Nr. 15.
Biertel:
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für 1896 unter Nr. 7277.
Vorwärts
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13. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Wieder ein Jubiläumt.
Seit länger als sechs Monaten jeden Tag ein Jubiläum. Das ist etwas viel. Und wer kennt nicht das Göthe'sche Wort:
Es ist nichts so schwer zu tragen,
Als eine Reihe von guten Tagen. Und Schlacht- Erinnerungstage- Jubiläen des männer mordenden Ares", wie Homer schon vor mehr als dreitausend Jahren den Kriegsgott genannt hat.
Sonnabend, den 18. Januar 1896. Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3:
und rühmen: wir haben von oben das Werk vollbracht, das weiland von unten mißlungen die deutsche Einheit ist nicht des Volfes, sie ist der Fürsten Werk."
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Tas was man so nennt, allerdings. Aber ist es das, was das deutsche Volk gewollt, wofür es gekämpft hat? Wir vom Volk, die 1848 und 1849 für die deutsche Freiheit und Einheit unsere Haut zu Markte trugen, hätten die Männer der„ Einheit" die heute vor 25 Jahren gegründet ward, uns 1849 in die Gewalt bekommen unsere Knochen moderten hente neben denen der Dortu Trüßschler und Genossen, die in den Laufgräben von Rastadt und auf dem Kirchhof zur Wiehre bei Freiburg unter fürstlichen Kugeln geendet.
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Wie immer dem sei, gut oder schlecht, über sechs Monate lang jeden Tag Jubiläumsfest das ist zu viel; und wir sind bereit in Sack und Asche Buße zu thun oder Und wer war es, der 1819 mit Hohn und Ekel die eine Prämie zu zahlen, wenn uns, authentisch beglaubigt, deutsche Kaiserkrone zurückwies diesen Reif von ein Musterpatriot natürlich lebend auf den Dreck und Letten", der, weil die Erwählten des Redaktionstisch niedergelegt wird, der die täglichen Bolt es ihn anboten, den Luder geruch der Revo Volkes Ludergeruch Jubiläumsberichte und Jubiläumshymuen der letzten lution" hatte? 180 bis 190 Tage gelesen hat.
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Es war ein deutscher Fürst, ein Hohenzoller, der Großonkel des jeßigen Kaisers.
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Die größte Partei des deutschen Volkes geächtet!
Tausende von Jahren Gefängniß verhängt über die Verfechter der Boltsrechte.
des
Die Steuern verdoppelt und verdreifacht.
Das stehende Heer verdoppelt.
Die Polizeimacht verdreifacht.
Das Brot des armen Mannes vertheuert zum Nutzen reichen Junkers.
Zwölftausend Millionen ausgegeben für Kasernen, Flinten, Kanonen und Säbel.
Achttausend Millionen in Schutzöllen und Liebesgaben aus den Taschen des arbeitenden Bolkes hinübergezaubert in die der herrschenden Minderheit,
Das Vertrauen des Volkes in die Justiz erschüttert- nach dem eigenen Zugeständniß des Justizministers.
Das allgemeine Wahlrecht, das einzige werthvolle Gut, das wir dem Reiche verdanken, in Ge fahr unterwühlt, bedroht, von denen, die Hauptstützen des Reiches sind.
