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BERLIN  Freittag

26. April do 1929

Der Abend

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Nr. 195

B 97 46. Jahrgang.

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Anklage gegen Jorns.

Der Verteidiger rechnet mit dem klagenden Reichsanwalt ab.

Der fünfte Verhandlungstag im Prozeß gegen das Tagebuch" begann heute früh mit dem Schlußvortrag des Nebenklägers Reichsanwalts Jorns. Er beklagte sich zunächst darüber, daß er, der hier gewissermaßen als Angeklagter stehe, mit dem Beweis material erst in der Hauptverhandlung überfallartig bekanntgemacht worden sei. Hätte er soviel Zeit und Muße gehabt wie der Ver­teidiger, die Atten zu studieren, so wäre seine Biderlegung noch nollkommener gewesen. Jorns geht dann die einzelnen Beweiss puntte durch, was schon der Staatsanwalt genügend besorgt hatte. Er behauptet, daß die Unwahrheit dieser Beweispunfte erwiesen sei. Der damalige preußische Justizminister Dr. Rosenfeld habe am 18. Dezember 1918 durch einen Erlaß zur äußersten Borsicht mit der Verhängung der Untersuchungshaft ge mahnt und die Partei des Verteidigers, damals die KPD., jetzt- die USẞD.(!) betreibt im Rechtsausschuß des Reichstages die Ein­schränkung der Untersuchungshaft auf ein Minimum. Soll etma eine Ausnahme gegen Offiziere, Soldaten oder Rechtsgerichtete Ge macht werden?

Die Kameradschaft der Mörder. Jorns rechtfertigt dann noch einmal das kameradschaftliche Bus fammenhalten der Babst- Offiziere und ruft mit erhobener Stimme

aus,

es werde allen Bemühungen der Partei des Verteidigers goftlob nicht gelingen, diese kameradschaft aus dem Heer herauszu­bringen!

Der Gerichtsherr hatte besonders die Ehre seiner Offiziere und Soldaten zu schützen und darum prüfte er besonders genau, ob ein Haftbefehl gegen einen Offizier zu erlaffen sei. Als flar wurde, daß Bogel   die Leiche der Rosa Luxemburg   beseitigt hat, war doch damit nicht gesagt, daß er das getan habe, um die Spuren des Mordes zu beseitigen.

Bei der Strafbemessung wünscht Jorns berücksichtigt zu sehen, daß man auf die Aussagen eines Runge hin ihn des schwersten Amtsverbrechens beschuldige, sogar in der Fälschung des Scheins, auf den h: n Bogel   fliehen konnte. Man will eben einen Beamten des vielgehaßten und vielgeschmähten Reichsgerichts beseitigen, der sich nach einer gewiffen Seite hin durch die Führung von Landesverratsprozeffen unbeliebt gemacht hat. Wegen einer pflichtgemäßen Frage, die ich in einem Landesverrats­prozeß gestellt habe und die dem Angeklagten unangenehm gewesen ist, der Herr Verteidiger hat auch damals die Ehre gehabt, zu verteidigen, hat man diesen schwerbeleidigenden Artikel geschrieben und sich erst nachher das Beweismaterial zusammengesucht. Es ist höchste Zeit, daß man solchen frivolen Ehrabschneide reten endlich das Handwerk legt; denn sonst besteht die Gefahr, daß sich Staatsanwälte und Untersuchungsrichter nicht mehr finden. Ich bitte zu erwägen, ob nicht doch eine Freiheitsstrafe zu ver­hängen ist.

Nach einer kurzen Pause begann Verteidiger

Rechtsanwalt Dr. Paul Levi,

der übrigens dem Gericht eine Zusammenstellung der Beweis­ergebnisse überreicht hat, mit seinem Schlußvortrag.

Dr. Levi beginnt temperamentvoll, und schon nach wenigen Eägen wird es im ganzen Gerichtssaal klar, daß jetzt erst der wirkliche Anfläger in diesem Prozeß zu orte tommt. Jorns blättert während der ganzen Rede des Verteidigers nervös in seinen Aften und hat auch bei den vielen Vorwürfen. die ihm über seine Untersuchungsführung gemacht werden, das überlegene Lächeln verlernt.

