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Nr. 458- 46. Iahrgang Freitag. 5. April �929
£.es' neue Alexanderplaim.
An einer Stelle wenigstens be- ginm die Stodtverwoltung, eine groß- zügige Neuorganisation Berlins   vor- zubereiten: am Alexanderplatz  , dessen ästhetisches und verkehrstech- nisches Chaos zum Himmel schreit. Die Berkehrs-A.-G., Berwaltungs- organ der Stadt, hat die Mehrzahl der ihn umgebenden Grundstücke angekauft, und Stadtbaurat Martin Wag- n e r hat diese Gelegenheit klug er- griffen,«in Musterbeispiel für Platz- gestaltung in ganz neuzeitlichem Sinne aufzustellen. Ohne Rücksicht auf seine heutige Unforni wird der Alexander- platz zu einem vollkommenen Kreise gestaltet. Der Verkehr wird in der idealsten Weise ringsherum ge- leitet. In dem Rasenkreis, der die unbetretbare Mitte einnimmt, kreuzen sich die elektrischen Bahnen. Um die Rundung betonter herauszubekommen, ist beabsichtigt, Landsberger und Neue Königstraße zu überbauen, selbstverständlich mit einheit- lich durchgeführten Fasiaden und Firsthöhen. Diese großartige Idee ergänzt z. B. noch durch zwei den Ausgang der Königstraße flankierende Hochhäuser als Eingangstor zu dem Rvndplatz, geeignet, den Alexanderplatz   zu einem städte- baulichen Anziehungspunkt erster Ordnung zu gestalten, sollte nun aber nicht einfach oktroyiert, sondern zur Diskussion der Architekt« nschaft gestellt werden. Dieses Verfahren wich zugunsten des neuen Stadtbaurates erheblich ab von den diktatori- schen(und noch dazu unkünstlerischen und unzweckmäßigen) Ge- pflogenheiten der Vergangenheit, die auf solche Weise unwider- bringlith« Gelegenheiten dilettantisch verpfuscht hat. Die Verkehrs- A.-G. erließ einen auf sechs Architekten weife beschränkten Weit- b e w e r b zur Bebauung des Alexanderplatzes weife beschränkt, weil die Konkurrenten aus allen Lagern, extremer
So wird er in SEukunfi aussehen.
Stick von der XOnigstraße.
und nachgiebiger Art, berufen wurden. Es such: Schaudt, Müller-Erkelenz(Köln  ), Mebes, Behrens, Ge- brüder Luckhardt und Mies van der Rohe  . Das Resultat, m großen Ansichtszeichnungen und noch ein- drucksvolleren Modellen aufgestellt, wird hoffentlich bald der Allge- meinheit zugänglich gemocht werden, damit man sich überzeugen kann, daß die Jury mit ihrer Preiszuteilung tatsächlich das beste Projekt getroffen hat: das der Brüder Luckhardt. Höchst erfreulich ist schon das eine: fünf von den Konkurrenten haben den Wagnerfchen Gedanken des Kreisplatzes einschließlich Straßenbahnüberbauung usw. als beste Lösung be- stätigt. Sieht man von fremden Differenzierungen ab, die im großen weniger erheblich sind als bei genauerem Eingehen auf ästhetische und praktische Eignung, so wirken alle diese Pläne merk- würdig gleichartig: ein zwingender Beweis für die unumstößliche Grundwahrheit, die alle Schwierigkeiten dieses stärksten Verkehrs- knotens beseitigt. Nur Mies van der Rohe   hat diese primäre Gestaltung verschmäht und ein weiter ausgreifendes Projekt mit gewaltigen kubischen