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BERLIN  Donnerstag 4. April 1929

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntag 6.

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Nr. 157

B 78 46. Jahrgang.

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Die Schüffe im Grenzbahnhof.

Amtliche Darstellungen aus Warschau   und Moskau  .

Baranowitschi  , 4. April.  ( Poln. Tel.-Ag.)

Der Beamte der sowjetrussischen Handelsvertretung in Berlin   Atanasowitsch verließ auf der Durchreise nach Moskau   am Dienstag in der Station Baranowitschi  den Zug, um seine fünf Kilometer von Baranowitschi   ent­fernt wohnenden Verwandten zu besuchen. Da Atanaso witsch als Ausländer teine Erlaubnis besaß, sich auf polnischem Gebiet aufzuhalten, wurde er fest genommen und nach Baranowitschi   gebracht, wo er auf der Wache der Bahnhofspolizei übernachtete. Am Mittwoch um 11 Uhr vormittags, als sich in seinem Zim mer der Sicherheitsreferent der Starostei Bara­nowitschi befand, zog Atanasowitsch plötzlich einen Revol ver und schoß auf den Beamten und den ihn begleitenden Polizisten. Der Beamte wurde durch einen Kopfschus und der Polizist durch zwei Schüsse in Lunge und Kopf schwer verlett. Atanasowitsch richtete dann den Revolver gegen sich selbst und brachte sich eine leichte Kopfverlegung bei; er wurde im städtischen Spital unter­gebracht. Der Starosteibeamte mußte zur sofortigen Operation nach Wilna   übergeführt werden; der Polizist ist am Mittwoch abend seinen schweren Verlegungen erlegen.

Auf die Nachricht von dem Zwischenfall find in Baranowitschi   der Staatsanwalt und der Leiter der Sicherheitsabteilung der Wojewodschaft and Nowogrodek  eingetroffen. Die Untersuchung führt der Baranowitscher Untersuchungsrichter.

Der russische   Konsul in Warschau  , Schachoff, ist wegen des Zwischenfalls am Mittwoch abend nach Baranowitschi  abgereist.

Auch diese Darstellung fann die Vermutung nicht ent­träften, daß der Russe in einem Anfall von Verfolgungswahn die folgenschwere Schießerei verübt hat. Man erinnert sich, daß der Sowjetgesandte Wolkoff in Warschau   ermordet wor den, daß auf den Sowjethandelsvertreter Lisarem in Warschau  geschossen worden ist und daß politische Austauschgefangene furz vor der Uebergabe an die Russen von ihrem polnischen Transporteur im Abteil niedergeknallt worden sind- zu allem noch die dauernde Spannung zwischen Bolen und Ruß­ land  , an der auch der neue Kriegsächtungsvertrag nichts ändert. Da kann schließlich ein frankhaft veranlagter Mensch, der vielleicht auch besonderen Grund haben mag, polnische oder weißgardistische Rache zu fürchten, überschnappen zumal wenn man ihn verhaftet und einsperrt, weil er Ver­wandte besuchen wollte

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Die ruffische Darstellung. Politische Folgen der Tragödie müßte man nach folgen­der Kownoer Meldung der Telegraphen- Union erwarten:

Nach Meldungen aus Mostau erflären die amtlichen Kreise die Darstellung der polnischen Telegraphen- Agentur als unrichtig. Nach russischer Darstellung habe Apanajewitsch sein polnisches Durch fahrtvisum und das Recht gehabt, 24 Stunden auf polnischem Gebiet zu bleiben. Bei dem Zusammenstoß mit der polnischen Polizei, die ihn scharf beobachtet habe, hätten die Polizeibeamten versucht, ihm gewiffe politische Schriftstücke zu stehlen; Apanasewitsch habe in Notwehr gehandelt. Er habe sich ge­weigert, sich durchsuchen zu lassen ohne Anwesenheit des ruffischen Konsuls. Die Sowjetregierung hat vom Generalfonful in Warschau  , Bogomolow, einen Bericht über diesen Zwischenfall angefordert. In Moskau   werde erklärt, daß in letzter Zeit verschiedene Fälle vorgefommenden seien, wo russische Staatsangehörige von polnischen Beamten sehr grob behandelt worden seien. Apanasewitsch sei polnischer Abstammung und früher polnischer Staatsangehöriger gewesen. Er set schon lange Zeit in der Berliner   Handelsvertretung tätig and Mitglied der Rommunistischen Partei Rußlands  .

