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Morgenausgabe

Nr. 113

A 57

46. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Freitag

8. März 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Der Brüffeler Riesenskandal.

Bon Jaspar zugegeben.- Sozialistische Interpellation.

Brüssel  , 7. März.( Eigenbericht.) Der belgische Ministerpräsident Jaspar gab am Donnerstag zu Beginn der Kammerfihung über die Fälscher­affäre des Frant- Heine eine mit großer, Spannung er­wartete Erklärung ab.

Jafpar betonte einleitend, daß Frank- Heine auf Anord. nung der Regierung wegen Paßfälschung ver­haftet worden sei. Ein anderes Verbrechen oder Bergehen habe gegen ihn nicht vorgelegen. Das Verhör des Frank habe ergeben, daß er in dem Spionagedienst eines Nachbar­landes stand und den Auftrag hatte, in Belgien   geheime Doku­mente aufzuspüren. Später habe er sich

auch in den Dienst der belgischen Spionage gestellt. Außerdem habe die Untersuchung der Staatsanwaltschaft ergeben, daß die von dem Utrechter Tageblatt" veröffentlichten Dokumente von Frant- Heine gefälscht wurden,

und zwar mit Wissen und unter Zustimmung gewisser Beamter einer Seffion des Generalstabs, di jedoch ohne Wissen des Chefs des Generalffabes. Der Unter­fuchungsrichter habe Frank auf freien Fuß gefeht, weil feine Handlungen nicht gegen die Interessen Belgiens  gerichtet gewesen wären. Auch die Anklagefchrift der Staatsanwalt schaft berücksichtige, das die Handlungen des Frank den Zwed hatten, gewiffe belgienfeindliche Manöver zu entlarven. Das Wesentliche an dem Ergebnis der Untersuchung aber sei, daß die Dokumente gefälscht felen, und zwar gefälscht von Frant. Der Ministerpräsident rügte dann in scharfen Worten das Berhalten der Beamten, die ohne Benachrichtigung ihrer Bor­gesetzten die Benuhung gefälschter Dokumente geduldet bätten. Der verantwortliche Chef des militärischen Geheim dienstes jei deshalb bereits feines mtes enthoben worden. Die amfliche Untersuchung jei jedoch noch nicht ab. geschlossen und werde fortgefeht. Die belgische Regierung dringe darauf, daß die verantwortlichen Personen festgestellt und alle notwendigen Maßregeln ergriffen werden. Bedauerlich fel, daß es fich dabei vielleicht auch um Personen handele, die dem Lande in der Bergangenheit gute Dienste geleistet haben. Belgien   denke und werde nicht daran denken, den Nachbarländern Schaden zuzufügen. Das sei bisher bereits durch die Untersuchung erwiesen. Die belgische Regierung fue, was teine andere Regierung getan hätte, fie bringe die Angelegenheit vor die Justiz, verbreite Licht und bestrafe die Schuldigen.

In der Debatte forderte der Sozialist Mathieu eine er­schöpfende Debatte zum nächsten Dienstag. Die öffentliche Mei­nung fönne nicht begreifen, weshalb Frant auf freien Fuß gefeht worden ist. Man höre mit Schmerz, daß amtliche Stellen mit Individuen wie Frank zu tun hatten. Zehn Jahre nach dem Krieg dürften weder Spionage- noch Gegenspionageorgani­fationen geduldet werden. Im Intereffe des guten Einvernehmens mit den Nachbarländern und des Friedens müsse volle klarheit über alle Punkte geschaffen werden.

Vandervelde

unterstrich die internationale Gefahr des aufgedeckten

Manövers: Wir billigen den Entschluß der Regierung, die Schuldigen zu bestrafen. Die Erklärung des Ministerpräsidenten hat uns von verschiedenen Dingen in Kenntnis gefeht, die uns zu sehr ernsten Ueberlegungen zwingen. Es ist fief bedauer­lich, daß noch solche internationale Ansteckungsherde wie die Spionageorganisationen bestehen. Wir sind der Ansicht, daß man diese Wunde

mit glühendem Eisen ausbrennen

muß. Bom internationalen Gesichtspunkt ist die Utrechter An­gelegenheit erledigt, aber wir fordern, daß die Kammer Dienstag die sozialistische Interpellation über die Aufrechterhaltung des Spionagedienstes behandelt."

