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71t. 184* 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 20. April 1929
Was ist eine Werbedame? Werbedame ist die liebevoll« beschönigende Bezeichnung für H a u s i e r e r i n. Denn genau wie diese geht man von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, um seine Ware feilzubieten, mit dem einzigen, geringen Unterschied, daß man sich hier auf einen Artikel spezialisiert, während die Hausierer meist einen bunten Krimskram-Laden mit sich führen. Stets und immer findet man natürlich verschlossene Türen, denn jeder weiß ja aus eigener Erfahrung, was einem so den Tag über unter dem Titel despraktischen, sparsamen Haushaltgegenstandes, derinter- essanten Neuheit", dergesundheitfördernden Errungenschaft" usw. angeboten wird. Gerade heute, wo kein Mensch Geld hat, Neuheiten auszuprobieren und an ihre Anschaffung zu denken, ist es erklärlich, daß man solch armen Ahasvern, meist noch mit wenig liebevollen Worten, die Türe vor der Nase zuschlägt. Ungezählte Dinge des Bedarfs sind es, die auf den Markt gebracht werden, und mit Hilfe der Werbedame soll nun der Umsatz durch Besuch bei der Privatkundschaft gesteigert werden. Täglich erscheinen in den Zeitungen geschickt abgefaßte Angebote, die unter besonders verlocken- den Botschaften wiehoher Verdienst, dauernde Existenz bei vor- nehmer Tätigkeit" odergebildete Dame kann täglich durch ange- nehme Beschäftigung 20 bis 2S M. mit Leichtigkeit ver- dienen" usw. Erwerbsmöglichkeit in Aussicht stellen. Das eigent- lich« Arbeitsgebiet geht aus dem Inserat nie hervor, so daß man immer wieder beim Studium der Stellenangebote neue Hoffnung schöpft, um nächher enttäuscht abzuziehen. Was alles angeboten wird. In erster Linie haben die Firmen oder ihre Vertreter, die Werbe- damen engagieren, eine Attacke auf die Hausfrauen bor. Staub- s a u g e r sind nach wie vor einer der Hauptvertriebsartikel, daneben Waschmittel, der'Mop"(eine neue B e s e n ä r t aus Stoff- teilen statt Haaren), Koch- und Waschapparate oder: ein Radio. apparat�für die Mußestunden, einOeldgemälde" als Zimmer- schmuck, ein Korsett für die schlanke(jetzt heißt sie vollschlanke) Linie usw. Dies sind so die hauptsächlichsten, immer wiederkehren. den Artikel, die einem zum Vertrieb angeboten werden. Daneben gibt es aber dann noch eine Legion- mehr oder minder eristenzberech. rigter Ding«, deren Erzeuger mi» allen zu Gebote stehend«: Mitteln bemüht sind, die Kauflust des Publikums für ihr Produkt anzuregen. Wie arbeitet die Werbedame? Je nach Beschaffenheit des Artikels Staubsauger oder Radio­apparat kann man natürlich nicht gut von Tür zu Tür schleppen ist die Werbetätigkeit theoretischer oder praktischer Natur. Bei solcher Anpreisung soll man durch talentvolle Bered- samkeit den Kunden dahin bringen, sein Interesse wachzurufen, um ihm dann den Vertreterbesuch zur Vorführung in Aussicht stellen zu könne. Kommt der Verkauf zustande, so ist man mit einem be- stimmten P r o z« n t s o tz an der Kaufsumm« beteiligt. Gegenstände, die keinen sonderlichen Wert repräsentiern, wie Waschmittel, kleinere Küchenbehelfe usw., erhält man gegen Hinterlegung einer kleinen
K a u t i on oder man bezahlt den Gegenwert des Artikels, wie ihn die Firma dem Wiederverkäufer überläßt, und der hinzukommende Aufschlag für den Käufer bildet dann den Verdienst. In den meisten Fällen, wo es sich um größere Gegenstände handelt, muß man seine Ausweispapiere bei der Firma hinterlegen. Bei einer Bilderfirma z. B. gibt es diese Art der Werbetätigkeit: Man bekommt eine Hand- voll Gutscheine, die man, das Stück zu 1 M., an die Kundschaft ab- setzen soll, die dann aus Grund dieses Gutscheines beim Kauf eines Bildes einen bestimmten Rabatt erhält, oder man kann gegen ein« Kaution von 20 M.«inenSchinken" unter den Arm klemmen und versuchen, ihn mit möglichst großem Gewinn loszuwerden. Eine Korsettfirma hatte wieder andere Geschäftspraktiken. Da wurde die werbende Novize durch eine im Verkehr mit der Privatkundschaft bereits versierte Kraft angelernt, indem sie einen Vormittag lang mit dieser auf Kundenbesuch ging und sah und hörte, wie esgemacht" wird. Da wurde geredet, geredet und nochmals geredet, und wenn dies schwierige Stück Arbeit endlich einmal von Erfolg begleitet war, dann wurde gemessen und probiert und die heißersehnte Bestellung unter untertänigen Dankesbezeugungen notiert. Nach all dem, was ich so sah und hörte, wußte ich, daß der Beruf eigentlich noch viel schwieriger sei als ich ihn mir vorgestellt hatte. Trotzdem wollt« ich auch darin einmal mein Glück versuchen, man kann ja nie'wissen, welche Talente in uns schlummern und ob man nicht vielleicht gerade die geboreneStadtreisende" ist. Nun sortierte ich aus: Staubsauger und Radio erschienen mir auf der einen Seite zu kostspielig, auf der anderen Seit« als nicht neu genug, Oelgemälde  (noch dazu in der gesichtetenkünstlerischen Ausführung") schalteten als wertloses Kulturgut von vornherein aus, der Korsettvertrieb erschien auf- reibend und wenig aussichtsreich, so wandte ich mich dem Vertrieb der neuartigen W a s ch m i t t e l zu, der bei ganz geringem Betriebs- kapital immerhin noch einige Existenzberechtigung aufwies.
