Der Abend
Erfcheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts"
10 Pf.
Nr. 159
B 79 46. Jahrgang.
Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Vf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37 536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297
Der Lohnkampf der Eisenbahner
Beschluß der Spitzenverbände- Weitere Verhandlungen angebahnt
Vertreter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts bundes , des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Gewerkschaftsringes deutscher Arbeiter, Angestellten und Beamtenverbände traten heute zu einer Sigung zusam men, um über die Maßnahmen zu beraten, die sie angesichts der Ablehnung der 2ohnforderungen der Eisenbahnergewerkschaften durch die Reichs. bahn- Hauptverwaltung für notwendig halten.
Die wirtschaftliche Lage der Eisenbahnarbeiter, die ungerechtfertigt hohe Spanne zwischen ihren Löhnen und den Bezügen der Beamten, erfordert auch nach ihrer Auffassung dringend eine balbige Erhöhung der durchaus unzureichenden Löhne dieser Arbeiterkategorien. Mit Rücksicht auf die ungeklärte Situation, ber sich die Deutsche Reichsbahn infolge der noch nicht abgeschlossenen Reparationsverhandlungen gegenüber fieht, wird es aber zweckmäßig sein, den Weg zu Ver handlungen auch weiterhin offenzuhalten.
Tros dieser ungewissen Lage, die zunächst zu einer abwartenden Haltung nötigt, haben die Spikenorganisationen jedoch beschlossen, sich im Einvernehmen mit den ihnen angeschlossenen Eisenbahnergewerkschaften in einer besonderen Eingabe an die Reichsregierung und die Reichsbahn - Hauptverwaltung zu wenden, durch die schon jetzt weitere Verhandlungen angestrebt
werden sollen.
D- Bugtatastrophe im Schneesturm.
Zwischen Kischinew und Bukarest.- 20 Tote, 50 Berletzte.
Gestern abend 9 Uhr ereignete sich auf der Station Buzeu auf der Linie Bukarest - Kischinew eine furcht. bare Eisenbahnkatastrophe. Der Schnellzug Bukarest Jassy ist infolge falscher Weichenstellung während eines Schneesturms entgleist. Bei der Entgleisung wurden der Postwagen, ein Personenwagen erster und zweiter Klasse, sowie ein Personenwagen dritter Klasse vollkom men zerstört. Die Lokomotive und die brei ersten Wagen stürzten auf den Bahndamm. Bis heute früh wurden aus den Trümmern der umgestürzten Wagen 20 Tote und 50 Berlekte geborgen. Die Verletzten wurden in das Spital der 12 Kilometer von der Unglücks. stelle entfernten Stadt Buzeu transportiert. Die Identifizierung der Toten konnte noch nicht vorgenom men werden. Die Mehrzahl der Reisenden erster und zweiter Klasse dürften Kaufleute sein, während in der britten Klasse eine große Zahl Soldaten reiste. Die an der Entgleisung angeblich schuldtragenden Eisenbahnbeamten, der Weichensteller und ein diensthabender Beamter, sind verschwunden und konnten bisher nicht er. mittelt werden. Nach Berichten von Augenzeugen bietet die unglücksstelle, die ungefähr 114 Kilometer von Bukarest entfernt ist, ein furchtbares Bild. – Die Ret Schneesturm außerordentlich behindert.
Der Bezirk Sachsen des Einheitsverbandes der Eisenbahner hat sich am 3. April in Dresden in zwei von über 1700 Eisenbahnern besuchten Mitgliederversammlungen für den Streit ausge sprochen, falls der Verbandsvorstand einen Streit für unvermeidlichtungsarbeiten werden durch den herrschenden
hält und ihn billigt.
Am Donnerstag hat sich auch der Bezirk Halle des Einheits. verbandes mit der Lohnbewegung befaßt und erklärt, daß er die Ablehnung der sehr bescheidenen Forderungen für eine Provokation der Arbeiterschaft halte, zumal die Ablehnung durch die Reichsbahngesellschaft erfolgt sei, bevor die Tariforganisationen überhaupt Ge legenheit zur Begründung ihres Antrags auf Lohnerhöhung hatten. Die Erbitterung wegen dieser Behandlung sei bei dem gesamten Personal groß. Wörtlich heißt es in der angenommenen Entschließung:
„ Die Eisenbahner des Bezirks Halle a. d. S., die in letzter Zeit Ihre dringenden Forderungen auf Beseitigung des Wirtschaftsge biets I, Reform des Manteltarifvertrags und Schaffung menschenwürdiger Arbeitszeiten nicht erfüllt sehen torinten, find nicht gewillt, die neueste Herausforderung der Deutschen Reichsbahngesell. schaft unbeantwortet zu fassen. Sie billigen daher die Kampfmaßnahmen des Vorstandes des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands und werden, sobald die Anweisungen durch die Verbandsinstanzen erfolgen, in aller Geschloffenheit das letzte gewert schafliche Mittel in Anwendung bringen.
Der Bezirk Halle a. d. S. begrüßt die Streitparole der sächsischen Kollegen. Er ist zu ihrer vollen Unterſtügung entschlossen und gewillt, mit ihnen den Kampf um ausreichende Lohnerhöhung zu führen."
Litauische Sozialistenhaz.
Nun auch in der Provinz.