Der Berteidiger beginnt mit der Feststellung, daß er die Frei­sprechung des Angeklagten beantragen wird. In dem Artifel des Tagebuch" ist nur eine große Behauptung aufgestellt, die, wenn sie nicht erweislich wäre, die Ehre des Reichs­anwalts herablegen fönnte. nämlich die

Behauptung, daß der Kriegsgerichtsrat die Mörder von Karl Liebknecht   und Rosa Luxemburg   habe laufen lassen. Es tommt darauf an, diesen Vorwurf im Kern zu beweisen. Dann verschwindet tie Notwendigkeit einer Prüfung der einzelnen Argu­mente. Am Eingang des Artike's ist davon gesprochen worden, daß dem Herren Reichsanwalt nur geringe juristische Qualitäten eigen sind. Dieser Saz wäre eine formale Be ledigung, wenn diese Behauptung nicht erg verknüpft wäre mit der fonkreten Behauptung, daß er das und das nicht getan habe. Bird bewiesen, und das hoffe ich, daß tatsächlich die Untersuchung im Liebknecht- Luxemburg- Prozeß eine mangelhafte war, bann ( Fortsegung auf der 2. Seite.)

Die Umbildung im Westen.

Preußens größte fommunalpolitische Vorlage.

Im Preußischen Landtag begann heute die Beratung der größten kommunalpolitischen Vor lage, die Preußen bisher kennt, der Gesehentwürfe über die kommunale Neugliederung im rheinisch- westfälischen Industriege. biet. Die Beratung wurde durch eine Rede des Innenministers eingeleitet.

Innenminister Grzesinski  :

Diese Neugliederungsvorlage ist die größte überhaupt, mit der sich je der preußische Gesetzgeber zu befassen hatte. Sie umfaßt ein Gebiet von 850 000 Hektar mit rund 6,3 Millionen Einwohnern, also 16 Proz. der Einwohnerzahl und annähernd 3 Broz. des ge­famten preußischen Staatsgebietes. Für den Fall der Annahme der Geseze würde sich

m

die Zahl der in diesem Gebiet vorhandenen 23 Landkreise um 11, die Zahl der 29 Stadtfreije um 6, die Zahl der freisangehörigen Städte um 12, die Zahl der Aemter um 26, die Zahl der Land­gemeinden um 49 vermindern.

Das bedeutet eine wirksame Rationalisierung, Bereinfachung und Berbilligung der öffentlichen Verwaltung, also ein Stüd praf tischer Verwaltungsreform. In diesem Gebiet, das die Lebens­bedingungen der Menschen und der Wirtschaft durch stärkste In­duſtrialiſierung beeinflußt hat, ist die Entwicklung durch störende Grenzen der Verwaltungsbezirke erheblich beeinträchtigt worden. Die Vorlage will nun den Erfordernissen angepaßte Grenzen schaffen und damit auch die Voraussetzungen, daß für die in diesem Gebiet besonders schwer arbeitenden Menschen besser als bisher gesorgt

Dr. Stamming

Der Führer der dänischen Sozialdemokratie, Th. Stauning, wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Neubildung der Re­gierung betraut werden, nachdem die Wahlen zugunsten der Sozialdemokratie ausgefallen sind.

Hier

werden kann. Ich denke dabei an eine oderung der Sieda lungsform und billige Berkehrsmittel. 26,78 Proz. der deut schen Bevölkerung wohnen in Großstädten, und von 791 000 Haus­hallungen ohne eigene Wohnung entfallen 481 000, das sind drei Fünftel, auf Großstädte. Besonders in dem Umgemeindungsgebiet Rheinland- Westfalen  . liegen die Dinge besonders schlimm. müssen Verkehrsmittel und Verkehrswege geschaffen werden, die schnell und billig die erholungsbedürftigen, erholungs hungrigen Menschen an die Arbeits-, Wohn- und Erholungsstätten bringen. Das tönnen nur große und leistungsfähige, auf Gemein­famteitsarbeit eingestellte Kommunalgebilde durchführen. Mit der. Borlage ist auch ein Lastenausgleich verbunden, der eine gleichmäßige Versorgung unter gleichmäßiger und erträglicher Steuerbelastung von großen, starten und leistungsfähigen Trägern der Selbstverwaltung vorfieht.

