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Donnerstag 2S.März 1929
Unterhaltung unö Wissen
Aeilage des Vorwärts
caive:&Unfwhriee bei Sascha
Unangemeldet besuche ich meinen Freund, den jungen Kunst- maler, zum Fünfuhrtee.Hof, parterre rechts" ficht auf dem sorg- sam von mir gehüteten Zettel mit verschnörkelter Handschrift. Das Milieu ist außergewöhnlich und ragt aus dem stumpsinnig goldenen Rahmen beschaulicher Mittelmäßigkeit hervor gleich einer Legende, die es verdient, erzählt zu werden. Ein großes Tor mit zwei nie geputzten Fensterscheiben. Der Boden aus Stein. Möbel? Ja, bei Keller u. Reiner und anderen großen Firmen stehen welche. Hier sucht sie dein Auge vergeblich. Der Raum war ursprünglich eine Garage. Auch Wasserleitung liegt darin, um den nicht vorhandenen Wagen zu waschen... Hup-hup! Der Kunstwagen ist oorgefahren. Mit IM) FS. Hier wohnt und schafft mein Freund. Ein großes, fast einjährige Arbeit aufweisendes Fresko bedeckt die gan,;e Wandfköch« in freudigem Farbenrausch. Auf dem Boden weitere kleinere Bilder, Farbtöpfe, Pinsel, eine Kerze... Das Wandgemälde ist unvollendet. Eine Leiter steht davor mit einem sinnreichen Kerzenhalter, und jede Nacht tünnt der Künstler auf dieser Leiter herum. Ein Disavis ist nicht vorhanden, nur ein paar grüne Bäume. Ein Bretterverschlag draußen, in dem ein weiteres Gemälde, vom Regen arg mitgenommen, untergebracht ist. Und der Kunstgaragenbesttzcr, mit einem weißen, zerrissenen Hemd bekleidet, unverwüstlich jung und elastisch, erzählt mir von seiner genialen Lebenseinteilung. Er bezieht wöchentlich 12 Mark ilnterstlltzung, also 48 Mark pro Monat, und bezahlt hiervon 46 Mark Ateliergaragenmiete. Bleiben 2 Mark monatlich, und 16 Mark bekommt er jeden Monat von der Käuferin eines Bildes. Das sind freudestrahlend nennt er das Ergebnis; 12 Mark pro Monat oder 40 Pfennig täglich. Kerzen werden ihm oestiftet, Mittag- essen bekommt er auf Wohlfahrtsmarken der Stadt Berlin   in einem evangelischen Heim gereicht, oder sagt mangearmt"?... Weiß- g deckte Tische, liebenswürdige Damen, sogar Blumen, ja, frische Blumenl... Er bietet mir spendabel eine Zigarette an. Kostet einen Pfennig und schmeckt wie% Pfennig. Dann teilt er ich bin ja zum Fünf- uhrtee geladen sein Brot und eine prachwolle Wurst mit mir. Das ganze Pfund 50 Pfennig, sogenannte Atelierwurst. Leiht mir auch schöne Bücher aus seiner Fußbodenbibliothek. Unser Mahl wird durch einen Trunk Wasser aus dem Sokrateskrug gewürzt. Lächelnd schlürfen wir. Wie eine Anklage gegen das verständnislose Jahrhundert liegt «in großer Sack schmutziger Wäsche da..Ich kann sie nicht waschen lassen," sagt er trocken, im Tone einer amtlichen Feststellung.Ich
I auch nicht." klingt es wie ein Echo von meiner Seite zurück. Geld? Wir beide wisien, daß uns der Goldstaub nie einstäuben wird. Wir sind keine Kaufleute... Wenn ein Dieb hierher käme, er ließe uns bestimmt noch seine Zigaretten zurück. Wir lachen wie Spitzbuben aus vollem Halse. Auf dem Fußboden liegen zwei dünne Matratzen... Mein Gast- geber raucht seine Pfeife an(Gott sei Dank sind die Zigaretten»er- griffen!) und streckt sich zur Siesta aus. Mir bietet er ein kleines Kissen an, da- aus Altersschwäche Federn ausstreut, und zeigt suggestiv auf eines der Ruhebetten:Bitte!" Hier ist Frieden! Wir betrachten den dunkel werdenden Himmel, die Bäume, und träumen... Ich klettere auf die Leiter und ver- spreche meinem Freund von oben herab, ihn nebst Wandgemälde und Sokrateskrug in dem eigenartigen Atelier zu photographieren. Das Bild will ich dann mit der Inschrift versehen:Borsicht! Idealist! Aussterbend!" Und als würdiges Gegenstück dazu einen wohl- genährten Maler mit Bankkonto und Spitzbart, den Pinsel elektrisch sührend, wie man elektrisch Haare schneidet. Wir reichen uns innig die Hand. Ich hielt bis jetzt mein Fach, die Schriftstellerei, für die brotloseste aller Künste. Die Malerei, das empfinde ich eben, kann ihr getrost die Hand reichen. Ein letzter Abschiedsgruß an die Bilder. Mein Fünfuhrtee bei Sascha ist beendet. » Wenn jemand Lust verspürt, ich führe ihn gern hin, mit Straße und Hausnummer. Hier ist ideale Weltanschauung zu lernen. 