Die Berhaffungen führender Sozialdemokraten scheint sich jeht auch auf die Provinz auszudehnen. So wurde am Donnerstag der fozialdemokratische Führer Kissen aus Ponewicze in das Kownoet Gefängnis eingeliefert. Die Verhaftungen dienen einem vorbereitenden Schlag der Regierung gegen die Partei. Darauf läßt die Stellungnahme der halbamtlichen„ Lietuvos Aidas" schließen, die daraus, daß in den Räumen des Hauptausschusses der Partei verbotene Schriften gefunden worden seien, von denen man übrigens noch nicht wiffe, wie fie eigentlich dorthin gelangt feien, auf Landesverrat und umftürzlerische Absichten schließt. Bon einer Geheim verfammlung fann feine Rede sein. In den Räumen des Hauptausschusses waren, als die Polizei eindrang, noch nicht einmal zehn Personen versammelt, davon der größere Tell in geschäftlichen Angelegenheiten. Die übrigen Sozialdemokraten, darunter auch die beiden Kairys und Bie. Ilais, find in der Stadt, zum Teil in ihren Wohnungen, verhaftet.
Buzeu ist eine walachische Kleinstadt, die unfern von Braila , der Hauptstadt der Provinz liegt. Bessarabien , das bis zu den Friedensverträgen des Jahres 1919 russisches
A 2157
der Erfinder des Automobils, der jetzt im 85. Lebensjahre gestorben ist.
Staatsgebiet war, wurde Rumänien trotz Widerspruches der Mos tauer Regierung einverleibt. Rumänien hatte einen alten Anspruch: Schon im vorletzten russisch - türkischen Krieg war dem damaligen Fürsten Carol von Rumänien Bessarabien versprochen worden. Die ruffische Diplomatie aber verstand es, auf dem Berliner Kongreß lands" nannte, zu bestimmen, daß Bessarabien russisch blieb. Erst Don 1878 Bismard, der sich selbst den zweiten Bertreter Rußdie Verträge von Versailles und Neuilly torrigierten den Vertrag von Berlin . Der D- Bug Rishinew- Butarest ist der Hauptverbindungsstrang zwifchen Rumänien und seiner neuen Provinz Beffarabien. Da aus ganz Osteuropa noch andauernd Schneeberwehungen und Winterwetter gemeldet wird, werden die Rettungsarbeiten natürlich außerordentlich erschwert.
Die Tragödie im Grenzbahnhof.
Weitere Ergebnisse der polnischen Untersuchung.
Warschau , 5. April. ( TU.) witschi hat ergeben, daß Apanasewitsch entgegen der Die nähere Untersuchung der Tragödie von Baranobisherigen Darstellung eine gültige Aufenthalts. genehmigung für Polen von der polnischen Gesandt schaft in Berlin besaßt. Während seiner Anwesenheit in seinem Heimatdorf Kolpiewicze soll ihn ein Bauer gebeten haben, zwei Briefe über die Grenze
nach Sowjetruhland mitzunehmen. Diese Bitte habe ihn in größte Erregung bersetzt, da er eine Lockspitelei und einen Anschlag auf sein Leben befürchtete. Er wandte sich an die polnischen Behörden um Schutz und sandte von Baranowitschi aus ein Telegramm an Rykow ab, in dem es hien: ,, Bei meiner Durchreise durch Polen habe ich bei meinem Bruder im Dorfe Kolpjewicze bei Baranowitschi halt gemacht, wo ich einem Anschlag auf mein Leben auf die Spur fam. Ich warte auf der Eisenbahnwache in Bara nowitschi auf Ihre Befehle." Das Telegramm hat Apanasewitsch unter Beifügung seines Amtscharakters unterzeichnet. Im Krankenhaus soll Apanajewitsch nach seinem Selbstmordver such ausgesagt haben, daß es für ihn als Rotfrontkämpfer Pflicht gewesen sei, einen Vertreter der polnischen Staatsgewalt zu töten.(?)
Dem in Baranowitschi eingetroffenen sowjetrussischen Konsul Schachow ist vorläufig nicht gestattet worden, mit Apanajewitsch zu sprechen, da die Untersuchung noch nicht geschlossen sei. Der Konsul hat dem örtlichen Verwaltungschef( Starost ) sein Beileid für die beiden Opfer ausgesprochen. Die Untersuchung soll ergeben haben, daß Apanajewitsch seit dem Jahre 1928 Mitglied des Kollegiums der Tscheka und später Sekretär der GPU. gewesen sei. Von Moskau aus habe man ihn nach Berlin beordert, wo er neben seinem Posten als Leiter der Chiffrierabteilung der sowjetrussischen Handelsvertretung als GPU. - Agent tätig gewesen sei. Innerhalb der russischen Emigranten. kolonie habe er Provokateurdienste geleistet und sich außerdem vornehmlich mit Industriespionage befaßt.
Unter seinen in Baranowitschi beschlagnahmten Papieren habe man angeblich zahlreiche Pläne deutscher Fabriken, geheime Statistiken, graphische Darstellungen sowie Maschinenzeichnungen der deutschen chemischen und Metallindustrie gefunden. Aus Berlin sei er nach Moskau zurückgekehrt, da der Leiter der sowjetrussischen Handelsvertretung ihn wegen seiner Trunkenheit für unbrauchbar gehalten habe.