Nr. 207
46. Jahrgang
Technik
Sonnabend
4. Mai 1929
Fünfzig Jahre elektrische Eisenbahn
An diesem 1. Mai sind 50 Jahre seit dem Tage verflossen, seit die erste elektrische Lokomotive der Deffentlichkeit vorgeführt wurde. Auf der Großen Berliner Gewerbeausstellung am Lehrter Bahnhof führte am 1. Mai 1879 Siemens u. Halste feine einfache elettrische Lokomotive den Ausstellungsbesuchern vor. Sie erregte bort großes Intereffe: Besonders die liebe Jugend, aber auch Damen und ältere Herren mit ergrauten Haaren drängen fich zu diesen Fahrten, und wenn der erste Zug durch die Tischreihen einer größeren Restauration sauft, so wird er von den Gästen stets mit Hurra begrüßt." Diese Worte befinden sich in der Zeitung für Fortschritte des Eisenbahnwesens" aus dem Jahre 1879. Werner Siemens aber schrieb an seinen Bruder Karl in London unter dem 12. Juli 1879: ,, Unsere elektrische Eisenbahn macht jetzt hier viel Spettafel. Sie geht in der Tat über Erwarten gut. Es werden in einigen Stunden täglich gegen 1000 Personen à 20 Pf. für wohltätige Zwecke befördert. 20 bis 25 Personen mit jedem Zuge. Geschwin digkeit etwa Pferdebahngeschwindigkeit. Es läßt sich darauf in der Tat etwas bauen." Heute herrscht die Elektrizität in unserem Wirt
geschah. Das Bahnpersonal wird in Sonderkursen auf den neuen Betrieb umgeschult. Die Verkehrselektrifikation ermöglicht überdies Bersonalersparnisse, da bis zu hohem Maße bei zunehmendem Ber fehr feine Neueinstellungen erforderlich sind.
Die erste Etappe der Elektrifitation der Schweizerischen Bundesbahnen ist nun beendigt, alle Hauptlinien, etwa 1600 Rilometer, sind elektrifiziert. Hierzu fommen noch etwa 400 Kilometer bereits elektrifizierte Privatbahnen. In Deutschland beginnt die Bahnelektrifikation erst jetzt aber bereits hat man ungefähr 1270 Kilometer in den elektrischen Betrieb übergeführt. ( Einschließlich der Berliner Stadt- und Ringbahn sowie einiger Borortlinien.) Allerdings würde die Elektrifikation der wichtigsten Reichsbahnhauptlinien schäßungsweise 10 Milliarden Mart fosten und sie fönnte wirtschaftlich nur im Tempo der normalen Abschreibung des vorhandenen Parts von Dampflokomotiven erfolgen ein Prozeß, der sich über 30 Jahre hinziehen müßte. Den Anfang machen bereits einige Gebirgsstrecken und besonders dicht belaffete
SES
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Elektrische Reichsbahnlokomotive der Siemens Schuckert Werke
terials, feine Anheizzeiten für Lokomotiven, weniger Reparaturtage pro Jahr und Lokomotive. Rationellere Verwertung der Energie. vorräte besonders auch der Kohle; da die Großkraftwerfe mit viel mehr Ruzeffekt arbeiten wie die Dampflokomotiven. Schonung des Personals und die Möglichkeit, auf wenig beanspruchten Strecken die Triebfahrzeuge nur durch einen Mann bedienen zu laffen. Sehr bedeutsam ist auch die Förderung der heimischen Industrie und die Belebung des Arbeitsmarktes. Denn in einer elet trischen Schnellzugslokomotive steden vom Rohstoff bis zum be. triebsfähigen Fahrzeug annähernd 100 000 Arbeitsstunden. Dampflokomotivenfabriken lassen sich auf die Herstellung der mechanischen Teile elektrischer Fahrzeuge umstellen, wie dies auch in der Schweiz
Vor 25 Jahren:
Der Pionier von 1903! Die Drehstromversuchslokomotive ( Schnelltriebwagen) der AEG., die s. Zt auf der Experimentierstrecke Berlin- Marienfelde- Zossen eine Stundengeschwindigkeit von 210 km erreichte.
schaftsleben. Immer größer wird die Zahl der Strecken auf ber Eisenbohn, die mit elektrischen Lokomotiven befahren wird.
Die zunehmende Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft bedeutet teineswegs das Ende der Kohle. Sie stellt im Gegenteil erst die vollkommenste und idealfte Berwertung und Veredelung ber Rohle dar. Die weiße Kohle", die Wasserkräfte, tönnen, abgesehen von der Schweiz , Desterreich, Schweden und Norwegen , mur einen Bruchteil des gesamten menschlichen Energiebedarfs decken. Und feine Energieübertragungsanlage arbeitet so wirtschaftlich wie ein modernes Großkraftwerk. Bei Anlagen, die auf Gruben errichtet wurden, oder solchen mit günstigen Rohlenverhältnissen kostet die erzeugte Kilowattstunde( unverteilt, ab Werk) nur 1 bis 2 Pf.! So ist es möglich, daß die Elektrizität als Kraft auch am weitabgelegenen Berbrauchsort billiger ist wie eine eine Dampf maschinenanlage. Hierzu treten noch viele andere Borteile, so daß in der Industrie der elektrische Einzelantrieb beinahe vollständig durchgeführt iſt.