Am Schluß der Sihung wurde eine von dem Sozialisten Brunef eingebrachte Refolufion, die die Erklärungen der Re­gierung zur Kenntnis nimmt, mit allen gegen die Stimmen der flämischen Nationalisten, eine fommunistische und eine fozia­liftische Stimme angenommen. Um Dienstag wird die 3nfer­pellation der Sozialisten verhandelt.

Mit dieser aufsehenerregenden Erklärung des belgischen Ministerpräsidenten ist ein Standal allerersten Ranges zugegeben worden, der in der Geschichte der letzten Jahre sogar auf dem an sich sehr trüben Gebiete der Spio­nage und Gegenspionage beiipiellos dasteht.

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Wer herrscht?

Weiteres zur Frage: Wir und der Staat.

Von Eduard Bernstein  .

Wer ist im heutigen Deutschland   die herrschende Daß er aber jene Utrechter Geheimverträge" nicht nur klasse"? Gewiß, im Wirtschaftsleben Deutschlands   über­mit Wissen, sondern offenbar sogar im Auftrage des belgischen Generalstabes verfaßte das fonnte man faum miegt noch die privatfavital.niche Unternehmung, und in annehmen, weil es eigentlich zu pervers anmutet. In dieser sind die tapitalistischen Unternehmer die Oberschicht. dessen haben Generalftäbler in Friedenszeiten anscheinend so Aber sie sind darum doch nicht mehr die Herren von ehemals. wenig zu tun, daß sie in ihrem Betätigungsdrang auf die Das durch den Weltkrieg wirtschaftlich aufs schwerste ge­ausgefallensten Ideen kommen. In diesem Falle ging offen- schwächte Deutschland   konnte nach dem Zusammenbruch den bar die Idee" dahin, die öffentliche Meinung in Holland   Sprung in die sozialistische Gesellschaftsordnung unmöglich und Deutschland   durch gefälschte Dctumente in Aufruhr zu vollends zu zerrütten. Die dringendste Aufgabe war vielmehr, über Nacht unternehmen, ohne dadurch sein Wirtschaftsleben versehen. womöglich die Regierungen dieser Länder zu vor pollends zu zerrütten. Die dringendste Aufgabe war vielmehr, eiligen Schritten zu verleiten, um sie dann hohnlächelnd als zunächst Handel und Wandel wieder in Gang zu bringen, Opfer eines Fälschers entlarven" zu fönnen. Dieser geniale woran die Arbeiterschaft nicht weniger interessiert war als die Plan hatte nur den einen Hafen, daß er nur bis zur Hälfte Bourgeoisie. Daher ward bei der Schaffung der Reichsver­durchdacht war: denn bei einiger Ueberlegung mußten sich faffung in deren Artikel 153 das Eigentum verfassungsrecht­feine Erfinder selbst sagen, daß die Geschichte schließlich do chlich gewährleistet", anders ausgedrückt, verbürgt. Indes herauskommen würde, zumal bei einem so zweifelhaften geschah das nicht bedingungslos. So heißt es noch im gleichen Subjekt wie Frank- Heine. Artikel der Verfassung weiter vom Eigentum: ,, Sein Inhalt und feine Schranten ergeben sich aus den Gesetzen" und am Schluß: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch foll zu­gleich Dienst sein für das gemeine Beste", was deutlich genug erkennen läßt, daß hier die Verbürgerung feineswegs das­selbe bedeutete wie die Forterhaltung des Absolutismus der Besizer.

