Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Freitag, 3. Mai 1929

Das Neurosenproblem

Aus der Praxis des Sozialrechts

Zu dem Artikel von Dr. Moses über Kriegsneurosen und Ber­forgung möchte ich einige Ergänzungen aus der Praxis des Sozial­rechts geben.

Die Entschädigungspflicht der traumatischen Neurose war in der Unfallversicherung schon seit langer Zeit start umstritten. Durch die Militär und Bersorgungsärzte ist dann infolge ihrer Autorität und besonders auch dadurch, daß sie sich auf die große Anzahl der Verwundungen berufen, sowie des sehr erheb lichen Beobachtungsmaterials durch den Weltkrieg, auf das sie sich stüßen, ein Umschwung zu ungunsten der Neurofiter erfolgt. Das Reichsversicherungsamt ist der Auffaffung im Versorgungswesen gefolgt und hat sich in der bekannten Entscheidung Dom 24. September 1926 auf den Standpunkt gestellt, daß eine Entschädigungspflicht nicht besteht, wenn nicht für die nervösen Störungen ein objektiver Befund vorliegt. Es mag bezweifelt mer den, ob die ärztliche Wissenschaft in der Lage ist, um in jedem Falle eindeutig feststellen zu können, ob ein derartiger Befund vorhanden ist. Selbst bei der Beurteilung des Baumaterials wird meistens ein sehr erheblicher Sicherheitsfoeffizient mit in Rechnung gestellt. Die ärztliche Wissenschaft glaubt aber imftande zu sein, bei einem Menschen der doch nicht so leicht abzuschätzen ist, wie ein Stüd Holz, Eisen oder ein ähnlicher Gegenstand genau in Prozenten die Erwerbsfähigkeit feststellen zu können.

-

Leider muß erwähnt werden, daß diese Grundsäße nicht nur im Bersorgungsrecht und in der Unfallversicherung, sondern auch zu Unrecht von den Bersicherungsträgern und auch von den Oberversicherungsamtern in der Invalidenversicherung angewandt werden, obwohl das Reichsversicherungsamt bei der Prüfung, ob Anspruch auf Invalidenrente besteht, sich diesem Stand­punkt bisher nicht angeschlossen hat. Es hat sich vielmehr auf den Standpunkt gestellt, daß, falls der Bersicherte nicht mehr in der Lage ist, das Lohndrittel zu verdienen, er Anspruch auf Rente hat, auch wenn die Erwerbsverminderung durch die Neurofe verursacht ift. Hierbei wird von den Landesversicherungsanstalten übersehen, daß bei der Prüfung über das Borliegen der Invalidität der ur­sächliche Zusammenhang bedeutungslos ist, dem für die Entschädi. gung in der Unfallversicherung eine Rolle beizumeffen ist.

Nach bedenklicher ist es allerdings, daß sowohl von den Ber ficherungsträgern, Spruchbehörden und auch vielfach von den Gut achtern die erwähnte Entscheidung des RV2. falsch aufgefaßt wird. Sogar bei dem Borliegen des objettiven Befundes hat man die berechtigten Ansprüche abgewiesen, mit der Behauptung, es lägen nur nervöse Beschwerden vor, die nach der Entscheidung des RBA, nicht zu entschädigen feien. Die Landesversiche. rungsanstalt Berlin entzog einem Versicherten die Rente, da angeblich eine Besserung eingetreten sei. Der Gerichtsarzt des OBA. Berlin schloß sich dem an und befürwortete die Renten­entziehung. Das OVA. holte noch ein Gutachten von Profeffor His ein, der dafür bekannt ist, daß er den Neurotifern nicht be­sonders sympathisch gegenübersteht, und der auf diesem Gebiete als befondere Autorität gilt 5 fam zu dem Ergebnis, daß die Rentenentziehung unberechtigt fei, da im Befinden feine Befferung eingetreten sei, vielmehr sei eine Verschlechterung festzustellen. Bei dem vorgeschrittenen Alter läge auch feine Aussicht auf eine Besse= rung vor, vielmehr müsse bei der Natur des Leidens( Herzleiden und Arterienvertaltung) infolge des Alters und der vorzeitigen Alterserscheinungen naturgemäß mit einer weiteren Verschlechterung gerechnet werden. Er betonte besonders, daß die vorhandenen Leiden die nervösen Beschwerden voll erflären. Das DVA. hat sich über dieses durchaus günstige und schlüssige Gutachten hinweggesetzt und den Rentenentziehungsbescheid der LVA. bestätigt. Im Revi fionsverfahren hob dann das RBA. den Rentenentziehungs­bescheid auf.

