Morgenausgabe
Nr. 149
A 75
46. Jahrgang
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Freitag
29. März 1929
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Deutschland soll sich inzwischen entscheiden.
Paris , 28. März.( Eigenbericht.)
In der Vollsikung der Sachverständigen, die rund eine Stunde dauerte, gaben die Führer der einzelnen Delegationen Erklärungen über die Art ab, in der nach ihrer Auffassung das Problem der Anzahl und Höhe der deutschen Jahresleistungen angeschnitten werden solle und entwickelten hierbei im einzelnen die Forde. solle und entwickelten hierbei im einzelnen die Forde rungen und Zugeständnisse ihrer Länder. Der Vorsitzende Owen Young forderte die Delegierten auf, ihre Auffassungen nochmals genau zu überlegen, damit bei Wiederaufnahme der Verhandlungen am 4. April die Diskussion über die Jahresleistungen so gleich beginnen könne. Die Delegierten sowie der Vorsitzende faßten ihre Erklärungen in schriftlichen Memoranden zusammen, die am Nachmittag fertiggestellt waren. Ueber den Inhalt der Memoranden wird trengstes Stillschweigen beobachtet.
beratung am Donnerstag noch zu berichten, daß Owen Young Der Matin" weiß über die Bollfigung der Sachverständigen Schacht nicht gebeten habe, irgendeine 3qhl zu nennen, ihn aber aufgefordert habe, dem Ausschuß mitzuteilen, ob er bereit sei, die deutschen Angebote auf der Grundlage der alliierten Forderungen( Deckung der Schulden und Ersatz der Kriegsschäden) aufzubauen. Falls dies nicht der Fall sei, so habe Owen Young hinzugefügt, müffe die Konferenz fristlos vertagt werden.
Schacht habe in seiner Antwort auf die deutsche Leistungsfähigfeit zurückommen wollen, worauf ihn Owen Young jedoch mit den unsere Verhandlungsgrundlage annehmen." Borten unterbrochen habe: Keine Zahlen, fagen Sie uns, ob Sie Ueber die Antwort Dr. Schachts werde das größte Stillschweigen bewahrt. Der Matin" glaubt allerdings, daß Anlaß für die Annahme vorliege, daß Schacht versprochen habe, fich auf die ihm vorgeschlagene Methode einzulassen und mit annehmbaren" Zahlen nach Paris zurückzufehren eine Bermutung, für die man ebenso wie für diesen Bericht dem Blatt die Berantwortung überlassen muß.
Der Ankläger foll verstummen.
Der fozialistische Robotnik" erflärt, ihm seien Nachrichten zugekommen, denen zufolge auf den sozialistischen Abg. Dr. Lieber. mann ein Ueberfall vorbereitet werde, um es ihm unmöglich zu machen, den früheren Finanzminiffer Czechowicz vor dem Staatsgerichtshof anzuflagen. Das Blatt schreibt, wenn man sich
auch in der Zeit der„ Sanierungsregierung" an viele Ueberraschungen gewöhnt habe, tönne man doch diese Nachricht nicht glauben. 3mmerhin gibt Robotnit" den dazu fanguinischen Faschisten den Rat, von diesen räuberischen Absichten abzusehen.
In diesem Zusammenhang wird daran erinnert, daß seinerzeit der Budgetreferent und ehemalige Finanzminister 3d zjechowski von unbekannten Offizieren nachts in seiner Wohnung überfallen wurde, nachdem er sich im Sejm gegen die Ausgabenpolitik der Regierung ausgesprochen hatte.
Zur Liebe fann ich dich nicht zwingen.. Warschau , 28. März.
Der sozialistische ,, Robotnit" meldet: Im Finanzministerium for dern die leitenden Beamten die übrigen Beamten und Angestellten auf, für den vom Sejm gekürzten Dispositionsfonds des Kriegsministers Pilsudski freiwillige Spenden zu zeich nen; diese freiwilligen Geldspenden seien zum Kampf gegen die Spionage, den der Sejm offenbar nicht führen wolle, bestimmt. 211s Beamte fich weigerten, zu zahlen, drohte man ihnen mit Unannehmlichkeiten, ja jogar mit Entlassung. Die betreffenden Beamten verpflichteten sich dann aus Furcht, freiwillig" einen Prozentsatz ihrer Gehälter zu zahlen.
Vor einiger Zeit ist der durch seine tonziliante Form in der Vertretung der Minderheitenrechte bekannte Chefredakteur des Bommereller Tageblatts", Dr. Krull, wegen eines Artikels zu Dierzehn Tagen Gefängnis und dreihundert Zloty Geldstrafe verurteilt worden. Wie die Weichselzeitung" meldet, ist nunmehr Dr. Krull aufgefordert worden, über das Osterfest seine Strafe anzutreten!