1000 Worte Nächstenliebe. Mokka und Mokkatassen sind mitzu- bringen! Auch Schrippen. Zille-Anzug Vorschrift. U. A. w. g. Auf meinem Appell an die Oeifentlichkeit, daß die Kunst Not leide, liefen leider keine Spenden ein. Das heißt, so ganz stimmt das nicht. So hartherzig ist die Menschheit denn doch nicht! Ein gütiger Spender, der nicht genannt sein wollte, sandte in einem umfangreichen Paket, das wir ungeduldig enthüllten eine Schnur! Man hat also dochAnhang"! Wir spannten das Seil in Saschas Atelier. Es dient als Kleiderschrank. Natürlich müssen schwere Briestaschen erst aus den Röcken herausgenommen werden, was wir nie verabsäumen, sonst fallen die Kleider(soweit sie nicht als Schlaf- decken benutzt werden) von der gespannten Schnur auf den steinernen Boden. Ich wählte den Plural: Kleider, um Sascha nicht bloß- zustellen. Immerhin hat Sascha jetzt seinen Kleiderschrank, neuestes Ber  - liner Modell!
seiix£inke:£DmffielaimiäMheorie
Wean wir die Geschichte der Philosophie überblicken, reicht ihr Anfang vielleicht 2S00 Jahre zurück. Jahrhundertelang hat die Forschung überhaupt geruht, denn wir sind zwar der Zeit nach vom Wartum 2000 Jahre getrennt, nach der wissenschaftlichen wie sozio- logischen Entwicklung jedoch nur einig« Jahrhunderte. Die letzten Jahrhunderte waren auch hier die fruchtbareren, in denen sich die Lebensperioden von Meistern allerersten Ranges mehrfach über- schnitten.. Noch lebte Ernst Mach   und H. A. Lorentz. und schon er- blickte vor fünfzig Jahren in Ulm   Albert Einstein   das Licht der Welt. Physiker pflegen sonst nicht Männei der Well zu sein. Und selbst die Kopernikus, Galilei   und Darwin   sind es nur durch die anderen geworden, die chce grundstürzenden Lehren in den Kampf der öffentlichen Meinung zerrten. Wenn auch der Zwang der wirtschaftlichen Tatsachen das Tun und Handeln der Menschen viel- leicht am stärksten bestimmt, regen sie sich doch über theoretische Spekulationen viel mehr aus als über die Grundlage ihrer Existenz. Die Menschheit wurde von Kopernikus  ' und Darwins Lehren viel stärker erfaßt, als sie die schlimmsten Verknechtungen der Sklaven- Halter oder der modernen internationalen Finanz- und Trust- Magnaten erregte. Der Mensch ist eben, wie Joseph Petzoldt   sagt, der geborene Theoretiker. Rur   schade, daß das theoretische Denken der Menschheit gerade io diesem Falle immer wieder anders herum gebogen wird. Denn baden wir bei Kopernikus   gelernt, daß sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, so sagen uns die Relatioisten. daß das ganz gleichgültig sei. Auch ob wir sagen, die Erde dreh�sich in einem Tage einmal um ihre Achse oder die Sonne und die Sterne schwin- gen sich eintfial täglich um die Erde. Wir finden bei Ernst Mach  diesen Gedankengang: Ein Auto läuft von Osten nach Westen um den Aeguator. Die Sonne steht im Scheitel. Läuft das Auto so schnell, daß die Sonne immer im Scheitel bleibt, so würde ein Beob- achter die Empfindung haben, als feien Sonne und Auto starr mit- , einander verbunden. Man würde sagen, das Auto umläuft die Erde in einem Tage. Das ist richtig. Ein Beobachter auf der Sonne aber sagt, die Erde drehe sich unter dem Auto weg, in einem Tage einmal. Und er hat recht! Was ist nun wahr, und was ist wirklich? Leides! Man muß eben berücksichtigen, wer es sagt, d. h. die Wahrheit ist relativ. Der Dewegungsbegrisf enthält(wie übrigens jeder Begriff) eine Relation, eine Beziehung. Es gibt deshalb auch kein«absolute Drehung", sondern auch das Drehen ist etwas Relatives. Nur die» geht aus den Beobachtungen hervor, nichts anderes. Und diesen einen richtigen Schluß gezogen zu haben, ist ein bahnbrechendes Verdienst Ernst Mach  ». 