1929
Der Abend
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Nr. 182
B 93
46. Jahrgang.
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Spalausgabe des„ Vorwärts"
Amtlich wird mitgeteilt:
Die beiden Sachverständigen, Reichsbankpräsident Dr. Schacht und Dr. Vögler, weilten am Sonntag in Berlin und haben die Mitglieder des Reichskabinetts über den Stand der Expertenberatungen in Paris informiert. Sie berichteten insbesondere über die Bedeutung und die Behandlung des deutschen Memorandums. Die Sachverständigen stellten dabei fest, daß keinerlei politische, sondern nur wirtschaftliche Anregungen in dem Memorandum enthalten seien, ferner daß derjenige Teil des Memorandums, dem von anderer Seite politischer Charakter beigemessen worden ist, weder im Unterausschuß noch im Plenum erörtert wurde sowie daß das Memorandum genau so wie die übrigen Memo. randen als Diskussionsgrundlage dienen sollte.
Die Minister nahmen den Bericht entgegen und erklärten, daß sie auch fernerhin den Sachverständigen ihre unveränderte Verhandlungsfreiheit zu belassen wünschten.
Im Sinne dieses Kommuniqués wird der Reichsbantpräsident zu Beginn der inzwischen auf Dienstag verschobenen Bollsigung der Sachverständigenkonferenz eine Ertlärung abgeben. In ihr mird besondere Betonung darauf gelegt werden, daß das: ohne Kenntnis und nicht in Uebereinstimmung mit der Reichsregierung fertiggestelle Memorandum nur als Distuffionsgrundlage gedacht ist. Inwieweit damit die Möglichkeit zu weiteren Erörterungen der Sachverständigen geschaffen wird, bleibt vorläufig abzuwarten. Vor erst steht u. a. der Plan einer auf 10 bis 15 Jahre ausgedehnten provisorischen Lösung im Vordergrund der privaten Pariser Besprechungen.
Die deutschen Sachverständigen Schacht und Bögler haben am Sonntag abend furz nach 10 Uhr die Rückreise von Berlin nach Paris angetreten. Mit Rücksicht darauf, daß sie erst heute im Laufe des späten Nachmittags in Paris eintreffen, ist die nächste Bollfizung auf Dienstag verschoben worden.
Bollfigung morgen früh.
Die nächffe Bollfihung der Reparationsfonferenz ist auf Dienstag vormittag 11 Uhr festgesetzt worden.
Regierung und Sachverständige.
Erklärung des Wirtschaftsministers im Haushaltsausschuß.
Im Reichstag begann heute die Etatsberatung des Reichswirtschaftsministerium s. Bei dieser Gelegenheit erklärte Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius:
Sie werden die gestrige Mitteilung der Reichsregierung über die Berichterstattung der deutschen Reparationsfachverständigen gelesen haben. Unsere Sachverständigen, die nach wie vor in der Freiheit ihrer Entschlüsse von der Regierung in feiner Weise beeinflußt werden, sind auf der Rückfahrt nach Paris . Die für heute anberaumte Bollsigung der Konferenz ist ver tagt worden. Ein Bruch der Konferenz ist vermieden; die Tür zu Verhandlungen nicht zugeschlagen. Db und wann aber noch eine Einigung möglich ist, vermag niemand vorauszusagen Optimismus ist unangebracht. Unter diesen Umständen darf und muß ich mir versagen, über die deutsche Wirtschaftslage und die allgemeine Birtschaftspolitik der Reichsregierung ErMärungen abzugeben. Wenn der Schlußbericht der Konferenz vorliegt oder etwa nachfolgende politische Verhandlungen zum Abschluß gekommen sind, ist der Zeitpunkt da, hierüber Auskunft zu geben Bielleicht ist in einer ausführlichen Behandlung der allgemeinen Wirtschaftslage auch schon Gelegenheit bei der Beratung des Haushalts des Reichs pirtschaftsministeriums im Plenum des Reichstages.
Der Minister schlägt gemeinsame Behandlung zweier Fragen. fomplete vor. Einmal handle es sich um die Vorlage über die Aus führung der Empfehlungen der Weltwirtschaftsfonferenz, ferner um die Borlage des Reichsernährungsministeriums über die Behandlung von Agrarzöllen und darum, was nach dem 31. De. zember dieses Jahres nach Ablauf der Zolltarifnovelle zu geschehen habe. Sodann lägen zahlreiche Anträge und Vorlagen zur Mittelstandspolitik vor. Diese bitte er, beim Etat des Reichswirtschaftsministeriums im Plenum zu behandeln.
