föelloge Sonnabend, 27. April 1929
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3m Jtnblick der Jahrtausende dleisebilder am Palästina/ Ton de Maas
D«r Königssitz der seß- Haft gewordenen Beduinen der Wüste ist das Lofungs- wort für drei Weltreligio- nen geworden. An der LAagemauer I e r u f a- I e m s, einem Stück der Westfront ihres heiligen Tempels, weinen heute die Juden um die unter- gegangene Herrlichkeit ihres Volkes: der Anblick hat für den unvoreingenommenen Menschen etwas Erschüt- terndes. Auf der Stätte des salomonischen und Herodianischen Heiligtums steht die Felsenmoschee des Islam,«ine der am meisten verehrten Kultstätten der Mohamme- dancr. Für sie ist Ieru- salem schlechthin El Suds, „das Heiligtum". Bekanntlich hatte Mohammed an- fänglich seinen Gläubigen die Weisung gegeben, beim Gebet das Antlitz nach Jerusalem zu wenden-, erst später, nach der Enttäuschung.'die ihm die Stellung. nähme der Juden bereitet«, ordnet« er die Richtung nach Mekka für das Gebet an. Und zu Juden und Mosleminen treten als Pilger noch Jerusalem die Christen, die hier die Todes- und Aus. «rstehungsstätte ihres Stifters verehren, •• Jerusalem muß man von Osten sehen, vom Oelberg « her. Von dort aus bietet sich das Bild der Stadt, wie man sie sich vorgestellt hat. Aus abgrundtiefen, nachtfinsteren, grausenerregenden Schluchten steigt hier die Felsenwüst« des Gebirges Inda zu einem Trutzwerk von rund siebenhundertneunzig Metern an der höchsten Stelle auf. Ein« Festungsmauer schließt ringsum auf der Höhe dieser natür- lichen Bastion die Stadt Jerusalem von allen Seiten«in. Welche andere Mauer auf Erden schließt neben so vielen verschiedenartigen Kultusstätten ein solches Meer von Todhaß, von Fanatismus und voiv Aberglauben«in! Nicht in Mekka , nicht in Rom , nicht in Moskau sindet sich Aehnliches. Diese Stätte ist einzig in der Welt. Naturgemäß fällt der Blick auf die Stelle der Stadt, die seit drei Jahrtausenden aller Augen auf sich gezogen hat, den Tempel- platz. Kein anderer Punkt steht so untrüglich fest wie dieser. Der Felsendom, das fälschlich„Omarmoschee" genannte mohammeda- pische Heiligtum, beherrscht heute diese welthistorische Terrasse. Den Mittelpunkt dieser islamitischen Moschee jedoch bildet der siebzehn Meter sieben Zentimeter lange und dreizehn Meter fünf Zenti- meter breit«„heilige Fels", nach dem der Dom feinen Namen hat, aller Wahrscheinlichkeit nach die Stätte, auf der einst der Brand- opferaltar des salomonischen Tempels stand. Der Ueberliefe-
Brücke über den Jordan
rung der Juden zufolge ist dies die Stätte, auf der Abraham einst seinen Sohn Isaak opsern wollte, der heilige Berg Morija, der Stein, den Jakob salbt«, das Fundäment, das die Bundeslade trug. Außer der Kaaba in Mekka gibt es aber auch kein« heiligere Stätte für den Islam als diese. Einer Sure des Koran zufolge wurde Mohammed selbst eines Nachts vom Erzengel Gabriel an dies« Stätte Jerusalems von Mekka hergeführt. «» « In'buntem Wechsel ziehen die Bilder der Geschichte dieser Wüstenstadt an mir vorüber. Schauer jagen durch die Glieder Den Mächten des Molochwahns schlachtet man die eigenen Erstgeborenen. Nicht nur der Kanoaniter tats, der � sie in Oefen verbrannte. Was anderes bedeutet die Erinnerung, daß Gott dem Abraham das Opfer des einzigen Sohnes erließ, als die auf- dämmernde Erkenntnis vom unseligen Wahn, dem die vergangenen Generationen gefrönt. Noch in der Königszeit wird der Rückfall in dieses Grauen vermeldet. Schaudernd blickt der Israelit späterer Zeiten in gewisse Gegenden tief unten in den Schluchten um dl« Stadt herum, wo des Molochs letzte Opfer bluteten. Welche Nach- dorn hatte dieses Dolk! Den Einwohnern einer Stadt des Ostjordan-
