Beilage
Dienstag, 9. April 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärt
jungen aufstrebenden realistischen und naturalistischen Literaten. Gedichte von Heinrich und Julius Hart , von Richard Dehmel , von Bruno Bille, Auszüge aus den ersten dramatischen Schöpfungen Boltstribüne", Die jungen Literaten griffen zu dieser Zeitung, und von Arno Holz und Johannes Schlaf erschinen in der Berliner
1. Literaturrevolution" und revolutionärer Gozialismus.| fichtigen, feingebildeten Mag Schippel enge Fühlung mit den Mit dem 1. Oktober 1890 lief das fluchwürdige Sozialisten gesetz ab, das zwölf Jahre auf dem politischen und fulturellen gesetz ab, das zwölf Jahre auf dem politischen und fulturellen Leben der deutschen Arbeiterschaft gelastet hatte. Allerdings hatte die deutsche Sozialdemokratie durch ihre wiedererstarkte öffentliche und durch ihre überall verbreitete geheime Organisation die Wirfungen des Ausnahmegejeges wesentlich abgeschwächt.
Wer mit dem literarischen Berlin des Jahres 1890 auch nur oberflächliche Beziehungen unterhielt, den überraschte die große Zahl von Sozialisten in den Redaktionen der linksgerichteten Blätter Berlins . Aber auch in den Kreisen der Mitarbeiter der Täglichen Rundschau", die Dr. Friedrich Lange im literarischen Leil dieses Blattes um sich geschart hatte, bekannten sich einige hervor: ragende Kritiker offen zum Sozialismus. Boran die Gebrüder Heinrich und Julius Hart , die in ihrem Kampf um den Sozialismus oft durch ihre scharfen, freimütig- sozialistischen Urteile verblüfften. Wer allerdings die Lebens- und Leidensgeschichte beider Männer fannte, den überraschten nicht ihre starten Sympathien mit dem Sozialismus.
Heinrich und Julius Hart waren schon in ganz jungen Jahren zur Sozialdemokratie gestoßen. Heinrich war mit Johann Mo st in Berlin bekannt geworden und hatte an der Berliner Freien Presse" mitgearbeitet. Als sich Julius Hart 1878 in Berlin vorübergehend aufhielt, wurde er Most vorgestellt. Aus dieser Begegnung hat sich noch bei Julius ein sehr starker Eindruck von der eigenartigen Persönlichkeit Mosts erhalten. Im Jahre 1879 ging Julius Hart nach Bremen und wurde dort Theaterfritifer an einem bürgerlichen Blatt: Als die unterdrückte Sozialdemokratie dann ein jogenanntes neutrales" Blatt herausbrachte und der Redakteur Neißer inhaftiert wurde, leistete Julius Hart der Partei wichtige redaktionelle Dienste.
In dem Jahre 1882 traten Heinrich und Julius Hart ihren großen Waffengang mit den Wortführern des damaligen bürgerlichen literarischen Deutschlands an. Sie bereiteten die ,, Literatur
Revolution" in Deutschland vor, die 1890 mit dem Siege der naturalistischen Bewegung vorläufig abschloß. Es war ein leidenschaftlicher und an Wunden reicher Kampf, der die beiden Gebrüder Hart oft in die verzweifeltste wirtschaftliche Bedrängnis stürzte. In diesen Berliner Hungerjahren waren Heinrich und Julius Hart die typischen Vertreter der Berliner Bohème. Sie lernten gründlich das Berliner Hinterhaus mit seinem sozialen Elend und Jammer kennen. Ihre sozialen Gedanken und Gefühle vertieften sich. Sie fchloffen viele Freundschaften mit Berliner Arbeitern. Julius Hart erinnert sich noch mit starter innerer Bewegung unseres opferbereiten Konstantin Janischewskis, für dessen Wahl in den Reichstag er offen Anhänger warb. Beide Brüder lebten von der Hand in den Mund, aber das Benige, was ihnen ihre literarische
Kampffmeyer, Julius Hart und Bölsche Tagelöhnerei einbrachte, teilten sie noch mit journalistischen Aben teuerern, die sich um sie drängten. Die Sonne der Freundschaft unferes Julius Hart strahlte immer auf Gerechte und Ungerechte, und viele parafitische Charaktere mißbrauchten seine grundgütige Gesinnung.
Ihre heftigen Sturmangriffe auf die Götter und Götzen der Seit hatten beiden Brüdern die Augen für die unheilvollen literarischen Auswirkungen des Kapitalismus geöffnet. Sie trugen tyre antikapitalistische Kampfgesinnung in einen ständig wachsenden Kreis von jungen Schriftstellern und Studenten hinein. Zu ihnen fellte sich anfänglich auch hugenberg, Don deffen sozial humanen Eingebungen und Gedichten mir immer Karl Hendell recht lebhaft zu erzählen wußte. Unzweifelhaft bedeutete die Be fanntschaft mit Heinrich und Julius Hart für viele unserer modernen Stürmer und Dränger eine neue, richtunggebende Wendung in ihrem Leben. Eine innige Freundschaft verbanden Karl Hendell, Bruno Wille , Wilhelm Bölsche , Otto Erich Hari Ieben mit den Gebrüdern Hart. Uebrigens schwoll die Jüngerjchar der Harts auch in den Berliner Arbeiterkreisen ständig an.
