Sonntag 2
3. März 1929
Unterhaltung und Wissen
Wanderchor im Frühling
500
Bruno
Der Frühling, der Frühling Ist eine schöne Zeit.
Man geht auf vielen Wegen Man geht dem Glück entgegen, Entgegen, entgegen Entgegen und bereit.
Die Bäume, die Bäume, Wächst feiner allzu fühn. Was tief die Wurzeln treiben, Das will auf Erden bleiben, Will bleiben, will bleiben Und treiben frisch und grün Die Quellen, die Quellen Begehren frohe Sahrt.
Die Brunnen und die Quellen Sind luftige Gesellen, Gesellen guter Art.
Die Blumen, die Blumen Sind junges Erdenblut.
Die Funfen und die Flammen Und tausend Feuer stammen Aus jungem Menschenmut. Die Funfen, die Slammen, Das Feuer und die Glut.
Die Sonne, die Sonne, Der goldne Feuerball,
Der war uns lang genommen Und will uns allen fommen, Will fommen, will fommen, Will kommen überall.
Die Schatten, die Schatten
Sind weich und mild und gut. Sie streichen um die Wände, Sie reichen uns die Hände, Die Hände, die Hände, Und nehmen uns in Hut. Die Wege, die Wege Begehren weiten Schritt. Und wird ein Lied gesungen, Ihr Alten und ihr Jungen, Geh jeder singend mit. Ihr Alten, ihr Jungen, Ihr Alten und ihr Jungen, Geh jeder singend mit.
Die Menschen, die Menschen Sind Kinder dieser Welt. Ist jeder von der Erde, Und wer's nicht ist, der werde, Der werde, der werde Bon Erdenluft erhellt.
Der Frühling, ja der Frühling Ist eine schöne Zeit.
Wir gehn auf vielen Wegen, Wir gehn dem Glück entgegen, Die Jugend spricht den Segen Und Herz und Welt sind weit. Den Segen, den Segen Auf tausend Blütenwegen, Entgegen und bereit.
Franz Rothenfelder.
Schönlank: Wer erzieht Emil Krause?
Gerade sehr gerührt war Emil Krauje nicht bei der Abschiedsfeier für die Schulentlassenen. Was da oben gemedert wurde, mußte er schließlich selber. Das waren alles so dicke Worte. Bon dem neuen Leben, in das man hineintritt. But, wenn man nicht ganz wo anders reintritt, schoß es ihm durch den Kopf,
mäße!" hätte er am liebsten fnock- out geschlagen, aber er war nur Fliegengewicht gegen Schwerstgewicht. Und über seinen verachtungsvollen Blick von unten nach oben griente der Kerl noch. In drei Jahren kommt er wieder mit ihm zusammen, dann wird er's ihm zeigen.
Was war das schon für eine Feier. Benn sie nur erst zu Spott und Hohn richten also auch nichts aus bei Emil Krause! Ende wäre. Da schmorgelte die Mutter zu Hause einen Festbraten, Raum war er draußen mit seiner brennenden Zigarette, da und er mußte hierfigen. Wie ein Schwarm aufgescheuchter Bögel heulmeierten ein paar alte Zanten. ,, Nein, diese Jugend von heute! schwirrten seine Gedanken und sie ließen sich nur selten bei der| Zu meiner Zeit! Zu unserer Zeit! Hosen stramm! Berderbt bis Rede nieder. Die lange Hose stand ihm doch einfach tnorte. Bald mürde er sich wohl auch rasieren lassen können. Alles war zwar nach verdammt glatt, aber...
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Was die kleine Lotte wohl zu seinem Kavaliertaschentuch sagen mird? Warum stößt ihn denn der Mar so an? Ach, der mit seinen Zigaretten. Er hat noch' ne bessere Sorte, die wird er ihm gleich unter die Nase halten. Hört denn der da oben immer noch nicht auf? Jetzt hat er sich mit der Schule des Lebens. Als ob sie nicht lange genug in der Schule waren.
Der dicke Georg, diese freche Rübe, progt jezt mit einer Zigarre. Die hat er sicher seinem Alten geflaut. Wenn das mal gut mit feinen neuen Buren geht. Was der sich schon einbildet. Hätte er das früher gewußt, daß der so progt, hätte er sich eine Seemannspfeife mitgenommen.
Der Georg hat es gut, der geht bei einem Schlosser in die Lehre. Er aber muß gleich mitverdienen und wäre so gern Mechaniker geworden. Doch Georg soll sich ja nicht maufig machen bei seiner Lotte, sonst zeigt er ihm, was' ne Harke ist. Nicht mal ' nen Radio fann der Idiot sich zusammenbasteln.