lan-des, die sich freiwillig unterwerfen wollten, ließ der Ammoniter- könig sagen:„Dies ist der Bund, den ich mit euch machen will, daß Ich euch allen das rechte Auge aussteche!" Davids Feldhauptmann erobert ihre Hauptstadt, und der fromm« König legt seine Feinde unter eiserne Zacken und Sägen und verbrennt sie in Ziegelöfen. Ueberhaupt dieser König, mit dem wir uns so eingehend in der biblischen Geschichte be- schäftigen mußten! Er nimmt das Weib eines seiner tapfersten und besten Leute, gibt dem ahnungslosen Ehemann den Brief mit, der sein Todesurteil enthält, und befiehlt dem Feldobersten, ihn an der gefährdetsten Stelle im Strauß hinzustellen und dann Plötz- lich im Stich zu lassen, wenn der Kampf am gefährlichsten tobe. Aus diesem Ehebruch, den der Mord und gemeinst« Treubruch besiegelte, ward Solomon geboren, der Thronfolger. Auf dem ! Sterbebett gibt ihm der Psalmendichter David noch mit seinem letzten Atemzug einen Mordbefehl:„Denke.�waz mir Ioab , mein Fe l d h a u p t m a n n, angetan hat; laß seine grauen Haare nicht mit Frieden in die Grube fahren!" Und der weise Salomo beeilt sich nur zu sehr, die Order des alten Meuchelmörders auszuführen. Bald brausen die Wetter über die Königsstadt dahin. Salomos Kronprinz Reha- beam eröffnet den staunenden Untertanen:„Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich will euch mit Skorpionen züchtigen!" Das ist selbst für den Unter« tanenverstand der geduldigen Knechte Salomos zu stark. Ein Gegen- könig wird aufgestellt. Die Throne wanken. Aegypter, Araber und Philister plündern die Königsstodt. Neu« Wolken ballen sich über den Euphrat und Tigris. Judo muß sich entscheiden, ob es zu den Pharaonen halten will oder zu Ninioe und Babel. Wie man es macht, ist es verkehrt. Die Brandfackel Nebukadnezars
Schlucht bei Mar Saba
fliegt in den Tempel und den Palast Salomos , dem König Zedekia sticht der Babylonier die Augen aus, nachdem er seine Söhne vor ihm erwürgt hat. Die Juden kehren von den Wassern Babels heim und bauen ihren Tempel wieder auf, aber das Unglück folgt ihnen durch die Jahrhunderte. Die griechischen Könige Syriens würgen ihnen die Kehle zu: sie entweihen ihre Tempel und wollen sie zwingen, Schweinefleisch zu essen. Heldenhaft ist der Freiheit?- kämpf der Makkabäer . Schon ober dröhnt der eherne Schritt der Legionen Roms an der Schwelle Asiens . P o m p e j u s stürmt Jerusalem und richtet«in fürchterliches Blutbad am Der habsüchtige C r a s s u s plündert den Tempel. Der Jdumäer' H e r o d e s er- obert mit römischer Hilfe die Stadt und mordet nicht weniger als es Pompejus getan. Bald regieren römisch« Landpfleger Iudäa unmittelbar. Sie zichen die eisernen Schrauben an/ Unterdrückung folgt auf Unter- drückung, ein Gemetzel dem anderen. Ein Bluthoh steigt auf. Das gepeinigte Volk schreit auf in seiner Not. Lieber sofort sterben als unter dem eisernen Fuß der Römer langsam zu oerröcheln! Es fällt über die Besatzung der Burg Antonia her und metzelt sie bis auf den letzten Mann nieder. Der