Die Berliner . Bolfstribüne"; das oppofitionelle Blatt Ber Berliner Sozialdemokratic, nahm unter der Leitung des weit.
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Ein sichtbares Denkmal des regen politischen Verkehrs der Ber liner Arbeiterführer mit den jungen Friedrichshagener Schriftstellern ist aus diesen Tagen noch erhalten: Die proletarische Mar= seillaise Heinrich Harts, die zur Maifeier 1892 im Berliner Otto Erich Hartlebens aus der Taufe gehoben. Dieser sprachy Sozialist" veröffentlicht ist. Der Sozialist" wurde auch mit Hilfe in einer verschmiegenen Versammlung( ,, corpora ") in der Wrangelstraße in Berlin für den Plan der ,, unabhängigen" Genossen, den ,, Sozialist" als Parteiorgan und nicht als Privatunternehmen herauszubringen. Das spottluftige Friedrichshagen nannte darob den ,, Verschwörer" Hartleben den ,, Corpora- Erich".
3. Walpurgisnachtfeier und Marsfest.
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In jüngster Beit vernahmen wir aus einer Publikation Przybyszewskis, daß das Elend in Friedrichshagen "- das der Schriftstellerkolonie direkt sprichwörtlich" gewesen sein soll. Das fann man wirklich nicht von Friedrichshagen " sagen. Die Fried richshagener Bohème" lebte wahrlich nicht im lleberfluß, aber zu essen und zu trinken und mitunter recht reichlich hatte sie doch. Wie viele frohe Stunden verlebte sie in der Brauerei Friedrichs hagen und im Gespensterhaus Ahornallee! Im allgemeinen verfügte fie über einen föstlichen Humor, der über manche Stunde förperlicher und seelischer Verstimmung hinweghalf. In solchen Stunden erflangen dann erlösend die prächtigen Verse des alten Bohèmeliedes: Ich gehe meinen Schlendrian und trinke meinen Wein, und wenn ich nicht bezahlen fann, so ist die Sorge mein." Mit innerer Ueberzeugung wurden namentlich die Schlußworte des Liedes gesungen: Und sollt ich auch dereinst mal in der Hölle wimmern, So hat sich doch kein Mensch, kein Mensch darum zu kümmern. Die Zeichen und Malkunst des trefflichen Wilhelm Bölsche er heiterten die Feststunden der Friedrichshagener Kolonie. Schade, jammerschade, daß der schöne Reichtum an Tischkarten, Postkarten die ,, lächerlichen Menschen" Friedrichshagens abfonferseite.
mancher der sozialistischen Gedanken, die von einem radikalen Margis- und Karikaturen meist verloren gegangen ist, auf denen Bölsche
mus durchglüht waren, sprangen in die Köpfe und Herzen von Jungdeutschland über.
2. Die Müggelseerepublif im„ Oppositions feuer.
Im Jahre 1890 tat sich in Friedrichshagen die junge Literaten: Republit cuf. Ihren Mittelpunkt bildeten die Gebrüder Hart, Wilhelm Bölsche und Bruno Wille .
Wenn man sich in dieser Literaten- Republik am Müggelsee mit dem ewig beweglichen Julius Hart aussprach, dann erkannte man sofort die tiefe Kluft, die sich zwischen ihm und der sozialen und fulturellen Weltanschauung des Bürgertums auftat. Die bürgerliche Literatur war für Julius Hart nur ein Erzeugnis des Lurus und
Ueberflusses, eine Spielerei ohne Leidenschaft und Größe des Gefühls. Im Proletariat Jah Julius Hart eine neue Klasse mit einem neuen geistigen Ideal, mit einer neuen Weltanschauung, mit dem festen Glauben an eine höhere und bessere Entwicklung der Menschheit. Er erhoffte auch von dem Proletariat die Kraft, eine neue Kunst der Größe, des Ernstes und der Wahrheit aus sich zu erzeugen. Und dieser Gedanke begleitete ihn auch, als er Mitschöpfer der Freien Wolfsbühne in Berlin wurde.
