Mittwoch 4. Mal 1929
Unterhaltung und ÄNissen
Beilage des Vorwärts
„S}ie W&cM am i.wiaiims
i. .Morgen, wenn ich von der Arbelt komm«, barfst' mit, mein Simg'," sagt der Vater und schiebt dem dreizehnjährigen chana«in Zeitungsblatt zu. Der Knabe nimmt es auf, seine Augen eilen über den Aufruf hin: 1. Mal— Weltfeiertag— Befreiung der Völker— gleiches Wahlrecht~ auch den Frauen— gegen Brot, und Fleisch- wucher— Sozialismus. Hans wird unruhig vor freudiger Erregung: morgen darf er zum ersten Male neben seinem Vater im Moizug mitgehen. Er weiß, doh dies« Aufforderung ein« besondere Auszeichnung,«in« Belobigung ist: und fast erschrocken vor Freud « fragt er:„Darf ich wirklich mit, Vater?' Und der strenge wortkarg« Mann sieht den Sohn mit einem warmen Schimmer in den graublauen Augen on. ,Lo, mein Jung' du kannst mit. Freust dich? Aber vorwärts, mache jetzt dein« Aufgaben.' Da beugt sich der Knabe wieder über sein Schulheft, und wie er in anstrengendem Denken sich Müht, eine mathematisch« Formel zu errechnen, spürt er deutlich, wie der Blick des Vaters auf ihn ruht... Di« Gedanken des Knaben schweifen von der Schularbeit weg: plötzlich geht er wieder wie am Weihnachtstag«»eben ihm durch verschneite Felder und er hört seine eindringlichen Wort«. Der Vater spricht davon, dah er, sein Sohn, lernen müsse, damit er ein- mal die Waffen habe im Kampf ums Recht: dos Recht auf den Besitz des Werkzeugs, der Maschinen und ihrer Produktionskrast, die der Kopitalismus dem Arbeiter entrisien hat: daß man nicht Sklave werden dürfe im Geist, weil die Klasse uns enteignet Hab«: dah man keinem Höhergestellten schmeicheln dürfe und zu seinen Arbeitsbrüdern, zu seiner Klasie halten müsse durch Böse und Gut... „tzalloT, ruft der Vater,„da träumt einer schon wieder!' Hans blickt von seinem Heft auf und sieht, wie der Vater sich vom Tisch erhebt und die Zeitung zusammenfaltet. II. Am nächsten Tag, dem L Mai, wartet Hans auf den Dater vor der Baumwollspinnerei. Kurz nach sechs Uhr kommen die Leute aus dem Fabriktor: ein kleiner Trupp marschiert nach der Kronen- wiese, wo Gruppen aus anderen Betrieben zu ihnen stoßen. Hier, am Rand« der Stadt, formiert sich der Zug, um durch die Haupt- ftraß«, über den Marktplatz noch dem Bahnhof zu marschieren, wo ein Redner aus der nahen Hauptstadt sprechen wird. Während die Männer noch wartend beisammen stehen— die roten Fahnen und die Kapelle sind schon vollzählig—, hört Hans, wie einer zum Vater sagt:„Glaubst du, Genosse, dein Aeltester da erlebt noch, dah am 1. Mai überhaupt nicht gearbeitet wird Dann brauchen sie nicht mehr, wie wir, erst nach Feierabend in ihrer dreckigen Arbeitsklust den Festtag des Proletariats zu feiern.' Inzwischen ordnen sich die Umstehenden zu»vi«r und vier, und der Zug setzt sich in Bewegung. Hon, geht am rechten Flügel neben dem Pater, gleich in der zweiten Reih« hinter der Musik. Wie der klein« Zug— etwa 100 Männer und Frauen— in die Nähe des Marttplähef kommt, erschallt aus den Kehlen der Marschierenden, unter der hellen Weit« des blauen Frühsommer« Himmel«, da« trotzig-hofsnungsstark« Lied: Nicht fürchten wir den Feind, nicht die Gefahren oll' Der Bahn, der kühnen, folgen wird, die uns geführt Lasialle. An den offenen Fenstern erscheinen die behäbigen Gesichter der Bürgersfrauen und-töchler. unter den Ladentüren ihrer