Auch in Unfallversicherung ereignen sich Fehlbegutachtungen. Ein Kraftwagenführer verunglückte und erlitt neben anderen Ver­letungen einen Beckenbruch. Er war längere Zeit in ärztlicher Behandlung im Krankenhaus, zuletzt in der Charité. und wurde ols arbeitsfähig entlassen. Obwohl das Gutachten der Charité einen objektiven Befund erwähnte, fam es doch zu dem Ergebnis, daß teine erwerbsmindernde Unfallfolgen vorhanden seien und nur eine Neurose vorliege. Die Berufsgenossenschaft lehnte darauf den Entschädigungsanspruch ab und das Ober versicherungsamt Potsdam wies die eingelegte Berufung zurüd. Im Retursverfahren wurde nun beantragt, da das Gut­achten der Charité nicht schlüssig sei, da es den objektiven Befund nicht berücksichtigte, noch ein Obergutachten von einem Spezia iften einzufordern. Es wurde dann Profeffor Sauerbruch mit der Erstattung des Gutachtens beauftraat. der zu dem Ergebnis tam, daß eine sehr erhebliche Erwerbsbeschränkung vorliege, und sprach das RVA. dem Berlegten eine Rente von 50 Proz. zu.

nen.

|

Soziale Kosmetik

Die junge ,, Arbeitsgemeinschaft tosmetisch tätiger Aerzte Deutsch­ lands " trat am Montag abend zum erstenmal vor die Deffentlichkeit, um weite Kreise mit den Aufgaben dieser Organisation bekannt. zumachen Bielleicht könnte der Name der Arbeitsgemeinschaft irre führen: es handelt sich nicht etwa um eine Art von Standesver tretung, sondern diese Arbeitsgemeinschaft will, wie es im Buntt 3 ihrer Statuten heißt, für die Einführung der Entstellungs behandlung in die Sozialversicherung, unter besonderer Be. tonung sozialer Gesichtspunkte" neben dem Ausbau und der Förde rung der ärztlich- kosmetischen Forschung und der Ausbildung und Fortbildung in der wissenschaftlichen und praktischen ärztlichen Rosmetik eintreten. Die Arbeitsgemeinschaft der tosmetisch tätigen Aerzte ist also eine Institution, die die Entstellungsbefämpfung zum fozialen Poftulat erhoben hat.

Die Beseitigung von Schönheitsfehlern ist heute nur demjenigen möglich, der über einen gut gespickten Geldbeutel verfügt. Und trop dem hat die Beseitigung förperlicher Matel eine eminent foziale Bedeutung für viele Tausende berufstätiger Personen, für die ein förperlicher Fehler eine schwere Berufsschädigung oder gar die Ge­fährdung der Arbeitsfähigkeit bedeutet. Es ist gewiß tein Zufall. daß die arbeitende Bevölkerung einen beträchtlichen Teil ihres Ein tommens in fosmetischen Präparaten anlegt.

Die wirtschaftliche Not der Nachkriegszeit bringt es mit sich, daß der Andrang zu den Berufs- und Arbeitsmöglichkeiten heute so groß ist, daß die Arbeitgeber ihre Auswahl nach den verschiedensten Ge­fichtspunkten treffen fönnen. Die Entscheidung des Arbeitgebers wird nicht nur von fachlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, sondern meist auch vom Alter und von der äußeren Er scheinung des Arbeitsuchenden. Ein Arbeitsuchender, der mit einem entstellenden Körperfehler behaftet ist oder vorzeitige Zeichen des Alters aufweist, hat auch dann, wenn seine Arbeitsfähigkeit allen Anforderungen entspricht, wenig Aussichten, Arbeit zu finden. Oft wird der Unternehmer auch durch die Besonderheiten des Berufs zu einer strengen physischen Auslese gezwungen. Ein Kellner, der mit einem entstellenden Hautausschlag behaftet ist, würde von den Gästen abgelehnt werden. Die Schauspielerin, deren Geficht durch eine entstellende Nase verunstaltet ist, fann ihren Beruf nicht ausüben. Die Bertäuferin, die ohne alt zu sein frühzeitig Don Alterserscheinungen gekennzeichnet wird, tann damit nicht rechnen, mit ihren Kolleginnen erfolgreich in Wettbewerb treten zu tönnen. Körperliche Mängel oder Alterserscheinungen machen den Arbeiter und Angestellten frühzeitig zum Arbeitsinvaliden, selbst dann, wenn er tatsächlich noch in det Bollkraft seiner Arbeits­fähigkeit steht.

