fäeifa&e Sonnabend, 4. Mai 1929
SprÄbpnd
Film und junge Generation Von Lotar Holland. In den letzten Monaten drängte sich der Oeff«ntlichkeit die Sorge um den bedenklich„manuskriptschwachcn" Zustand des deutschen Films von neuem auf. Insbesondere ließ sich die junge Literatur- generation verschiedentlich von der Presse zur Stellungnahme zu diesem ernsten Problem auffordern. Und auch mit vollem Recht. Denn sie hat es bewiesen, daß sie ein« Fülle freier, neuer und be- lebender Intuitionen in sich trägt, die auch die verkalkte Kinemato- graphie der Unterhaltungskinos mit neuem Blute, neuem Geist zu erfüllen vermögen. Weshalb aber der ewig« Drang zur Filmindustrie? Wes- halb die ständigen Klagen, daß die Industrie sich zu wenig um die jungen Schriftsteller bemühe? Vermag sich auch die Jugend nicht zu dem objektiveren Blick auszurassen, der enthüllen muh, daß gerade das gegenwärtige Filmsabrikationssystem durch seine einseitig industriell« Entwicklung die Hauptschuld an der Kunst- und Kulturlosigkeit des heutigen Kinofilms trägt? Die bisher maßgebende Meinung, daß zur Herstellung eines Films unbedingt kapitalgesicherter Fobrikkomplex mit einer weitverzweigten Organisation von kaufmännischen und tech- nischen Funktionären notwendig sei, dürste nach den erfolgreichen Beispielen der Crpeditionssilme, filmkünstlerischen Bersuchen Ein- zelner, auch zahlreicher Kulturfilme der Beiprogramme und schließ- lich freien Amateurfilme, von denen in England und Amerika (im letzteren insbesondere in den künstlerischen Kinos der„Film Arts Guild" in New Jork) ein« große Thnzahl zur öffentlichen Vorführung gelangt sind, als mehr als veraltet zu betrachten sein— wenn das Vorbild der jungen russischen Filmpionier« nicht mehr aktuell sein sollte. Dieses Vorurteil ist durchaus falsch: auch wenn sich die Filmproduktion durch ihre rein kapitalistisch-merkantil« Struktur in jahrzehntelange Entw'cklung geradlinig zu einem Industriegesüge, ähnlich der Schallplatten- oder Makkaroni-Jndustrie. verdichtet hat. Denn die irrtümlich im Vordergrund aller Interessen stehende In- dustrie ist in erster Linie eine wirtschaftliche Entwicklungsgegebenheit und erst in zweiter Linie eine kunstbedingte. Eine Folge der sabrikatorischen Filmherstellung ist die Spaltung der Arbeit in die beruflichen S p e z i a l r« s s o r t s wie Auf. nähme, Regie, Manufkriptabfassung usw. bis zur Produktionsleitung und„kaufmännischen Regie" in vielen amerikanischen Ateliers. Diese Arbeitsteilung ist aber durchaus nicht als unumgängliche Norm an« zusehen: sie bildete sich nur unter dem vorherrschenden System historisch heraus. Es ist vielmehr die Herstellung eines Spielfilms keine Kombination von Schreibtisch- und approbierter Handwerks- arbeit, sondern sie unterliegt einheitlichen, kosmisch erfaßten Pro- duktionsgesctzen und-Vorgängen, die aus der freimenschlichen, künst- lerischen Gesinming des oder der Schaffenden Im absolut Phantastischen („Handlung") und real Bildschöpferischen(„Bildkomposition") wie jedes Kunstwerk ihren ersten Antrieb und vom ersten Augenblick der Gestaltung bis zur Vollendung ihre einheitlich intensive Wir- kungswärme erhalten. Es mutet in bczug auf die Einstellung der Filmschafsenden zu ihrer eigenen künstlerischen Gesamtmaterje eizen- ltrtig an, daß es ihneck'�ivch nicht Nniglich rockt-, außerhalb der von ihnen selbst angefeindeten rein kapitalistischen Produktion in künstlerischer Zusammenarbeit einen eigenen Film herzustellen, mit dem sie ihre künstlerische Schoffensfreiheit dem Filmkaufmann gegen- über würden durchsetzen