Baublöcken aufgestellt, das bei aller Größe im Architek- tonischen die unselige. ZerrisienheU in der Platzerscheinung dort be» stehen läßt. Auch Peter Behrens   mußte als Preisträger aus- scheiden, weil er als Einziger die Dertikalität als Gliederungefaktor der Platzwände angewandt hat. Es ist merkwürdig, wie«in« un- unterbrochene Reihung von 30 Met« hohen Nertikolstreifen, vollends um einen Rundplatz aufgerichtet, uns heute schon ganz un- erträglich dünkt. Das war einmal 1900 beim Wertheim  -Bau mög­lich, heut« geht uns solche kriegerische Geste gegen alles Gefühl. Bleiben die übrigen vi«, die sämtlich ihre Bauten in Hort- zontaler Schichtung und gleichbleibender Höhe um die Kreisform herumführen. Es versteht sich, daß am Alexander. platz äußerste Platzausnutzung notwendig ist, ausgeführt in viel- geschossigen Geschäfts- und Bureaubauten mit möglichster Helligkeit der Räume, von diesem einzig möglichen Standpunkt aus sind
die Entwürfe der Luckhardts die vollkommensten. Sie geben die geschlossene Einheit der Rundbebauung in neun Stock- werken bei durchgehender Geschoß- und Hausgleichheit und einem glänzenden Wechsel von Glas- und Betonstreifen auf eine so ein- fach-elegante und das Wichtige betonende Weise, daß sie auf den ersten und letzten Blick überzeugen. Das Tietzsche Warenhaus ist (man sagt: bereits mit Zustimmung der Eigentümer) dem Fussaden- system eingegliedert. Es wäre tatsächlich ein hochwichtiges und vec- dienstliches Zugeständnis an Forderungen des Allgemeinwohls. Die flankierenden Hochhäuser am BahnhofAlexander- platz«halten eine schlanke und dominierende Schmalform: und das Problem der beiden großen nach Osten führenden Straßenhälse ist in zweifacher Weise gelöst: einmal mit der durchlaufenden Uober- bauung, die eine imposante Geschlosienheit der Rundsorm erzeugt, und mit getrennter Blockform, wobei das keilförmige Grundstück zwischen Landsberger und Neue Königstrahe eine besonders schnittige Hochform mit abgerundeter Ecke erhält, vielleicht ist diese Lösung aus mancherlei Gründen sogar vorzuziehen. Das wäre die platonische Forderung, die aus dem Alexander- platz den gewaltig st en und prächtigsten Platz nicht nur Berlins  , sondern vielleicht der ganzen Welt machen würde. Sie durchzuführen, d. h. sämtliche Grundstücke nun auch nach Luckhardt- schen Plänen zu bebauen, könnte am kleinlichen Sinn der Grund- stückserwerber scheitern. Wenn es unmöglich wäre, diese Grund- stücke nur mit der Bedingung solcher Gestaltung zu verkaufen: wie wäre es, wenn die Verkehrs-A-G., will heißen die Stadt V e r l i n, den Bau in eigener Regie ausführte und dann erst»«kaufte oder vermietete? Das Geschäft wäre sehr groß, ab« nicht im mindesten aussichtslos; das Peld wäre wohl auf- zutreiben. Man hat anscheinend noch nicht daran gedacht: aber die Wette wäre zu halten, daß uns« Stadtkämmerer dabei einen groß- artigen Schnitt machen könnte, wenn kluge Berat  « aus der Wirt- schaft hinzugezogen würden. Dr. Paul F. Schmidt.
3)er ganze Platz in»einer neuen QeslaU.
