Beilage Freitag, 10. Mai 1929
Brr Abend ShnJaidfaJße*i**
Ärbeiteriage in Südaustratten Im€ifentia()n(rfeamp/ Von Heinrich Hemmer
An einem Sonntag langten wir im letzten Kamp der projet» tierten Linie nach Westen an. Etwa 50 Zelt« waren wahllos und planlos aufgestellt. Ein Paddock, ein« hölzern« Umfriedung hielt die Pferde der Erdarbeiter zusammen, die Kamele, 16 Stück, liefen frei herum, und trugen Glocken am Hals wie die Alpentühe. Die Arbeiter, meist Australier, einige Deutsche, einige Skandinavier saßen in großen Kreisen h«rum und spielten two and two up. Man wirst drei Geldstücke in die Luft. Erscheint auf zweien«in Kopf, so hat man gewonnen, erscheint aus zweien da» Wappen, so hat man verloren. Oft bleibt der Einsatz stehen und wächst, manch- mal fliegen hunderte in die Lust. Manchmal gibt es auch Falsch- spieler, mit Münzen versehen, die zwei Köpfe ausweisen? bei Ertapp«» werden si« sofort gelyncht. Jeder der will, kocht sein Essen. Ein unternehmender Schifsskoch aber hatte eine Speisezelt eröffnet, b«i ihm gab es Hofenbrei und Speck und Eier zum Frühstück, Sand- wiches zum mitnehmen als Lunch und ein großes Dm«r des Abends, alles für 2Z Schilling die Woche und der Mann verdiente ein kleines Vermögen dabei— wenn nicht ein großes Montag ging es mit Schaufel und Picke an die Arbeit. Der Morgen war so kalt, daß Reis auf dem Eisen log. Eine Stund« später sengte glühend die Sonne herab? der Sand wurde so heiß, daß man ihn barfuß nicht berühren konnte. Um so besser konnte man drin Kuchen backen: aus Mehl, Jucker, Back- pulver und Kondensmilch, unsere geliebten broxnies, die Daum- k u ch e n. wurd«n auf Blech unter die Erde gesteckt und obendrauf kam Kohle vom Lagerfeuer. Vierzehn Tag« war ich an einem Damm beschäftigt, dann mußte ich mit einem scoop, einem schräg gestellten, von einem Pferd gezogenen Blech Erd« ausheben. Diese Erde war bereits mit Riesenpflügen(zwei bis dr«i, gezogen von zehn Pferden) gelockert worden,«ine schwere— und gefährlich« Arbeit. Ein'Arbeiter wurde, als er über«inen Stein fuhr, vom Holm so unglücklich getroffen, daß er tot zusammenbrach. Schlangen krochen aus der Erde, einmal sah ich eine Todesnatter, das einzige g«fährlich« Tier Australiens . Eine etwa meterlange Eidechsenart die Guanos, die zwar ebenfalls giftig sind, war im Lager gern gesehen, denn die Guanos stellen den Schlangen nach. Dabei kommen sie oft mit den Lagerhunden in Konflikt. Eine Guanoeidechse schoß im Lause solch einer Auseinandersetzung mir einmal den Rücken hinaus, fauchte von meinem Kops herab den Hund an und ich weiß nicht, wer am meisten erschrocken war, der Hund, dos Guano oder ich. Einige Arbeiter hatten ihre eigenen Pferde laufen und bezogen dafür Zusrhagszahlung. Ein Deutscher taufte alle Pferde der heimkehrenden Arbeiter auf und wurde ein so reicher »JDZamt wie der Koch. — Natürlich war ich wieder Uivicm-man ge- worden, und gehörte mmm ersten Tage ab der Eisenbahnergewerk- schaft an. Nach weiteren 11 Tagen hieß es, di« Sachen packen: ich kam an die Spitze der Kolonne, zwei Tagereisen weiter in die Wüste. Don Indien