kleinen Geschäfte gaffen dl« Kaufleut«. die sich als Elite des Städtchens vor- kommen; und nor dem Gasthaus„Zur glodenen Traube' steht breit- spurig der sette Wirt in weiher Metzgerschürz«. Sein rotes, auf- gedunsene« Gesicht verzieht sich zu einer höhnischen Grimasse, wie «r der Vorüberziehenden ansichtig wird. Hans, der dem Wirtshaus am nächsten marschiert, sagt etwas über den grinsenden Krähwinkel-Falstaff zum Dater. Der lächelt: „Er ärgert sich. Jung', daß wir unseren Lohn nicht bei ihm lassen: er soll von den Honoratioren fett werden.' Und wieder stimmt Hans in den Refrain«in:„Der Bahn, der kühnen...' Aber der vor Begeisterung glühend« Knabe ohnt nicht, daß In denselben Minuten— da er mit strahlenden Augen, im Zuge der
Männer singend marschiert— hinter dem Fenster der„Goldenen Traube' sein Klassenlehrer am Stammtisch sitzt und— o Schreck I— Hans 0., Schüler der höchsten Lehranstalt der Stadt, mit dem „Gesindel' marschieren sieht. Das pergamentfarbig« Gesicht Professor Emil Ehrets wird noch gelber vor Haß. und sein Adomsopiel hüpft vor Erregung an dem knochigen faltigen Hals eilig aus und ab. Di« Gehässigkeit, die den jugendfelndlichen Schulmeister zügellos packt, ist so groß, dah er die Finger incinanderkrallt und vor sich hinschimpst:„Empörende Frechheit dieses Flegels, dieses Lausejungensl Ganz zu trauen war dem Burschen ni«: zu„fasten' war er auch nicht. Aber die Obftinatheit stand aus seinem Gesicht. Ha!— er wird es„gut' bei mir haben! Es soll ihm trefflich ergehen!" Ein böses Lachen hängt in seinen zerknitterten, eingefallenen Mundmlnkeln, wie er die fetten Spieher auffordert:„Erheben wir uns, meine Herren, aus Protest und stimmen wir an zur Ehr« des Vaterlandes und als einzige Antwort auf die internationalen Per- rätcr da draußen:„Es braust ein Ruf wie Donncrhall... Emma — zuerst noch ein Bier!' Di« Männer heben verlegen ihr« schweren Bäuche vom Bier- tisch auf: und durch das dumpfe, dunkle, verräucherte Lokal klingt heißer und grölend der Gesang der„Patrioten'. III. Zwanzig Jahre später. Hans sitzt in seinem einsamen Grohstadtzimmer. und am Von- abend des 1. Mai erinnert er sich, daß er einmal in der Schule hängenblieb. Da sagte der Vater kurzweg:„Wenn du etwas laugst, wirst du auch ohne Abgangszeugnis weiter kommen. Ich arbeite nicht, damit dir dir den Luxus von Fabrikaniensöhnen leistest und sitzen bleibst. Du verläßt die Schule.' trotzigem Gekränktsein widersprach Hans nicht. Eine Woche später war er Lehrling in einem Geschäft. Wie weit ist der Weg von damals bis heute,— überlegt der zum Mann Gereifte. Und die Jahre der Entbehrung, des Lernens, der schlaflosen Nachte über Büchern, der Abende in Volkshochschulen, spater auf Universitäten: und die Tage. Wochen, Monate, da der Magen böse knurrte: sie alle werde» lebendig in dieser Stunde... Wenn der Dater noch lebte und hätte sehen können, daß der Sohn auch ohne Abgangszeugnis etryas gelern't hat: wenn er hLlie erleben können, dah die Prophezeiung jcneS' Genosten vor zwanzig Iahren auf der Kronenwiese über alle. Erwartung groß in Erfüllung gegangen ist: der 1. Mai als wirklicher Feiertag des Proletariats. Eines Proletariats, das sich seiner Macht bewußt wurde und nicht mehr drittrangig« Menschen wie im alten Klassenstaat, sondern gleichberechtigt« Staätsbürger in einer Republik sind. Was mag aus