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In den Jahren 1890-93 gebot der junge deutsche Naturafismus über zahlreiche Anhänger in der Berliner Arbeiterschaft. Biele führende Köpfe des Berliner Proletariats ich nenne hier nur Wilhelm Werner , Karl Wildberger, Mag und Richard Baginsti- unterhielten einen regen geistigen Verkehr mit den Friedrichshagener Verfechtern des Naturalismus. Die Freie Bühne", das Kampfblatt der jungen naturalistischen Richtung, ging unter diesen Arbeitern von Hand zu Hand. Die oppofitionellen fritischen Gedanken der Berliner Arbeiter andererseits fluteten nach Friedrichshagen hinüber. Die soldaiische Disziplin, ein Erfordernis der sozialistengesetzlichen Kämpfe, fand in den Kreisen der Friedrichshagener Bohème tein rechtes Verständnis. Sie sympathisierte mit den Bestrebungen der Berliner ,, Opposition", die Organisation der Partei freiheitlicher zu gestalten. Sie nahm wohl auch das Zief der Opposition beifällig auf, eine große sozialistische Massenbewegung ins Leben zu rufen, die sich möglichst von der parlamentarischen Leitung, von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion befreite und ihren eigenen Weg ging. Die Massenbewegung des ersten Mai wurde ihr Ideel. Der revolutionäre Entwicklungsgedante des Margismus: die baldige Bersprengung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse durch die sich machtvoll ausredenden Produktivkräfte in einer großen fozialen Revolution nahm wohl auch einige Köpfe der jungen Friedrichshagener Schriftsteller gefangen. Im allgemeinen aber blieben sie den theoretischen und taktischen Kämpfen der Berliner ,, Opposition" fern. Zu einer allgemeinen theoretischen Klärung über die sozialistischen Problemte ließ sich das schnell lebende Friedrichshagen feine Zeit. Hintereinander traten in Friedrichs hagen eigenartige Köpfe hervor, die das Feuer des Sozialismus bald nach dieser, bald nach jener Richtung trieben. Da tauchte z. B. John Henry Madan mit seiner reinen und schönen Be geisterung für Mar Stirner auf und stellte dem demokratischen Sozialismus den individualistischen Anarchismus gegenüber, da erschien Dr. Benedikt Friedländer mit seinen überhitzten Kampfesreden gegen die Staatsfnechtschaft" der Margiften, mit seinen überschwänglichen Dithyramben auf das System von Eugen Dühring . Die ,, Berliner Opposition" zersetzte sich theoretisch und taktisch sehr schnell. Gegen einen radikalen Sozialdemokratismus er. hoben sich bald ein unabhängig- sozialistischer Syndikalismus, ein anarchistischer Kollettivismus und ein anarchistischer Kommunismus. Als einziges größeres Produkt dieser gärenden Zeit ist die Philosophie der Befreiung durch das reine Mittel zurückgeblieben eine rein anarchistische Kampfschrift Dr. Bruno Willes. Diese Schrift mit ihrer Ausschaltung aller Herrschaftsmittel, aller physischen, pädagogischen und religiösen Autorität blieb in grauer Theorie stecken, sie entband gar keine Attionsfraft. Sie beeinflußte auch nur schwach die Schriftstellerkolonie Friedrichshagens. Die Gebrüder Hart standen mit beiden Füßen in den sozialen und politischen Bewegungen der Gegenwart und hörien auf die drängenden Forderungen der Zeit. Wie fern aber lag dieser Zeit Willes Ziel: der freie Bernuftmenich
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Es war damals wirklich nicht langweilig in Friedrichshagen . Bon Zeit zu Zeit tauchte hier irgendeine Berühmtheit" auf: John Henry Mackay , Frank Wedekind , Mar Halbe, Gustav Landauer , Ola Hansson , Laura Marholm , A. Strindberg, und sofort war ein plau= fibler Grund für ein festliches Symposion( Trinkgelage) gegeben. Da sprachen dann wohl unsere lieben Gebrüder Hart, die Strohhülsen der Weinflaschen auf den bedeutenden Dichterhäuptern, stumdenlang in Versen.
Die Walpurgisnachtfeste der Friedrichshagener zur Maifeier ver
liefen in ausgelassener Lustigkeit. Sie verbannten jedes offizielle
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Festgepränge; ein jeder trug sein Scherflein zu den Festen bei, und alle bedienten sich selbst. Kein bediensteter Geist schaltete hier weil alle dienstbare Geister waren.
Das Fest auf den„ Inseln der Seligen" auf dem feuerroten Planeten Mars durchglühte eine wahrhaft dionysische Stimmung. zu diesem Fest hatten Bölsche , die Gebrüder Hart und Friz Loescher eingeladen. Und aus der Marsfeier ertönte stürmisch der Ruf nach einer neuen Fest fultur, nach einer neuen Welt: Was sich neu ans Licht will drängen, Laßt in Bildern und Gestalten Blänzend dem Auge sich entfalten: Neue Kunst und neue Welt
Leuchte über unsere Feier, Und von eurem Geist erhellt.
So manches von neuer Kunst und neuer Welt hat sich seitdem vor unseren Augen entfaltet". Das fröhliche Friedrichshagen der jungsozialistischen Dichter und Kämpfer ist aber im Zeitenschoße verfunken. In Dichtung und Sage lebt es noch fort. Vor allem aber in den alten Akten des Berliner Polizeipräsidiums.
Paul Kampffneyer.