Die Entstellung ist eine Rrantheit. Allerdings mehr eine soziale Krankheit als eine Krankheit im medizini schen Sinn. Ohne eigentlich frant zu sein, steht der entstellte Be­rufstätige gleich dem wirklichen Kranken im Wettbewerb des Lebens völlig hilflos da.

Ablehnung dieser Ansprüche hat doch im mefentlichen dazu geführt, daß diese Berfonen zu einem großen Teil der Fürsorge zur Laft fallen und dort unterstützt werden müssen. An diesen Stellen und bei den Fürsorgeärzten wäre am ehesten die Mög ichkeit vorhanden, durch Sichtung der Atten und genaue Prüfung der Einzelfälle Feststellungen treffen zu können, mit denen man die Gutachten der zurzeit maßgebenden Autoritäten entfräften fönnte.

Franz Nonnenmacher.

Der Abend

Shalausgalle des Vorwäre.

eine soziale Pflicht

Erst spät hat die ärztliche Wissenschaft die soziale Bedeutung ber Entstellungsbekämpfung erkannt. Zuerst sahen die Mediziner die Beseitigung von Schönheitsfehlern als eine ihnen unwürdige Auf­gabe an Sie überließen den Kampf gegen En stellungen Laien und chemischen Produzenten, die meist in der gewissenlosesten Weise dem Publikum das Geld aus der Tasche zogen. Später erwachte bei den Aerzten das wissenschaftliche Interesse. Systematisch wurden Schönheitsfehler beseitigt, aber die Behandlung durch den Kosmetiker war und ist heute noch eine sehr fostspielige Angelegenheit, die nur den Gutfi uierten zugänglich ist. Erst in der jüngsten Zeit haben auch die Aerzte eingesehen, daß die Bekämpfung der Entstellungen zu einem gewichtigen Faftor im sozialen Leben geworden ist, daß gerade die Entstellungsbekämpfung der Wissenschaft ein weites und unerschlossenes Feld zur Betätigung eröffnet.

Wie viele förperliche Mängel verbergen sich unter dem Sammel­namen Entstellung"? Mängel, die den Betroffenen zwar nicht die Arbeitsfähigteit, wohl aber bie Arbeitsmöglichteit rauben und ihnen so das Bewußtsein nehmen, vollwertige Mit­glieder der menschlichen Gesellschaft zu sein. Hierher gehören die angeborenen Verunstaltungen und Male, Entstellungen als Folgen von Krankheiten oder Unfällen und die Altersen stellungen. Das verunstaltete Kind verliert früh sein Selbstvertrauen, das Gefühl seiner Menschenwürde; das Gefpött der Gespielen zwingt es, sich menschenscheu zu verbergen. Der durch Krankheit oder Unfall ent stellte Arbeiter wurde zwar geheilt". Aber die Entstellung blieb ihm, denn ihre Beseitigung gilt bei Aerzten und Versiche rungsträgern als Lurus", troßdem die Erfahrung zeigt, daß die Arbeitgeber den Richtentstellten unbedingt den Vorzug geben. Die frühzeitig gealterte Arbeiterin erfährt Abweisung auf Abweisung bei der Stellensuche, mag ihre Arbeitstraft noch ganz unver­braucht sein.

Die kosmetische Medizin hat die großartigsten Erfolge erzielt. Sie steht leider nur den Begüterten zur Verfügung. Was bleibt den minderbemittelten Entstellten, die mit allen Kräften um ihre Eristenz fämpfen müssen, anderes übrig, als Kurpfuscher aufzu suchen, ihr Geld für fragwürdige, oft schädliche, meist nur unbrauch bare Präparate zu vergeuden, da ihnen der Weg zum Spezialarzt verschlossen bleibt!

Die Entstellungsfürsorge wird und muß tommen. Ihre Ein. gliederung in die Sozialversicherung ist eine un. bedingte Notwendigteit, der sich die Bersicherungsträger auf die Dauer nicht entziehen tönnen. In diesem Sinn will die Die Arbeitsgemeinschaft" der kosmetisch tätigen Aerzte wirken. Unterstützung aller sozial denkender und verantwortungsfreudiger Menschen ist ihr gewiß. Es wäre eine Schande unseres Jahr­hunderts, wenn Leute aus der menschlichen Arbeitsgemeinschaft mur deshalb ausgeschlossen blieben, weil ihnen nicht die Möglichkeit ge­boten wird, förperliche Defekte beseitigen zu laffen. Dr. Julius Moses.

ahnungs- und achilas an den Erkenntnissen einer neuen Zeit vor übergeht, so wird es teiner Wunder nehmen, daß die Berater des neuen Gesezes, die Abgeordneten im Reichstag, fich letzten Endes auf den Standpunkt des Demokraten Dr. Haas einigten, wonach jeder betrunkene Mensch strafwürdig sei!!