'Je Luftschiff«? geraten in der Nackt in dichten Nebel. Völlige Finsternis umgibt sie. Bewegen sie sich oder stehen sie still? An nichts können sie es merken, denn ihr Fahrzeug ist mit allen äußeren Einwirkungen im Gleichgewicht. Am Nachmittag waren sie in Verlin aufgestiegen. Der heitere Morgen läßt sie russische Erde erblicken. Warum konnten sie ihre Bewegung nicht feststellen? Weil sie sie nicht auf einen anderen Körper beziehen konnten. Tie Ich rudere in schwankendem Kahn.auf einem treibenden Strom, dessen Wellen vom Wind« gepeitscht werden. Eine recht komplizierte Bewegung vollführt da mein Körper. Aber außerdem nehme ich an der Drehung der Erde um ihre Achse teil. Zugleich
auch noch an dem Lauf der Erde um die Sonne. Und mit dieser an ihrer fortschreitenden Bewegung im Weltraum, die ich nur an dem System der umgebenden Fixsterne feststellen kann. So kompli- ziert die Bewegung auch«st, kann sie jeder Mathematiker ohne wsi- teres in feste Fornieln gießen. Aber wie sie dann wirklich erfolgt, weiß ich noch immer nicht, denn ich«miß ja annehmen, daß sich auch die Fixsterne bewegen! Nur in bezug aus diese also kann ich letzten Endes meine Bewegung angeben-, es gibt kein anderes Mittel, dieabsolute" Bewegung zu erkennen. Der Sinn der Be- wegcürg ist immer relativ. Er würde z. B. Unsinn für einen Körper, der allein im weiten Wellraum vorhanden iväre. Was hieße dann: der Körper beioegt sich oder er ist in Ruh«. Messe ich ein« Bewegung, so messe ich etwas Relatives. In dem Bewegungsbegrisf steckt aber der Längen-, also auch der Raum- begriff. Messe ich den Raum, so kann ich«cur etwas Relatives messen. Und Einsteins größte Tat war, auch die Relativität der Zeil nachgewiesen zu haben. Der gemeine Mann mit dem be­rühmten gesunden Menschenverstand kann hier nur schiver folgen. Aber das kommt bei komplizierten wissenschaftlichen Dingen häufig vor. Dennoch sind sie richtig und nützlich. Damit, daß Einstein den Begriff der Gleichzeitigkeit und der absoluten Zell   aus der Well geschafft hat, hat er einen«veltbewegenden wissenschaftlichen Streit hervorgerufen, von dem wich die Witzblätter profitiert haben. Der gute Onkel, der im Lehnstuhl sitzt und mit dem Bein wippt, ist nicht mehrgleichzeitig"! Ob die Stunde aus dem Sirius gleich der auf der Erde ist, das festzustellen, verneint die Relativitätstheorie! Srcher weiß sie aber, daß die Stunde im Kaffeehaus zweifellos kürzer ist als die im Flugzeug. Und ebenso genau weiß sie. daß man das nicht einmal feststellen kann, weil unsere Uhren versagen! Das ist ja ein niedlicher Blödsinn, sagt ihr. Und jeder naive gutmütige Zeitgenosse wird einstimmen. Aber wer. von diesen hat denn Gaußenz große mathematische Werke gelesen und verstanden, die doch alle nur Richtiges enthalten? Wir haben bisher geglaubt, so ziemlich die sicherste Berrichtuirg vorzunehmen, wenn wir abmaßen, eine Strecke sei soundsoviel Zentimeter long, oder 500 Meter würden in soundsoviel Minuten und Sekunden von einem Läufer bezwungen. Es ist peinlich, zu erfahre««, daß es eine große Geistestat sei, dies« alltäglichsten Be- griffe aus den Grundfesten zu heben. Man versteht, daß sich die Leute daniber aufregen, selbst wenn sie nicht wissen, wieso und iveshalb. Aber dran ist an der Sache schon etlvas. Denn die neue Lehre hat doch auch schon erhebliche Erfolge gezeitigt. So haben sich die Astronomen jell hundert Jahren die Köpfe zerbrochen, «varum Merkur, allerdings der schnellflüssigste aller Planeten, nicht