importiert« Kamele dienten als Trans- portti«re. Der Zug bewegte sich langsam vorwärts, nichts schien die Ruh« der Kamele zu stören: dabei ist ihnen bekanntermaßen nicht zu trauen, ein Kameltreiber war kurz vor meiner Ankunft von einem brünstigen Bullen überfallen und zu Tode getrampelt worden. Am Ende des ersten Tages schlugen wir unser Lager unweit von einem dürren grauen Wüstengehölz auf, in dem Austral- neger zu Hausen schien«». Hunde kläfften, schwarze Gestalten huschten hin und her und Rauch eines Lagerfeuers stieg auf. Mit Knütteln und Revolvern bewaffnet entschlossen wir uns, dem Neger lager einen Besuch abzustatten. Große Känguruhunde sielen uns beim Eintritt in das Gehölz an, wurden aber von den Schwarzen zurückgerufen. Das Lager bestand aus notdürftigen kleinen Reisighlltten, die eine jede über zwei Ausgänge verfügte/ Die Schwarzen nahmen, nachdem sie uns einigen Tabak abgefordert hatten, von uns keinerlei Notiz. Sie taten, als sähen sie uns nicht, als seien wir Luft für sie. Die meisten waren splitternackt, einige trugen zerfetzte Kl«idungs- stücke. Ein junges Mädchen hatte nichts als eine rote Bluse an. Der Häuptling aber trug einen Cutaway, einen alten steifen Hut und ein Gewehr, das er überall mitnahm, obwohl es offensichtlich seit Jahrzehnten außer Gebrauch war. In einer Hütte entdeckten wir einen Weißen, der auf das Niveau der Schwarzen herabgesunken war: ein alter Mann, der mit andern alten Männern Karten spielte. Auch der Weiße ignoriert« uns vollkommen! nachdem er seinen Tabak hatte,
fingen sich Holzwürmer ein, den Engerlingen nicht un- ähnlich, warfen sie ins Feuer, wo sie aufquollen, kosteten sie in die Hände pustend mit der Zunge und verzehrten sie als eine Delika-
teste. Ein Mädchen hielt eine Schlange mit dem Stock übers F«uer, ließ sie anbraten und verzehrte sie mit Haut und Haaren. Am nächsten Tag trafen wir, mitsamt dem Häuptling, der zum Kamele einleiten engagiert worden war, am Bestimmungsort ein und schlugen unser Loger auf. Die Aufnahm« der Arbeit wurde jedoch durch Ausbruch eines Streiks oerhindert. Unsere Arbeitgeber wünschten, daß wir vom Lager zu uns«rer Arbeits- stell«(Zweimal drei englische Meilen) außerhalb unserer Arbeits- zeit gehen sollten, wir wollten, daß die Hälfte der Zeit bezahll werd«. Da dieserhalb schon Unstimmigkeiten in anderen Lagern gewesen waren, kam es diesmal zum osf«nen Zwist. Der Streik brach aus. Schon zwei Tage später hatte sich der Streik über die ganze Bahnlinie ausgebreitet, 2000 Arbeiter legten die Arbeit nieder. Die in Port Augusta anlangenden, von Adelaide geschickten Streikbrecher(meist neu angekommen« Emigranten) wurden wieder in den Zug gesteckt und nach Adelaide zurückgefahren. Be» rittene Vertrauensmänner hielten den Nachrichtendienst zwischen den einzelnen Lagern aufrecht, so daß wir stets über den Stand der Dinge Bescheid wußten. Nach acht Tagen waren unser« Forderungen bewilligt und die Arbeit wurde wieder aufgenommen. Ich blieb noch einige Monate im Kamp, bis ich einen Scheck von 100 Pfund beisammen hatte, dann zog ich in die Universitätsstadt Adelaide .