Herr Jaspar rechnet es sich und seiner Regierung hoch an, daß sie selbst so schnell und rücksichtslos den standa lösen Tatbestand aufgedeckt habe. Wir wollen nicht boshaft fein, fönnen aber die Bemerkung nicht unterdrücken, daß diefe Tugendhaftigkeit sich wohl erst unter dem 3 wange der Opposition und insbesondere infolge der Dienstag- Enthüllungen des Pariser ,, De u pre" mit 36ſtün­diger Verspätung entfaltete.

Während unsere belgischen Genoffen die Regierung zwin­gen, reinen Tisch zu machen. bestehen wir unsererseits darauf, baß das deutsche   Auswärtige Amt vor der eigenen Türe fehre. Der Kompler der Beziehungen zwischen der deut ichen Gesandtschaft in Brüssel  , dem Erdeserteur und Doppelspigel Frant, dem Hugenberg- Bertreter Karl Behrens   usw. erscheint uns in höchstem Grade aufttä­rungsbedürftig. Wir fordern insbesondere Klarheit darüber, wer die Zeitschrift des Frant. ,, Les nouveaux jours", in der eine plumpe und für belgische Verhältnisse geradezu aufreizende deutschfreundliche und überpazifistische Propaganda getrieben murde, finanzierte. Wir fordern schließlich Klarheit über das Verhalten der deutschen   diplomatischen Vertretung in Brüssel   gerade in den letzten Tagen, denn, mie wir hören, soll sich der Gesandte Dr. Horstmann bei dieser Affäre nicht gerade als ein diplomatisches Genie erwiesen haben.

Scharfe Kritif an van Blockland  .

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Amsterdam  , 7. März.( Eigenbericht.) Der neue Rotterdamsche Courant" richtet in seiner Donnerstagausgabe an die beligische Regierung die Anfrage, marum e fich wegen der Untersuchung des Ursprungs der von dem Ut rechter Tageblatt" veröffentlichten gefälschten Dokumente nicht an bie niederländische Regierung mende. Das sei insofern nahe­liegend, als der Direktor des niederländischen Steinkohlensynditats van Beiningen erklärt habe, daß sich noch mehr Dolu mente in feinem Besig befinden, und zwar u. a. auch ein Dokument mit der Unterschrift des belgischen Generalstabs.

Im übrigen wird die niederländische Regierung von der ge­

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Schon der folgende Artikel der Verfassung, Artikel 154, legt durch die Anfündigung der Erbschaftssteuer eine Einschränkung von Rechten des Besizers durch die Repu blit grundsäglich feft. Das Gleiche geschieht in anschließenden Artifeln mit der Ankündigung von zu gewärtigenden Ent­eignungen für als notwendig erkannte Wohn- und Siedlungsmaßnahmen, mit der Erklärung der Be­arbeitung des Bodens für eine Pflicht des Grund­befigers gegenüber der Gemeinschaft", und der Festlegung des Rechts der Regierungen, die Wirtschafts­betriebe zu beaufsichtigen. Natürlich bedeutet die ver­faffungsrechtliche Verkündung dieser Grundsätze noch nicht ihre Umfegung in die Praris, zu ihr sind entsprechende Ge­feße erforderlich, was aber wiederum zeigt, welche praf­tische Bedeutung das uneingeschränkte demokratische Wahl­recht der Arbeiter in der Republik   für die Verwirt­lichung sozialistischer Maßnahmen hat.

Mit größerer Schärfe und weiter tragender Anwendung als die Verfassung irgendeines anderen Landes legt die Ver­faffung der Republik   Deutschland   den Anspruch der Arbeiter auf geseglichen Schuß und Sicherung ihres Koali­tionsrechts feft. Man höre:

Artikel 157: ,, Die Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schute des Reichs. Das Reich schafft ein einheitliches Arbeits­recht."

und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für Artikel 159: ,, Die Bereinigungsfreiheit zur Wahrung jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Ab­reden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zit behindern fuchen, find gefehwidrig."

