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föeiloge Frcifa�/"19. April 1929
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Das polilisdie Kino Von Lofar Holland Das Kino ist Volksgut geworden. In dieser Eigenschaft hat es sich von Anfang an bewußt vom Theater losgelöst und ist seinen eigenen Weg der Entwicklung gegangen: nicht zu einer komplizier- teren und sich von der breiten Allgemeinheit abschließenden Kunst- sonn über das beriets bestehende Theater hinaus, sondern als Proletarierkind unter den traditionellen Künsten in die Straßen der Städte. Vorstädte, in die Provinz, bis in die kleinen ent- legenen Dörfer. In Beziehung auf ihre Verbreitung steht die Kiire- matographie zumindest gleichstufig neben dem Buchwesen. Sie über- trifft es aber unbedingt in der momentanen persönlichen Wirkung?- kraft der Werke auf das Publikum: der Film als das Abbild einer aus sich heraus selbständig sich bewegenden visuellen Wirklichkeit wirkt elementar aktiv auf den Zuschauer. Und die Werk« dieser aktiven Kinematographie fliehen in einem weitverzweigten Verleih- system zu Tausenden durch die Lichtspielhäuser des ganzen Landes. Die Kinematographie ist ein« neuartige Kunst. Man nannte sie früher, zur Betonung ihres Gegensatzes zu den alten Künsten, gern dieKunst des kleinen Mannes". Und meinte mit dem kleinen Mann schlechthin das Volt als solches? zu diesem gehörte in bezug zur altenKunst der Auserwählten" jeder, wenn er sich von der traditionellen geistesgezüchteten Welt des Theaters für zwei Stun- den absondert«, um sich im Kino einem elementaren freien Phantasie- erlebnis hinzugeben, und jeder, dem die Geistesentwicklung und das Geld fehlten, um ins Theater zu gehen, und sich somit auf den Besuch des Kinos gern beschränkte. Dieserkleine Mann" aber ist zu einem Goliath innerhalb des Etaatsgefüges heran- gewachsen: aus der ihm früher mit gewisser Geringschätzung über- lassenen Kunst ist die Kunst von Millionen, des Volks geworden. Das Kino blieb nicht nur in der Nähe des kleinen Mannes be- stehen: es entwickelte sich mit ihm. Es ist in engster Verwandtschaft mit ihm ein Machtsaktor geworden. Di« Kulturfrage des Kinos, das Problem seiner weiteren Entwicklung greift in das Entwick- lungsproblem der Voltsklasie ein, mit der es aufgewachsen ist, die sein spezifisches Publikum ausmacht, der es gehört. Heut« ist der Film in den Händen einer Filmclique, die In volksnationaler, sozialer und moralischer Beziehung so gut wie gar keine Verbindung zum Volk hat. Es ist ein Kreis von geschickten Filmhandwerkern und einer noch größeren Anzahl von bloßen Konjunkturschmarotzern, die für ein volksfremdes, egoistisches Kapital auf Auftrag arbeiten. Es ist der Zustand eit> getreten, daß dos Kino als solches zwar Volksgut ist, aus keinen Fall aber die in ihm vorgeführten Filme. Die Filmprogramme beweisen es. Das Volk, das in seinem gegenwärtigen sozialen Existenz-, Derechtigungs- und Führerschaftskampf steht, hält in seinem Kino«in Gefäß ohne Inhalt in der Hand, einen Weinkelch ohne den Wein, der ihm elementare geistig« und seelische Erfrischung, Ermutigung und Zielweisung geben sollte. Es ist um einen der stärksten modernen geistigen Machtfaktorcn nach innen wie noch außen: den Film, betrogen. ~ Diesen wiederzuerringen und sich nutzbar zu machen vermag nur das Boll selbst. Auf«in Entgegenkommen von feiten der heutigen Filmindustrie ist kaum zu rechnen; auch dürfte es kaum angängig und für die Zukunft vorteilhaft sein, die innersten Angelegenheiten des Volkes für die