Morgenausgabe
Nr. 137
A 69
46. Jahrgang
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Freitag
22. März 1929
Groß- Berlin 10 P. Auswärts 15 i.
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Agrarpolitit am Scheidewege.
Das„ Einheitsprogramm" der Landwirtschaft.
Neue Niederlage Baldwins.
Diesmal erobern die Liberalen ein konservatives Mandat.
Die sogenannte Bauernfront, repräsentiert durch die Namen der Organisationsführer Schiele, Brandes, Hermes und Fehr, hat der Reichsregierung gestern ihr Die Nachwahl in Eddisbury, einem agrarischen ,, Einheitsprogramm" überreicht. Der Name Einheitspro- Wahlbezitt, in dem sich lediglich Konservative und Liberale gegengramm gibt allerdings den Charakter dieser Kundgebung nur überstehen, endete mit einem Sieg der Liberalen, die den fehr unzutreffend wieder, denn man fann sich faum etwas konfervativen das Mandat entriffen. Der liberale kandidat Uneinheitlicheres denten als diese Zusammenstellung von Forderungen, die aus ältestem und jüngstem agrarpolis Ruffel erhielt 10 223 Stimmen( 19249337), der konservative tischen Geist wild durcheinandergewachsen sind. Unmittelbar Kandidat 8931, während sein verstorbener Vorgänger bei den Neunebeneinander stehen da hochschutzöllnerische Forwahlen im Jahre 1924 11 006 Stimmen erhalten hatte. Der Sieg derungen, die die Anschläge der vergangenen Bürger der Liberalen ist um so bemerkenswerter, als der Wahlkreis von blodregierungen noch weit in den Schatten stellen: Erhöhung Eddisburn feit 1906 immer im Besitz der Konservativen gewesen ist. Der Fleischzölle auf 45 M., Erhöhung des Butterzolles auf 60 M., Erhöhung des Eierzolles auf das Vierfache des heutigen Sakes, verstärkter Zollschutz für Gemüse, Obst, Wein, Labat, Kartoffeln, furz, fast für jedes nur denkbare landwirtschaftliche Erzeugnis. Urältester Hochschutzöllnergeist fennzeichnet vom Verbraucherstandpunkt aus diese Forderungen, da sie den Lebensmittelbedarf Der städtischen Massen aufs neue und ohne irgendwelche Schonung besonders der minderbemittelten Schichten und ohne jedwede Rücksicht auf den Preisstand rücksichtslos weiter Derteuern wollen.
Aeltester und unbelehrbarster Zollmauergeist ist der Inhalt dieser Forderungen auch vom Standpunkt der Handelspolitif aus, da derartige Forderungen, falls fich wirklich eine Regierung und ein Reichstag zu ihrer Berwirklichung bereitfinden sollten, jeden Anjak zu vernünftigen Handelsperträgen mit unferen Nachbarländern unrettbar zerschlagen müßten.
Neuwahlen am 30. Mai.
Condon, 21. März.
Die allgemeinen Wahlen in England merden, wie die offiziöse Reuteragentur in Bestätigung früherer Nachrichten erfährt, am 30. Mai d. I. stattfinden.
Tom Shaw gegen Steel- Maitland.
London , 21. März.( Eigenbericht.)
Die Arbeiterpartei schnitt am Donnerstag im Unterhaus die Frage der Ratifizierung der Washingtoner Kon Dention an.
Der Sprecher der Partei Tom Shaw ging zunächst auf die jüngsten Vorgänge in Genf ein und kritisierte scharf den mißglückten Bersuch des jetzigen konservativen Arbeitsministers Steel Mait land, die Washingtoner Konvention versichern zu lassen. Er be zeichnete den Ausgang der Verhandlungen im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes als die größte Demütigung, die die britische Regierung jemals auf einer internationalen Konfe: renz der Nachkriegszeit erfahren habe. Großbritannien jei heute das einzige Land, das die Ratifikationen der Konvention direkt aufhalte, obwohl es ein ausgesprochenes wirtschaftliches Interesse an der Ratififation befize. Aus Gründen der Ehre, des gefunden Menschenverstandes, der Völkerverständigung und um des Bölkerbundes willen sollte Großbritannien in dieser Frage in der vordersten Reihe marschieren. Die Labour Party werde niemals
gleichzeitig dem Erzeuger günstigere Preise für seine Produfte und dem Verbraucher mäßige Lebensmittel preise zu sichern, braucht dem Vorwärts"-Leser nicht befonders auseinandergesezt zu werden.