dem sungcndfeindlichen Profestor geworden sein? — überlegt Hans. Im Krieg war Ehret auch nicht, davor bewahrt? ihn sein« schief« Schulter. Wieviel Jungen« mag er die Schule zur Hölle und da» Leb«? zu einer säst untragbaren Last gemacht hoben? Welch«ive Folter war der Unterricht bei ihm nach jenem Mall Er verwirrte mich durch seine hämischest. Anspielungen, legt« mich hinein durch die Unklarheit seiner Fragen. Und als Ich«inwal sagte, dah er mich ungerecht behandle, bekam er einen Wutanfall und schrie. daß ich aus der Schule geworfen würde: aber er war zu feig, etwas Eindeutiges zu unternehmen und zog den kalten Mord des Sitzen- bleibens vor... Da hebt Hans den Kopf und der Blick fällt auf dos Bild seines Dater«, das seit Jahren vor ihm aus dem Arbeitstisch steht. In der Stille der Nacht und in der Hingegebenheit an die plötzlich erwacht« Vergangenheit, scheint es dem Einsamen, als ob die Augen des Daters unter der breiten zerfurchten Stirn und der trotzige Mund in dem fchmalwangigen. von Sorgen ausgehöhlten Gesicht, lebendig würden und zu ihm sagten: Was ist die größte Macht eines Lehrers gegen die Kräfte des Daseins, die den Knaben zum Manne werden losten? Bleib« ein Kämpfer für dl« Sache der Freiheit, und jede Entbehrung, die du erträgst, ist ein Unterpfand für die Zukunft, die uns gehört. Bergiß ob de« Weges, wie mühevoll er auch sein mag. nie dos große Ziel: denk» daran, daß wir sür euch gekämpft hoben, unerschütterlich durch Gut und Böse, um der Gemeinschaft aller Werktätigen willen. Kurt Offenburg.
SEum 10. Todestage Quiiav Jßmidaners
Es gibt Märtyrer aus Schicksal und Märtyrer aus Zufall. Bei den einen Ist ihr ganzes Leben darauf angelegt, daß sie es, wenn die Stund « da ist, mit Leid und Tod besiegeln müssen: der Tod ist die selbstverständliche Krönung. Die anderen werden von der Stund« überrascht, die sie nicht suchten. Bei Gustav Landauer finden wir ein« merkwürdige Verdln- dung: er ist ursprünglich durchaus Literat und hat In der Zeit, als er sein« Zeitschrift e r So z i a l i st' herausgab, jene« Märtyrertum der einsamen Revolutionäre erlitten, das seiner Lebensaufgabe und feinem Schicksal entsprach. Er war ein Mensch, der ganz vom Geistigen herkam und eigentlich gar nicht zum politischen Führer geboren war. Er befaßt« sich mit den höchsten Geistern, mit Shakespeare . Meister Eckehart . Hölderlin , hielt in Kreisen des Berliner Westens darüber Vorträge, lebt« ganz in dieser Welt— so sehr, dah er einmal in München m heißester Zeit als Volkskommissar in einem großen Saal« einen Vortrag über die tiefsten Probleme hielt, ohne zu merken, daß noch kein Dutzend junger Leute da war. Freilich bewegt« ihn die Frag« der Neu» gestaltung des gesamten Lebens so unmittelbar, so rein, so leiden« schaftlich, daß er sich auch hier seine Stoffe sucht«: außer der Zeit. schrist sein berühmt gewordener„Aufruf zum S o z i a l t«- Mus' und dann seine auf fleißigster Arbeit beruhend« Sanrmlung »on Briefen aus der Französischen Revolution. Dieses Suchen nach Neugestaltung auch in wirtschastllchc» Dingen entsprang nicht irgendwelcher Neugier oder Sensationslust, wie st« bei„Intellektuellen' vorkommen mag. Es war ja alles erlebt: durch bitter« Notzeiten mußt« Landauer selbst hindurch: und wenn es ihm bester ging, dann empfand er, wie er es einmal ganz kraß ausspricht:„Ich kann c« nicht ertragen, daß ich mkr den Magen voll- schlag«, während andere hungern.' Landauer will den Weg wieder zurückdahnen zur Natur, zur Nrsprünglichkeit, dte dem Menschen von heute verloren gegangen ist. Walt W h i t m a u, der amerikanische Naturdichter, B« r g s o n, der