Geschäft« einzelner bloßzulegen. Die Filmindustrie hat ihr« besonderen Ausgaben, zu deren Erfüllung sie ihr Kapital und ihre industriell« Struktur aufrechterhalten muß: in der Herstellung kultureller und wissenschaftlicher Film« zur Fort- setzung des wissenschaftlichen Buchwesens. Di« Literatur-, Theater- und Operettenklischees, mit deren Herstellung sie sich heute im allgc- meinen besaßt, sind Surrogate, die sich nicht halten können und die auch die Industrie nicht halten werden. Ihr« ständigen Krisen und Wirren' beweisen es. Die Produktion seiner eigenen Filme, die ihm und seinen Be- dürfnisien wesensentsprechend sind, muß das Volk selbst in die Hand nehmen. Es stellt dem Film gegenüber eine große Konsu- mentengemeinschaft dar, die sich in dem Willen einer Qua- litätssteigerung der von ihr aufzunehmenden geistigen Ware ein- mütig zusammenschließen muß, um durch berufene felbstgeschofsene Institutionen dies« herstellen zu lassen. Die Frage des künstlerischen wie kulturellen Volksfilmes ist eine rein« Gesinnungssrag«. Und diese ist nur von dem Volk selbst zu lösen._ Zum Teil sind die Grundlagen für derartige Institutionen zur Filmherstellung bereits vorhanden: in den verschiedensten sozial- politischen Arbeiter, und Angestelltenorganisationen. Es sind auch von Parteien und Gewerkschaften verschiedentlich Filme hergestellt worden. Ihr« Zahl ist sehr gering. Von einer Wirkung nach außen hat man wenig gemerkt. Und doch ist gerade der Film «in mitreißende» gesinnungspolitisches Werbemittel, das weniger berufen ist, die eigenen Parteimitglieder immer wieder zum be- fredigten Beifall über ihre eigenen Taten zu veranlassen, als die weit« Mass« des Voltes mit der eigenen Gesinnung zu befruchten. Von den beiden Aufgaben politischer Filme: Festigung und Rich- rungweijung nach innen und Werbung nach außen, ist nur die erste beachtet worden. In den Kinos herrscht die Cesinnungslosigteit eines oolkssreinden Kapitals. Das Volk muß es selbst unternehmen, sein Kino zu aktualisieren, zu seinem geistigen Führer zu machen Hieran schließt sich die zweite Aufgabe der von der Mehrhelts- parte! durchführbaren Filmgenosienschost auf sozialpolitischer Ge­sinnungsbasis: die Schassung eigener Kinos. Eine nahe- liegende Frage steht offen: weshalb gibt es noch kein« städtischen oder staatlichen Lichtspielhäuser? Warum glaubt Vr Staat durch Unterhaltung von Theatern, die doch immer nur für bestimmte Kreise in Detrackst kommen, alles getan zu hoben, und das Kino der freien geschäftlichen Ausnutzung auf Kosten des weitaus größeren Publikumskreises überlasten zu können? Di« u n g e» heure Macht, die ein staatlich geleitetes Kino innerhalb des Volkes zum Guten ausüben tonn, zeigtunsRußland seitzehnIohren. Daß der russische Staat im Grunde nur Despotismus einer Partei ist, besagt nichts gegen seine Machtmöglichkeit. Wir brauchen das gefinmingspolitifche Sil», das frei von tendenziösen Geschäftsabsichten im Dienst« des Volkes steht. Kommen wird es:«s zeigen bereits heut« einige Film- sirmen und Filminteressenten mit den ihnen zu Gebot« stehenden Kinos leider ein ja stark parteipolitisch«inseitiges Gesicht. Die so. genannte Gesinnung, mit der sich tendenziöse Kaufleute und Lit«. raten um ihres Geschäfte» willen bekleiden, ist kein Spiegel de�  freien Volkswillens. Es kommt aber daraus an, daß die Vertretung des Volkes die Imtiatioe zur Schaffung des Volkskinos und der gesinnungsreinen Film« rechtzeitig ergreift, ehe die immer hell- sichtige» Konprnkturiste» cht de» Bode» untergrabe».