Hiernach wäre der Russe tatsächlich wegen seines Versuchs die Berwandten auf dem Lande zu besuchen, als Spion per­bächtigt und dementsprechend behandelt worden.

I

Politische Instruktionsoffiziere.

Eine bedenkliche Einrichtung.

Bei der Reichswehr   besteht seit längerer Zeit die Einrichtung der politischen Instruttionsoffiziere. Aus dem Wehr­ministerium werden in die Garnisonen Offiziere entsandt, die zu diesem Zwed besonders vorgebildet sind, um ihren Kameraden Borträge über die politische Lage zu halten. Außer dem werden die Wehrtreistommandeure sowie alle höheren Offiziere und die Offiziere des Ministeriums selbst von Zeit zu Zeit über die politische Lage unterrichtet. Der Reichswehrminister Groener hat in der Reichstagssigung vom 15. März v. 3. den Zweck dieser Neueinrichtung folgendermaßen dargelegt:

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Daß ich eine politische Belehrung der Offiziere überhaupt für durchaus erforderlich halte, habe ich schon im Ausschuß dargelegt, weil nur ein politisch völlig versierter Offizier auch über par teilich handeln und der verbotenen politischen Betätigung aus dem Wege gehen kann.

Neuerdings find diese politischen Instruktionen mehrfach Gegen stand der öffentlichen Erörterung geworden. So berichtete die Schwäbische Tagwacht" über einen Bortrag, der am 9. März in Stuttgart   gehalten wurde und in dem gesagt worden sein soll: menn eine feste Regierung nicht zustande fomme, müsse mit dem Artikel 48 regiert werden. An amtlicher Stelle ist man davon überzeugt, daß dieser Bericht unzutreffend war. Nun tommt aber wieder der Bolkswille" in Hannover   und weiß von einem ähnlichen Borgang zu melden. Es handelt sich um einen Vortrag, den ein Major Richter vor etwa zwei Wochen dem Offizierstorps in Han­dieses Bortrags berichtet das Blatt folgendes: nover gehalten hat. Ueber den höchst seltsam erscheinenden Inhalt

Dieser Major erzählte seinen interessierten Zuhörern, daß die SPD  . sich auf ihrem Parteitag in Magdeburg   spalten und die Linte sich dann mit den Kommunisten verschmelzen würde. Die so gestärkten Kommunisten würden dann einen

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Butsch unternehmen, der natürlich von der Reichswehr   nieder­geschlagen würde. Einem Rechtsputsch dagegen würde die Reichswehr   loyal gegenüberstehen, wenn derselbe nicht gar, um die Regierung nach Artikel 48 zu stügen, von der Reichswehr  unterstützt würde.

Es wird wahrscheinlich sehr schwer, wenn nicht unmöglich sein, den Wortlaut des Vortrags authentisch festzustellen. Er ist hinter perschlossenen Türen gehalten worden: die Berichterstattung für das fozialdemokratisches Blatt ist jedenfalls inoffiziell" erfolgt; der Berichterstatter, der sich vielleicht auch in Einzelheiten verhört haben fann, hat, wenn er festgestellt wird, nichts zu lachen. Gleichviel, auch der vorsichtige Beurteiler muß aus der Duplizität der Ereig­niffe von Stuttgart   und Hannover   schließen, daß bei den politischen Vorträgen bei der Reichswehr   in der Tat mitunter höchst under­antwortliches Zeug und fürchterlicher Unsinn geschwazt wird.

Eine Einrichtung, die jo zur Quelle von Mißverständnissen" und von Mißtrauen wird, ist reif zum Abbruch. Selbst wenn alle bisherigen Beschwerden gegen sie unberechtigt sein sollten, wäre sie schon an sich höchst bedenklich. Eine ständige politische Unter­richtung der Offiziere durch Offiziere, unter Ausschluß der Deffentlichkeit ist mit dem Geist der Verfassung nicht ver­einbar und fann in stürmischen Zeiten zu verhängnisvollen Folgen führen.

Hält das Reichswehrministerium es für notwendig, die Offiziere politisch aufzuklären, so ergibt sich dazu ein höchst einfacher Weg durch Herausgabe einer 3eitschrift, die der öffentlichen Kon­trolle und Kritik untersteht. Jede politische Geheimaufklärung der Difiziere aber trägt die Gefahr in sich, daß das Offizierskorps dazu erzogen wird, Politit auf eigene Faust zu treiben. Und das könnte dann zu Zuständen führen, die mit einem geordneten Staatswesen nicht zu vereinbaren sind.

