Morgenausgabe
Rr. 121
A 61
-46. Jahrgang
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Vorwärts
Mittwoch
13. März 1929
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Die Allgewerkschaft" trennt sich von Moskau .
Prag , 12. März.( Eigenbericht.) Die Absehung der Funktionäre der fommunistischen Allgewerkschaft" durch die Opposition wurde mit elf gegen neun Stimmen beschlossen. Ferner wurde be. schlossen, die Note Gewerkschaftsinternatio. nale in einem Telegramm aufzufordern, ihre Vertreter aus Prag abzuberufen.
Ami Dienstag hinderten Oppositionelle die frühe ren Sekretäre und Beamten am Betreten des Gewert schaftsbureaus. In einer Extraausgabe des Berbands blattes übt ein von den neuen Borstandsmitgliedern unterschriebener Artikel schärfste Kritik an der offiziell kommunistischen Taktif. Besonders wird betont, daß der lehte Zegtilarbeiterstreit gewissenlos geführt und topflos liquidiert worden sei; der offene Etti- Brief, der auf dem Prager Parteitag vor gelesen und im Prager Zentralorgan veröffentlicht wurde, fei in Prog gefälscht worden.
Der Berrat an den Zerfilarbeitern. Nach dem mißglidten ,, Roten Tag", der anstatt der Kraft der tschechischen Kommunisten ihr demütiges Sichduden or der Polizei gezeigt hatte und der vom„ Etti" angeordnet war, erfuhr man aus den kommunistischen Zeitungen, diskutierten Rechte", historische Redte", Troglisten, Neo- Trogfisten, Bersöhnler, afte und neue Linte vielleicht noch einige Schattierungen fost ein halbes Jahr lang um die richtige Linie und bewegten sich doch alle der gleichen Linie zu, der von Mostou vorgeschriebenen. Denn jeder schlug zuletzt reuig an die Brust und bekannte, gefehlt zu haben. Ein Zutreuztriehen um die Bette!
Aber als der eine ganze Zeitungs nummer umfassende Ettibrief der tschechischen Kommunist en Bersagen, sozialdemofratische Verseuchung, Isolierung von den Massen und legalist is fchen Kretinismus befundet hatte, da stellte sich nicht nur bte gesamte Parteileitung auf diesen Boden, sondern gelobte auch, fofort die anbefohlene Reorganisation durchzuführen und Beweise der Besserung zu erbringen. Die Landeswahlen und das Staats jubiläum sollten die gesteigerte Aktivität zeigen. Beim Staatsjubi läum merkte man nichts von der Existenz einer fommunistischen Bartei und bei den Wahlen erlitten die Kommunisten eine empfind liche Niederlage. Man hatte aber doch Taten versprochen! Die linfe Opposition", in Wahrheit längst feine Opposition mehr, weil ihr, der von Stalin begünstigten Gruppe, alle anderen willig die Führung überlassen hatten, fah sich nach einer günstigen Gelegenheit um. Sie fand sie, als die nord böhmischen Tegtilarbeiter Lohnforderungen stellten. Diese Arbeiter, einst in starten freien Gewertfchaften zusammengeschlossen, find dank der Spaltung nur noch zum Teil organisiert. Bei dieser geringen Kampffähigkeit mußte die freie Gewerkschaft das Angebot einer einmaligen Zulage von 64 Stunden löhnen annehmen. Aber die Kommunisten befehlen den Streif, der auch gegen die reformistischen Gewerkschaftsführer und gegen die Einfreifung Sowjetrußlands" gehen foute.
Der Konflikt zwischen Regierung und Oppofi tion ist bisher bereits in einer ganzen Serie von neuen Rämpfen zum Ausbruch gekommen. Fortgesetzt werden von der Opposition die fleinsten Möglichkeiten des parlamentarischen Appa rates ausgerüßt, um der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten. Dabei fann noch nicht einmal davon gesprochen werden, ob die mit allen Mitteln der Obstruftion fämpfende Opposition bereits jetzt genügend moralisch gefestigt und geschlossen ist, unn etwa die Macht übernehmen zu können. Es handelt sich sozusagen um Gepläntel
Von 60 000 Tertilarbeitern streiften höchstens 8000, diese maren
zumeist Unorganisierte, Indifferente, junge Burschen. Nach drei Tagen rief die Partei zum„ Generalftrei?“ auf. Und am selben Tage brach ie den Streif bedingungslos ab.