Ein wirklicher embarras de richesse diese 180 bis 190 Jubiläen. Wo bleibt da der Jubel beim Jubiläum? Und da wagt man uns vorzulügen, das Bolt sei uu Und eigentlich gehört doch der deutsche Jubel zum fähig gewesen, den nationalen Gedanken zu verwirklichen Und in diesem Augenblick, während die Reichsherren lateinischen Jubiläum, weil er eins und dasselbe ist in die berufenen Träger und Vollstrecker des deutschen heute die Reichsherrlichkeit feiern, alle Gefängnisse Deutschverschiedener Sprachkleidung. Einheitsgedankens seien die deutschen Fürsten gewesen lands gefüllt mit politischen Verbrecheru". Aber heute ist eins der zwei großen Jubiläen; was beiläufig in allen Schulen gelehrt wird. Und wer noch nicht genug hat, wer noch weitere Bes giebt's doch auch für die Jubiläen bei uns keine demo- Wie war's in Wahrheit vor 25 Jahren? Waren denn weise verlangt, wohlan, der betrachte sich die Reich 3- fratische Gleichheit. Vor fünfthalb Monaten war das die Fürsten so eifrig, ihre Eifersüchteleien zu opfern, das lande das schöne Elsaß- Lothringen, in dem einst die erste der großen Jubiläen: der Tag des Heiligen Deutsche Reich zu gründen? Wir haben ja einen deutschen Patrioten, als Vaterlands- und Freiheitsliebe noch Sedan. Heute ist der Tag der Gründung des klassischen Zeugen- einen deutschen Fürsten untrennbar galten, den" Bindestrich" zwischen Deutschland Reiches. einen Hohenzoller, einen König und einen und Frankreich erkannten den beiden Ländern, deren Feind. Raiser wir haben das Tagebuch Kaiser schaft die Barbarei und Kriegsgefahr, deren Bund der Friedrichs des Dritten!" Da steht es zu lesen, wie Friede und die Freiheit ist. der Ludergeruch" noch damals in den fürstlichen Nasen ftat, wie der König von Preußen zauderte, wie Bismarck zauderte, ein Bild kleinlichster Misère.
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Und wissen wir etwa nicht, wie es gemacht wurde, da mit der„ Ludergeruch" verschwand und die Kaiserkrone nicht den Makel plebejischer Volkshände trug und nur den Duft gottbegnadeter Fürstenhände?
Am Sedanstag sagten wir: ein Fest des Schlachtengoltes, eine Feier des Tages, an dem das Blut zehn tausender von Menschen geflossen, und der nicht den Frieden gebracht, sondern nur neue Wegeleien, fann fein Volksfest sein, und eine Partei kann es nicht mitfeiern, welche, gewappnet mit der Wissenschaft unseres Jahr hunderts", die Errungenschaften der menschlichen Kultur zu vertheidigen hat gegen die barbarischen Unterwühlungsversuche und Umsturzbestrebungen der vereinigten Parteien des Kapitalismus. Und wir meinten, wenn das Reich ein Ist es vergessen, wie König Ludwig von Bayer Fest feiern wolle, dann solle es doch das Fest seiner land, der 18 Jahre später im Fresinn durch Selbstmord Gründung feiern, das habe einen Sinn für das Reich. endete, und der 1870 schon den Keim der Geisteskrankheit in Nun, heute wird das Fest der Reichsgründung gefeiert seinem Hirn trug,- ist es vergessen, wie der unglückliche König von dem Reich. Nicht vom Volt. Nicht einmal von der zum Angebot der Kaiserkrone an das Haus Hohenzollern Volksvertretung. Damit kein Mißklang ertöne, ist teine bestimmt ward? Reichstags- Sigung. Und auch das unterscheidet Vorgestern stellte ein Abgeordneter im Reichstage fest, das heutige Fest von dem Fest des Heiligen Sedan. Es daß das Jubiläum des Deutschen Reiches durch eine ist nicht nur kein Fest des Kriegs, es maßt sich Tebatte über den Antrag Kanig eingeleitet wurde. auch nicht an, ein Volksfest zu sein. Es wird bei Allerdings eine drastische Illustration des stereotypen Hofe gefeiert; es wird in den Kasernen gefeiert; es Wortes:
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wird von allen Beamten gefeiert, die in Reichs- und Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht! Staatsdienst stehen und darum amtlich verpflichtet Ja, bis zum Junker und Polizei- Sozialismus, der find, alle Reichs- und Staatsfeste mitzumachen; zwar gestern abgewiesen ward, aber zurückkehren wird. wird gefeiert von allen, benen das Reich Und gestern überreichte der neueste deutsche ReichsBortheile gebracht hat, oder die Vortheile von ihm erhoffen, fanzler dem Präsidenten des Reichstages als Deukmal oder, falls sie nicht mitfeiern, Nachtheile befürchten. deutschen Reichsgeistes zur Feier des 25. Jahrestages der Reichsgründung das- bürgerliche Gesetzbuch! Ein Berg Matulatur. Würdiges Denkmal.