fyäkfiudrdßL- Rohulh einet Revolulio*. Pom GecUarl MecrmAtttt WosUt Gerda wies auf Calm.Mein Großvater, Herr Calm aus Bernburg  / stellte sie vor. Sehr angenehm,* sagte Wagner leer; Gerda berührte der stark sächsisch« Akzent seiner Sprache unangenehm. Er schien den Namen kaum gehört zu haben.Richtig, Sie sind ja aus Bernburg  . Jchibm übrigens auch mal da gewesen, vor langer Zeit.* Sie kennen auch meinen Großvater,* unterbrach ihn Gerda. So so... ja. kann sein... wissen Sie, man lernt so viele "L ute kennen es ist warten Sie es ist an zwanzig Jahre her, daß ich dort war. Wie war der Name doch gleich?" Calm, Abraham Calm. Mein Großvater war damals Lohgerber. Sie haben Bernburg   in seinem Wagen verlassen." Wagner schlug sich an die Stirn.Zlh ja, natürlich mit Semperl Ja, das waren so Iugendeseleienl" Er trat auf Calm zu, der teilnahmslos in seinem Stuhle döste.Grüß Gott, Herr Calm! Ja, wie geht's denn noch?" Och danke janz jut, mummelte der Alte. Sie müssen meinen Großvater entschuldigen. Er ist übermüdet von der Reise." Wagner schwieg etwas hilflos, Gerda musterte ihn enttäuscht: sein Samtbarett war im fahlen Morgenlicht ohne Farbe, die leise Theatralik seines Anzuges wirkte an dem unproportionierten Körper übertrieben und sinnlos. Sie wollen also Wagner-Sängerin werden," wandte er sich lächelnd an Gerda. Ja. Aber ich bin heute zunächst zunächst meines Großvaters wegen zu Ihnen gekommen." Ah so entschuldigen Sie bitte. Womit kann ich Ihnen dienen?" Gerda störte die Plattheit seiner Ausdrücke, obgleich sie selbst nicht wußte, was er sonst hätte sagen sollen. Mein Großvater hat Bernburg   verlassen müssen und muß sich einige Zeit in Leipzig   aufhalten." O, das wird keine Schwierigkeiten haben. Es gibt hier in jeder Straße vorzügliche Hotels." Gerda gab sich«inen mühsamen Ruck.Nein. ver- stehen Sie doch bitte er kann nicht offiziell hier wohnen.
Er ist er ist da in in Konflikte geraten. In ähnliche wie damals Sie," sagte sie endlich tapfer. Ich? Damals? Ah so, ja..." Der Egozentriker Wagner war sofort wieder mit sich beschäftigt.Ja, das war eine üble Geschichte! An der Brandstelle wurde mein Paß gefun- den, und der Kapellmeister Reißiger hatte der Polizei mein Signalement gegeben. Was hat mich diese Sache gekostet! Denken Sie nur: Noch jetzt, nachdem ich den König von Bayern   und andere gekrönte Häupter längst zu meinen De- wundersrn und Freunden zählen kann noch jetzt bringt es der König von Sachsen   nicht fertig, mir die Hand zu geben! Sehr schmerzlich war das neulich, wahrhaftig sehr schmerzlich..." Gerda sah erstaunt in sein wirtlich gramgefurchtes Ge- ficht. War dieser Mann der Komponist des Rtenzi, der Re- volutlonär von 1848? Er bemerkte ihr Erstaunen und deutete es falsch.Aber richtig! Ihr Großvater befindet sich in ähnlicher Lage? Gibt's denn in Bernburg   auch einen Salomon Reißiger? Mein Großvater," sagte Gerda langsam und deutlich, hat das Bernburger Schloß in Brand gesteckt." Oh. oh!" Wagner führte die beringte Hand zur Sttrn. Sie meinen: man beschuldigt ihn besten? Und als Gerda den Kopf schüttelte:Also Fahrlässigkeit? Das ist allerdings übel, aber angesichts seines Alters wird man doch nicht" Nein. Herr Wagner. Er hat es absichtlich angesteckt. Er hat sich gerächt." Wagner sah ängstlich im Zimmer umher, als könne sie jemand hören.Leiser, leiser, um Gottes willen!" flüsterte er. Und da wollte ick) Sie nun fragen, ob Sie nicht Ihr Versprechen, das Sie meinem Großvater damals gaben, ein- lösen und ihn. weil er doch vielleicht verfolgt wird, bei sich aufnehmen" Oh. oh!" Wagner hob abwehrend beide Hände in die Luft.Aber wie kann ich denn das! Aber wie komme ich denn dazu!" Er ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Ohne Ihrem Großvater zunahe treten zu wollen: aber es ist hoch ein Unterschied, ob man einer Brandstiftung fälschlich be- zichtigt wird oder ob man wirklich einen Brand stiftet! Das läßt sich doch gar nicht vergleichen!" Er sah den Alten an, der ihm in dumpfem Erstaunen mit den trüben Blicken folgte.Ich glaube gern, daß Ihr Herr Großvater Motive für sein Tun gehabt hat, vielleicht gewiß durchaus berechtigte Motive. Ich will ihm ja auch mein menschliches Mitgefühl nicht versagen. Das liegt mir natürlich ganz fern. Aber welcher Gefahr setzen Sie mich aus, mich zum Mitwisser einer Brandstiftung zu machen! Gehört das Schloß Bernburg  nicht dem Herzog von Anhalt? Ja? Sehen Sie, und der Kronprinz Friedrich   ist mein besonderer Gönner und Freund... oh, mein Fräulein, mein Fräulein!"