Reichsdeutsches Kaleidoskop Grotesken politischer Zersplitterung
Der Hannoversche Provinziallandtag hat am 22. März 1928 beschlossen, vom Landesdirektorium der Provinz Hannover   und der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens  eine Denkschrift über die Länderzersplitterung im niedersächsischen Wirtschaftsgebiet*) herstellen zu lasten. Das niedersächsische Wirtschaftsgebiet ist ein feststehender Be- griff. Es umfaßt folgende politische Bezirke: 1. die Provinz Han-
Ort Woltorf. Weiße Flächen preußisch, eng schraffiert braunschweigisch, weit schraffiert gemeinsame Hoheit. nover, 2. Teile der Provinz Westfalen  , 2. Freistaat Oldenburg  , 4. Freistaat Braunschweig  , 5. Freistaat Lippe-Detmold, 6. Freistaat Schoumburg-Lippe, 7. Freie Honsastatdt Bremen und die westlich der Elbe gelegenen Gebietsteile von Hamburg  . Der hier angegebene Umfang deckt sich im allgemeinen mit den Organisationsgrenzen, die wirtschaftliche Verbände, Berufsgenossenschaften und Genossenschaften für das Gebiet Niedersachsen   gezogen haben. Ebenso hat das Reichsarbeitsministerium bei der Abgrenzung der Zuständigkeit der Landesarbeitsämter das niedersächsische Wirtschaftsgebiet als Ganzes behandelt. Es umfaßt rund 58 000 Quadratkilometer, wird von 5% Millionen Menschen bewohnt und stellt der Fläche nach etwa den neunten Teil des Deutschen Reiches dar. Der Höhepunkt der Kleinstaaterei. In diesem geschlostenen Gebiet ist die politische Zersplitterung und die Kleinstaaterei auf den Höhepunkt getrieben. Die Denkschrift gibt davon ein Bild, das grotesk anmutet. Was deutsche Klein- staaterei auch heute noch bedeutet, das weiß man im allgemeinen aber f o schlimm hat man es sich denn doch nicht vorgestellt. Hören wir darüber die Denkschrift: Die Provinz Hannover   ist ein in ihrer jetzigen Flächenauf- ieilung höchst zerrissenes Gebilde. Die hannoverschen zersplitterten Grenzen sind das getreue Gegenbild der territorialen Gestaltung des Freistaates Braunschweig  , der aus mehr als 28 ein- zelnen Teilen besteht. Sein Grenzverlauf ist höchst eigenartig und hat in Deutschland   nach der Zusammenlegung der thüringischen Staaten außer der Provinz Hannover   wohl kaum seinesgleichen. Die Lagerung der einzelnen Teile des braunschweigischen Staates zueinander und zu ihrer Hauptstadt ist sehr verwickelt. Ein Student, der von Vorsfelde zur Landeshochschule in Braunschweig  fährt, kreuzt die Landesgrenze sieben-, neun- oder e l f m a l, je nachdem er über Börßum  , Vienenburg   oder Oebisfelde  fährt. Braunschweig   besteht aus sechs Hauptteilen und mindestens 22 kleineren, als Exklaven zu bezeichnenden Teilen.(Dieses min- d e n st e n s läßt tief blicken!) Der Teil um die Landeshauptstadt, der Weserteil und der Harz  - teil, aber bestehen eigentlich wiederum aus je zwei Stücken, die durch nur IVi bis 2V3 Kilometer breite Landengen verbunden such. Forschungsreisende an dke!?ront; Die Denkschrift fährt fort: Angesichts der Tatsache, daß einige der braunschweigischen Exklaven nicht einmal auf den Karten 1:100 000 verzeichnet sind und selbst die Meßtischblätter nicht die winzigen preußischen Hoheits- gebiete inmitten des braunschweigischen Ortes Pabstsrs zur Dar- stellung bringen und die Woltorfer Verhältnisse falsch darstellen, kann daher auch hier nicht dafür eingestanden werden, daß nicht im Lause der Zeit noch weitere bislang unbekannte, unbewohnte Ex- klaven aufgefunden werden. Die bewohnten find wohl, von Woltorf abgesehen, olle genau bekannt." 172 Exklaven in 1160 Hektar Fläche! Es handelt sich bei dieser Darstellung um eine ernste, den Tat- fachen entsprechende Denkschrift, nicht etwa um eine Erfindung einer satirischen Zeitschirst zur Verhöhnung der Kleinstaaterei! Der Höhe- punkt wird jedoch erst erreicht mit der Darstellung der Zersplitterung in den Orten P a b st o r s und Woltorf. Darüber berichtet die Denkschrift: Der Ort Pabstorf   liegt in einer braunschweigischen Ver- waltungsexklave, die zipfelartig in den preußischen Kreis Oschers- leben hineinragt. In der Ortschaft P a b st o r f jedoch bestehen 17 preußisch« Gebielssplilter von zum Teil uur wenigen Ouadrak- metern Größe, die aber jede für sich ein besonderes hoheits- gebiet darstellen. Auf ihnen wohnen 2 6 3 E i n w o h n e r, die zu einer besonderen preußischen Gemeinde zusammengeschlossen sind, während 'im übrigen 1007 Einwohner eine braunschweigisch« Ge» m e i n d e bilden.
*)Niedersachsen Im Rahmen der Reugliederung de« Reiche«. Im Auftrage des Landesdirektoriums der Provinz Hannooer und im Zusammenwirken mit der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens   E. Ä. bearbeitet von Dr. phil  . Kurt Brüning  , Prioatdozent der Geographie an der Technischen Hoch- schule Hannover  .