können. Die Frage nach dem künstlerischen Film kann aber nie und nimmer durch Tarisoerhandlungen zwischen Filmaustraggebern und-angestellten gelöst werden: sondern allein durch die primäre künstlerische Tat derer, die um künstlerische Frei- hdt, Geltung und Wirkung zu kämpfen vorgeben. Von den gewerbsmäßig in der Industrie Arbeitenden können wir diesen Einfall zum selbständigen Schassen nicht fordern: sie sind in dem pervertierten Verschwendungsrausch der Atelierindustrie auf- gewachsen, zum großen Teil überhaupt erst aus Grund des Systems der bequemen, rechtlich gesicherten Arbeitsentlöhnung aus anderen Schafsensgebieten und Prosanberufen zum Film übergegangen und werden kaum geneigt sein, in das pekuniäre Risiko freier künstlerischer Le stungen einzugehen. Die Jugend hat aber bewiesen, daß sie Gesinnungsmut und Gesinnungskraft genug besitzt, um gegebenenfalls' dieses Risiko auf sich zu nehmen. Warum schafft sie nicht selb st, die Filmkamera frei in der Hand, Werke dieser ihrerGesinnung? Warum beschränkt sie sich daraus, an ein« Mitbeteiligung an der Produktion der künstlerisch nur be- dingt kompetenten Filmindustrie zu appellieren? Es wäre die ruhmvoll« Ausgabe einer jungen Kunstgeneration, die sich ihrer Verantwortung sich selbst und der Zeit gegenüber be- wüßt ist, mit dem kunstlosen Theaterklischce der phlegmatischen, tra- ditionsgehemmten und vorurteilsllberhäuften Filmproduktion durch eine reinigende Tat aufzuräumen: den Beweis dessen zu führen, was tagtäglich selbst in den Vorzimmern zu den Bureaus der Filmkaus- leute zu hören ist: daß mit geborgtem Getd und einigen geschickten Handwerkern allein, durch bloße Uebertragung von Literatur auf Bühnenszenen, selbst durch geniales Theaterspiele» von der Kamera kein filmisches Kunstwerk herzustellen ist. Der Film ist ebensowenig wie die Malerei«Ine bloße Re- Produktion der wirkungsvoll ausgebauten Vorlage... und doch basiert das industrielle Filmschaffen In der Hauptsache darauf. Man darf sich nicht oerleiten lassen: auch wenn die Potentaten ersolgreicher Film- Herstellung in ihrem augenblicklichen Kampf gegen die Zensur die anscheinende Kunstwesenheit ihrer Werk« ins Feld führen, so ist noch nickt als bewiesen anzusehen, daß diese von Kapitale Gnaden auf die Kinoleinwand gebrachten bewegten Bilder tatsächliche Kunst- bekenntniewerke darstellen, wie sie die Generation fordert und schassen möchte Aber auch dann: wenn im umgekehrten Fall die heutigen Filmschaffenden die rechtlich und produktiv dominierend« Roll« gegen- über einem lediglich passiven Kapital sipelen würden, wäre ein Ein- treten für und in die Filmindustrie durchaus bedenklich in Anbetracht der selbstherrlichen Machtstellung dieser aus Geschäfterücksichtcn naturgemäß zwischen den öfsentlichen Meinungen lavierenden Berufs- gruppenorganisationen, die die vereinigten Filmschaffenden heut« be- reits darstellen und als welche sie, ausgerüstet mit dem aktivsten Wirkungselement der Neuzeit, dem Film, innerhalb unseres Volks- körpsrs ihren Geschäften nachgehen würden. Es gilt nur eins: die filmkütrstlerische Tat. auf die wir alle warten, von der wir alle eine Befreiung aus dem gegenwärtigen kulturlosen Zustand des Films erhoffen, bestünde in dem von einem Ein-elnen oder einer Gesinnungsgruppe mit der Filmkamera film - spezifisch frei geschaffenen Werk Die Filmindustrie selbst hat andere Aufgaben zu lösen, alz freiheitliche Künstler sie zu über- nehmen beabsichtigen. Der Tätigkeitsort für die junge Kunstgene- «tiou ist nicht innerhalb der Industrie, sondern außerhalb von ihr.