Funke flog ins Pulver- faß. Die Legionen des Titus ziehen vor die heilige Stadt und riegeln sie von aller Welt ab. Wer sich aus der Festung wagt, fällt in die Hand der Römer. Unerbittlich schlagen sie jeden ans Kreuz. Die Kreuze vor den Mauern sollen den Belagerten das Rückgrat brechen, aber sie entfesseln nur die Verzweiflung. Nur der.Hunger, nicht das Schwert, bezwingt Jerusalem . Di« Not steigt aufs äußerst«. Bis die Mutter ihr eigenes Kind schlachtet. Drinnen wüten die Unentwegten gegen jeden, der schwach wird. Keine Stadt außer Karthago hat solche Schrecken vor ihrem Ende erlebt. Endlich frißt das Feuer den Tempel des Herodes, wie es zuvor den des Salomo fraß. Nur einige der Riesentürme der Festung läßt Titu� stehen, ein Wahrzeichen für all« kommenden G�erationen, daß' der Römermacht selbst das stolzeste Bollwerk auf Erden nicht standzuhalten vermag. Auch diese Türme werden geschleift und der Pfrug über die Ruinen Jerusalems geführt, als nPh einmal unter Kaiser Hadrian«in letzter ver- zweifelter Ausstand der im Lande verbliebenen Juden ausbricht. Das ist dos Ende. Das End« des jüdischen Jerusalem . Nicht Jerusalems über- Haupt. Als christlich« Stadt blüht es unter Konstantin wieder auf. Im Jahre 614 erobern es kjse persischen Sassaniden unter Chosroes II . Kaum hat der Byzantiner Heroklius die Perser vertrieben, da nahen die Scharen des Kalifen Osmar , und der Halbmond des Islam geht über der heiligen Stadt der Christen auf. In einem der grauenk�iftesten Gemetzel der Weltgeschichte be- mächtigten sich die Kreuzfahrer Gottsrieds von Bouillon Jerusalems ; Juden und Mohammedaner ohne Unterschied erwürgt das: christliche Schwert. Als alles tot ist, beginnt man zu beten und Gott zu danken. Keine hundert Jahre später macht Salodin dem Königreich Jerusalem ein Ende. Abwechselnd werden Aegypter und Türken die Herren. Der Weltkrieg liefert die Stadt den Engländern in die Hände. Die braven uneigennützigen Briten brachten bekanntlich alle Opfer nur für die Juden, denen sie das Erb« ihrer Väter wiederzustellen wollen———
Welch eine Stadt! Gibt es eine zweite auf Erden, die eine solche Flut wechselooller Gefühle erregt? Sicher nicht. Merkwürdig, unter all diesen Gefühlen fehlt nur das der Religion! Denn, um vom Judentum und vom Islam ganz zu schweigen, welch eine seltsame Rolle spielen die Christen in dieser Stadt! Ob Juden und Mohammedaner und Christen ein- ander so grimmig hassen wie die Christen sich selbst? Es ist fraglich. Dort drüben ragt aus dem Meer der Kuppeln, Türme und Zinnen die Grabeskirche , der Schauplatz von Szenen, bei deren Anblick zahllosen ernstgestimmten Menschen jeder Ge- dank« der Möglichkeit einer Gottesverehrung an dieser Stätte schwand. Man muß nach Jerusalem kommen, um von manchem frommen Wahn geheilt zu werden. Was für ein Bild hat dieser Raum Generationen hindurch für die mohammedanischen Wächter geboten, die hier die Ordnung aufrecht- erhalten mußten, damit sich die Christen nicht an dieser angeblichen Stätte der Kreuzigung und Auserstehung ihres Herrn und Meisters die Köpfe blutig schlugen. Denn an dieser Stätte ist alles möglich gewesen. Hier In Jerusalem das Bild des schlichten Mannes festzuhallen, dem aller äußere Gottesdienst«in Greuel war, der jede Form der Anbetung in das Herz hineinlegte, und der eines marteroollen Todes sterben mußte, weil er den Priestern seines