Neue Grubenexplosionen.

Acht Tote in Belgien.  - Verletzte in der Lausitz  .

Brüssel  , 4. April.

In einer Grube in Paturages( Provinz Hennegan) ereignete sich eine folgenschwere Schlagwetter. explosion. Bisher wurden 8 Tote festgestellt. Die Zahl der Verletzten ist groß.

Kohlenstaubexplosion in Brifettgrube.

Elf Arbeiter verletzt.

Finsterwalde  , 4. April.. Auf der Grube Hansa in Troebitz   ereignete sich gestern eine schwere Kohlenstaubegplosion, durch die elf Ar. beiter verlegt wurden. Einer von ihnen wurde schwer ver. wundet und mit einer Gehirnerschütterung in bewußtlosem Zustand in ein Krankenhaus gebracht; die übrigen zehn trugen erhebliche Brandwunden davon.

Lawinenunglück bei Berchtesgaden.

3wei Stiläufer als Leichen geborgen.

Eine Skifahrergesellschaft von drei Damen und drei Herren, die vom Funtensee   einen Aufstieg über das Steinerne Meer zum Riemann- Haus unternehmen wollte und infolge des start nebligen Wetters den richtigen Aufstieg verfehlt hatte, wurde an einer fteilen Stelle unter dem Nordgrat des Schottmalhorns unter einem ich lösenden mächtigen Schneebrett begraben. Drei der Beteiligten fonnten sich selbst aus dem Schnee herausarbeiten und kehrten sofort zum Funtensee  - Haus zurück, um Hilfe zu holen. Es gelang, eine Dame aus Berchtesgaden   nach schwieriger Arbeit noch lebend, aber vollständig erschöpft, auszugraben, während der Bauereidireffor­john Graßl aus Berchtesgaden   und ein Fräulein Eijinger aus Lands­but nur noch als Leichen geborgen werden fonnten.

Auto- Benz gestorben.

Der Erfinder des Automobils.

Mannheim  , 4. April.  ( Eigenbericht.) Der Erfinder des Automobils, Karl Benz  , ist in der Nacht im Alter von 84 Jahren gestorben.

Karl Benz   ist 84 Jahren alt geworden: am 25. November 1844 wurde er in Karlsruhe   als Sohn eines Lokomotivsführers ge­boren. Sein Vater starb, als er noch ein Knabe, durch einen Eisen­bahnunfall als Opfer seines Berufes. Der Mutter fiel es schwer, ihren Sohn dann bei ihren färglichen Einkünften aufs Gymnasium und Polytechnikum in Karlsruhe   zu schicken. Als Arbeiter machte Karl Benz   eine praktische Lehrzeit bei der Maschinengesellschaft in Karlsruhe   durch. 1871 gründete er in Mannheim  , nachdem er in verschiedenen Geschäften der Maschinenbranche tätig ge= wesen war, mit wenigen Helfern ein eigenes Geschäft. Biele Jahre erfüllte ihn der Gedanke, ein Fahrzeug zu bauen, das sich auf allen Straßen mit eigener Kraft bewegen könne. 1880 gelang ihm die Konstruktion eines 3weitaftmotors, aber man begegnete ihm mit Mißtrauen. In einem Vertrag, der 1883 bei Errichtung der Benz u. Co., Rheinische Gasmotorenfabrit", geschlossen wurde, steht aus­drücklich vermerkt, daß die auf den Motorenwagenbau aufgewandten Kosten als verloren angesehen werden sollten". Trotz aller Mißerfolge hielt Benz an seinem Gedanken feft. 1888 wurde in München   ein Benzwagen öffentlich ausgestellt und mit der goldenen Medaille ausgezeichnet. Aber es war nicht Deutsch­ land  , sondern das Ausland- Frankreich, England und Amerita das Karl Benz   die Durchführung seines Lebenswertes ermöglichte. Erft als alten Mann ehrte ihn sein Vaterland durch die Verleihung des Ehrendoftortitels. Karl Benz   war proletarischer Abstammung, und er hat dies nie verleugnet und vergessen.

Benz war neben August Daimler der erste, der einen Benzin­motor aus dem schon lange Jahre bekannten Gasmotor ent