französisch« Philosoph des„Elan vital'(der ursprünglichen Lebens- kraft), lagen ihm nahe. Er ruft:„Nur die Erde müssen wir wieder- haben: die Gemeinde des Sozialismus muß die Erde neu aufteilen. Die Erde ist niemandem Eigentum. Die Erde fei herrenlos: dann nur stich die Menschen frei.' Wohl war Landauer schon vor dem Kriege ins Gefängnis g«. warfen worden, weil er sich in allzu idealistischer Weise über die Anarchistenattentate in Spanien und Frankreich äußerte, und später, well er sür einen zum Tode Verurteilten, dessen Fall er nicht genau kannte, eintrat, und zwar unter heftigen Anklagen gegen die Richter. Da« erstemal erhielt er elf Monate, das zweitemal sechs Monate. Aber man darf sagen: das waren Unglücksfälle, Unvorsichtigkeiten, di« organisch mit seiner durchaus geistigen Aufgabe nicht verbunden waren. Dann aber kam es ander«. Im einsamen K r u m b a ch in Schwaben oerlebt« Landauer arbeitend die letzten Kriegszeiten. Da kam die Revolution, und Kurt E i s n e r holte ihn als Kultusminister nach München . Man nannte das„Volksbeaustragter für Volks- aufklärung' Landauer geht energisch vor und schreibt am 12. April 1Ö19 einen Erlaß an sein« Beamten, in dem er die Ministerial« bureaukrati « abbauen will und von jedem einzelnen bedingungslos« Unterwerfung unser seine Maßnahmen verlangt. Es heißt da unter anderem:„Zu«wer solchen Durchführung und Umgestaltung an Haupt und Gliedern ist der Weg der parlamentarischen Gesetzgebung undenkbar: darum sind wir in einer Revolution: ihr sind wir es schuldig, da di« Menschheit von Zeit zu Zeit einen Ruck braucht. revolutionär zu handeln.' Als dann die Machthaber ihm zu viel« Fehler machten, gibt er fein Amt auf. Er stellt sich zwar der nun folgenden kommunistischen Regierung in Bayern zur Verfügung, wird aber nicht verwendet. Trotz des Rates seiner Freund«, und obwohl er selbst schwankt, flieht er nicht vor den heranziehenden Reichewehr- truppen, wird verhaftet und am 2. Mai elend, angeschosten. zu. sammeugehauen, wahrscheinlich zertrete».
§. s-ukup- Der erste Mm. Ach, Proletarier/ Arbeiter/ öer Menschheit Pfeiler, Hab Siefen Tag im Jahr sür mich ernannt, Trotz Päpsten, Lullen, Königen unö Kai ern, Als Klammenmal ihn See Historie eingebrannt. Ich Hab' es von Paris in Kontinente fünf gerufen, Wie eine Lora brüllt ich's über Wellenmeere, Sie rote Kacke! fchleuöernö in Kabrik unö Grube, Ich schrie'S, Somit im KelS, auf Kelöern man es höre: Jetzt leget lahm öie Raöer unö verloscht Sie Keuer, Sie Künste ballt unö lastt uns vorwärts schauen, Sin Tag öer Ruhe, hetl'ger erster Mai ist heute, ?ur Kahne, Arbeitsleute, Männer, Krauen! Unö hunöerttausenö unö Millionen sich erhoben, Man sah öie roten Banner über ihnen weh'n, Sie reichten sich öie harten hänöe über Meere, Das Lieö öer Arbeit tönte jubelvoll unö schön... Ich, Proletarier, Arbeiter unö Ächöpfer neuer Jetten, Im Bchweist öeS Angesichts bau ich ein Söen frei- Auf meinen Knochen- unö geleimt mit meinem Blute- Blüht dort einst auch öer Menschheit grosier Mail (Uebersetzt von J. ReiSmaan/ Prag .)