Was hat das Voit mit der Gründung des Deutschen Reiches zu thun gehabt? Die Gründung ist nicht einmal in Deutschland erfolgt sie erfolgte in Versailles, im Vor 25 Jahren gab es trotz der schlimmen Wiege französischen Königsschloß, wo einst das wahnsinnige Wort und troß der bedenklichen Geburts- Konstellation doch so gar ertönte: Der Staat bin ich!-ich der Alleinherrscher, manchen im Volk, der da glaubte, das nationale Jdeal sei im Königsschloß, aus dem wie aus einer riefigen wirklich erfüllt, das geeinte Deutschland werde frei werden Pandora- Büchse von Marmor jene unfagbaren Frevel und eine Stätte friedlicher Kulturarbeit.
und Verbrechen des persönlichen Regiments hervorgingen, Nur eine Partei stand abseiten. Sie las die Zukunft welche das furchtbare Volksgericht der französischen Revo in der Vergangenheit und Gegenwart. Sie sagte voraus: lution nach sich zogen. In diesem Königsschloß wurde was das Echwert geschaffen, das könne nimmer ein Hort das Deutsche Reich aus der Taufe gehoben, zwischen glitzern des Friedens, der Freiheit und Humanität werden das den Uniformen und inmitten des Brodems und des Pulver- Reich werde ein Reich werden der Fürsten, des Adels, dampfs, der von den Schlachtfeldern ringsumher aufstieg. der Schlotbarone, ein Soldatenreich; Das Volk war nirgends. Nur Fürsten, Generale, Soldaten und Höflinge.
Aber war denn das Reich nicht die Erfüllung des Ideals, für das die edelsten Geister der Nation seit Menschenaltern geschwärmt, gestritten, gekämpft?
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die Armee
Die Reichslande sind wieder deutsch. Deutsch, weil das deutsche Schwert, die deutsche Polizei und die deutschen Gerichte sie zwingen. Nirgends Liebe zum wiedergewonnenen Vaterland" überall Groll und verhaltener Ingrimm.
Eine wuchtigere Auflage gegen das Deutsche Reich ist nicht zu denken, als die Zustände in Elsaß- Lothringen, als die tiefe Abneigung, mit der das Volt, nach 25jähriger Zwangsvereinigung mit dem Deutschen Reich, heute noch für dieses empfindet. Die jüngsten Wahlen in Mez und Diedenhofen zeigen, daß die Bevölkerung heute sich noch ebenso ablehnend verhält, wie I am Tage der Annexion oder Rückeroberung". Um die Bedeutung dieser Thatsache voll zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß, einige Theile von Lothringen ausgenommen, die Be völkerung dieser sogenannten Reichelande kerndentsch ist, weit deutscher als das ostelbische Deutschland, wo das deutsche Blut mit einer größeren Hälfte slavischen Blutes gemischt ist. Also nationale Antipathie kann hier nicht vorliegen.
Warum hängen die deutschen Elsässer noch heute am fremdländischen Frankreich?" Weil die französische Revolution fie zu freien Menschen gemacht hat"- so antwortete einst Louis Blanc.
Was hat das Deutsche Reich den Elsaß- Lothringern gebracht? Steuerdruck, Polizeidruck und dafür alles gute, was das französische Gesetz ihnen bot, genommen, blos das schlechte gelaffen den Dittaturparagraph.