Jäger Runge am Zeugenstand.
Neue Enthüllungen im Liebknecht- Prozeß.
Unter allgemeiner Spannung begann heute morgen der ehe, ausgegeben. Schließlich ist er dann doch verhaftet worden, und die malige Jäger Runge, der jetzt den Namen Radolf trägt, seine Zeugenaussage in dem Prozeß, der die Hinschlachtung Karl Liebtnechts und Rosa Luxemburgs wieder aufrollt und die Begünstigung der Mörder durch den damaligen Kriegsgerichtsrat, jezigen Reichs gerichtsrat Jörns erweisen soll.
Runge Radolf, der sich verschiedener Einzelheiten von 1919 nicht mehr genau zu entsinnen weiß, aber das, was er befundet, mit aller Bestimmtheit angibt und auch nicht den Eindruck eines Schwachsinnigen macht, betont, daß er
zwar Roja Luremburg, nicht aber auch Karl Liebknecht niedergefchlagen
habe. Den Kolbenhieb gegen Rosa Luxemburg habe er nur auf Befehl der Offiziere geführt, von denen einer, der Kapitänleutnant Pflugt Hartung, der auch seinen Namen notiert habe. Der Mann, der auf das Auto sprang und die halbtote Rosa Luremburg von hinten in den Kopf schoß, sei der ,, Leutnant" Krull gewesen, in Wirklichkeit Wachtmeister, und derselbe Krull habe den
Sir Bazil P. Blackett
ist als Nachfolger des so plötzlich verstorbenen Lord Revelstoke zum Delegierten auf der Pariser Reparationstonferenz ernannt worden.
Runge auch mit der Erschießung des im Ebenhotel festgehaltenen vermeintlichen Redakteurs der ,, Roten Fahne" beauftragt. Dies war der jetzige Abgeordnete Bied, und als Runge sich gegen diesen Befehl auflehnte, habe Krull ihm gedroht, er werde selbst an die Wand geftellt, wenn er sich weigere. Krull habe hinzugefügt, der Befehl gestellt, wenn er sich weigere. Krull habe hinzugefügt, der Befehl stamme vom Hauptmann Pabst. Der Jäger Friedrich, der vom Abtransport Liebknechts zurückgekehrt war, habe thm erzählt, wie sie im Tiergarten eine Autopannemarkiert und den vor, ausgeschickten Liebknecht von hinten auf der Flucht" niedergeschossen haben.
Runge schildert dann, wie er von der Garde- Kavallerie- SchüßenDivision verschoben wurde, damit nichts herauskomme. Und Division verschoben wurde, damit nichts herauskomme. Und zwar sei das auf Beranlassung eines Freiherrn von Weiß geschehen. Buerst follte Krull mit falschen Papieren und 200 Mark zum deutschen Konsul Schwarz in Prag fahren; er lehnte das ab, weil es fein richtiger Paß war. Dann mußte er sich mehrere Tage in der Wohnung des Leutnants Liepmann gegenüber dem Edenhotel aufhalten, bis die Papiere in Ordnung waren, die den 1875 geborenen Runge zunächst 1885 geboren sein ließen. Dann tam er als Krantenwärter Dinnwald und mit einigen tausend Mark versehen nach Flensburg und schließlich zum Freikorps Schelle. Auf Grund von Bildern in den Zeitungen, Runge. sagt, in den Pressen", wurde er verschiedentlich erkannt und hat sich zur Ab. Pressen", wurde er verschiedentlich erkannt und hat sich zur Ablentung auch einmal als Dr.- Ingenieur von einer Maschinenabteilung
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ihn transportierenden Kriminalbeamten hätten ihm zu= geredet, nur keine Aussage zu machen, sonst werde es ihm sehr schlecht gehen. Er solle auch die 300 000 Mart Prämie haben, die der Reichsministerpräsident Scheidemann für die Ergreifung der Mörder ausgesetzt habe. Als er, nun verhaftet, ins Edenhotel gebracht wurde,
habe Kriegsgerichtsrat Jorns ihm unter vier Augen gesagt, er wolle erst privat mit ihm sprechen.
