeden Deutschen , der sich steptischer verhielt, kurzerhand des Landesverrats" bezichtigte, haben die Blätter der Sozialdemokratie sich fast allein von dem künst lichen Entrüstungssturm freigehalten. dessen Arrangeure nicht weniger forderten als die gänzliche Abfehr von der Locarno­politit. Auch die fommunistischen Blätter unter Führung der amtlichen Moskauer Organe Prawda" und Ihwestija" haben von der ersten Stunde an in das gleiche Horn ge­blasen wie die schwarzweißroten deutschen Blätter, weil ihnen die Verständigung Deutschlands mit den Westmächten nicht weniger verhaßt ist als den Mannen Hugenbergs.

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Nun wirkt jezt der so frisch- fröhlich eingeleitete nationa liftische Feldzug bumerangartig auf seine Urheber zurüd. Der Dokumentenfabrikant Albert Frank- Heine ent hüllt seine eigenen Bziehungen zu deutschnationalen Kreisen, mobei ein sonderbares Gemisch von Pressepropaganda, Militärspionage. Hugenberqleuten, deutschen Offizieren und Diplomaten, flämischen Attiviiten, holländischen General

Das Recht der Minderheiten. g richten dürfen. Ein weiterer Zufaß verlangt, daß im Falle ſtäblern, deutschen und holländischen Induſtriellen zutage tritt.

Die polnischen Gozialisten verfechten es.

Warschau , 4. März.

einer Abweifung der Minderheitenbeschwerde das behandelnde Komitee zu entscheiden hat, ob und in welcher Form die Deffentlich feit von der Abweisung zu unterrichten sei.

Ausführungen über das Minderheitsproblem, bie Chamber

Der Robotnik, das Hauptorgan der polnischen Sozialdemo- lain am Dienstag vor der englischen Bresse machte, zeigen aller frafie, erklärt in einem viel beachteten Artikel, daß schleu- dings, daß der englische Außenminister nicht die Absicht hat, sich nige Lösung des Minderheitenproblems für Polen ein Gebot der dem kanadischen Schritt voll anzuschließen. Chamberlain betonte Notwendigkeit sei. Jeder einfichtige Polififer müffe begreifen, daß auffällig start die feiner Meinung nach guten Seiten des bisherigen ein von mächtigen Nachbarstaaten umgebenes Land, das Minderheitenverfahrens, gab aber zu, daß die Diskussion zu Ber in feinem Innern mehr als 30 proz. Einwohner nicht- besserungen der Maschinerie des Rats führen könne. polnischer Nationalität zählt, die 3 usammenarbeit mit diesen Minderheiten irgendwie erreichen müsse. Die nicht. polen felen in mehreren Wojewodschaften die überwälti­gende Mehrheit. Die sozialdemokratische Partei hat einen Geseh­entwurf über die Regelung der Minderheitschulfragen eingebracht; jede Minderheit habe das unabweisbare Recht auf eine Schule mit ihrer Unterrichtssprache Für dieses Recht werde die fozialdemokratische Partei Polens stets eintreten.

Panne in Genf .

Genf , 5. März.( Eigenbericht.)

für Dienstag vorgesehene zweite öffentliche Sigung des Bölferbundsrats wurde mittags plöglich abge fagt. Eine Begründung für die unerwartete Bertagung wurde nicht gegeben. Es verlautet jedoch, daß zahlreiche Dele. ga'ionen vor Beginn der Debatte über das Minderheitenproblem thre vertrauliche Fühlungnahme mit den Bertretern Englands und Frankreichs abschließen wollen. Chamberlain wurde am Dienstag u. a. von dem Vertreter Ungarns , dem jugoslawischen Außenminister, den Bertretern Spaniens und Japans sowie von dem polnischen Außenminiffer besucht. Am späten Nachmittag unter biel en fich Stresemann und Briand längere Zeit über die schwebenden politischen Fragen.

Inzwischen ist das Memorandum des Kanadiers Dan durand zur Minderheitenfrage gewissen Aenderungen unter zogen worden. In seinem veränderten Memorandum verlangt der Kanadier , daß Minderheitenbeschwerden auch von Minderheitsver tretungen außerhalb des Landes. dem die Minderheit zugeteilt worden ist, in Empfang genommen werden sollen Diefe außer ordentlich weitgehende Forderung fönnte in der Praxis bedeuten, daß eine Vertretung der Deutschen Südtirols , die infolge des Faschismus Italien verlaffen mußten, das Recht hat, sich im Namen Der Tiroler Deutschen zu beschweren. Dandurand fordert ferner. daß die Minderheiten in eiligen Fällen ihre Petition an den Bölkerbund gleichzeitig mit der ersten Beschwerde an ihre Re­

Die Putschabwehr in Mexiko . Noch fein Gefecht mit den Ausstandstruppen.