Newton Ser Umriß eines Lebens
spielte er weiter, ein Spiel, das niemand von uns verstand, und das«r wohl den Schwarzen gelehrt, mit d«nen er in ihrer Sprache sprach— dieser namenlose Mann, der vielleicht selbst nicht mehr wußte, wer er war, der. wie es häufig in Australien passiert, sein« Identität, sein Gedächtnis verloren hatte. � Den Kinder» hatte ich beim Nahrungsuchen zugesehen: sie
Wenige Monate bevor Isaak Newton zur Welt kam, war es klar, daß die Tag« seines Vaters gezählt seien. Er litt an der Schwindsucht, und ein kürzlich hinzugetretenes Leberleiden, dem die damalige ärztlich« Kunst hilflos gegenüberstand, sorgte dafür, daß der Körper des Mann«s fast mumienhaft oertrocknete, bevor er starb. Frau Newton brachte ihren Isaak zur Welt, als sie vier Tage verwitwet war. Es war ein äußer st schwaches Kind, das am 1. Januar 1612 in einem Dörfchen der Grafschaft Lincolnshire zur Welt kam. Der Arzt machte Frau Newton keine großen Hoff- nungen und sie selbst glaubte auch nicht, daß ihr Sohn den Vater lange überlben werde.„INil dem Tode in der Wiege gezeichnet," sagten die Dorfbewohner, wenn sie von diesem Kinde sprachen. Wider Erwarten hielt es die für seine körperlich« Versastung bedenklichste Zeit, die ersten vier Lebensjahre, durch. Mit neun Jahren kam er auf die L a t e i n s ch u l e. Er war ein schlechter Schüler. Die Grammatik interessierte ihn gar nicht. Geschichtliche Angelegen- heiten waren ihm höchst gleichgültig und im Rechnen wie in der Raumkunde machte er es immer anders, als der Herr Magister es haben wollte. Mit solchen Burschen verfuhr die damalige Präzep- torenzunft sonst sehr unsanft. Ein Bube, der faul war oder sonst schwer erziehbar, dem gerbte man das Fell und sperrte ihn obendrein noch stundenlang in den Karzer. Bei Isaak Newton verbot sich diese Behandlung mit Rücksicht auf seine übermäßig schmächtige Gestalt und leicht angreifbare Gesundheit. Aber einmal trieb er es dem Lateinlehrer zu bunt. Der las mit den Schülern Cornelius Nepos Lebensbeschreibungen und darin seine Lieblingsbiographie über den thebonischen Feldherrn Epaminondas . Hin und wieder fragte er die Jungen, nach welcher Regel dieser oder jener Satz konstruiert sei und was so ein Pauker der allen Schule eben sonst noch für Schmerzen hatte. Epaminondas mit seiner schrägen Schlachtlinie kümmerte den kleinen Isaak sehr wenig. Die grammatischen Spitzfindigkeiten waren ihm sogar zuwider. Als er nun über beides Auskunft geben sollte, streikte er einfach mit dem Nachdenken und mit der Antwort „Woran denkst du bloß? Du bist gar nicht beim Pensum." Newton schwieg. „Woran denkst du, in Dpeiteufelsnamen?" Fast träumend stotterte der Knabe: „AnGiordanoBruno. Er wurde heute, am 17.' Februar, vor S5 Jahren in Rom verbrannt." „Was weißt du Bengel von Giordano Bnino?" „Ich weiß, daß er recht hatte. Jawohl, es gibt unendlich viele Welten, wie er sagte, und die römisch« Kongregation hat einen Weisen verbrannt!" Den Magister interessierten nun wieder die geistigen Deklem- mungen des zwölfjährigen Isaak über den Weltbau und Weltumsang sehr wenig. Jedenfalls fand er es unerhört, daß jemand in der Nepos-Stund« Dinge für wichtiger hielt als die schräge Schlachtlinie und die in dem Buch enthallenen Satzkonftruktionen mit dem Ablatious absolutus und Akkusativ cum Infinitiv. Er hol'e sich den Reb«llen heraus und gerbte ihm die Kehrseite der Lciblichkeit an der traditionellen Abstrafungsstelle mit der Wut seiner geknickten Auwrität durch. Für Newton war das zu viel. Er erkrankte. Der Arzt nahm sich den Magister vor und eröffnete ihm: „Der Gezüchtigte ist van einem Vater in vorgeschrillenen Stadien der Schwindsucht gezeugt worden. Wie viel der Sohn abbekommen habe, wisse man noch nicht. Jedenfalls rechne er n i ch t mit einer Lebensdauer über 26 Jahre. Ein« Ab- strafung, wie sie Isaak erhallen habe, sei bei dessen Konstitution eine Gefährdung seines Lebens." Run, der spätere Entdecker des Gravitationsgesetzes starb an dieser Tracht Prügel nicht, ober jede Ausregung, jede härtere Mit- nähme seines Körpers brachten ihn tatsächlich in das Krisenstadium. Der Magister überließ ihn nun seinen Studien und Träumen in der Mechanik und Technik und Newton nutzte das nach Kräften aus. In kurzer Zeit/
