Einzelbild herunterladen
 

BERLIN Montag 29. April 1929

Der Abend

Erfdetat täglich außer Sonntags. Bugleich Abendaurgabe des Borwärts. Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Ervedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3

10 Pf.

Rr. 199

B 99

46. Jahrgang.

66 anzeigenpreis: Die einfaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Poftfcheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 87536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Spätausgabe des Vorwärts"

200 Tote am 1. Mai?

Verbrecherische Pläne der Kommunisten.

Auf dem Bezirksparteitag der Sozialdemokratischen Partei Berlins , über den wir an anderer Stelle des Blattes berichten, machte der Vorsitzende, Abg. Franz Künstler , aufsehenerregende Mitteilungen über die Absichten der Kommunisten am 1. Mai. Nach Künstlers Mitteilungen hat am Donnerstag der ver­gangenen Woche die kommunistische Bezirksleitung im Karl- Liebknecht - Hause getagt, um die endgültigen Aufmarschpläne festzulegen. Dabei wurde von der Bezirksleitung mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß man

mit etwa 200 Zoten am 1. Mai rechne. Die Absichten der Kommunisten sind geradezu wahnsinnig. So will man zunächst lokale Demonstrationen machen, aus denen sich schließlich zwei Züge formieren sollen, von denen der eine nach dem Potsdamer Platz und der andere nach dem Alexanderplatz dirigiert wird! Jeder, der von Organisation auch nur die leiseste Ahnung hat, wird zugeben, daß Demonstrationen an diesen verkehrsreichen Plätzen Berlins unter allen Um ständen zu schweren Komplikationen führen müssen, so daß die Polizei einfach gezwungen ist, einzuschreiten. Das ist natürlich die Absicht der gewissenlosen Organi satoren aus der Kleinen Alexanderstraße. Vielleicht hofft man auch, daß bei Zusammenstößen am Alexanderplatz die Demonstranten in die Baugruben der Unter­grundbahn gehett

werden können, so daß man auf diese Art zu zweihundert Toten käme, die man unbedingt für die kommunistische Parteiagitation braucht. Selbst den Teilnehmern an der Bezirksleitungssikung scheint doch das Gewissen geschlagen zu haben; man erlaubte sich an die Hauptdraht. zieher die bescheidene Anfrage, ob sie denn bei diesem Beginnen vorangehen würden. Wer die Helden aus dem Liebknecht- Hause kennt, weiß, was von ihrer Zusiche­rung zu halten ist, an der Spike des Demonstrationszuges zu marschieren.

Die Mitteilungen Künstlers riefen eine ungeheure Erregung unter den Delegierten des sozialdemokratischen Bezirkstages hervor. Künstler betonte, er habe es für seine Pflicht gehalten. die verbrecherischen Pläne der kommunistischen Bezirksleitung aufzudecken, damit die Arbeiter in den Betrieben wissen, wozu sie am 1. Mai mi braucht werden sollen.

**

Die Kommunisten haben die Stirn, die Richtigkeit der Mitteilun gen Künstlers schon im voraus zu bestreiten. Sie wissen natürlich, daß die Angaben stimmen, aber sie leugnen fogar ab, daß überhaupt eine Bezirksleitungssigung stattgefunden habe! Ihr verbrecherisches Spiel mit Menschenleben wird durch ihr dreistes Leugnen nur noch mehr gekennzeichnet.

Den Bericht über den sozialdemokratischen Bezirtspartei­tag geben wir in der Beilage.

Ruhrschiedsspruch abgelehnt!

Morgen Nachverband ungen in Berlin . Bochum , 29. April. ( Eigenbericht.) Die Revierkonferenz des Verbandes der Bergbau. industriearbeiter Deutschlands in Bochum und eine Ge­neralversammlung der Gewerkschaft christlicher Berg­arbeiter haben den am vergangenen Montag gefällten Dortmunder Lohnschiedsspruch als ungenügend ab. gelehnt. Der Reichsarbeitsminister wurde gleichzeitig dringend ersucht, von einer Verbindlichkeitserklärung ab. zusehen. Die Haltung des Zechenverbandes ist noch

unbestimmt.

Am Dienstag find in Berlin Nachverhandlungen der Parteien.

Effen, 29. April. Der Zechenverband hat befchloffen, den am 22. April gefällten Schiedsspruch für den Ruhrbergbau anzunehmen.

Reichsanwalt Jorns beurlaubt.

Erklärung des Reichsjuftizminifters.

hang besprach Genosse Dr. Rosenfeld auch den Fall Jorns und erklärte, daß ein Mann wie Jorns nach dem Ausgang und dem Urteil des Prozesses auch nicht einen Tag länger im Dienste der Republik verbleiben dürfe. Im Urteile seien alle gegen Jorns ge­richteten Anklagen als wahr unterstellt worden. Jorns aber habe ertlärt, daß er auch heute noch auf dem gleichen Standpunkt stehe, den er damals als Untersuchungsrichter eingenommen habe.

In der Montagsigung des Ausschusses für den Reichshaus.| sei, sich noch in feiner Weise geändert habe. In diesem Zusammen halt wurde der Etat der Reichs justizverwaltung behan delt. Einleitend wies der Berichterstatter Ahg. Hergt( Dnatl) darauf hin, daß der neue Reichsjustizminister von Guérard der 18. Justiz minister der Republit sei. Damit habe das Reichsjustizministerium den Rekord unter allen Ministerien geschlagen. Gerade hier sei dieser fortwährende Wechsel zu betlagen, weil, wenn irgendwo, hier wenig oder besser noch gar fein. Wechsel eintreten durfte. Bei dieser Sachlage frage er den Minister nicht nach seinem Programm, denn der Minister habe ja noch gar nicht die Möglichkeit gehabt, ein

Der Aufmarschplan.