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Polnische Richter fönnen auch mild sein. Vor dem Stadtgericht Kattowitz standen drei Aufständische", die im Oktober 1928 auf dem Heimweg von einer Fahnenweihe drei Damen und zwei Herren, die sich deutsch unterhalten hatten, überfallen und eine Dame, die nicht schnell genug flüchten fonnte, mißhandelt haben; außerdem haben sie den als Deutschen bekannten Obersteiger Wießner aus Bytfow über. fallen und so schwer mißhandelt, daß er längere 3eit im Lazarett zubringen mußte. Von den Angeklagten hat nur ein einziger zugegeben, beteiligt gewesen zu sein. Das Urteil lautete für zwei ungeflagte auf je 40 31oty( 20 Mart) Geldstrafe, mähtenb ber britte freigesprochen wurde!
Deutsch - und Polnisch - Oberschlesien . Feststellungen eines prominenten Engländers. London , 28. März.
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Der englische Oberstleutnant Hutchison, der 1920 der oberschlesischen alliterten Kommission angehörte und fürzlich Oberschlesien aufs neue besuchte, stellt in Erwiderung auf Behauptungen des polnischen Pressebureaus in einer Zuschrift an den Manchester Guardian" fest, daß in Deutsch - Oberschlesien nirgends Unterdrüdung festzustellen sei. In ganz Deutsch - Oberschlesien feien überall Zeichen des Gegens der deutschen Kultur vorhanden in Form von besseren Löhnen, guten Unterkunftsmöglich. Angestellten. Seit dem Kriege und der politischen Umwälzung in feiten, einem guten Gesundheitsdienst sowie der Wohlfahrt der Deutschland sei die Freiheit aller Bewohner Deutsch Oberschlesiens , ob polnischer oder deutscher Nationalität, in sehr bemerkenswertem Ausmaße sichergestellt. Es habe keinen Fall Don Unterdrückung religiöser, politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Art gegen Polen von den Deutschen gegeben, während
in Polnisch - Oberschlesien überall die Tyrannei der polnischen Verwaltung gegen die sehr große deutsche Minderheit
in die Augen falle. Wenn die deutsche Kultur vom polnischen
Breffebureau verspottet werde, dann dürfe es sich nicht wundern, welche Meinung von der polnischen Kultur dieses Pressebureau von England zu erwarten hätte, derselben Kultur, die die niedrig sten Löhne in Europa hervorbringe und die den früheren Lebensstand in Ostoberschlesien beträchtlich herabgebrüdt habe.
Sibirien von Einwanderern überschwemmt.
In lehter Zeit tauchen in Westfibirien große Gruppen russischer Bauern auf, die aus dem europäischen Rußland nach Sibirien über. siedeln wollen. Die Uebersiedlung nach Sibirien steht unter Staatsaufsicht und ohne besondere Erlaubnis der betreffenden Sowjetbehörden ist eine Einwanderung nicht möglich. Die jetzt dort auftauchenden Bauern haben sich aber nicht nur um die Einwande rungserlaubnis nicht gefümmert, sondern sich auch teinerlei Informationen über die Zustände in Sibirien verschafft. Auf bloße Gerüchte über angebliche Landanweisungen sind sie nach Sibirien gekommen, wo die Behörden nunmehr ihren Rüdtransport nach dem europäischen Rußland organisieren müssen, da zurzeit eine Unterbringung in Sibirien bzw. die Zuteilung von Land nicht in Frage kommt.
Aus Kabul abgeholt haben fünf russische Flugzeuge drei Mitglieder der Sowjetbotschaft, vier russische Flugzeugführer und drei turtische Staatsangehörige.
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Selbstzersetzung.
Kommunisten und Faschiffen in der Tschechoslowatei.
Von Rudolf Illovy.
Bor dem tommunistischen Gewertschaftshause in Brag stehen Schuh polizisten. Die lintsraditale Leitung der Rommunistischen Partei in der Tschechoslowakei ließ sie holen, um das Haus der widerspenstigen roten Gewerkschaften wieder in ihren Besitz zu bringen. Doch der Spieß dreht sich um, die stalinistischen Jünglinge werden hinausgedrängt. Die Polizei patrouillierte weiter vor dem Hause, um das Eigentum der rechtmäßigen Besizerin, der Internationalen Allgewerkschaftlichen Bereinigung", vor Störungen zu schüßen. Die Kommunisten fordern die Prager Arbeiter zu einem Streit auf, in den Fabriken wird ruhig weitergearbeitet. Fast niemand erscheint vor der Gewerkschaftszentrale, um gegen die ,, Liquidatoren" zu demonstrieren.