Aus einer ganz anderen geistigen Welt dagegen scheinen andere Forderungen zu stammen. Muß es nicht gerade den Sozialisten merkwürdig berühren, daß in diesem agrarischen Einheitsprogramm die Forderung nach einer 3entrali fierung der Betreibeeinfuhr den allerbreitesten Raum einnimmt. Diese Bewirtschaftung der Getreideeinfuhr, welche einer ,, laufmännischen Zentralftelle" übertragen wer den und unter Aufsicht eines Reichsgetreiderates" vor sich gehen foll. ist in ihrer grundsäglichen Konstruktion dasselbe wie das Außenhandelsmonopol für Getreide, das nicht nur die deutsche Sozialdemokratie in ihrem Kieler Agrarprogramm gefordert hat, sondern das von den sozialdemokratischen Parteien Deutschlands . Desterreichs, Englands, Norwegens , der Tschechoslowakei und der Schweiz übereinstimmend gefordert wird. Im einzelnen geben zwar die Bo.schläge für die Durchführung dieser Getreidebewirtschaf tung manchen Anlaß zur Kritik. Der grundsäglichen ErDer grundsätzlichen Erfenntnis aber, daß nur eine zentrale Beherrschung des eingeführten Getreides unter Aufsicht des Reiches dem Land- Die große Frage ist nur, ob die Situation heute bereits mirt gleichmäßige und auskömmliche Preise sichern und gleich- politisch reif für ein solches Vorgehen ist, und gerade zeitig den Verbraucher vor unnötiger Belastung zu schützen an diesem Punkte muß die Hemmungslosigkeit und Dermag, fann von unserer Seite nur zugestimmt werden. Sinnlosigkeit ber 3ollforderungen, die fich Auf alle Fälle muß diefe programmatische Erklärung der in dem gleichen Einheitsprogramm finden, ebenso mißtrauisch landwirtschaftlichen Organisationen allen politischen Parteien und bedenklich stimmen wie die rein demagogische Zollpolitik, und allen Schichten der Bevölkerung ernsthaft zu denken die fich die bürgerlichen Parteien noch in der letzten Woche geben. Zwar haben nicht die Organisationen als solche, son- im Reichstag geleistet haben. Die Lage in der Landwirtdern nur ihre Führer persönlich dieses Programm unter- schaftspolitit ist vielleicht niemals fritischer und entscheidungs: schrieben, aber ein Brogamm, das die Namen von Landwirt- schwerer gewesen, als in der Gegenwart. Auf der einen Seite schaftsführern von so verschiedenartiger politischer und orga- eröffnet sich der Ausblick in eine neue Aera der landwirtschaftnisatorischer Einstellung trägt, ist auf alle Fälle eine Realität. lichen Preispolitik, in der Erzeuger und Verbraucher gemeinDie entscheidende Frage ist nur: ist das schöne Ziel des fam daran gehen, die Preisschwankungen und die ZufallseinBrogramms ,,, die ruinöfen Wirkungen der Weltmarktpreis- flüffe des Weltmarktes auszuschalten und Ordnung in die schwankungen auf die deutschen Breise auszuschalten und völlig verfahrenen Verhältnisse im Ablaß der landwirtschaft ftabile Preise im Inlande zu sichern" auch in dem gleichen lichen Erzeugnisse hineinzubringen. Auf der anderen Seite Make eine Realität, das heißt, ist es in absehbarer Zeit reif scheint die unüberlegte Gesezesmacherei der bürgerlichen Parteien immer hemmungsloser in eine agrarische zur Berwirklichung. ist es reif im wirtschaftlichen Sinne und ist es reif im politischen Sinne? Schutzollpolitik ödefter und hoffnungslosester Art hineinzuführen, bei der es für die Sozialdemokratie nichts anderes geben fann als schärffte Opposition.