W olkenkratzer Der neue Baustil der amerikanischen Großstadt
Das erste, was sich dem Besucher der Neuen Welt in trost- loser Nüchternheit aufdrängt, sind die alten Wolkenkratzer der unteren Stadt in New Park. Wie riesige aufgetürmte Kisten ragen sie zum Himmel. Ueber die Kunst der Architektur und die Regeln der Aesthetik fühlten ihre Erbauer sich erhaben. Der Baugrund war unerhört teuer. So baut« man denn in die Höhe, und dem Grundsatze direkter Nützlichkeit für Geschäftezweck« hatte alles andere zu weichen. Obwohl die Idee des S t a h l g e r i p p e s für Hochhäuser schon in den achtziger Jahren auftauchte, dauerte es doch lange Zeit, be- vor man ihre Möglichkeiten erkannte. Die Baukunst horte plötzlich eine neue Dimension gesunden— die Möglichkeit der säst unbe- grenzten Senkrechten. Die ersten Hochbauten konnton sich jodoch nicht von der Nachahmung althergebrachter Stil- orten trennen. Sie hatten im unteren Teile mächtige Mauern sowie lange Reihen dicker Säulen, die in Wirklichkeit gar keinen Zweck erfüllten. Der erste wirkliche Wolkenkratzer, bei dem die senkrechten Möglichkeiten des Stahlgerippes ausgenutzt wurden, war das Woolworth-Gebäude zu New Jork, das sich allerdings noch in einen gotischen Mantel hüllt. Angesichts der schnellen Ausdehnung der Stadt und der steigen- den Bodenpreise verfiel man daraus, auch Wohnhäuser als Hoch- bauten zu errichten. Sie entstanden an vornehmen Straßen, und so sahen ihre Erbauer sich genötigt, auch dem Aeußeren einige Auf- merksamkeit zu widmen. Dieses Streben nach architektonischem Ausdruck führt« zu dem neuen Stil, den man als den p y r a- midenförmigen Wolkenkratzer bezeichnen könnte, der heute im Auslande als etwas typisch Amerikanisches angesehen wird. Der neue Stil mit seinen ausdrucksvollen Formen steht in direktem Gegensatz zu dem alten Kistensystem Die bloße Häufung der Masse, das nüchterne Uebereinanderschachteln vcn Stockwerken, nur um Raum zu gewinnen, hat man ganz aufgegeben. Aeußerer Schmuck, der mit dem Gebäude selbst gar keinen Zusammenhang hatte und ganz sinnlos war, ist fortgefallen Man hat sich nach den Verhältnissen gerichtet und einfach geschaffen was dringende Bedürfnisse verlangten. Der neue Stil entsprang keinen ästhetischen Erwägungen. Durch die wahllose Aufrichtung himmelhoher Kistengebäude an gang engen Straßen entstanden wie am unteren Broadway wahre Schluchten, die in ihren Tiefen weder Lust noch Licht boten. Als man nun mehr und mehr dazu überging, nicht nur Geschäfts- paläste, sondern auch Wohnhäuser in die Höhe zu bauen, sah man sich genötigt, zu dem Einrücken seine Zuflucht zu nehmen. Von einer gewissen Höhe an wurde es den Erbauern von Hochgsbäuden vorgeschrieben, die Stockwerke zurückzusetzen, um der Straße und den unteren Stockwerken mehr Luft und Licht zu lassen Dieses Zurücktreten erfolgt nun nicht gleichmäßig, etwa nach Art von Treppenstufen, was ebenfalls eintönig wirken müßte, sondern in �verschiedenen Abteilungen. So zum Beispiel an den Ecken weniger als in den mittleren Partien» so daß also die Terrasse des gleichen Stockwerkes nicht etwa überall gleich groß ist wie ein Treppen- abfatz. Schließlich löst sich das Ganze in mehr oder weniger turmartigen Au f.b auten. Bei dieser Anordnung wird ein« wohltuende Gliederung er-