die von jedem anständigen Planeten innegehaltene Rewtonsche Theorie befolgt und richtig Teinpo hält, sondern in jedem Jahr- hu irden um 40 Sekunden zu schnell läuft. Einsteins   Theorie hat die Angelegenhell aufgeklärt, wie sie überhaupt in das Problem der Schwere(Massenanziehung) einiges Licht gebracht hat,«nährend es gerade hier bisher nur dunkelle. Große Körper wie die Sonne müssen die Lichtstrahlen von ihrem geraden Wege abbiegen. Man kann das nur gelegentlich der Sonnenfinsternisse prüfen, fand aber 1S19 Einstems Porav.sfage bestätigt. Roch in anderen Dingen hat er grundlegende Aufklänmg geschaffen. Und zwar bemerkenswerter» lverfe immer, ohne irgendein Experiment zu n«achen, alles mit Tinte, Feder und Papier. Er entwickell dabei also die Petzoldtsch« Eigen»
schaft der Menschen, geborene Theoretiker zu sein, zu höchster Potenz. Und ganz neuerdings sollen wir wieder wertvolles Neues von ihm zu erwarten haben. * Ganz gefahrlos ist die Beschäftigung allein mll dem Rechenstift nicht. Denn sie verführt leicht dazu, die Grenze der Erfahrung zu überschreiten. Hat doch Einstein aus Grund seiner mathematischen Theorien mich die Unendlichkell der Well bestritten. Vielleicht hat er recht. Sicher ist das aber nicht. Man muß sich eben alle Zeit bewußt fein, daß das Denken ebenfalls nichts Absolutes, nichts von allem anderen in der Welt Bestehenden Losgelöstes ist, sondern ein biologischer Prozeß, der sich der Umwelt ebenso angepaßt hat, wie sich das Denkinstrument, das menschliche Gehirn, aus den Bedingun­gen dieser Umwell und an dieser entwickelt hat.
3)as erste Ruch Der sich die Frage vorlegt, was er Büchern verdankt und wie arm sein Leben ohne Bücher rväre, dem«Verden   die Gedanken un- willkürlich in die Kindheit zurückschweifen, und er wird sich des ersten Eindruckes erinnern, der von der Geistes«nacht des Buches ausging und ihm neue Wellen erschloß. Es ist kein Zufall, daß in den Kindheitserinnerungen unserer Großen die erste Lektüre ein« so gewaltige Rolle spielt, denn die ersten Erlebnisse sind ja immer die tiefsten und häusig bestimmend für unser ganzes Leben. In seinem Werk.Lugend ui«d Buch", das soeben bei B. G. Teubner in Leipzig   erschienen«st, bringt Prof. Georg Dost einige bezeichnende Beispiele dafür, rvie daserste Buch", nicht im buchstäblichen Sinne, sondern im Sinne des Arsten geistigen Erleb- nisses, die Entwicklung bedeutender Persönlichkeiten beeinflußt hat. Häufig sind es Märchen, die ja die beste Einführung für das Kind in das Reich der Phantasie bilden, so z. B. bei L u d w i g Richter. Cr erzählt in seinen Lebenserinnerungen, wie ihn eine nur wenige Jahre ältere Gespielin in einem düsteren und oerräucherten Holz- verschlag vom Aschenbrödel und Dornröschen beim trüben Küchen- lämpchen erzählte:Hier aus dem Rembrandtschen Helldunkel leuchteten mir zuerst die schönen Geschichten entgegen: zwei rote Mädchenlippen und zwei gläubige Kinderaugen«varen die lebendigen Verkünder einer Märchenn>elt, die, niemals alternd, in ewiger Jugend grünt und duftet." Später erhielt er von einem Vetter die Bolksmärchen von Mufäus, und da ging ihmeine neue Welt" auf: ,Lch schwelgte darin, und besonders ist mir in Erimierung. wie michDie stumme Liebe" entzückte. Alle Personen und Gegenden dieser Erzählung standen lebendig vor meinen Augen. und als ich 20 Jahre später diese Geschichte zu illustrieren hatte, war es mir, als zeichnete ich nur so hin, was ich früher einmal gesehen und mir noch vollständig gegenivärtig war." Hebbels lebhafte Phantasie wurde durch die Hexen- und Spukgeschichten, die er vernahm, aufs äußerst« erregt, und auch von der Bibel erhielt er zunächst nur düstere Eindrücke. Neben" den Märchen ist- es der unsterblicheRobinson", dos klassische Kinderbuch, das Rousseau zuerst empfohlen, dem