So' ne Taschenuhr ist doch' ne schöne Sache! Dniel Mar ist toch ein feiner Kerl, das hätte er ihn gar nicht zugetraut. Sieben Steine! Anker! Stempel 800! Ob ihn heute noch wer nach der Zeit fragt!?
Endlich ist die Rederei zu Ende. Nun geht die Singerei los. Der fleine Mag übertrudelt sich ja mit seiner Stimme, eine feine Quietsche, das muß man sagen. Na, die beiden letzten Berse wird er doch mitsingen. Eigentlich war es doch ganz schön in der Schule rewesen. Mit den Ferien und so. Und das Lernen schließlich auch. Sein Zeugnis war ja auch nicht von Pappe. Wenn Vater nur nicht so lange arbeitslos gewesen wäre, dann wäre er auch in die Lehre gekommen. Na, Schwamm drüber! Endlich war die Feier zu Ende. e Treppe runterspringen und das Schultor zutrachen! Aber foließlich: Lange Hosen verpflichten!
Da draußen wurden Flugblätter verteilt. Man stellt doch jezt mas vor. Die reißen sich ja einfach um einen! Wenn die Kerle nur nicht so falbadern wollten. ,, Mein lieber, junger Freund," das ist ja zum Kotzen. Das Flugblatt von der Arbeiterjugend fann er fich ja mal angucken! Wanderfahrten und sowas ist schließlich' ne feine Sache!
Der dice Georg steckt doch gleich vor dem Schultor die Zigarre an. Na, das Wasser läuft ihm dabei direkt aus dem Maul. Er muß ja sein Gesicht dabei verziehen, daß ihn die Leute ausgrienen. Doch dem wird er zeigen, was Courage ist! Wenn der Direktor raustommt, bittet er ihn um Feuer für seine Sigarette. Donnermetter, da tommt er gerade! Na, besser nicht! Der Georg perstedt auch seine Zigarre. der feige Hund. Und jetzt geht er hinterdrein und pafft. Na, drei Schritte nur und schon tommt er wieder. So quirlte es durch Emil Krause und so' nen Jungen soll man nun die richtige Abschiedsrede halten! Der Lehrer muß erst geboren merden und fäme für ihn dann zweifellos zu spät.
Es läßt sich leider nicht leugnen, daß er fogar noch mit Mar ein Gläschen Bier trinten ging, um seine Mannbarteit zu erproben. Den Kerl, der sie amultte: Trinft lieber Selterwaffer, ihr Hofen
ins Mart!"
Obwohl Emil speiübel war, nahm er einen dicken Zug und puftete den Rauch verachtungsvoll gegen seine Widersacherinnen. Am liebsten hätte er eine Feuerwerkszigarre auf fie losgelassen. Also heulmeiern hilft auch nichts.
Um Himmels willen, wer erzieht Emil Krause!?
Emil Krause tam zur Normaluhr und machte sich Gedanken. Bon jeinem Lohn triegt er Taschengeld ab. Davon wird er mit Lotte mal ins Kino gehen! Sie wohnen zwar im selben Hause. Aber an der Normaluhr muß. sie ihn dann erwarten. Das ist Ehrenfache!
Seine Uhr geht eine halbe Minute vor. Da muß er ein wenig ftellen! Wenn die ihm nur teiner flaut! Na, umsonst hat er teine Detektivromane gelesen. Der Kerl entkommt ihm nicht. Er wird ihn beschatten und ein großes Diebeslager ausfindig machen dabei! Das gibt eine feine Belohnung.
Bas tommt denn da für eine feierliche Sülznaje auf ihn zu! Jegt fängt der auch noch an, ihm mit„ Mein lieber Sohn!" zu tommen. Sein Bater sieht anders aus. Der kann sich gar nicht genug tun mit lieber Sohn". Daß feine feine Uhr schön ist, weiß er selber, aber da hat der Mann recht. Womöglich will er sie abkaufen. Da ist er aber schief gewickelt. Eigentlich sieht er wie jo'n Paftor aus. Aaha! jezt geht es los. Du bist gewiß heute aus der Schule gekommen!"
,, Hüte dich vor dem Weg der Sünde, mein Sohn!" das fonnte ihm nur noch nachgerufen werden!
28HP Beilage
des Borwärts
Da strömen sie raus mit ölgetränkten Ritteln, um schnell ein wenig Sonne zu schnappen. Männer und Frauen, Burschen und Mädchen.