reicht. Gleichzeitig erhalten Straße und untere Stockwerke mehr Luft und Licht, mit denen sie bei den alten Hochbauten in lächer- lich engen Straßen stiefmütterlich bedacht waren. So fand man nach allerlei Tastversuchen die Proportionen des Wolkenkratzers, und es entstand eine ganz neue Insel von Giganten. Bei der fieberhasten Bautätigkeit in New Park hat der neue Stil in den letzten Iahren ein ganz neues Stadtbild ge- schasten, und dies bedeutet nichts geringeres, als den Deginn einer neuen Periode der Baukunst. Ueberall recken sich nun wuchtige Turmmaflcn empor, die an die Hllgelstädte Italiens , die Tempel Japans , die Pueblos in Neu- Mexiko und die Paläste zu Benares «rinnern. Sie zeigen eine überraschende Aehnlichkcit mit den Terrassenbauten der B a b y l o n i e r. die in Mesopotamien ausgegraben wurden. Diese Bauten'der Alten erhoben sich zu ansehnlichen Höhen. Die Terrassen waren mit Gärten, Blumen und prunkvollen Wohn- räumen besetzt. Die modernen amerikanischen Hochbauten lassen alle diese Einrichtungen wieder neu aufleben. Mit dem.Dachhause" hat die Wohnkunst in des Wortes wahrster Bedeutung ihren Gipfel erreicht. Einstöckige Lusthäuschen mit kleinem Garten, oder von Rosenflächen und blühendem Ge- büsch umgeben, das Ganze auf dem Dache eines dreißig, oder vierzigstöckigen Mammuchauses, himmelhoch über sechs Millionen Mitbürgern, die sich wie Ameisen in der Tiefe bewegen,— hier kann der Reiche, mitten in der brandenden Weltstadt in stiller Ab- gsschlossenheit und Beschaulichkeit wie ein einsiedlerischer Astronom seine Tag« verbringen. Dies« Wirklichkeit übertrifft alle Phantasie arabischer Märchenerzähler. Erst in den letzten zwölf Jahren erkennen die Daukünstler, daß die Stahlkonftruktion neue architektonische Grundsätze entwickelt. Der Stahl befreit die Baukunst von überlieferter Bürde. Selbst bei niedrigen Bauten wird er verwendet, denn er spart Raum und Zeit. Die Wände sind dünner, ohne jedoch an Stärke zu verlieren, und der Bau schreitet fünfmal schneller fort bei geringeren Kosten. Nach der Ausrichtung des Gerippes wird in allen Stockwerken gleichzeitig gearbeitet, und so erfordert «in Bau von fünfzig Stockwerken heut« weniger Zeit, wie früher ein sechsstöckiges Haus. So ist denn Arcbitektur die Kunst, in der Amerika völlig neue Formen schuf und sich unter den Kulturnotionen der Gegenwart an die erst« Stelle aufschwang. Der modern« Wolkenkratzer ist in der Tat eine Leistung der Baukunstf die die Welt mit Recht be- wundern mag. Bedürfnis und nach Ausdruck ringendes Sehnen des Maschinenzeitolters schufen neu« Formen von neuer Schönheit. „Die Wirklichkeit führt abermals zur Romantik", sagt Parkes im Londoner Architektenblatt. In der Tot bieten die Wolkenkratzer bei Nacht ein feenhaftes Bild. Tausend« funkelnder Lichter um- schlingen sie wie Diamantenschnüre. Ihr« Kuppeln und Türme glühen,, vom Licht verdeckter-Lampen uipflutKt, Hier sendet ein Turm Sichtstreifen aus wie ein Scheinwerfer. Dort blinkt auf einer Spitze ein goldener Hahn wie auf einem Kirchturm. Wieder andere glühen wie Kuppeln, wie Dome, wie Paläste, wie Schlösser. Und alle stehen hoch gegen den Himmel wie ein« Fata Morgona. H. Hesse-New York .