Die fommuniffischen Arbeiter hatten die Gefolgschaft verjagt. Da jezt die Linken" am Ruder sind, so wurde festgestellt, daß alles.in Ordnung war, daß die objektiven", aber auch die subjettinen" Borauslegungen gegeben waren, daß der Streif eine hiftorische und hervorragend radikale Bendung in der Stra sonterer Genugtuung wurde festgestellt, daß, die indifferenten tegie und Iattif der Birtschaftsfämpfe bedeutet". Und mit beungelernten Arbeiter in diesem Kampfe eine hervorragend revolutionäre Rolle gespielt haben". Die KPC. wird sich mit diesen unorganisierten Revolutionären trösten müssen, denn ein Teil der Mitgliedschaft der kommunistischen Gewerkschaft tritt zur nion" über und der andere rebelliert gegen die Partei. Die Führer der Textilsektion der kommunistischen Allgewerkschaft" haben nistische Bariei erhoben und nun schiden fie fich an, einen eigenen zuerst in Flugblättern ich were ntlagen gegen die kommu Berbond zu gründen, der völlig unabhängig von der kommu nistischen Bartel sein soll.
Dem Streifzufammenbruch folgte unmittelbar ein geheimer Parteitag. Geheim mußte er sein, um Stalin zu zeigen, daß man mun den Legalitätstretinismus glücklich los ist. Auf dem Barteitag gab es faft nur noch Linke", Richtige Linte, nicht etwa die Leute von der ,, alten" Linken. So fonnte man ganze Arbeit machen. Der Barteitag entlarvte alle Opportunisten und Liquidatoren. Die Bartei, wurden aus der Leitung hinausgedrängt. unenthehrlichen Tugenden eines tommunistischen Revolutionärs! Suichen, Kazbudeln, fich demütigen die notwendigsten, die Dr. Victor Stern, vor Jahresfrist noch einflußreichster Führer, ift abgetan. Und doch hat er sich so schön unterworfen! Da hat er auf der Reichenberger Kreisfonferenz vor dem Parteitag erklärt, daß er mit der linken Oppofition einverstanden sei, daß er sich aber gegen die linke Opposition stellen müßte, wenn sie diese seine Erklärungen nicht mit dem größten Mißtrauen aufnehmen würden". Freundschaftlich wurde ihm gesagt, daß seine Erklärungen nicht die mindeste Gewähr dafür bieten, daß er seine politischen Auffaffungen ernsthaft revidiert habe. Er darf zwar wieder mitarbeiten, aber nicht in der Führung.
Neurath, Muna, Schmeral, reibich, alle Gründer der
- Die fommunistischen Arbeiter jedoch sind gleichgültig geworden, stumpf. Daß die Sozialdemokraten Berbündete der Bourgeoisie find, dürften nicht wenige ernsthaft glauben. Hat man ihnen doch jahrelang die ungeheuerlichsten Lügen erzählt, so zum Beispiel die, daß beim Hamburger Kongreß der Sozialistischen Internationale cine 3arenfahne aufgezogen war! Aber
das Gezänk der Führercliquen intereffiert die Arbeiler nicht, das verstehen sie auch nicht. In die Versammlungen kommen fie nicht mehr. Einer wirklichen Aktion ist die KPC. nicht mehr fähig. Sie ist erstarrt zu einer Sette, über die sich die Bourgeoisie lustig macht und die sie zugleich doch auch ich a zt, weil sie immerhin einen noch beträchtlichen Teil der Arbeiter hindert, zur Sozialdemotratie zu fommen.