Er solle nur eine Brühe machen und alles auf sich nehmen, es würden ja höchstens nur drei Monate herauskommen, dann erfolge eine Militäramnestie, und es würden sich Leute finden, die für Runges weiteres Fortkommen sorgen. Jorns erklärt dazu, an jenem Sonntag vormittag sei der Gerichtsschreiber noch nicht da gewesen, der Kriminalbeamte Teßmar habe gebeten, essen gehen zu dürfen, und so habe er mit Runge zunächst anderthalb Stunden totschlagen müssen.
Runge erzählt weiter, wie er im Untersuchungsgefängnis Lehrter Straße die Offiziere wiedertraf, die dank der stets offenen Zellentüren ihn unausgesetzt bearbeiteten, ja nichts auszusagen. Er habe darauf erwidert, er werde das schon nicht tun, er wisse ja, daß sonst einmal eine Handgranate auf seinem Bett liege und er erledigt wäre. Bei einer Vernehmung am 13. April durch Jorns, Staatsanwalt Ortmann und Zentralratsmitglied Wäger habe er auf Befehl der Offiziere den Schwindel erzählt Liebknecht habe ihm eininal im Siemens- Halste- Wert mit der Pistole zur Teilnahme an einem Streit zwingen wollen, und deshalb sei er in solche Wut geraten, als er im Hotel Liebknecht wiedergesehen.( Pfuirufe im Publifu.n. Der Vorsitzende bittet, Kundgebungen zu unterlassen.) Weiter habe man ihm den Schwindel in den Mund gelegt, daß er seine falschen Papiere von Spartatiften in der Münzstraße gekauft habe.
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Jorns läßt feststellen, das Runge bereits durch ihn vernommen war, als er von Pflugt Hartung und anderen im Gefängnis be= arbeitet wurde. Die Darstellung, die Runge seinerzeit einem ,, Vorwärts" Redakteur gegeben hat, daß die Untersuchung eine Komödie gewesen sei, hält er vollkommen aufrecht. Sein Amtsverteidiger Grünspach habe sich nur mit den Offi= zieren unterhalten und ihm nur gesagt: Runge, nehmen Sie alles auf fich, Sie friegen vielleicht noch den Adlerorden.( Große Heiterfeit.) Im Anschluß daran legt Jorns Wert auf die Feststellung, daß Runge das E.. I mit Unrecht getragen habe. Runge ermibert, es von den Offizieren erhalten zu haben, die ihn auch
nach der Tragödie, zum Sergeanten befördert hätten. Im Felde war er überhaupt nicht, sondern vom Milktär noch vorher entlassen; zur GSch.- Division ist er wie andere auch gegangen, um Kleidung und Effen zu bekommen. Das viel erörterte Gruppenbild, das ihn in der Mitte zeigt, stelle ein einfaches, alltägliches Mittagessen dar, und wenn er gewußt hätte, was die Photoaufnahme für einen 3wed hatte, wäre er hinausgegangen. Verteidiger Rechtsanwalt Levi betont: Benn in einer Mordfache eine Photographie mit einem der Haupttäter im Mittelpunkt auftaucht und ein mit der Verfolgung beauftragter Kriminalbeamter nicht alle anderen Personen auf dem Bild festzustellen sucht, so wird er feine 24 Stunden weiter im Amt gelassen werden. Es find doch auch Offiziere auf diesem Bild..
Jorns verlangt, daß ihm diefe Offiziere genannt werden. Rechtsanwalt 2evi: Das war immer die Taftit des Herrn Jorns, von denen, die zu ihm tamen, die Namen der Verdächtigten zu verlangen. Ich gebe teine Kamen an, ich bin nicht der Unterfuchungsführer gewesen, sonst wäre die Untersuchung wohl anders
ausgegangen.
Runge erzählt dann, wie er gleich nach der Hauptverhandlung an Jorns geschrieben hat, daß seine Verurteilung nicht rechtmäßig fei. Jorns verwies ihn an andere nicht bezeichnete Stellen. Runge hat dann in zahlreichen Eingaben die Wiederaufnahme seines Prozesses verlangt; es sei jedoch nichts geschehen. Jorns will von Runge bestätigt haben, daß dieser bei der Vernehmung im Edenhotel gesagt habe, er würde den Bolizeipräsidenten Eichhorn, sen Troßfi and den Lenin ebenso behandeln wie Rosa Luxemburg . Runge erklärt, davon nichts zu wissen.
Rechtsanwalt Levi fragt Jorns, warum er denn das in den