so mancher das entscheidende Erlebnis verdankt. Karl Friedrich von K l ö d e n erzähll, mit«velchem Heißhunger er über Cämpes Robinson" herfiel:Nie halle ein Buch einen solchen Eindruck, auf mich gemacht, jede Szene stellte sich mir plastisch dar, ich schwebte in Entzücken und beneidet« die darin auftretenden Kinder um einen solchen Erzieher. Alle Erklärungen verschlang ich förmlich und eignete sich mir aus das Genaueste an. Die in den Gesprächen vor- kommenden Lehren der Sittlichkeit, des Verhaltens gegen das Lernen und gegen die Menschen, kurz, jede Maxime prägte ich mir um so tiefer ins Herz, als ich ihr? Wahrheit und Angemessenheit im Innersten fühlt«. Mir ging eu.e ganz neue Well auf, ich hätte jede Szene bis ins kleinste malen können: ich lebte mit Robinson, empfand mit ihm, er wurde mein eigenes Selbst. Außer der Bibel hat kein Buch auf mich so mächtig gewirkt, keines mich und meinen Jdeentreis so wesentlich gefördert." Auch der Philosoph und Pädagoge Friedrich Paulsen   gesteht, er habe in seinem ganzen Leben«richt viel Bücher mit solcher Leidenschaft gelesen wie den Robinson, und noch als großem Gelehrten und alten Mann stand ihm dies Buch mit dem grauen Papier und den paar bunten Holzfchnllten lebendig vor Augen. Aehnlich hat S e l m a Lagerlöf den ersten stets fortwirkenden Eindruck dichterischen Schafsens von einer Jndianergefchichte erfahren, einem alien SchmökerOceola", der cht zufällig in die Hände fiel. Sie wollt« das dicke Buch erst gar nicht durchlesen: aberdas Glück will es," so schreibt sie,daß ich es gerade an einer Stell« aufschlage, wo die Heldin des Buches, die junge schöne Tochter eines Plantage«»» besttzers, beim Bade von einem Alligator überrascht wird. Ich lese, wie sie entflieht und oerfolgt wird und in Todesgefahr schwebt. Nie zuvor hat mich ein Buch in solche Spannung oersegt. Ich bin ganz benommen, ganz bezaubert. Tag und Nacht denke ich nur an das Buch. Es ist eine neue Welt, die sich mir ganz plötzlich eröffnet hat. Der ganze Reichtum des Lebens strömt mir zu. Für mich wurde die Bekanntschaft mll diesem Jndianerbuch entscheidend für das ganze Leben. Es erweckte in mir die tiefe, starke Sehnsucht, auch einmal etlvas ebenso Herrliches schaffen zu können. Dieses Buch bewirkte, daß ich von den frühesten Kindheitsjahren an wußte, daß ich in den kommenden Tagen am liebsten Romane schreiben wollte." Bedenklicher war schon die erste Lektüre Grillparzers, der als Kind von einer unermeßlichen Leselust gepackt war. Eins der frühesten Bücher, die er las, war das Textbuch d«rZauber- flöte", das er, auf dem Schöße des Stubenmädchens sitzend, las und das ihm als das Schönste erschien, zu dem sich der menschliche Geist aufschwingen kärme. Später siel ihm im Bodengerümpel seines be- trunkenen Hauswirts eins uralte Uebersetzung des Ouintus Curllus in die Hände, und dang vertiefte er sich in die Heiligen- und Wunder- geschichten des Peter Kochen», die in ihm den Wunsch entstehen ließen, Geistlicher zu werden. Sich aus solchem Wust zu einem reineren Verständnis des Buches empor zu lesen, gelingt nur be- gabten Kindern, mio z. B. dem späteren großen Geographen Friedrich Ratzel  , der von den Schauererzählungen seiner ersten Kinderlektüre sich zu StiftersStudien" hindurchrang, die ihm nun erschienen wie einem durstigen Wanderer ein klarer Quell, und er konnte sich nicht satt trinkenan dem klaren, frischen Tau ihrer schönen Worte". Im allgemeinen bedarf das Klnd, um das rechte Bucherlebnis zu haben, der leitenden Hand des Erziehers, denn es ist ein aller Erfahrungosotz, den Paulsen mit den Worten ausdrückt,daß der Wert eines Buches für den Leser nicht allein auf seiner objektiven Bedeutung beruht, sondern ebenso sehr darauf, daß es ihm«m rechten Augenblick in die Hände kommt",