Ein englischer Kriegsroman In die Fülle der Kriegsdichtung und Erinnerungen trägt der englische Kriegsroman„Der s.pa nische Pacht hos" des Ralph H. Rioltram(Jnfel-Verlag) ein neues Moment hinein. Mottram sieht den Krieg aus anderer Perspektive als etwa Remarque od?r Renn/ Er hat zu dem Erlebnis eine größer« Distanz. Es ist das Leben dicht hinter der Front, das er gestaltet: nur in ein paar Szenen sammelt er das Grauen des Stellungskrieges wie in einem Brennglas, er beobachtet den Krieg mit den Augen eines skeptischen Zivilisten, trotzdem es sich hier auch um das Sein oder Nichtsein englischer Offiziere handelt. Der spanisch« Pachthof wirkt wie ein Symbol für alle die Be- sitzungen, die dicht hinter der englisch -sranzösischen Front lagen und von ihren Bewohnern nicht verlassen wurden. Es sind ruhige, ortoerbundene, gesunde und phantasielose Menschen, die weder De- geisterung noch Furcht kennen. Der dauernde Geschützdonner, die ständigen Einquartierungen, die ewige Lebensgefahr schaffen in ihnen eine Reaktion, ein Abkapseln vor dem Krieg: sie kümmern sich nicht um den Ausnahmezustand, sie gehen gewohnter Arbeit nach, in ihrer Welt herrschen die Gesetz« des Friedens. Die Pächters- tochter Madelain« zwingt die einquartierten Soldaten, diesen Willen zu respektieren, sind als sich einer der Soldaten einer schweren Sachbeschädigung schuldig macht, geht ihre Beschwerde bis zum fran- zösischen Kriegsministerium und setzt alle Kommandostellen in Auf- regung. Ueber ein Jahr wird nach dem Schuldigen recherchiert, und die Stäbe und Kommandos erscheinen dabei in einem merkwürdigen Licht. Wozu sind sie überhaupt da? Selbst bei naheliegenden Dingen wissen sie nicht Bescheid, und von Helden haben dies« Herren nicht das geringste an sich. Der Krieg darf in ihren Unterhaltungen keine Rolle spielen, man sucht sich in der Illusion zu wiegen, daß der Krieg nur eine kleine Unterbrechung des bürgerlichen Lebens ist, man empfindet unterbewußt die Uniform der Maskerade, in auf- richtigen Momenten erscheint man sich lächerlich. Mottram fußt in seiner Weltanschauung auf dem Jndividua- lismus eines Kipling oder Galsworthy . Die Masse der Soldaten kommt für ihn weniger in Betracht als der Offizier, der aus dem englischen gebildeten Bürgertum stammt. Es ist überhaupt die Aus- einandersetzung dieser Gesellschaitsschicht mit dem Krieg. Zwei Offiziere, Skene und Dormer, im Privatberuf Architekt und Kauf- mann, werden zu Exponenten: Durchschnittsmenschen, ohne jede Pose, mit dem Willen, sich über ihre Gefühle im klaren zu sein, Zivilisten in Uniform, die zu ihrem Entsetzen fühlen, daß das Kriegs- erlebnis sie wandelt, daß sie allmählich in die Montur hineinwachsen. Sie wollen aber unter allen Umständen ihr« bürgerliche Lebens- hallung beibehalten, darum erscheint ihnen der Krieg problematisch, lächerlich, absurd. Renn und Remarque durchleben noch einmal den Krieg, sind Gestalter aus diesem Leben heraus; Mottram diskutiert ihn von einer geistigen, intellektuellen Basis aus. Er steht schon außerhalb des Erlebnisses, deshalb hat er den Mut zur Ironie, deshalb kann « dem Zivilisten recht geben, deshalb schreibt er kühl distanziert