Volkes ein gefährlicher Neuerer war, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Was für Augen würde er machen, wenn er sähe, was man mit seiner Lehre angestellt hat! «» « Ich fahre aus Jerusalem heraus nach Süden. Mein Ziel ist Bethlehem . Die Entfernung mag etwa acht Kilometer be- tragen. Rechts biegt die Straße nach Hebron ab, der alten. Abrahamsstadt. Schon liegt das Grab der Rahel hinter mir. Di« engen Kulissen des Landschoftsrahmens schieben sich zurück. Eine weite Perspektive eröffnet sich dem Auge. Die Bergrücken dachen sich nach Osten zu ab, alle Schluchten stürzen dort unten in geheimniÄoll« Tiefen. Nimmt auch drüben die von Menschen. bewohnte Erde ein Ende? Doch was wundere ich mich, weiß ich nicht aus alten Tagen, daß da unten die Wüste Iuda gähnt, daß irgendwo in jenen Tiefen die Einöde von Engedi sich birgt, in die David vor dem Zorn Souls geflohen war? Schon starrt dort im Osten«ine abschüssige Wand, die ein tiefes Geheimnis verhüllt. Es ist die G e b i r g s w a n d M o a b s, die im Widerschein der Sonne wie Porphyr glüht. Ein mattblauer Spiegel blinkt.tief aus dem Abgrund heraus. Weiter eist der Wagen. Noch an einer zweiten Stelle flimmert es im Schoß der Erde. Halt, nun weih ich, was ich vor mir habe. Aus dem Erd- inneren dort unten blitzt der Wasserspiegel auf, in dem der Jordan unweit Jericho seine Pilgerbahn beendet. Das Tot« Meer buchtet aus der Tiefe zu mir empor, der würdige Abschluß dieser erstorbenen roten Berge, dieser schaucrvollen Welteinöde der Wüste Iuda. - Doch siehe, vor mir halb links sind niedere Hügelkämme auf- getaucht, auf denen sich das Leben ein Heimatrecht erstritten hat. Häuser und Türme tauchen auf. Ich brauche nicht zu fragen, wie. die Ortschaft dort heißt. Bethlehem- Ephrata grüßt mich, schon eine Stadt dem Umfang nach, kein Dorf mehr zu nennen. Wie ganz anders ist es, als ich es mir vorgestellt hatte! Doch diesmal ist die Ueberraschung keine unangenehm«, ich hatte es mir viel armseliger gedacht. Malerisch breitet es sich über die Höhen aus. Ich fahre gern hinein.
Ich bin in Bethlehem , der mutmaßlichen Geburtsstätte Jesu. Die Gassen sind genau so eng und winklig wie in jedem anderen morgenländischen Nest. Die Sonn« wagt sich erst gar nicht hinein: wie angenehm' empfinde ich das, seit ich länger im Morgen- lande bin! Man sagt mir, daß hier kaum Mohammedaner leben und fast gar keine Juden. Die christliche Bevölkerung soll 12 000 bis IS 000 betragen: die Lateiner überwiegen, dann kommen die Griechen, die Zahl der Armenier ist gering, ebenso unbeträchtlich die der Protestanten. Ganz von selbst gelange ich über einen freien Platz, an dem ein« Kaserne der Palästinapolizei meine Aufmerksamkeit erregt, zu einer hochgetürmten Zitadelle. Verwundert trete ich näher. Wer hat hier im Geburtsort Jesu diese gewaltige Bastion gebaut? Ein englischer Sergeant steht mein Erstaunen.„Gehen Sie nur geradewegs auf das winzige Türchen los, das Sie dort vor sich sehen!" sagt er freundlich.„Es ist der einzige Zugang zur Geburtskirche, einen Führer haben Sic gor nicht nötig!" Wie die Grabeskirche zu Jerusalem , so ist auch die Geburts- kirche zu Bethlehem gelegentlich der Tummelplatz der wüstesten Ausschreitungen gewesen, gerade auch in der Christnacht. Es war noch der gelindeste Mißbrauch, wenn sie zur Festzeit nur zur Schaubühne degradiert ivurd«.
Fellachin