Das Deutsche Reich feiert heute seinen 25. Geburtstag, Wir gönnen ihm die Lobes- Dithyramben und den Weihrauch derer, denen es gutes gethan hat. Von den anderen darf es keine Huldigungen, keine Festfrende erwarten. Und diese anderen sind, das deutsche Volt.
Politische Ueberlicht.
nur einer von ihnen zum Wort- Herr Kardorff, und Herr Kardorff ift bekanntlich blos denen gefährlich, für die er spricht. Und Herr Liebermann aus Sonnenberg als Schlußredner für den Antrag bedeutete ein halb Dugend Redner gegen den Antrag.
Berlin, 17. Januar. werde größer werden und größer, die Steuerlast schwerer In der heutigen Reichstagssitzung wurde dem und schwerer, weder nach innen Friede noch nach außen, Antrag Kanitz und den Kanißern ein weniger angenehmes der Staat ein Gefängniß für alle und die wachsende Un Begräbniß zu theil, als die Herren Junker sich hatten zufriedenheit immer härteren Druck, immer rücksichtslosere träumen lassen. Die ganze Debatte nahm einen recht Unterdrückung erzeugend. schlechten Verlauf für sie. Gestern hatten sie fast aus So sagt man uns, und nie ist eine dickere Lüge gesagt Als unsere Genossen es im Reichstage voraussagten schließlich das Wort gehabt, heut tam in der Debatte worden. Zwei Mal vorher hatte das deutsche Volk einen beim Nahen des neuen Reichs", da wurden sie verlacht. Aulauf gemacht, die nationale Einheit herzustellen. Das Wer lacht heute noch? erste Mal vor 370 Jahren im Bauerntrieg, wo die Die 25 Jahre, die hinter uns liegen, reden eine so Bauern aber die echten, nicht die Raniz'schen-beredte Sprache und so laut, daß kein Treitschke, kein den Gedanken der nationalen Einheit vertraten. Da Poschinger sie überschreien kann. mals wurde die Revolution verrathen von den Rittern, Lassen wir die tragikomische Kaiserdeputation des den Urgroßvätern der heutigen Junker, und von den 17. Dezember 1870, der das Verhängniß den Fluch der Fürsten. Lächerlichkeit aufprägte. Das zweite Mal im tollen Jahr" 1848, als die Lassen wir das Schaugepränge des 18. Januar 1871, Volksmassen in Deutschland sich erhoben. Auch damals waren und betrachten wir im Flug aus der Vogelperspektive das es die Junker und die Fürsten, welche das Werk ver- neue Kaiserreich an der Arbeit. hinderten, das Parlament der Nation auseinander jagten, Zwanzig Jahre Kulturkampf Ausnahmegeseke gegen die Kämpfer für Deutschlands Freiheit und Einheit stand- ein Drittel des deutschen Volfes. rechtlich niederschossen. Dieselben wenn nicht in Person, Fünfundzwanzig Jahre der Verfolgung! Zwölf Jahre doch in Art, die 1848 und 1849 für die deutsche Einheit der Ausnahmegeseze gegen eine Partei, die ein Viertel der nur Pulver und Blei hatten, stellen sich jetzt auf den Markt deutschen Nation umfaßt.
Den Reigen eröffnete Prinz Radziwill, der als frommer Katholik den Antrag bekämpfte. Es folgte Herr v. Bennigsen, der den staatsmännischen Bratenrock angezogen hatte und mit der staatsmännischen Nase zwar nicht Morgenluft witterte, aber Kartell luft. Er hielt natürlich eine staatsmännische Rede verurtheilte staatsmännisch den Antrag, der nicht staatserhaltend sei, und forderte, in staatsmännischer Rütlischwur- Stimmung, das Zusammen gehen der staatserhaltenden Parteien.
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Diese legten vier Wörter in ein verständliches Wort zufammengedrängt heißt: Karte II. Und Kartellluft weht