Bald gehört er auch zu ihnen und verdient.
Hallo! Da ist ja Magens Bruder Friz. Der ging vor' nen Jahr auch noch in die Schule. Wie der sich rausgemacht hat.
Mit Todesverachtung macht er einen tiefen Zug und bläst Frizz zur Begrüßung Rauch ins Gesicht.
,, Na, du alte Qualmtute," sagt der ,,, damit kannst du mir nicht imponieren!"
,, Will ich auch gar nicht! meint Emil und macht noch einen Zug und fühlt, wie sich ihm alles im Leib rumdreht..
,, Na, Mensch, mach feinen Quatsch! Steck erst mal im Kittel, dann wirst du' n Mann! Nicht mit solchen Kinferlitzchen! Und dann tomm mit in unsere Jugend! Die Bude ist gut organisiert! Aber davon verstehst du Qualmtute natürlich noch nichts!"
Quatsch nicht so dämlich, mein Alter mar schon organisiert, als du noch in die Windeln machtest!"
,, Na also, da weißt du ja schon was von der Welt. So' n dufter Junge, wie du, der fehlt uns gerade noch!"
,, Mensch, meine Mutter bringt sich um, wenn ich heute zu spät zum Essen komme," rief Emil als Antwort.
Doch Frizens letzte Worte waren ihm wie füßer Honig. Er stürmte fort, bis ihn die Würde seiner langen Hosen wieder an einen männlichen Schritt gemahnte....
Jeht weiß ich, wer Emil Krause erzieht.
Berufsberatung
Laßt eure Kinder nationale Schriftsteller werden!
Und wieder beginnt das große Kopfzerbrechen: Was soll der Junge werden? Für die Eltern gescheiter Sprößlinge ist es natürlich feine Sorge, für Begabte gibt es genug Berufe. Auch Mittelmäßige lassen sich als Universitätslehrer usw. versorgen, sogar den Minderbegabten eröffnen sich starke Fortkommensmöglichkeiten in der Diplomatischen Karriere. Mein Ratschlag gilt nur für die Eltern der ganz hoffnungslosen, die absolut Untalentierten, gilt nur für die Ungeschickten, denen man nicht einmal den Kleiſtertopf zum Tütenfleben anvertrauen fann.
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Ihnen allen, den Trostlosen und Berzweifelten, rufe ich zu: Laßt eure Sprößlinge nationale Schriftsteller werden! Dazu braucht es nichts, wirklich gar nichts, weder Borkenntnisse, noch Fachstudien, noch Fähigkeiten. Es genügt der Besitz des nachstehenden Schlüssels, den ich aus anerkannter Menschenfreundschaft hierdurch der Mitwelt befanntgebe:
Berufsschlüffel für nationale Schriftsteller. Anweisungen für Ceifartifel in allen denkbaren Cagen. Erfte Abteilung: Berhalten vor dent Krieg. Schreibe: A) Daß du durchaus in Frieden mit dem Nachbarlande leben wolltest.( Diesen Sag zitierst du später immer wieder als Bemeis deiner Friedfertigkeit und Langmut.)
B) Daß du aber durchaus nicht gesonnen wärest, dir die dauernde Provokation gefallen zu lassen, die schon allein in der Existenz des Nachbarlandes liegt, daß du insbesondere
a) niemals deinen Anspruch auf die Grenzprovinzen des Nachbarlandes,
b) auf die im Nachbarlande lebende, angeblich zum eigenen Bolfstum zählende Bevölkerung aufgeben würdest,
c) daß es weiter dein heiliges Recht sei, deine Waren zollfrei nach dem Nachbarland auszuführen, jedoch die eigenen Grenzen gegen die Waren des Nachbarlandes hermetisch abzuschließen. Zweite Abteilung: Berhalten bei Kriegsausbruch.
A) Gegenüber dem mit Krieg überzogenen Nachbarlande: a) Die anderen haben angefangen.
b) die gesamte Bevölkerung des Nachbarlandes besteht a115 Verbrechern, Sadisten, mehr tier als menschenähnlichen Wesen. c) Sie lügen, selbst wenn sie die Wahrheit sagen.
d) Gänzliche Ausrottung mit anschließender lebenslänglicher 3wangsarbeit ist die mildeste Strafe.