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Und nun die Elettrifitation des BollbahnfernDerfehrs! Deutschland hat hier die technische Pionierarbeit geleistet, die Schweiz als erstes Land das wirtschaftliche Risiko der Elektrifizierung aller Hauptbahnen gewagt und dabei ein gutesGeschäft gemacht. Betriebsvorteile der elektrischen Bahnen sind: schnellerer Reisegeschwindigkeit bei geringeren Unfosten, Wegfall der Rauch und Rußplage dadurch nicht nur angenehmeres Reifen, fondern auch Schonung aller Baustoffe und gewaltige Ersparnisse an laufenden Reparaturen. Bessere Ausnüßung des rollenden Ma
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Die Eingeweide einer elektrischen Lokomotive. Blick in den Motorenraum einer elektrischen SchnellzugsLokomotive der schweizerischen Bundesbahnen. Vorn rechts eine Hauptsicherung, hinten der Transformator.
Gummi- Rettungsboote für Luftfahrzeuge
Die ungeheure Entwicklung der Flugindustrie lenkt die Auf merksamkeit auch auf wichtige Probleme, die unmittelbar mit der Luftfahrt zusammenhängen. Bor noch nicht langer Zeit hatte man nicht geglaubt, daß der Passagierverkehr mittels Luftfahrzeugen ein mal einen größeren Umfang annehmen würde; insbesondere waren Flüge über größere Wasserstrecken immer noch lediglich Unternehmunden von mutigen Fliegern. Nachdem man aber diese ungeheuren Fortschritte im Flugbauwesen gemacht hat und Flugverkehrslinien in allen zivilisierten Ländern eingerichtet worden sind, ist das Reisen mittels Luftfahrzeugen heute allgemein und beliebt. Es wird wohl wohl in absehbarer Zeit dazu kommen, daß ein Teil der Passagiere, die bisher Eisenbahn und Schiffe benutzt haben, sich des neuen und schnelleren Berkehrsmittels bedient.
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Die Frage der Rettung von Fluggästen und Besatzung für den Fall, daß ein Luftfahrzeug auf offener See notlanden muß ist deshalb heute eine ganz brennende Frage geworden. Es ist selbstverständlich, daß jeder Baffagierdampfer, ob er fleinere oder größere Strecken fährt, sowohl auf Binnenseen wie auf dem Dzean nach genau festgelegten gefeßlichen Bedingungen Rettungsboote für Passagiere mitnehmen muß für die Hochsee nach den Bestimmungen der Internationalen Ronden. tion über die Sicherheiten zur See vom 20. Januar 1914. Selbst Schiffe, die nach den modernsten Errungen. schaften der Technit gebaut find, wie die Dzeandampfer Bremen und„ Europa ", bei denen es nach menschlichem Er. meffen taum jemals vortommen wird, daß die Baffagiere die Rettungsboote benutzen müssen, find nicht befreit von biefer Borschrift und haben es als ihre höchste Aufgabe be trachtet, in bezug auf das Rettungswesen ihren Baffagieren die größtmögliche Sicherheit zu bieten.
Ganz im Gegensatz dazu ist es bei der Luftfahrt in dieser
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Beziehung noch zu teinerlei gefeglichen Bor schriften gefommen, wohl deshalb, weil die Entwicklung fich sozusagen überstürzte. Daß aber ein Rettungsgerät für die Luftfahrt von viel größerer Notwendigkeit ist als bei einem modernen Ozeandampfer, liegt auf der Hand. Um so mehr ist es zu begrüßen, wenn die Industrie sich mit diesem Problem befaßt und ein Rettungsmittel bzw. ein Rettungsboot geschaffen hat, das den Anforderungen, die die Luftfahrzeuge an dasselbe stellen, genügt. Das Rettungsboot muß unbedingte Sicherheit für die Insassen bieten bis zum Eintreffen eines Hilfsschiffes, es muß aber auch was das Wichtigste ist leicht im Gewicht sein und wenig Raum beanspruchen Alle Rettungsboote aus festem Ma: terial tommen nicht in Frage, weil sie im Luftfahrzeug nicht mitgeführt werden können. Dagegen gilt als Rettungsboot für Luft. fahrzeuge in idealem Sinne das bekannte Möwefloßboot, das aus einem besonders präparierten, ungeheuer widerstands. fähigen Gewebe mit Gummi besteht, zusammengerollt werden kann und in zusammengerolltem Zustand pro Kilo Ge wicht nur einen Blag von 0,002 Rubitmeter beansprucht. Das Gewicht des Bootes ist so gering, daß pro Injaffe etwa 2 Rilo Bootsgewicht tommen, so daß ein Möwe- Rettungsboot in der Lage ist, 5 Personen aufzunehmen bei einem Bootsgewicht von 10 Kilogramm Rettungsboote anderer Art haben ein Gewicht von mindestens 18 bis 56 Kilogramm pro Insasse. Es ist außer Frage, daß in sehr furzer Zeit das Berfehrsministerium in Verbindung mit der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrzeuge in Adlershof sich mit diefer so wichtigen Frage eingehend beschäftigen und entsprechende Bestimmungen erlassen werden, einerseits für die Luftfahrzeuge, andererseits über das Material und die Bedingungen, die die zusammenlegbaren Boote zu erfüllen haben.