Die erfte Frage muß unbedingt mit Ja beantwortet werden. Wenn wirklich in Deutschland die maßgebenden Bertreter der Landwirtschaft auf der einen Seite und der großen Verbrauchermassen auf der anderen Seite sich zu einer ehrlichen Verständigung zusammenfinden würden, um die Preise der landwirtschaftlichen Verkaufsprodukte und der Massennahrungsmittel den heutigen wilden Schwanfungen der ungeregelten Märkte, der Spekulation und dem aufgebiähten Zwischenhandel zu entziehen, und wenn es beiden Seiten mirtlich ernst mit dieser Absicht wäre, fo wären organisatorisch die Möglichkeiten dazu gegeben. Auch das allgemeine Biel, welches das landwirtschaftliche Einheitsprogramm andeutet, nämlich dem Landwirt solche Breise zu fichern, ble, an irgendeinem Inder gemessen, der allgemeinen Geldentwertung entsprechen, ist durchaus vernünftig und erreichbar.
Bei den landwirtschaftlichen Organisationen und ihren Führern liegt es, das, was fonstruktiv und organisatorisch längst reif ist, nämlich die Preisstabilisierung auf der Grundlage ehrlicher Verständigung zwischen Erzeugern und Berbrauchern, auch politisch reif zu machen. Sie haben in jahrzehntelanger Agitation den Zollaberglauben bei ihren Anhängern großgezogen, den sie heute nur schwer wieder ausrotten fönnen. Die Landwirtschaft muß endlich einsehen, daß ein Zöllchen hier und ein Zöllchen dort an ihrer Notlage und an ihren Rentabilitätsbedingungen nicht das geringste ändert. Sie muß erkennen, daß 3ollerhöhungen, Die im flaren Bewußtsein ihrer Wirkungslosigkeit aus rein dema gogischen Gründen durchgedrückt werden, ebenso ein Ber brechen an der irregeleiteten Landwirtschaft wie an der Verbraucherschaft sind, und daß es ohne Verständigung mit den Berbrauchern feine wirkliche Hilfe für die Landwirtschaft gibt.
Daß ein folches System für Erzeuger und Verbraucher in gleichem Maße vorteilhaft sein würde, daß es die Möglichkeit bieten würde, auf Grund der stabileren Preisbildung die Spanne zwischen den Erzeugerpreisen und den Ber Mag der Kurs der Agrarpolitik nun wirklich, wie die braucherpreisen wirksamer zu verfleinern und also tatsächlich ,, Deutsche Tageszeitung" triumphierend feststellt, noch einmal
ruhen, bis die der britischen Nation gemachten Versprechungen er füllt worden seien; die britische Arbeiterschaft fönne die vom Arbeitsals ft ich haltig betrachten. minister vorgebrachten Einwände gegen die Ratifikation nicht
Die Arbeiterpartei fand bei ihrem Angriff gegen die Regierung die unerwartete Unterstützung des konfervativen Abgeordneten Casalet, der betonte, daß kein Land so großen Nutzen aus den Arbeiten des Internationalen Arbeitsamtes ziehen könnte wie Großbritannien . Er sei ganz und gar nicht der Meinung, daß die anderen Länder Großbritannien mit der Ratifikation im Stiche lassen würden. Die Presse und die Gewerkschaften würden in anderen Ländern dafür sorgen, daß die Ratifikation vorgenommen würde.
Die angebliche Verschwörung in Indien Londoner Regierung mit der Delhi Regierung folidarisch Condon, 21. März.( Eigenbericht.)