Für uns Sozialisten bedeutet Landauer noch eine besondkre Frage und einen besonderen Stachel. Wir wissen, dah er in seinem „Aufruf zum Sozialismus' den„Marxismus ' sehr scharf bekämpft und auch von bürgerlicher Seit« oft triumphierend als der beste Widerleger des Marxismus zitiert wird. Darum auch die Worte in seiner Rede vom 6. April 1919:„Hat die SPD . nicht in der Tat eüv» Ianuslopf? Ist es nicht so, daß jeder kühne Mann des Geistes zu ihr hingezogen wird als der Vertreterin des Sozialismus, der Gerechtigkeit, von ihr abgestoßen wird als einer Kirche der Unfreiheit, der Bureautratie und des militärischen Geistes...7' Kurz vorher. am 28. Januar, schreibt er in einem Briefe:„Alle sehen sie vor Marxismus keine Wirklichkeiten mehr.' Es war Landauer « Tragik: er sah selbst nicht, daß auch iwr stu zielen Leben organische Gesetze gelten und nicht nur renv- lutionäre Vulkancusbrüche. Das est doch das Wesentliche, o» der Botschajt von Karl Marx : daß in breiter Front dte erwachende Arbeiterschaft ihrer Stunde wartet, die nach dem Gesetz der Eist- wickluNg kommt, aber auch zugleich durch Erkenntnis, Opferbereit� fchaft und Einsatz daran schafft, daß die Stund« sie nicht unvvr- bereitet findet, sondern dann mit dem entscheidenden Sinn und der wirklichen Wandlung der Derhältniste«rfüM wird. Hans Hartmann. Qujlat Xandauers ffirlefe Gustav Landauer : Sein Lebensgang in Briefen. Zwei Bände im Derlag Rütten und Loening, Frankfurt a. M. 459 und 440 S. Preis geh. 11,50 M., geb. 16 M. Wer Gustav Landauers Werk kennt, der weiß, daß sein« Aus- fastungen vom Sozialismus und vom Kampf der Arbeiierschaft in vielfacher Hinsicht von unserer Einstellung abwichen und daß es nicht seine Art war, sich in eine Massenbewegung einzufügen und einzugliedern. Trotzdem wird jeder, der nicht engherzig ist, zugeben, daß uns sein„Aufruf zum Sozialismus' und manch« der anderen Schriften viele» geben können. Man möchte diese Töne in der großen Sinfonie des Sozialismus nicht misten, und man möchte noch weniger den Menschen Landauer entbehren, der sich uns in seinen jetzt erschienenen Briefen so wunderbar dokumentiert. Martin B u b c r, der langjährig« Freund Landauers, hat in zwei stalllichen Bänden annähernd 600 Briefe zusammengestellt, die sich über mehr als 20 Jahre, also über den entscheidenden Lebens- abschnill Gustav Landauers, erstrecken. Bon seiner Jugend, seiner ersten Berührung mit sozialistischen Ideen bi» zu seinem grausamen Tod« können wir die menschliche und geistige Entwicklung diese- Mannes in einer fast einzigartigen Weife verfolgen. Gustav Landauer fühlte sich Zeit seines Lebens in der Mast« einsam, war nur mit wenigen Menschen eng verbunden. Halle er aber einmal einen Menschen gefunden, von dem er wirkliches Ver» stehen erwartete, so wurde er nicht müde, sich mit ihm in langen Briefen auszusprechen, bis restloses Berstehen erreicht war. Diese Briese behandeln viele Fragen, die uns noch heute interessieren (z. B. dte Geschichte der Berliner Volksbühne, die Wirkung des Welt- krieges auf die geistigen Führer, die Geschehniste der Revolution-» monat«) und sie sind vielfach an bekonnte Persönlichkeiten gerichtet: so an Fritz Mauthncr, Martin B u b e r. Richard D c h m e l, Erich Mühsam , Siegfried Jacobsohn , um nur einige zu nennen. Aber dos scheint mir. so interessant es ist, nicht das Entscheidend«. Das Wesentliche an Landauer und an seinen Briefen ist das Bild eines wahrhaft großen, niemals fertigen, allem geösfneten. ewig wellerstrebenden Manschen, der noch wenige Tag« vor seinem Tobe. ein fast Fünfzigjähriger, von sich schreiben konnte, daß er ünmer noch„in der Vorbereitung sei'. Diesen Entwickl'mgsgang eines solchen Manne« durch zwei Jahrzehnt« in diesen Dokumenten innerster Wahrhastigtell— von denen die schönsten die Brief« on seine Frau Hedwig Lachmmm und an seine Tochter sind— Schritt für Schritt nacherleben zu können, das ist ein Glück und im wahrsten Sinne des Worte« ein Erlebnis, wie es uns mir ganz selten zuteil wird. Mögen wir gewiß mll manchem seiner Urteile, mit vielen seiner theoretischen Ileberlegungen ganz und gar nicht ein- oerstanden sein: e» kommt darauf nicht an. Au« jeder Zeile spricht hier zu un« ein Mensch, glühend von Liebe zu den Menschen, glühend von Eifer zu reinster Eelbstgestalhing, glühend vom Willen zum Soziavsvn».' Walter Fabian .