Weitaus verwickelter liegen jedoch die Verhältnisse im Orte Woltorf. Hier teilen sich nicht nur Braunschweig   und Preußen in die Hoheit über Ort und Feldmark, sondern es liegt sogar der in staatsrechtlicher Beziehung möglicherweise einzigartige Fall vor, daß eine gemischte Hocheit(gemeinschaftliche Hoheit) vorhanden ist, das heißt, daß gewisse Flächen zugleich der preußischen und der braunschweigischen Hoheit unterstehen. 62 Proz. der 1160 Hektar großen Gemarkung Woltorf sind preußisch, 31 Proz. braunschweigisch und 7 Proz. sind Stücke gemeinsamer Hoheit. Das Gebiet preußischer Hoheit umfaßt den größeren Teil des Ortes und der Gemarkung(etwa zwei Dritteh. Aber das preußische Gebiet ist selbst wieder in 172 einzelne Stücke(Exklaven) ausgeteilt, die entweder von braunschweigi- schem oder gemeinwirlschaftlichem Gebiet umgeben sind. Die Grenzziehung ist so wirr und unvorteilhaft, daß eine ganze Reihe preußischer(wie auch braunschweigischer) Gebietssplitter durch 4 nur wenige Meter breite Landengen zusammengehalten sind und auf der Karte der Gestalt einer Säge oder dem Rippen- werk eines zerzausten Blattes ähneln. Von den 172 preußischen Gebietsteilen sind 27 mit Häusern bebaut. Die Flurorte Im Stapeldorfe" undIm Baumgarten" sind aus einzelnen ganz schmalen Streifen zusammengesetzt. Der FlurortIm Stapeldorse" (Gesamtbreite 490 Meter) besteht aus 50 einzelnen Parzellen, von denen sich die preußischen zu 12 preußischen Hoheitsgebieten zu- sammensügen. Die Länge dieser Hoheitsgebiete schwankt zwischen 15 0 und 270 Metern, die B r e i t e ist bei einigen nur 9 Meter.  3m Baumgarten"(Ausdehnung 430X470 Meter) sind die kleinsten preußischen Hoheitsgebiete 3X150 Meter und 7X70 Meter groß. Die größeren Teile dieses Flurortes sind 7X160 Meter." Unsere beiden Karten von Pabstorf   und Woltorf, die nach den Meßtischblättern hergestellt sind, versuchen die Verhältnisse darzu» stellen. Die Angaben der Meßtischblätter stimmen jedoch keineswegs mit den grundbuchmäßigen Eintragungen überein. Sie geben auch nur einen ungefähren Begriff, da angesichts des Maß- stabes 1: 25 000 die winzigen Splitter gar mcht in Erscheinung treten können. Rechtsunsicherheit als Folge. Die Folgen dieser Aufsplitterung sind traurig genug:Daß in der Gemeinde Woltorf in bezug auf Steuer, Jagd und andere Dinge große Rechtsunsicherheit besteht, bedarf wohl keiner be» sonderen Betonung. Selbst die Ortsansässigen kennen sich nicht aus. Die Gebiete gemeinschaftlicher'Hoheit sind im all- gemeinen unbebaut, da diese Grundstücke weder in den braun- schweigischen noch in den preußischen Grundbüchern eingetragen und auch nirgends katastiert sind. Die Eigentumsübert.raguug eines solchen Grundstückes auf Grund einer Auflassung und Än- tragung im Grundbuch, wie es sonst üblich ist, ist in diesen Fällen nicht möglich. Keine Brandkasse übernimmt die Versicherung, so daß es für den betreffenden Privatbesitzer ganz untragbar ist, in einem solchen Grundstück Kapital zu in- vestieren. Nur das Armen- und Spritzenhaus steht auf einer solchen Fläche. Auch ein längs der Eisenbahn entlanglaufender Schutz- streifen fällt in das Gebiet gemeinschaftlicher Hoheit, während der Eisenbahnkörper selbst durchweg preußisch ist."
Weiß Braunschweig   und schraffiert Preußen. Durch die schwarz markierten Häuser geht die Grenze mitten durch. Das Ergebnis. Die Denkschrift kommt zu folgender Schlußfolgerung: .JXad) all diesen verschiedenen Untersuchungen über die Frage, worauf die heutige politische Zerrissenheit Riedersachsens zurückzu­führen ist, kommen wir zu dem Ergebnis, daß sie nicht durch die natürlich-geographischen Verhältnisse. nicht durch das Bedürfnis von Wirtschaft und verkehr, nicht durch die Gruppierung der Bevölkerung oder durch die heutige soziale Struktur, nicht durch Volkstum und Kultur oder Stammeszufammen- hänge bedingt ist, sonder.n daß sie nur als ein Ueberbleibfel einer durch viele Zufälligkeiten beeinflußten dynastisch- territori- alen Entwicklungsgeschichte anzusehen ist." Die Verfasser der Denkschrift wundern sich darüber, daß das deutsche Volk nicht an eine gründliche politische Flur- bereinigung geht, obwohl seit dem Verschwinden der i Y n a st i e n die inneren Grenzen nur noch traditionellen Wert haben, und keine Rücksicht auf das Wohl einzelner Fürsten  - Häuser genommen zu werden brauche. Wir wundern uns auch und die West lacht!