einen Beitrag zur Geschichte der menschlichen Dummheit. Dies« Einstellung ist das Neuartige dieses ersten englischen Kriegsromans. _ F. S. Ein Vagabunden-Kongreß Kongreß der Vagabunden: selffatber Widerspruch! Die man so schwer dem gesellschaftlichen Leben einordnen kann, weil sie sich selbst oft nicht einfügen wollen und weil zwischen ihnen und dem Staate«in großer Gegensatz besteht, sie sollten die Kraft und den Willen haben, sich zu einer Art Kongreß zusammenzufinden? Und doch: Dieses Vagabundentrefsen wird zu Pfingsten in Stuttgart stattfinden. Die Idee hierzu uird die Energie, die Sache durchzuführen, stammt von einem ernsten, warmherzigen und gedankenreichen Mann, den man den„König der Kunden" nennen könnte. Er heißt Gregor Gog und wohnt in Stuttgart , wo er in Degerloch am „Sonnenberg" ein kleines Blockhäuschen besitzt. Er hat ein oben- teuerliches Leben hinter sich, hat die Erde durchwandert, ist alles mögliche gewesen und hat jetzt nur ein Ziel: seinen„Brüdern" zu helfen, nicht bloß, um sie aus ihrer physischen Notlag« zu be- freien, sondern um sie zu retten vor der moralischen V e r- k o m m e n h« i t, in die viele von den heimatlosen Landstraßen- tipplern mit der Zeit geraten müssen, weil sie die Krast einbüßen, angesichts des täglichen und stündlichen Hungers an ihr« Menschen- würde zu denken. Gog will die„Kunden" so weit bringen, daß sie sich ihre eigenen Heime schaffen, diejenige Art des Zusammen- lebens, die ihnen gemäß ist. Seit zwei Iahren gibt er eine Zeltschrift heraus:„Der Kund e", sie steigt im Niveau immer höher und wird zu einer Fundgrube für Forscher aller Art, vor denen sich«ine bis nun fast unbekannte Welt auftut. Man ahnt nicht, was es für Dichter, Künstler und Denker unter diesen heimatlosen Menschen gibt, wie- viel Reichtum an Seele und Geist wie Spreu im Wind verweht, und es ist das große Verdienst Gogs, daß er beginnt, diese Gaben zu sammeln. Es wäre einfach, die Heimatlosen als die Asozialen schlechthin zu bezeichnen. Manche von ihnen verharren im ewigen, verneinenden Protest gegen die Mächte der Gesellschaft, die nun ein- mal unser Leben beherrschen. Manche aber von ihnen suchen dos Problem von innen her zu lösen: nicht durch blutigen Kampf, der die Stände gegeneinander treibt, auch nicht durch Politik, die ja im Grunde die gegebenen Verhältnisse immer wieder legalisiert. Gog und jene, die mit ihm und seiner Idee übereinstimmen, be- mühen sich, das Menschheitliche in der Frage der Heimatlosigkeit zu ergründen. Dieser Vagabundenkongreß erscheint als der erste Versuch, eine Menschenwelt zusammenzusassen, die uns bisher als Gesamtheit fremd gelieben ist. Mehr als dos: Glauben wir, daß der Haß es ist, der viele an der„Peripherie" leben läßt, so können wir von Gog und seiner Brüderschaft erfahren, daß stärker als der Haß die Lieb« es ist, die in den.Heimatlosen lobt � und sie antreibt, sich zu sammeln und sich ein Heim zu schassen. Von da aus empfängt dieser sonderbare Kongreß seinen tiefen Sjnn. Dr. Hans Präger- Wien.