Artikel 165: ,, Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen,

famten niederländischen Presse wegen ihrer anfänglichen Haltung gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Rege­gegenüber den Beröffentlichungen des Utrechter Tageblatts lung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten fcharf angegriffen. Die tatholische Presse greift ins- lung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten besondere den Außenminister van Blodland an, wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die während der in Rotterdam   erscheinende sozialistische Boor beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden ma arts" erflärt, die Regierung habe das Wort, daß die Nieder­lande von feiner einzigen Nation bedroht seien, eine polle Boche in der Kehle zurückgehalten und habe sich dadurch mit einer( chweren Berantwortung belastet.

Geheimvertrag Polen- Rumänien?

Gegen Rußland- Litauen.

Kowno  , 7. März.( Eigenbericht.) Die Zeifung Cietuvos Aidas" veröffentlicht einen angeb­lichen Geheimvertrag vom 1. Oftober 1928 zwischen Polen   und Rumänien   gegen Rußland   und Citauen. Der Vertrag foll während des Aufenthalts Pilsudstis in Rumänien   unter zeichnet worden sein. Im Fall einer Gefahr solle au Rußland   ein turzbefristetes Ultimatum gerichtet werden. Wenn diefes nicht erfüllt werde, sollen die polnisch- rumänischen Streitkräfte zum Angriff übergehen. Falls auch Litauen   sich an dem Kampf beteilige, habe Polen   das Offupationsrecht.

Stalin  , schlachtet".

Damit haben die Mutmaßungen, die wir vor zwei Tagen an die sonderbare freiwillige Rückkehr des Frank nach Brüssel   knüpften, nicht nur ihre volle Bestätigung gefunden, sondern sie werden sogar durch die Tatsachen übertroffen. Borbereitung zum Maffenbinauswurf der Opposition. Wir schrieben, daß Franf- Heine vermutlich eine ganz üble Doppelrolle von vornherein gespielt" haben dürfte und Wie aus Mostau gemeldet wird, hat das Politbureau der mie jo piele Spione und Agenten ähnlichen Schlages an Kommunistischen Bariei eine besondere kommission bet amei Futtertrippen gleichzeitig fraß: an der DGPU   gebildet, die die Aufgabe hat, die oppofitionellen einer deutschen   mehr oder minder privaten" Spionage Elemente aus der Partei zu entfernen. Die Kommission hai beson organisation und an belgischen Militärstellen". I dere Vollmachten erhalten.

anerkannt.

Diese Artikel und andere, die die Bildung und die Auf­gaben von Arbeiter und Wirtschaftsräten be­treffen, bilden zusammen ein Programm, dessen Geist un­möglich als Ausfluß von Bourgeoisgesinnung hingestellt werden fann und das in einem rein fapitalistischen Staat unmöglich wäre. Nun find zwar nicht alle Bestimmun gen dieser Artikel im heutigen Deutschland   schon voll ver wirklicht, aber gerade diejenigen von ihnen, die das Ko ali­ttonsrecht der Arbeiter und Angestellten be­treffen, sind es in hohem, von den kapitalistischen   Unter­nehmern oft recht unangenehm empfundenem Grade, ohne daß Deutschlands   Volkswirtschaft irgendwie darunter gelitten hätte. Das Koalitionsrecht der Arbeiter und Angestellten hat fich im Gegenteil als eine äußerst wirkungsvolle Gegenkraft gegen alle Versuche bewährt, die Einkommen dieser, als Fattoren der Produktion wie als Verbraucher volkswirtschaft­lich außerordentlich wichtigen Volksschichten herabzudrücken. Deutschlands   gewerkschaftliche Organisationen der Arbeiter und Angestellten- denn um sie handelt es sich hier- stellen an Zahl ihrer Mitglieder und durch deren organisatorische Geschlossenheit und Geschultheit eine sozialpolitische Potenz dar, deren Kraft von der Größe und Leistungs­fähigkeit der betreffenden Organisationen feines anderen Landes übertroffen wird oder auch nur erreicht ist.

Was soll angesichts dieser allgemein bekannten Tatsache die Redensart tapitalistische Republit" be­sagen? Wenn die bolfchemistischen Kommunisten mit ihr haufieren, so legt das, wenn es nicht bewußte unwahrheit