Schupo

KPD - Führer

Demonstranten

W

Mal herhören! Unser Aufmarsch am 1. Mai zerfällt in drei Phasen:

A. De Führer trefen an die Spitze des Zuges, B. Die Schupo tritt dem Zug entgegen.

C. Die Führer schwenken in der Pfeilrichtung nach den Seitenstraßen ab und überlassen den Rest dem Instinkt der Demonstranten!

Zur lezteren Frage erklärte der Reichsjustizminister v. Gué rarò sofort, daß ein rechtsträftiges Urteil im Falle Jorns noch nicht ergangen sei. Er fönne daher auch noch nicht endgültig entscheiden. Er beschränke sich darauf, mitzuteilen, daß Jorns einen Erholungsurlaub angetreten habe und vor der rechtsfräftigen Er. ledigung der Angelegenheit nicht zurüctehren werde.

Jorns ist platt!

Er findet das Urteil haarsträubend.

Herr Jorns, der durch den Freispruch seines Widersachers moralisch gestäubte Nebentläger, hat einem Ausfrager der Montags­post" feine Meinung über den Prozeß mit folgenden Worten kund getan:

Ueber das Urteil selbst war ich direkt platt. Ich hatte es nicht erwartet, und hatte eigentlich mit einer Berurteilung des ,, Tagebuch"-Redakteurs zu einer Geldstrafe von 300 bis 500 m. gerechnet. Die ganze Sache finde ich haarsträubend. Die Schärfe der Urteilsbegründung gegen mich ist mir einfach un verständlich.

Wenn ich gewußt hätte(!!), daß die Sache so fäme, hätte ich vielleicht niemals Strafantrag gestellt."

Nach altdeutschem Recht darf der Verurteilte drei Tage lang das Urteil schelten. Da Herr Jorns in diesem Fall der Unterlegene und moralisch Berurteilte ist, so wollen wir ihm sein gutes Recht keines wegs bestreiten. Immerhin- ob der Lerufsmäßige Antläger Jorns auch so glimpflich mit Angeklagten verfahren ist, die berechtigter als er ihr Urteil gescholten haben?!

-

-

Jedenfalls ist das eine klar: dieser Mann kann und bart nicht mehr als Organ des Rechts, obendrein am höchsten deutschen Gericht, fungieren!

Leichen quer über der Grenze. Beim Fluchtverfuch aus Südflawien erschossen. Graz , 29. April.

Gestern früh ereignete sich an der jugoslawischen Grenze, andert­halb Stunden von Leutschach ( Bez. Leibnik) entfernt, ein aufsehen­erregender Zwischenfall. Von einer jugoslawischen Gendarmerie­esforte wurden ein Profeffor und ein Hochschüler, beide jugoslawi­fcher Nationalität, in dem Augenblid, als sie nach Defferreich flüchten wollten, erschossen.

Hierüber erfuhr der österreichische Gendarmeriepoften in Leut­Ichach folgendes: In einem Kaffeehaus in Agram wurde das Ge­folches zu entwerfen. Er wolle sich auf einige Spezialfragen bespräch mehrerer Gäfte belaufcht, aus welchem hervorging, daß sie schränken, darunter vor allem auch auf die Frage, wie die Rüd= zahlung der Aufwertungshypothefen am 1. Januar 1932 fich gestalten folle und werde.

Die lettere Frage wurde vom Staatssekretär 3o el sofort dahin beantwortet, daß im Reichsjuftizministerium ein entsprechender Ge­segentwurf vorbereitet werde.

In der allgemeinen Aussprache hielt Genoffe Dr. Rosenfeld im Einklang mit einer Aeußerung des Reichsjustizministers es für durch aus notwendig, daß gegebenenfalls den Ausschüssen auch Regierungs. entwürfe ohne vorherige Prüfung durch den Reichsrat vorgelegt würden. Für die Arbeiten des Parlaments sei die technische Hilfe der Referenten unumgänglich notwendig. Genosse Rosenfeld fragte nach dem Stande verschiedener seit langem angekündigter Gesetz gebungsarbeiten und tadelte unter Anführung traffer Fälle ben beim Reichsgericht herrschenden Formalismus und die Tatsache, daß die politische Rechtsprechung des Reichsgerichts,

die jetzt schon von fast allen Parteien des Reichstages preisgegeben

Druckschriften umstürzlerischen Inhalts verbreiten wollten. Die Be­hörden verhafteten zwei Personen, den Profeffor und den Hoch­Schüler. Sie wurden unter Bedeckung an die öfterreichische Grenze bei Leutschach gebracht, um dort zu ermitteln, wo diese Druckschriften, die von Desterreich eingeschmuggelt werden sollten, versteckt find. Während der Suche nach den Druckschriften unternahmen gestern früh die beiden verhafteten Jugoslawen einen Fluchtversuch nach Desterreich, wobei sie von den jugoslawischen Gendarmen in dem Augenblid erschossen wurden, als sie die Grenze erreicht hatten, fo daß die Füße der beiden auf österreichischen Boden und die Obertörper auf jugoslawischen Boden zu liegen famen.

Bon jugoslawischer Seite wird über den Vorfall an der öster reichisch- jugoslawischen Grenze bei Leutschach mitgeteilt, daß es fich bei den zwei erschossenen jugoslawischen Staatsangehörigen um den vor acht Jahren der serbischen Stupschtina als Bertreter von Slo­menisch- Brod angehörenden Kommunisten Echimowits und um den tommunistischen Kurier Diatomitich handelt.