Die Kommunistische Partei hofft zwar, die Mehrzahl der Mitglieder der gewerkschaftlichen Organisationen zurückzugeminnen, doch bleiben die Organisationen selbst und ihre Zentrale, mie auch immer dieser Zwist ausfallen mag, weiter oppofitionell. Die Stalinisten in der Tschechoslowakei werden genötigt sein, eigene gewerkschaftliche Organisationen aufzubauen, aber damit nur ihr organisatorisches Unvermögen und ihre fortschreitende Zersetzung von neuem beweisen. Der Kampf nimmt immer schärfere Formen an. Einige Abgeordnete stehen als Opportunisten knapp vor dem Ausschluß; die Mehrzahl des Klubs der fommunistischen Abgeordneten und Senatoren verhält sich zu den Ereignissen in der Gewertschaftsbewegung paffio, ja sie sympathisiert jogar mit dieser Revolte gegen Mostau. Die fommunistischen Barlamentsmitglieder sind auch aus persönlichen Gründen gegen ihre Parteileitung erbost, da sie von ihr zu abhängigen Parteiangestellten gemacht worden sind. Diese Parlamentarier müssen alle ihre Bezüge, welche monatlich fünftausend tschechische, Kronen betragen, an die Parteileitung abführen, die sie sodann nach eigenem Gutdünken wie alle anderen Parteiangestellten entlohnt. Dadurch entsteht der páradore Fall, daß der Tschechoslowakische Staat eigentlich die Kom munistische Partei mit fast vier Millionen tschechischen Kronen jährlich unterstützt.
Die Spaltung ist nicht mehr aufzuhalten. Es be steht zwar schon eine fommunistische Oppositionspartei, die ihren Hauptfig in Brünn hat, doch ihr Anhang ist bis jetzt nicht besonders groß. In der nächsten Zeit wird sie durch die Mitglieder der gewerkschaftlichen Organisationen eine be deutende Stärkung erfahren. Obwohl die offizielle Partei nach außenhin noch immer den Schein ihrer Einheit bewahrt, find in ihr doch so viele entgegengefeßte Strömungen vorhanden, daß die Risse nicht mehr zu verfleistern sind. Das Haus, in dem sich jetzt noch die kommunistische Zentralexekutive, die Druderei und das Hauptorgan der Partei befinden, gehört friedenen Elementen ist, und über furz oder lang wird das einer Genossenschaft, deren Führung in Händen von unzu tommunistische Politbureau" obdachlos werden. Auch das fommunistische Finanzinstitut ist von den Oppositionellen beherrscht, die bereits der Parteileitung den Kredit verweigert haben. Zwar würde die Bartei etwa die Hälfte ihrer Wählerstimmen retten, doch für die Zukunft ist sie erledigt. Sie gedenkt sich von nun an insbesondere auf unorgani sierte und Indifferente zu stüßen und hat für den sie verlassenden organisierten Arbeiter das Schimpfwort ,, Arbeiterbourgeois" geprägt.
Bei dem kläglich zusammengebrochenen Tertilarbeiterstreit, der ein Hauptanlaß für den Abfall der roten Gewerkschaften von der Partei war, fommandierten schon Nichtorganisierte die Streifenden. In der tschechischen bürgerlichen Breffe ift helle Freude darüber, daß wieder einmal die Arbeiter gegeneinander wüten, gleichzeitig aber herrscht in der Bourgeoisie eine ziemlich große Angst, die Sozialdemokratie tönnte nach dem Zerfall der Kommunistischen Partei start anwachsen. Die tschechischen Agrarier, die längst den Höhepunkt ihrer Macht erreicht haben und von denen sich schon die Wählerschaft auf dem flachen Lande abzumenden beginnt, würden sehr gerne vorzeitige Neuwahlen durchseßen, da jeder weitere Aufschub Vorteile nur der Sozialdemokratie bringt.
Während so die tommunistische Selbstvernichtung sich noch vollzieht, findet der Zersegungsprozeß einer anderen extremen Partei, der tschechischen Faschisten, soeben seinen unrühmlichen Abschluß. Die Kommunisten sehen laut neuestem Auftrag aus Mostau wohl überall Faschismus, sie bezeichnen ihre oppofitionellen Gewerkschaftler und Politiker als Verbündete der Faschisten und titulieren die Sozialdemofraten Sozialfaschisten". Aber die wirklichen Faschisten, die behandeln sie viel beffer, denn gleiches Schicksal verbündet beide.
Das Absterben des Faschismus in der Tschechoslowakei zeigt am besten eine Gerichtsverhandlung, bei der als intereffanteste Tatsache zutage trat, daß die tschechischen Faschisten mit bayerischen Hafentreuglern. wegen Unterstügung im Falle eines faschistischen Umsturzes