Megito Cify, 5. März.( Eigenbericht.) Die Lage ist nach wie vor vor unflcher. Die Meldungen über die Ausbreitung des Aufstandes find fpärlich und falfa Borläufig hat es zwischen den Aufständischen und den gegen Bera Cruz marschierenden Bundestruppen 3usammenstöße noch nicht gegeben.

Die Regierung hat angeordnet, daß der gesamte Besitz der den Aufstand unterstüßenden Generäle beschlagnahmt wird und dem Staat verfallen soll.

Darstellung der Aufständischen.

New- York , 5. März.

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Es fällt uns natürlich nicht ein, die in französischen und belgischen Blättern mehr oder minder richtig wiedergegebenen Erzählungen des Frant- Heine für bare Münze zu halten. Wer so ungeniert und phantasiereich ganze Zeitungsseiten voll diplomatischen und militärischen Schriftstücken zurecht gemacht hat, ist auch bei seinen Geständnissen" nur mit äußerster Borsicht zu genießen. Sehr verdächtig ist besonders die Tatsache seiner freiwilligen Rückkehr von Amsterdam nach Brüssel , nach dem die belgische Presse ihn bereits als den Urheber der Fälschungen genannt hatte. Seine Ber­haftung" am Bahnhof. wo ihn zugleich seine Frau, Kriminal­beamte und Journalisten erwarteten, ist offenbar ein a b= gefartetes Spiel. Es entsteht demnach die Frage, ob nicht besagter Frant- Heine, der auf Grund einer angeblichen Nachkommenschaft den Namen eines der größten deutschen Dichter schänden darf, eine ganz üble Doppelrolle von vornherein gespielt hat, und ob er nicht gleichzeitig ,, wie sp viele Spione und Agenten ähnlichen Schlages, an zwei Futtertrippen gleichzeitig fraß: an einer deutschen mehr oder minder privaten" Spionageorganisation und an belgischen Militärstellen.

Fest steht jedenfalls, daß der Fälscher seine nieber­ländischen Abnehmer glänzend hineingelegt hat, wobei aller­dings die Frage offen bleibt, ob ihm nicht die Kritiklosigkeit dieser hohen und höchften Herren das Spiel sehr erleichtert hat. Es besteht zumindest kein Zweifel daran, daß der hollän­dische Generalstab von der Echtheit der Utrechter Dotumente felfenfest überzeugt war. Es scheint fogar, daß die Redaktion des Utrechter Tageblatts" die Schriftstücke von leitenden amtlichen Stellen im Haag er­halten hat, denn nur so sind die jeßigen Bersicherungen dieser schwer bedrängten Redaktion zu verstehen. daß sie feinen Pfennig dafür bezahlt habe, daß sie weder Frant- Heine, noch seinen Antwerpener Mittelsmann Hermanns fenne und daß fie erst auf Grund eines ermunternden Winkes von oben" losgefchlagen habe.

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Auf eine an den Befehlshaber der Aufständischen in Bera Cruz, General Aguirre, gerichtete Bitte der New York Times ", Namen von Führern der Revolutionsbewegung mitzuteilen, hat das Blatt ein Telegramm erhalten, in dem es heißt, die Revolution werde von den Truppen im Bezirk Bera Cruz, von den merikanischen Kriegsschiffen im Golf von Megito und von der Bevölkerung unterstügt. Berhaftungen seien nicht vorgenommen worden, und die Staats- wie die örtlichen Behörden feien auf ihren Bosten ge. blieben. Die Staaten Sonora, Sinalcoa, Chihuahua , Durango, Coa huila und ein startes Kontingent aus den Staaten Jalisco , Michoa can, Colima und Guanajuato hätten sich der Bewegung angefunden oder start übertrieben sein sollten, fo bleibt dennoch fchloffen. In der ganzen Republit hätten sich son ft unbe. deutendere Regierungen gebildet. Das Ziel fei der Sturz der Bundesregierung wegen ihrer Bemühung, dem Lande den unpopu­fären Kandidaten Drtiz Rubio für die Präsidentschaft als Nach folger Portes Gils aufzudrängen. Das Telegramm schließt: Wir wünschen ein wirksames Stimmrecht und eine volkstümliche, ehrliche Regierung, die alle Freiheiten des Boltes achtet.

Auch wenn die sonstigen, allerdings zum Teil sehr prä­zisen Angaben Frant- Heines über seine deutschen Beziehun gen und über seine wiederholten Reifen nach Deutschland er­die für das Auswärtige Amt fehr peinliche Tatsache übrig, daß er jahrelang 2eftor für flämische Zeitungen an der deutschen Gesandtschaft in Brüffel war, also zumindest indirekt im diplomatischen Dienste des Reiches ge­standen hat: für einen ehemaligen Deserteur der deutschen Marine und späteren belgischen Kriegsfoldaten allerhand! Wer weiß, was der Bursche noch auszuplaudern in der Lage

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