-

Was ist Alkoholismus ? Ein Krankheitszustand, den man unmöglich in einem Bort oder Satz definieren kann. Aber in jedem Fall bedeutet das Wort einen, durch den Alkohol, das ein Proto­plasmagift ist, hervorgerufenen Krankheits- und Erregungszustand, den der Staat dadurch mit hervorruft und fördert, daß er den

Alkoholismus und Strafrecht freien Verkauf des Rauſchgiftes an jedermann gestattet, ja, daß

Von Hans Hyan .

Das zurzeit geltende Strafgesetzbuch beschäftigte sich mit der Trunesucht nur in verschwindendem Maße. In§ 361 bedroht es mit Haft denjenigen, der sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Er­nährung er verpflichtet ist, durch Bermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß"; und es läßt im§ 362 außerdem die Ueberweisung solcher Personen an die Landespolizei behörde zu, d. h. die verurteilte Person fann bis zu zwei Jahren in einem Arbeitshaus, einer Befferungs- oder Erziehungsanstalt interniert werden... Des weiteren tommt der vielberufene§ 51 in Frage. Er fann nämlich auch bei sinnloser Trunkenheit ange­wendet werden; insofern als eine strafbare Handlung nicht vor­handen ist, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung fich in einem Zustande der Bewußtlofigkeit oder frankhafter Störung der Geiftestätigteit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgefchloffen war". Dazu sagt der Kommentar Don Dalke: Trunkenheit, die nicht in Bewußtlosigkeit ausartet, schließt die Straflosigkeit nicht aus."

Auch im Versorgungsverfahren sind ähnliche Fälle zu verzeich Ein Kriegsteilnehmer hatte eine Mastdarmfistel, die als Dienstbeschädigung anerkannt war. Bei der Nach untersuchung stellte der Versorgungsarzt eine angebliche Besserung fest und be Das ist eigentlich alles, was das geltende Strafrecht, neben zeichnete die noch vorhandenen Beschwerden als nervöser Art. Das ein paar Bemerkungen in der Gewerbeordnung über die Schant Bersorgungsamt entzog die Rente und das Bersorgungsstätten, von der Trunksucht zu sagen weiß. In der Bragis wurde gericht verurteilte den Fistus zur Weitergewährung der Rente. denn auch Trunkenheit gemeinhin dis strafmildernd angesehen und Gegen diese Entscheidung legte nun der Fistus Refurs ein. Bei bewertet. Unfer Strafgesetz stammt aus dem Jahre 1877 und zu der Bertretung im Refursverfahren wurde darauf hingewiesen, daß jener Zeit wußte man noch wenig von der engen und ursächlichen die Stellungnahme des Fistus im offensichtlichen Widerspruch zu Berknüpfung von Alkoholismus und Kriminalität. Bezeichnend das den früheren Entscheidungen des Reichsversorgungsgerichts stehe. für ist die Tatsache, daß selbst das Wort Alkohol in dem gelten Eine Mastdarmfistel sei zweifellos eine sehr unangenehme und den Strafrecht nirgends vorkommt. schmerzhafte Erkrankung, die die nervösen Beschwerden erklärlich mache. Das RVA. Schloß sich dem an und wies den Refurs des Fiskus zurüd.

Aehnliche Fälle laffen sich noch in größerer Anzahl anführen, durch die der Nachweis geführt werden kann, daß in den Kreisen, die über Ansprüche Gutachten erstatten und zu entscheiden haben ( Bersicherungsträger, Versicherungs-, Bersorgungsbehörden und Gutachter), die Stellungnahme der obersten Spruchbehörden zur Rentenneurose falsch aufgefaßt und dadurch auch nach der zurzeitt gen ungünstigen Rechtslage durchaus berechtigte Ansprüche abge wiesen werden. Es ergibt sich also in erster Linie die Notwendige feit, darauf hinzuwirken, daß die unteren Organe nicht über die für die Ansprüche der Rentenbewerber an und für sich ungünftige grundfähliche Stellungnahme noch hinausgehen, und fobald sie von nervösen Störungen und Beschwerden in den Gntachten finden, fehr leicht geneigt sind, ohne nähere Prüfung den Anspruch abweisen. Ob sich aber die Stellungnahme der obersten Spruchinstanzen für die Dauer halten können wird, muß bezweifelt werden. Die