.nein, wir braudien nichis!'
Ausgerüstet mit einer kleinen Musterkollektion eines neuartigen kraft-, zeit- und geldspärenden Wäschezusatzes" nebst aufmunternden und vielversprechenden Weisungen meines Auftraggebers, begab ich mich also auf die I a g d n a ch d e m G l L ck. Ich suchte mir in einem dichtbevölkerten Stadtviertel einige Straßenzüge, die ich einen Bor- mittag lang nach Kundschaft durcheilen wollte. Ich läute bei Tür Nr. i. Eine ältere, gutmütig aussehende Frau öffnet mir. Ich spreche meinen Vers: Nein danke, wir brauchen nichts! Einen Stock höher, derselbe Effekt, jedoch in recht unhöflicher, wenig aufmuntern- der Art: Den ganzen Tag die olle Bimmelei mit die Reklamesachen! Bei der Dritten, Vierten und Fünften war es nicht besser. Nr. 6 empfing mich mit weitgeöffneten Armen sie hatte ihre Kusine ver- mutet und war recht bitter enttäuscht, ich aber auch wieder einmall Nach etlichen Niederlagen ich war bisher noch nicht einmal jen- seits des Treppenflur'es gelandet verspürte, ich ein schwaches Hostnungsfünkchen. Eine junge Frau, mit einem blondköpfigen Jungen an der Hand ließ mich wenigstens endlich einmal zur Türe herein, und ich konnte meinen Vers zu Ende erzählen. Hoffnungs- freudig beeitete ich eiligst mein Warenlager en ministure vor ihr aus wobei der kleine Blondkopf mit rundlich-tapsigen Kinder- fingerchen gleich eine Tüte emporhob und entzweiriß. Sie schien recht interessiert, ich redete mit Feuer und Begeisterung; dann meinte sie, indem sie auf das Sandhäufchen am Boden wies, in dem der Kleine bereits mit Eifer herumwühlte:Ich kann es ja mal aus- probieren; das können Sie ja doci, nicht mehr verwenden, nicht?" Was blieb mir übrig, als ein freundlichesJa" zu sagen und unter Hinterlasiung der Firmenadressc abzuschieben. Bei diesem negativen- Resultat blieb es auch weiterhin: hundsmüde, hungrig und wenig gut gelaunt, beschloß ich meinen Rundgang. Ausdauer, Dickfelligkeit und ein nimmer ermüdendes Gehwerk- zeug sind die Grundbedingungen für diesen ungemein schwierigen Beruf.- Ob damit aber auch der Erfolg gesichert ist? Papier   ist geduldig. Wenn in den Inseraten von einerleichten, angenehmen und aussichtsreichen Tätigkeit" die Rede ist, dann muß ich behaupten, daß die Tätigkeit einer Werbedame diese drei äußerst sympathischen Züge nicht aufzuweisen hat.
Eisenbahnkatastrophe in Chile  . ,4 Tote, 20 Verletzte. N e w B o r k, 19. April. Wie..Associated Preß  " aus Santiago de Chile   meldet, ist zwischen Jgnique und Antafo» g a st a ein Personenzug verunglückt, wobei vierzehn Per» sonen getötet und zwanzig verletzt wurden. Die Katastrophe ist darauf zurückzuführen, daß während der Fahrt sich die Laufkränze der Lokomotivräder lösten. Die Loko­motive entgleiste und die nachfolgenden Personenwagen prallten mit voller Geschwindigkeit gegen das Hindernis, wobei sie um- schlugen und zertrümmert wurden. Iquique   und Antafogasta sind chilenische Hafenstädte- an der Bahnstrecke Iquique Antafogasta Valparaiso Santiago- Eoncepcion. Iquique   zählt rund 40 MO Einwohner und ist ein bV deutsamer Ein- und Aiissnhrhafen.