Es dreht sick ja nicht eigentlich um die Brandstiftung," sagte Gerda in einfachem Ton.Es dreht sich um mehr* um die Gesinnung, die Sie beide verbindet." Gesinnung? Welche Gesinnung? Ich verstehe gar nicht... Sie sind vollkommen im Irrtum, mein Fräulein! Man bleibt doch nicht stehen, man entwickelt sich doch, die Zeiten ändern sich doch!" Gerda war aufgestanden.Und mit ihnen die Gesinnung� nicht wahr?" fragte sie mit bitterem Hohn. Wagner sah sie aus großen, ratlosen Augen an.Wie sagten Sie? Ah so. ja.. ich oerstehe Sie ja... aber das können Sie noch nicht einsehen. Das werden Sie noch ein- sehen, später, wenn Sie gereifter sind." Ich glaube kaum, Herr Wagner. Aber ich will nicht mit Ihnen streiten." Ihre Äugen waren feucht, ihr Mund zuckte trotzig und weh.Aber eines möchte ich Ihnen noch sagen. Daß ich mir Sie daß ich mir Richard Wagner   anders vor- gestellt habe. Ganz anders." Sie wischte etwas von ihrer Stirn, mit schwerer Bewegung.Nun, es ist eben aus." Wagners Gesicht veränderte sich plötzlich: es wurde ernst, fast traurig, sein Kopf sqnk auf die Brust.Bleiben Sie noch einen Augenblick, Fräulein Dellendahl," bat er leise. Er fiel auf ein Sofa und zog sie neben sich.Ich habe Ihnen nun eine große Enttäuschung bereitet. Oh, ich kenne solche Ent- täuschungen. Ich hatte sie auch, als Ich jung war: Meyerbeer  und andere... Die Jugend stellt alle Anforderungen, die wir an unsere Kunst stellen, auch an unser Menschentum. Im Vertrauen, daß sich das deckt, kommt sie dann zu uns. Und dann zeigen wir uns klein, wir zeigen uns schofel, wie jetzt ich." Er krampfte die Hände auf dem Knie überein- ander und starrte darauf.Ich kann nicht erwarten, daß Sie das verzeihen. Nur um Verständnis will ich bitten. Sehen Sie: damals, damals da brannte nur die Idee in mir. Die Idee, die immer rein ist und aus sich selber brennt. Aber wenn dann die Idee Form wird und heraustritt ins Leben in der Wirklichkeit brennt nichts aus sich selbst. Da muß man immer wieder schüren und Brennstoff heranschleppen. Da ist man nur noch Feuermacher, und vorher war man Feuer. Das können Sie nicht oerstehen, das ist sehr unklar, ich weiß. Aber sehen Sie: Ich habe mir meine Erfolge sehr schwer er- kämpft. Ich mußte äußere Erfolge haben, ich brauchte sie, ich wollte Herr sein über meine Ideen, freier, von keiner Misere, keinem Zweifel an sich selbst belasteter Herr. Und was bin ich geworden? Sie sehen es: der Sklave meiner Erfolge. Eine musikalische Welt und ein Stückchen Lump." Gerda sah ihn an: es war kein Mitleid in ihren Augen, aber ein starkes Empfinden für die Schönheit, für die Bedeu- tung, die sein Kopf plötzlich gewonnen hatte.Wenn Sie das aber doch selbst einsehen... sagte sie. (Fortsetzung folgt.)