Die am Dienstag geführte Debatte trug lediglich den Charakter eines Borposten gefechtes. Die Opposition hatte sich vorge nommen, mit allen durch die Geschäftsordnung gegebenen Mitteln die Diskussion zu verschleppen. Da Poincaré jedoch nach wie vor noch auf eine, wenn auch schwache Mehrheit zählen kann, mar diefes Bestreben ziemlich aussichtslos. Schwieriger bürfte für die Regierung die Situation in der Interpellationsdebatte über die Todesfälle in der Rheinlandarmee werden, die auf Greitag festgelegt wurde.
zur Trainierung der Truppen, und wahrscheinlich wäre man im Versammlungsverbot für das hamburgische Staatsgebiet.
Lager der Radikalen selbst keineswegs erbaut, wenn der Gegner bereits das Feld räumen würde.
Der Ministerpräsident ist entschlossen, dieser unangenehmen Belagerung standzuhalten. Zu den Kongregationsgefeßen, die feit Wochen das Kampfobjekt bilden, find in letter minute dis
Mißstände unter der Befahungsarmee
im Rheinlande gekommen. Was die Gesetze betrifft, so besteht gegen deren jezige Jaffung auf der Linfen im Grunde teine prinzipielle Opposition. Der von der auswärtigen Kom mission angenommene Entwurf enthält immerhin einige Garantien gegen den Mißbrauch der Bestimmungen durch die Kongregationen. Die Regierung hat damit der Auffassung der Linten weit gehende Kongeffionen gemacht. Trogdem wollen die Robitalen die Verabschiedung der Gesetze werhindern.
Die Polizei- Pressestelle feilt mit: Mit Rücksicht auf die infolge der Ereigniffe in Wöhrden vom Oberpräsidenten der Proving Schleswig- Holstein erlassenen Bersammlungsverbote hat fich der Senat entfchloffen, auch für das hamburgische Staatsgebiet alle Bersammlungen und Umzüge unter freiem Simmel sowohl der Nationalsozialisten als auch der kommunisten bis auf weiteres gemäß Artikel 123 der Reichsverfaffung zu verbieten.
Wie aus Helde gemeldet wird, find wegen Berdachts der Befeiligung an den Tumulten in Wöhrden neuerdings zwei fommunistische Arbeiter festgenommen und, wie der früher schon verhaftete Kommunistenführer Heud, nach Alfona gebracht worden.
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,, Glüdliches Deutschland, du haft nur eine Reichswehr von 100 000 Mann!" In militärischen Unterhaltungen mit ausländischen Friedensfreunden ist diese Feststellung neben der Betonung des finanziellen und wirtschaftlichen Segens, der früher oder später aus dieser Verminderung der Wehrmacht zu erwarten sei, gewissermaßen der Kern aller Meinungsäußerungen. Die Monarchisten in Deutschland sprechen anders: Seht euch diese verschwenderische Republik an! Obwohl unsere stolze, alte Wehrmacht von 800 000 Mann, die den Hauptteil der Ausgaben des Kaiserreichs erforderte, durch 100 000 fchmudlose Reichswehrsoldaten ersetzt worden ist, Steuerdrud wächst, die geschäftliche Not steigt! Wohin fommt arbeitet der neue Staat mit einem Zehnmilliardenetat. Der das viele Geld?" So oder ähnlich hört man es in völkischen oder deutschnationalen Bersammlungen. Die fleinen Korporale der Herren Weft ar p und Hugenberg ziehen daraus den Schluß: Natürlich die Judenrepublik und ihre Taschen! Selbst Herr Stresemann, der als Mitglied Nugnießer! Sie figen alle am Fettopf und füllen sich die für alle Ausgaben des Reiches in fester Währung überfämtlicher Kabinette seit September 1923 die Verantwortung nommen hat, gestattete sich neulich auf der Tagung des Zender Demagogie. tralvorstandes seiner Partei einen Ausflug in die Gefilde
Mart. Das sind 35 Proz. aller Ausgaben des Reiches. Gerade Die Liquidation des Krieges erfordert 3462,8 Millionen Herr Stresemann follte wissen, daß das eine Rechnung ist, der Monarchie präsentiert wird. Sie ist einige Erläuterungen die dem deutschen Volte für die katastrophale Außenpolitik
wert.