Der Entwurf zu einem neuen Strafgefeßbuch von 1925 handelt nun in Abschnitt 35 in den§§ 335 bis 339 vom Mißbrauch von Rauschgiften". Er will den, der ein Wirtshausverbot hat und trotzdem ein Wirtshaus besucht, ebenso mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestrafen, wie den Wirt, der solcher Person geistige" Getränke verabreicht. Dasselbe soll dem geschehen, der Jugendlichen unter 16 Jahren sowie Patienten einer Trinferheilanstalt Branntwein verabreicht. Aber bestraft werden mit Gefängnis bis zu zwei Jahren soll derjenige, der sich vorsätz­lich oder fahrläffig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in einen, die zurechnungsfähigkeit aus­schließenden Rauschzustand versetzt, wenn er in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. Auch in dem neuen Entwurf fommt das Wort Alkohol, nicht vor und das ist be­zeichnend für die völlige Bertennung des pincho: physischen Grundproblems, für die Außerachtlaffung der wissenschaftlichen Errungenschaften, die die letzten Jahrzehnte auf diesem Gebiet gebracht haben. Und wenn fo der Gesetzgeber

-

er sich an diesem Verkauf durch eine ungeheure Steuer noch bereichert!

Was sagt nun die Wissenschaft von den Wirkungen des Alto. hols? August Forel , der schweizerische Psychiater, der sich dieser Materie besonders zugewendet hat, erklärt unter Berufung auf die Arbeiten von H. E. Ziegler, Fühner u. a. m. die absoluten Hemmungseigenschaften des Alkohols. Die Zelle des alkoholisierten Menschen wird in ihrer Fortentwicklung sowie in ihrer Funktion durch den Alkohol gehemmt. Und diese Generaleigenschaft des Giftes, die der Hemmung nämlich, ist um so verheerender, als es in feiner Weise vom Körper verbraucht wird, sondern wieder aus geschieden werden muß, was nur langsam vonstatten geht. Dess halb wirkt der häufige Genuß fumulativ: das Bellgewebe störend und endlich, zerstörend. Das Individuum wird also in erster Linie Und hier tönnte man, dem felbst durch den Alkohol vergiftet. Standpunkt des Gesetzgebers folgend, vielleicht sagen, daß jeder für sich selbst und seine im Rausch etwa begangene Taten verant wortlich sei und dafür einzustehen habe. Aber, wie es schon in der Bibel heißt, die Gefunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranten. Das Bedürfnis nach Alkohol ist beim gesunden Menschen nicht überwiegend. Leider aber ist die Zahl der völlig gefunden Menschen weitaus fleiner, als es den Anschein hat. Und zudem erhöht der dauernde Genuß und Mißbrauch des Altohols die Gier nach dem Gift, demoralisiert das befallene Individuum und macht es schließlich straffällig.

Wenn aber der Alkoholisierte selbst unendlich unter seinem Lafter zu leiden hat, so tragen den wahren Fluch doch erst seine Nachfommen. Denn so, wie jede 3elle des mensch lichen Körpers, so wird vor allem die Keimzelle per giftet. Kinder, nicht nur von Säufern und Deliranten, nein auch von Leuten, die gewohnheitsmäßig Alkohol in größeren Mengen zu sich nehmen, die aber fociel vertragen tönnen, daß der Laie ihnen die Erschütterung ihres Zentralnervensystems taum anmerkt, tommen oft mit schweren Berbildungen des Körpers und der Seele zur Welt. Es gibt Fälle, wo folche Nachkommen derart alkoholintolerant geboren werden, daß ihnen der Genuß des Rausch­giftes in jeder Form zur phyfischen Unmöglichkeit wird zum weitaus größeren Teil bringt der Rauscherbe einen ver= größerten Hang zum Alkohol mit auf die Welt; und als Begleiterscheinung eine stark verminderte Resistenz gegen das Gift. Das heißt, der aus dem Raush Gezeugte, der, wie Goethe fagt, doppelt elend ist, braucht den Alkohol, um seine ihn bebrüdenden Unluftgefühle und Depressionen zu überwinden und die für jedes Wesen unerläßlichen Luftempfindungen zu gewinnen; und auf der anderen Seite ist er in seinen Gegenwirtungen gegen das unent. behrliche Narkotikum aufs schwerste gehemmt..

Aber

Ist es deshalb angängig, vor dem wissenschaftlichen Erfahrungs­tomplex von der Strafwürdigkeit jedes Betrunkenen" zu reden? ( Ein weiterer Artikel folgt.)