Diese neugliederung ist etwas ganz anderes als die bisherige Aenderung einzelner Gemeindegrenzen. Im Industriegebiet haben sich die Verhältnisse im Laufe der letzten Jahrzehnte grundlegend geändert. Es tommt darauf an, etwas Dauerhaftes zu schaffen. Es ist menschlich verständlich, daß der einzelne Mensch an dem Her­gebrachten hängt. Deshalb wird es nicht möglich sein, ein solches großes Gefeßgebungswert in vollem Einvernehmen mit allen Be­teiligten durchzuführen. Aber der Mut zu der Einsicht muß auf­gebracht werden, daß das Interesse der Allgemeinheit dem sub­jeftiven Willen des einzelnen voransteht. Vielleicht wäre es gar nicht so falsch, wenn Sie die Regierungsvorlage gleich heute in allen drei Lesungen en bloc annehmen würden.( Große Heiterfeit.)

Mit der Neuabgrenzung der Land- und Stadtkreise wird die Frage von Stadt und Land,

von städtischer und ländlicher Verfassung aufgeworfen. Für mich ist die Barität zwischen Stadt und Land eine kommunalpolitische Selbst­verständlichkeit. Aber neue Grenzen für die Landkreise, die Bestand versprechen sollen, fönnen nicht ohne Auseinandersetzung mit dem Erweiterungsbedürfnis der Großstädte gefunden werden. Es kommt nicht nur auf die Gegenwart an, sondern die Abgrenzung der gegenseitigen Interessensphären muß auch Raum für die Zukunft lassen. Hier besteht die Möglichkeit, durch Vereini­gung mehrerer Kreise und Restkreise neue starte Verbände zu schaffen. Aber auch der Schaffung großstädtischer Bereinigung find natürliche Grenzen gezogen.

Zwischen Großstadt und Landkreisen stehen die Mittel städte, die in der Vorlage im Vordergrund des Interesses stehen. Bei der Auflösung von Landkreisen mußte daher die Schaffung lebensfähiger Mittelstädte gefördert werden. Die Mittelstadt   ist an und für fich eine ausgezeichnete Form der Bes tätigung tommunaler Selbstverwaltung im Steinschen Sinne.

Der Minister weist zum Schluß darauf hin, daß das neu zu gliedernde Gebiet ein ganz besonderes ist. Alles Dogmatische und Dottrinäre müsse beiseite gelaffen werden. Das ganze Gebiet blicke jetzt auf den Landtag, der die legte Hand an das große Wert legt. Im Interesse aller Beteiligten bitte er, nach gründlicher Durch arbeitung um eine möglichst schnelle Verabschiedung der Vorlage. ( Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nächtliches Motorradunglück.

Ein Zoter, ein Schwerverletter.

In Spandau   ereignete fich in der vergangenen Nacht ein schweres Verkehrsunglüd, bei dem ein Motorrad­fahrer getötet wurde und fein Begleiter lebens. gefährliche Berlegungen erlitt.

Der 28jährige Landwirt Helmuth Stolp befand sich gegen 24 Uhr mit seinem Motorrad auf dem Heimwege nach Dall. gow. Beim Einbiegen in die Hamburgre Chauffee fuhr St. in der falschen Fahrtrichtung und prallte in rasender Fahrt mit einem Autobus der Linie 31, die den Berkehr zwischen Spandau   und Staaten vermittelt, zusammen. Das Motorrad wurde völlig zertrümmert und Stolp   sowie sein Begleiter, der im Beiwagen saß, wurden in hohem Bogen auf das Pflaster geschleudert.

Stolp   wurde auf der Stelle getötet; sein Mitfahrer erlitt einen Schädelbruch und schwere innere Verlegungen. Die Feuer­wehr schaffte ihn bewußtlos ins Städtische Krankenhaus Spandau  .