Gebirgsschnellzugslokomotive.
Type 1-4A- 1 im Bahnhof von Mittenwald ( Bayern ). Stundenleistung 2400 PS Höchstgeschwindigkeit 110 km/ h.
Einzelachsenantrieb.
Linien. Hier tritt ein weiterer wichtiger Vorteil zutage: 3weigleifige Strecken fönnen in ihrer Leistungsfähigkeit durch die Elettrifitation bis aufs Doppelte erhöht werden, so daß ein drei oder viergleifiger Ausbau sich erübrigt.
So angenehm die Beschleunigung der Reisezeit im elektrifizierten Fernverkehr empfunden wird- beispielsweise auf der Strede Berlin - Frankfurt a. M. betrüge die FahrtDerfürzung etwa 3 Stunden die Vorteile im Nahverkehr sind noch wichtiger. Es ist möglich, von jedem Borort aus ohne Aufenthalt Triebwagen mit 100- Kilometerstunde zur Arbeitsstätte( der Stadt) laufen zu lassen. Dadurch entstehen für die Lösung der Wohnungsfrage neue Möglichkeiten. Werden derartige Schnelltriebwagen, wie sie erstmals zwischen Halle und Leipzig laufen, in Dermehrtem Maße eingeführt, dann fann die werftätige Bepölkerung sich in einem Umkreis von 50 Kilometer vom Stadtfern ent fernt ansiedeln.
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Unsere Bäter haben die technischen Wunder der Elektrizität erlebt, sie standen an ihrer Wiege, sie waren dabei, als Dor 26 Jahren die noch nicht überbotene unerhörte Pionierleistung auf der Versuchsbahn Marienfelde 3offen stattfand, wo ein Schnelltriebwagen die Stundengeschwindigkeit von 210 Kiloz metern erreichte( 1903). Ein Reford, der auch heute noch nicht gebrochen ist. Der allgemeinen Einführung solcher Geschwindigfeiten steht nur die Notwendigkeit eines neuen, sehr teuren verstärkten Unterbaues entgegen, weshalb für den Blitzverkehr" das Flugzeug billiger bleibt, solange nicht Millionen von Passagieren auf einer Strecke zu befördern sind. Wir erleben nun den wirtschaftlichen Sieg der Elektrizität auf einem Gebiet nach dem anderen. Zuerst hat sie sich das Licht erobert, nun steht sie im Begriff, ihre Stellung im Berfehrswesen von der Straßenbahn auf die Vollbahn auszudehnen und die Industrie, d. h. der Kraftantrieb von ArbeitsBeltelektrifitation leben wir, ein Borgang, der berufen ist, den und Werkzeugmaschinen, ist längst ihre Domäne. Im Zeichen dieser Menschen mehr und mehr von allen groben Arbeiten zu befreien.
Bücher der Technik.
Din A 4,
,, Junters" Festschrift mit Beiträgen von A. Berjon, A. Gramberg, A. Keßner, D. Mader, A. Nägel und Junkers' Mitarbeitern. Herausgegeben vom Verein Deutscher Ingenieure . VIII/ 100 Seiten mit 69 Abbildungen und 2 Tafeln. In Leinen gebunden 6 M. für BDI.- Mitglieder 5,40 M. BDI.- Berlag G. m. b. H., Berlin NB. 7.
Zum 70. Jahre Professor Junkers', der als Schöpfer des freitragenden aus Aluminium gebildeten Flugzeugflügels in allen Kreisen der Bevölkerung und weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt geworden ist, hat der Verein Deutscher Ingenieure diese schöne Festschrift herausgebracht. Mitarbeiter von Junters schildern im ersten Abschnitt das Werf", wie die Junkers- Werke fich entwickelten. Prof. Nägel- Dresden zeigt den weiten Weg von 3dee bis zum vollendeten, unbedingt sicher arbeitenden ZweitaftGegentolbenmotor.
Prof. Gramberg- Frankfurt a. M. behandelt die umfangreichen wärmetechnischen Arbeiten, die Prof Junkers vollendete. In dem Abschnitt Konstruktion und Werkstoff" erläutert Prof. Rehner. Karlsruhe die von den Junkers- Werken durchgebildeten WertstoffPrüfperfahren. Dr.- Ing. D. Mader Dessau gibt eine fast dramatisch anmutende Darstellung der Entwicklung des Junkers- Flugzeug. baues, Prof. Berson endlich schreibt über Junters in der Luft. fahrt". Die Arbeit ist nicht nur eine Festschrift, eine Ehrung für einen hervorragenden deutschen Technifer, sondern auch eine wert volle Bereicherung unferes technischen Schrifttums.