Im Namen der Regierung von Indien teilte das Mitglied der indischen Regierung James Crerar in der indischen gesetzgebenden Versammlung in Delhi am Donnerstag offiziell mit, daß insgesamt 31 Personen wegen Beteiligung an einer tommunistischen Verschwörung" perhaftet feien. Der Redner versicherte, daß sich das Vorgehen der Regierung lediglich gegen Organisationen und Personen richte, die aktip an dieser Berschwörung teilgenommen hätten.
Wie ein. indisches Nachrichtenbureau meldet, wurden am Donners
tag neuerdings in 40 Städten Haussuchungen und zahlreiche Berhaftungen vorgenommen. Die verhafteten Personen wurden ebenfo wie die am Mittwoch verhafteten 31 Kominunisten nach Meerut gebracht. Unter der von der Polizei beschiagnahmten Literatur befindet sich merkwürdigerweise auch das Buch pon Bernard Shaw über den Sozialismus und viele sozialistische Schriften des Führers der britischen Arbeiterpartei Ramsay Macdonald
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Der Unterstaatssekretär von Indien teilte am Donnerstag im britischen Unterhaus mit, daß die englische Regierung das Vorgehen der indischen Polizei billigt.
in die Bürgerblodpolitik von Landbunds Gnaden hineinführen, mag man nochmals gerade den ärmsten Schichten der Verbraucher das Auslandsschmalz, die billige Lebermurst und das Stückchen Fleisch verteuern, der Landwirt ich aft fann man durch alles das nicht helfen. Das neue Einheitsprogramm erfennt ja selber in seinen positiven Teilen die völlige Sinnlosigkeit dieser alten Mittel an. Der neue Weg, den das Programm andeutet, die Preisstabilisierung und die Ordnung der Märkte, tann nur auf der Basis gleichberechtigter Zusammenarbeit von Erzeugern und Verbrauchern beschritten werden, und die Sozialdemo fratie fann aus dem Einheitsprogramm jedenfalls so viel feststellen, daß die Zeit und die geistige Entwicklung für sie und in ihrem Sinne arbeitet.
Landwirtschaftsvertreter bei der Reichsregierung.
Amtlich wird mitgeteilt: Als Vertreter der Landwirtschaft
sprachen heute bei dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dietrich die Herren Brandes, Schiele, Her: wurde eingehend erörtert. Der Reichsminister stellte fest, daß er bereits einen bestimmten Vorschlag zur Regelung der Betreibepreise gemacht habe, und daß im übrigen auch die jetzt von landwirtschaftlicher Seite vorgeschlagene Lösung schon im Herbst vorigen Jahres erwogen und nach allen Richtungen hin durchgeprüft worden sei.
mes und Fehr vor. Die in der Presse veröffentlichte Denkschrift
Um die Vieh- und Fleischpreise zu bessern, habe die Reichsregierung eine Reihe von Maßnahmen in die Wege geleitet, so die Angleichung der Viehzölle an die Fleischzölle, die Aussperrung des bisher noch zugelassenen Büchsenfleisches, die Erhöhung des Schmalzzolles; endlich sei auch ein Gesetz unterwegs, welches für eine einheitliche Handhabung der Seuchenpolizei in den Seegrenz schlachthöfen Sorge trage. Die Organisation der Milch- und Moltereiwirtschaft sei in vollem Gange und das verlangte Milchgesetz bekanntlich vor einigen Tagen den Landesregierungen und Intereffenten zur Stellungnahme zugeleitet.
Im Anschluß an die Besprechung beim Reichsminister Dietrich empfing der Reichstanzler die vorgenannten Herren und nahm ebenfalls ihre Vorschläge entgegen. Der Herr Reichskanzler stellte fofortige leberprüfung der Anregungen in Aussicht und bemerkte, daß das Reichskabinett sich bereits wiederholt mit den einschlägigen Fragen befaßt habe. Es gelte zurzeit neue Bege zu finden, um die Notlage der Landwirtschaft zu beheben.