Das Heer der allgemeinen Wehrpflicht verursachte im die Reichswehr sind im Boranschlag für 1928 etwa 750 Mil Jahre 1913 einen Aufwand von 1738 Millionen Mart . Für lionen Mark vorgesehen. Bei oberflächlicher Betrachtung sieht es also so aus, als ob unser militärischer Aufwand heute rund ein absoluter Trugschluß. Die Armee der Republik ist in eine Milliarde niedriger wäre als vor dem Kriege. Das ist Wirklichkeit viel größer und kostspieliger als vor dem Kriege. Sie ist freilich von besonderer Beschaffenheit. Militärischer Ehrgeiz und Sehnsucht nach friegerischen Lorbeeren können mit ihr nicht mehr befriedigt werden. Sie besteht aus einer toten, einer tranten und einer kleinen lebenden Division.
deutscher Seite während des Weltkrieges unter die Waffen Zwölf Millionen Männer im wehrfähigen Alter sind auf getreten. Die Knochen von 2 Millionen bleichen in fremder Erde. Das ist die tote Division. Trocken und nüchtern meldet Anlage 6 zum Abschnitt XII des Haushaltplanes, daß diese tote Division 10 Jahre nach dem letzten Kanonenschuß noch 372 001 Witwen, 797 531 Waisen unter 18 Jahren und 300 376 hilfsbedürftige Eltern als Hinterbliebene mustert. Sollte die Republik an diesen armen Bolksgenossen etwa die Prognose verwirklichen, die ein verrückter Alldeutscher 1911 für unsere Gegner in dem Saz formulierte: Der Krieg darf dem Unterlegenen nichts lassen als die Augen zum Weinen über sein Unglüc"? Das Kaiserreich hatte finanziell und gesetzgeberisch eine ganz un zulängliche Borsorge für die Hinterbliebenen getroffen. Die wahrhaftig nicht üppigen Hinterbliebenenrenten der Republik belasten aber den Haushalt für 1929 immerhin mit 661,5 Millionen Mart. Zu den Hinterbliebenen dieser toten Division gehören noch 17 000 Unteroffizierswitwen und 4000 Offizierswitwen, deren Sonderversorgung weitere 52 630 340 Mark beansprucht.
Kriege Bezeichnete bilden die frante Division. Die Blinde, Irre, Lahme, Berstümmelte und sonstige vom Etattechniker und die Sparsamkeitsprediger bekommen das Gruseln, menn sie den traurigen Heerhaufen befehen. Aus der großen Reserve der 12 Millionen wächst er trotz 11 000 Mann jährlichen Abgangs durch Tod von 720 931 im Jahre 1924 auf 761 294 Mann im Mai 1928! Nicht weniger als 334 163 find schwerbeschädigt. 54034 Kapitulanten des alten Heeres treten hinzu. Bon den zwei Grenadieren der ftolzen napoleonischen Armee, die aus russischer Gefangenschaft nach Frankreich zogen, läßt Heinrich Heine nur den einen sagen:
Was schert mich Weib, was schert mich Kind.. Laß sie betteln geh'n, wenn sie hungrig sind! Aber auch dieser eine sieht wohl ein, daß er vom Patriotismus allein nicht leben fann und will wenigstens so lange tot fein, bis der Kaiser über sein Grab reitet. Die Drehorgel und der Schnappsad waren die Versorgungsmittel der absoluten Monarchie. Ihrer durfte sich die Republik doch wahrhaftig nicht bedienen. Sie muß daher 1929 für die Versorgung dieser Opfer des Kriegswahnsinns 680 765 000 Mart- ausgeben, wobei der Durchschnittsbetrag für den einzelnen Empfänger durchaus fein imponierender ist. Auch diese Division hat ein Offizierstorps und einen Beamtenstab