Zeppelin glatt gelandet.
Das LuftschiffGraf Zeppelm" traf am 1S.4S Uhr unter gleich günstigen Witterungsbedingungen wie bei der Abfahrt wieder über Friedrichshafen   ein und ist nach einer längeren Kreuzfahrt über dem See und der Umgebung der Stadt um 16.40 Uhr glatt gelandet. Kurz nach 17 Uhr lag das Schiff bereits wieder in der Halle. Während der fast zehnstündigen Fahrt folgte das Luftschiff zu- nächst dem Lauf des Oberrheins, dann dem des Neckars und schließ- lich der Donau  . Es legte dabei eine Strecke von über 8 00 Kilometern zurück. Die Versuche mit dem Kreiselkompaß und dem angegliederten Kursschreiber zeigten sich über Erwarten gut. Es fanden auch Versuche mit Sirenen als Schallgeber für das Behmfche Echolot   statt. Di« Höhenbestimmung wird aber durch den auseinandergezogenen Klang der Sirenen im Gegensatz zum kurzen Knall eines Schusses ungenau. Besser bewährte sich eine neue Schieß- «inrichtung der Waffenfabvik Mauser.
Sack Xondon:
(Berechtigie üebersetzung von Erwin Magnus  ).
Er macht ihn tot, er macht ihn sicher tot," sang Bettles begeistert.Ich weiß das. Ich habe schon Schlittenreisen mit Daylight gemacht. Der Mann ist noch nie in seinem Leben müde gewesen. Weiß gar nicht, was das heißt. Ich Hab' ihn einen ganzen Tag bei vierzig Grad Kälte mit nasien Strümpfen reifen sehen. Das macht ihm keiner nach." Während dieses Gesprächs verabschiedete Daylight sich von den Männern.  -zjdie ihn umdrängten. Die Jungfrau wollte ihn küssen, aber obwohl er stark vom Whisky umnebelt war, gelang es ihm auch diesmal, den Schürzenbändern zu ent- gehen. Er küßte die Jungfrau, küßte aber auch die anderen drei Mädchen mit derselben Wärme. Dann zog er die langen Fäustlinge an, jagte die Hunde auf und nahm seinen Platz am Steuer ein.. Mush, Kinderl" nef er. Im selben Augenblick warfen die Tiere ihr volles Ge- wicht gegen die Brustgurte, krochen im Schnee zusammen und hieben ihre Klauen hinein. Sie winselten vor Eifer, und ehe der Schlitten ein halbes Dutzend Längen fortge- kommen war, mußten sowohl Daylight wie Kama, der den Nachtrab bildete, laufen, um mitzukommen. Und so glitten Männer und Hunde den Hang hinunter, liefen dem gefröre- nen Bete des Dukon zu und waren bald in dem grauen Licht verschwunden. Auf dem Fluß, m ausgetretener Bahn, wo es keiner Schneeschuhe bedurfte, machten die Hunde sechs Meilen in der Stunde. Um Schritt mit ihnen zu halten, waren die beiden Männer gezwungen, zu laufen. Daylight und Kama gingen abwechselnd am' Steuer, denn den schnell fahrenden Schlitten zu lenken und vor ihm zu bleiben, war die bärteste Arbeit. Der andere Mann hielt sich dicht hinter dem Gefährt und sprang zuweilen auf, um auszuruhen.