erfand er als dreizehnjähriger Knabe eine Windmühle, eine Wasseruhr und einen wagen, der von feinen Znsassen durch Ein- Wirkung eine» Hebel» auf die Achse angetrieben werden konnte. Den Mitschülern machte es heidnisch vielen Spaß, mit diesem Fahrzeug im Dorf und außerhalb herumzukulschieren. Einmal suhren die Jungen zu ihrem Schulmeister und fanden ihn bei der Lektüre Homers . Er war guter Laune und so getraute sich Newton, ihn zur Mitfahrt auf seinem„selbstbeweglichen" Wagen einzuladen. Die Buben arbeiteten, was Zeug und Leder hielten. Sie vergaßen aber über die Geschwindigkeit die Vorsicht, steuerten falsch und der Wagen lag mit allen Insassen im Schmutz der Landstraße. Newton erschrak und siel hart aus. Er wurde krank. Der Arzt fürchtete, daß seine so leicht erschütterte Gesundheit auf eine ererbte Schwind- sucht zurückzuführen sei, und daß diese nun ausbrechen werde. Newtons Krankheit war aber immer mehr ner» o ö s e r A r t. Er bekam leicht einen Nervenschock und davon erholt« er sich allemal sehr schwer. Als er mik 18 Jahren die llnlversitäk Cambridge bezog, war er bereils eine bedeutende und berühmte Persönlichkeit. Newton hatte noch nicht das 26. Lebensjahr vollendet, als er, zum Professor der Universität Cambridge ernannt, auf Ferien nach dem Heimatdörschen in Lincolnschire fuhr. Da über- raschte nun eines Morgens feine Muller und ihr Hausarzt den Gelehrten in einer weltgeschichtlich großen Situation, Er lag auf einem Rasen und beobachtete den Fall reif- gewordener Garte näpfel. Und legte sich die anscheinend müßige Frage vor, wie es"komme, daß hier Gegenständ« unter Be- schleunigungszuwachs niederfielen. Das Genie Newton» brauchte zwanzig Jahre, um dieses Problem zu lösen. Seine Antwort war die Ennittlung des allbekannten Gravitationsgesetzes: „Jedes Atom des Stosfes im Weltall wird durch andere Atome des Stoffes mit einer Kraft angezogen, die im umgekehrten Verhältnis zu dem Quadrat ihrer Entfernung steht." Inzwischen war seine Mutter und der treue Hausarzt gestorben. Newton jedoch war sozusagen immer jünger geworden. Alle „kritischen" Jahre hatte er gut überstanden. Die Schwindsucht war nicht aufgetreten, seine Nervosität kam nur noch in Ausnahmefällen zur Erscheinung. Da tat ihm sein Hund dos„größte Unglück seines Lebens" an. Der Professor arbeitete an seiner Abhandlung über die„Natur des Lichtes" und entwickelte die bekannte„Emissionstheorie". Als er das Werk beinahe vollendet hatte, beging er die Unvorsichtig- keit, sich eines Abends bei brennendem Licht zu entfernen. Der Hund sprang auf den. Tisch, warf die Kerze um und dos Tisch- tuch fing Feuer. Das Manuskript verbrannte. Newton war in den ersten Tagen so fassungslos, daß er an seiner Fähigkeit, das Werk abermals anzufertigen, verzweifelte. Allmählich fand sich sein Geist in die entscheidenden Etappen des Jdeenzuges wieder hinein und bald hatte er sich auch an die Resultate herangearbeitet. Mit 65 Jahren war Newton so lebenssrisch. daß er sich erstmalig aus dem Gebiet der Politik aktiv heimisch machte. Er wurde Parlamentsmitglied, Münzmeister, Ritter, Präsident der „Ägl. Gesellschaft". Und lebte, ein einsamer Wanderer auf den hoch- sten Spitzen des menschlichen Geistes, alle seine Gaben aus. In der Mitte des März 1727 begann er zu kränkeln. Am 31. des gleichen Monats gestand er seinem Freund Billingstone, daß seine Lebenskraft auiaebraucht sei: „Nun bin ich Jahr alt geworden. Wenn die Besorgnis meiner Mutter und ihres Arztes zutreffend gewesen wäre, so hätte ich nicht soviele Tage lebe» können." B i l l i n g st o n e begann zu reden, wie inhaltsreich, wie well- umgestaltend dieses Leben gewesen sei. Newton wehrte ab. Mit verdämmerndem Bewußtsein sprach er sein« letzten Worte: „Ich weiß nichk, wie ich der well vorkomme: mir selbst aber komme ich vor wie ein Junge, der am Meeresufer spielt und der sich„nlerhälk, hin und wieder einen besser abgerundeten Kieselstein oder eine hübsche Muschelschale zu finden, während der groß« Ozean der wahrheil unerforscht vor ihm liegt." Or. Willy Gierlic!"