B) Berhalten gegenüber den Neutralen.
a) England. Solange die Engländer neutral sind, sind sie ein blutsverwandter Stamm. Schließen sie sich dem Feinde an, fo sind sie ein gewiffenloses Krämervolt.
b) Japan ( Vgl a). Die Preußen des Ostens bzm. gelbe Affen.
c) Italien ( vgl. a). Uralte Kulturnation bzw. schmieriges Banditenvolt.
d) Frankreich . Als Gegner: der Erbfeind. Als Verbündeter:( tommt gar nicht in Frage!).
Dritte Abteilung: Verhalten während des Kreieges. A) Die eigenen Truppen: Siegen immer, find tapfer, ritterlich und von einer leider nicht auszurottenden Menschlichkeit, indem sie es verabsäumen, feindlichen Zivilpersonen vor deren Erschießung Nase und Ohren abzuschneiden, wozu sie nach Kriegsrecht durchaus befugt mären.
„ Ne, aus der Kneipe!" entfährt es Emil Krause und schon liftig, stehlen, plündern, hungern, haben zerrissene Monturen an, B) Die gegnerischen Truppen: Fliehen, sind feige, hinter fligt er los. marschieren in Lackschuhen, fressen Stearinkerzen, schänden Frauen vom nullten bis zum vollendeten hundertsten Lebensjahre, im Notfalle auch Männer, Pferde sowie sämtliches Vieh der Arche Noah. Sie verlegten dauernd das Bölkerrecht und die Kriegsgebräuche, die von unseren Truppenleider! ebern respektiert werden. Bierte Abteilung. Berhalten bei Kriegsende.
Delige Milde hilft also auch nichts. Um Himmels Willen, wer erzieht Emil Krause!?
Emil Krause ist es übel, speiübel. Die Menschen sehen ihn alle so fomisch an. Die Affen sollen auf ihre eigenen langen Hosen schielen!
Na nun, was ist denn da wieder los. Wieder so ein Gaul gestürzt! So was gehört einfach nicht auf die Straße! Wenn er sich Geld gespart hat, lernt er Chauffeur. Er fennt ja jetzt schon jede Marte und tann mit geschlossenen Augen die Motoren am Taft auseinanderhalten.
Die Fuhre ist auch viel zu schwer geladen. Der Gaul ist wieder auf den Beinen, aber er schafft's nicht. Da hilft kein Beitschenfnallen! Da muß man in die Speichen greifen. Und er greift mit den anderen Männern in die Räder.
A) Im Falle des Sieges: Bestehe auf sämtlichen in der dritten Abteilung aufgestellten Forderungen. Berdoppele fie im Falle feindlichen oder neutralen Protestes! Will sich deine Regierung mit weniger begnügen, so schreibe: Die Feber soll nicht verderben, was das Schwert erworben hat!
B) Im Falle der Niederfage: Berdrücke dich beizeiten! Sobald Gefahr vorüber, fehrst du zurück, schreibst über den Dolchstoß von hinten und über die Notwendigkeit einer nationalen Diktatur. Nachtrag: Es versteht sich von selber, daß du während des gesamten Krieges mit Rücksicht auf deine vaterländische Tätigkeit von jedem Heeresdienst reklamiert bist. Berufe dich zur Sicherheit auf einen früher erlittenen Straßenbahn( Autobus, Eisenbahn , Droschfen-) Unfall. Bei eintretender Lebensmittelrationierung beEmil wird puterrot und möchte am liebsten in den Boden anspruche doppelte Zulage für Schwerstarbeiter sowie Kindermilch für Drillinge zum eigenen Berzehr. perfinten.
Ein braves Kerlchen!, sagt einer anerkennend.
Was heißt hier Kerlchen! Der soll sich nicht so wichtig haben mit seinen paar Jahren mehr. Der Anzug ist auch dreckig gemarden. But, daß feine Bagenschmiere darangekommen ist.
Die Fabrit von Müllern pfeift gerade Mittag. Da muß er übermorgen auch rein: Gleich werden fie raustommen. Mutter wird ja auch fertig sein mit dem Mittagessen. Aber ein wenig muß er noch warten hier draußen. Mag es biegen oder brechen, er muß sich noch' ne Zigarette anzünden und menigstens so tun.
Eltern, Erzieher!. Jm Besize des vorstehenden Schlüssels fann es auch der unintelligentefte der euch anvertrauten Sprößlinge zu Ruhm. Ansehen, Ehre, zu einem nationalen Reichstagsmandat mit Aussicht auf, anschließenden Ministerposten sowie zu einer gesicherten Lebensstellung in nationalem Breffetonzern bringen. Darum noch mals: Laßt eure Kinder nationale Schriftsteller werden. Jonathar