Es war harte Arbeit, aber sie machte trotzdem Freude. Sie flogen über den Boden dahin und hielten sich meist auf der ausgefahrenen Spur. Wenn sie sich später selbst ihren Weg bahnen mußten, waren drei Meilen die Stunde eine gute Leistung. Dann gab es kein Fahren und Ausruhen mehr, und auch von Laufen war wohl kaum noch die Rede. Dann war das Lenken die leichteste Arbeit, und während der eine Mann eine Zeitlang mit Schneeschuhen den Weg für die Hunde bahnte, konnte sich der andere am Steuerplatz ausruhen. Diese Arbeit machte keinen Spaß. Oft mußten sie sich lange Strecken über ein Chaos von Eisschollen schleppen und froh sein, wenn sie zwei Meilen die Stunde schafften. Und es kamen noch schlimmere Strecken, wo«ine Meile die Stunde furchtbarste Anstrengung bedeutete. Kama und Daylight sprachen nicht miteinander. Ihre Arbeit ließ es nicht zu, und es lag ihnen auch nicht, während der Arbeit zu sprechen. Nur ganz selten, wenn es unum- gänglich war, wechselten sie ein kurzes Wort miteinander, und Kama beschränkte sich auch dann meistens auf«inen kurzen Grunzlaut. Hin und wieder winselte oder knurrte «in Hund, aber im allgemeinen verhielt das Gespann sich still. Der einzige Laut, den man hörte, war das scharfe Pfeifen der stählernen Kufen über die harte Fläche und das Knirschen des gleitenden Schlittens. Wie durch eine Mauer war Daylight jetzt von dem Summen und Lärmen des Tivoli getrennt eine andere Welt hatte ihn aufgenommen, eine Welt von Schweigen und Unbeweglichkeit. Nichts regte sich. Der Dukon schlummerte unter einer drei Fuß starken Eisdecke. Nicht ein Windhauch war zu spüren. Selbst der Saft in den Fichtenstämmen an beiden Ufern schien erstarrt zu sein. Die Bäume standen wie versteinert mit der leichten Schneelast auf ihren Zweigen, die der leiseste Hauch herabgeweht hätte, aber es geschah nicht. Daylights Schlitten war der einzige lebendige, bewegliche Punkt inmitten der großen feierlichen Stille, und das rauhe Scheuern der Kufen verstärkte nur das Schweigen ringsum. Es war eine tote Welt, ja.«ine graue Welt. Das Wetter war kalt und klar; die Luft war trocken, ohne Dunst und Nebel; aber der Himmel war«in graues Bahrtuch. Zwar verdunkelten keine Wolken den Tag, aber auch keine Sonne gab Helligkeit. Weit im Süden erklomm sie stetig ihre Mittagshöhe' aber zwischen ihr und dem gefrorenen Dukon lag die Wölbung der Erde. Der Vukon war in
nächtliche Schatten getaucht, und der Tag selbst nur eine­lange Dämmerung. Als um dreiviertel zwölf eine plötzliche Wendung des Flusses einen Ausblick nach Süden eröffnete, zeigte sich der oberste Rand der Sonne gerade über dem Horizont. Ein« blaffe, verwischte Scheibe. Ihre Strahlen wärmten nicht, und man konnte gerade in sie hineinsehen, ohne daß einem die Augen schmerzten. Und kaum hatte sie ihre Mittagshöhe erreicht, als sie auch schon wieder hinten den Horizont kroch, und ein Viertel nach zwölf warf die Erde wieder ihren Schatten über das Land.» Männer und Hunde eilten weiter. Daylight und Kama nahmen wie die Wilden Nahrung zu sich. Sie. aßen zu un- regelmäßigen Zeiten, konnten sich bei Gelegenheit bis zum Uebermaß vollstopfen und dann wieder weite Strecken zurück- legen, ohne überhaupt etwas zu esien. Die Hunde fraßen nur einmal täglich, und dann bekamen sie selten mehr als Kama und Daylight glichen ihnen. Sie waren ausdauernd dabei aber in glänzender Verfassung. Wie bei ihren Vor- fahren, den Wölfen, war ihr Stoffwechsel streng ökonomisch und vollkommen. Nichts wurde vergeudet. Die kleinste Krume, die sie verzehrten, wurde in Energie umgesetzt. Und Kama und Daylight glichen ihnen. Sie waren ausdauernd wie die Generationen, von denen sie abstammten. Die ge- ringste Nahrungsmenge versorgte sie mit produktiver Energie. Nichts ging verloren. Ein zivilisierter, verzärtelter Stubenmensch wäre mager und mutlos geworden bei der Lebensweise, die Kama und Daylight auf der Höhe körper- lichen Wohlbefindens hielt. Sie kannten, was jener nicht kennt: beständiges, normales Hungergefühl, so daß sie jedei'- zeit esien konnten. Ihr Appetit verließ sie nie und ließ sie gierig in alles einhauen, was sie kriegen konnten, ohne Ver- dauungsstörungen zu bekommen. Gegen drei Uhr nachmittags ging die lange Dämmerung in die Nacht über. Die Sterne kamen zum Vorschein und funkelten nahe und klar, und bei ihrem Licht setzten Hunde und Männer die Reise fort. Sie waren unermüdlich. Und dabei war dies keine eintägige Rekordleistung, sondern der erste von sechzig gleichen Tagen. Obwohl Daylight eine Nacht durchtanzt und durchtrunken hatte, war ihm nichts anzu- merken. Seine ungewöhnliche Lebenskraft und die selten ausbrechende Ausgelassenheit ließen ihn solche Nächte leicht überwinden. (Forffetzung folgt.)