Morgenausgabe
Nr. 216
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46. Jahrgang
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Sonnabend
11. Mai 1929
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Paris , 10. Mai. ( Eigenbericht.)
Die Verhandlungslage in der Sachverständigen fonferenz hat am Freitag feine wesentliche Aenderung erfahren. Der Streit im Lager der Alliier ten um die Verteilung der von Owen Young vorge, schlagenen deutschen Zahlungen dauert fort, ohne daß einstweilen ein Ende abzusehen wäre.
Wenn man sich in den Konferenzfreisen vielleicht wirklich einen Augenblid lang der Hoffnung hingegeben hatte, nun auch Amerika zu Zugeständnissen bewegen zu fönnen, um die letzten Differenzen auszugleichen, so laffen die Erklärungen der Washingtoner Regierung feinen Zweifel darüber, daß
eine Konzession Ameritas ohne besonderes Gesetz nicht möglich und ein derartiges Gesez mehr als unwahrscheinlich ist. Es besteht daher wiederum, namentlich angesichts der Tendenzen im französischen und belgischen Lager, erhöhte Gefahr, daß die Alliierten versuchen könnten, ihren Streit auf Kosten Deutsch= I a, nds auszutragen. In der französischen Oeffentlichkeit spricht man ohne Scheu davon, daß Deutschland , das nun schon 10 neue Milliarden auf sich genomemn hat, auch noch die letzten 3 Milliarden
bis zur vollen Erfüllung aller allierten Forderungen auf sich
nehmen müsse.
In der Zwischenzeit dauern die Bemühungen um die Fertig, stellung des Schlußgutachtens an. Dies war in der von Stamp ausgearbeiteten Fassung zunächst als ein Bericht der Konferenzmehrheit gedacht. Es soll, nachdem der amerikanische Kompromißoorschlag die Hoffnung auf ein positives Ergebnis der Verhandlungen, ungeachtet aller noch bestehenden Schwierigkeiten, be gründet erscheinen läßt, so um gearbeitet werden, daß im Falle einer endgültigen Einigung mit der Zustimmung sämtlicher Delegationen gerechnet werden könnte. Der Vorsitzende Owen Young hat deshalb an alle Delegationen das Ersuchen gerichtet, ihre Sonder wünsche für diesen Bericht schriftlich befanntzugeben, damit sie darin verarbeitet werden könnten. Die gleiche Prozedur dürfte auch für die deutschen Borbehalte eingeschlagen werden. Aus diesem Grunde hat Owen Young auch mit der Weiterleitung der ihm
am Montag von Dr. Schacht in schriftlicher Fassung übergebenen deutschen Bedingungen an die Alliierten gezögert. Allerdings liegt für die Zurückhaltung noch ein weiterer Grund vor: Solange sich die Alliierten nicht über die Zahlung des Young- Blanes einig geworden find, hat es teinen 3wed, die deutschen Borbehalte vorzeitig in die Debatte zu werfen. Es tönne sonst leicht geschehen, daß gerade die Franzosen und Belgier, die bisher die
Youngfchen Zahlenvorschläge noch nicht einmal im Prinzip angenommen
Bankkonto: Bant der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depositenkasse Lindenstr. 3
Die falsche Rechnung.
Grundfragen des Arbeitsmarktes und Arbeitslosenschutzes.
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Es gibt Methoden der Sparsamkeit, die in ihrem Gesamtergebnis das Gegenteil bedeuten. Was man an einer Stelle gefpart hat, muß an anderer Stelle zehn- und hundertfach ausgegeben werden. Auch die Reichsanstalt für Arund Arbeitslosenver beitsvermittlung ficherung ist von solcher falschen Sparsamkeit nicht freizusprechen. Ihre furzsichtige Personalpolitik ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Fragt man nach den Verfechtern dieser höchst unwirtschaftlichen Grundsätze, dann entpuppen sie sich als jene Schreier, die mit voller Lungenkraft eine Reform der Arbeitslosenversicherung fordern. Die Mitschuldigen an den Mißständen, soweit solche überhaupt vorhanden sind, suchen fie verallgemeinern diese mitverschuldeten Zustände, um andere für die eigenen Sünden büßen zu lassen.
haben, die deutschen Borbehalte zum Vorwand nehmen, um damit ihre eigene Berantwortung nicht nur auf andere abzuwälzen, ihre Weigerung zu rechtfertigen.
Macdonalds Standpunkt.
London , 10. Mai. Der Führer der Arbeiterpartei Mocdonald erwähnte in einer Rede in Doncaster auch die letzten Borfälle bei den Sach verständigenberatungen in Paris und erklärte u. a.: Wir werden unseren Schultern
feine weiteren Casten mehr aufbürden
lassen, es sei denn, wir erhalten entsprechende Garantien dafür, daß diejenigen Nationen, die behauptet haben, sie tönnten sich mit geringeren Reparationsbeiträgen von den früheren Feinden nicht einverstanden erklären, den Beweis für ihre Armut liefern,
indem fie weniger für Rüffungen ausgeben.
Das englische Bolt gedenkt nicht, die läffige Politit überDas englische Bolt gedenkt nicht, die lässige Politit über triebener Großzügigkeit fortzusetzen, die bis jetzt seine Handlungsweise charakterisiert hat. Auch wäre es bereit, in Ver handlungen über eine vollständige und endgültige Bereini gung der Kriegsschuldenfrage für sämtliche Beteiligten einzutreten, aber die Arbeiterpartei wird niemals weiteren Schuldenregulierungen zustimmen, die darauf hinauslaufen, daß den Schultern der arbeitenden Klassen geradezu unerträgliche Lasten aufgebürdet werden, während andere unbehelligt bleiben.
Zum Rotfrontverbot.
Konferenz der Innenminister des Reichs und der Länder.
Am 10. Mai fand im Reichsministerium des Innern unter dem Vorsiz des Reichsinnenministers eine allgemeine Aussprache der Innenminister der deutschen Länder über die politische Lage, namentlich über das Rotfrontverbot statt. Es wurde Einmütigteit über die zu ergreifenden Maßnahmen erzielt.
Die Gründe der Auflösung.
Der preußische Minister des Innern hat soeben der Bundesführung des Roten Frontkämpferbundes die Tatsache der Auflösung sowie die Gründe mitgeteilt, die zu der Auflösung geführt haben. Der Amtliche Preußische Pressedienst gibt nachstehend aus der Begründung einen Auszug, der sich insbesondere mit einer Darstellung der gesetzlichen Voraussetzungen, die zum Berbot geführt haben, befaßt.
Um führend, nach außen jedoch möglichst unmerklich, in den Berlauf der Ereignisse eingreifen und diese der politischen Einstellung des Bundes entsprechend vorwärtstreiben zu fönnen, hatte der RFB. bereits vor dem 1. Mai 1929 an seine Mitglieder den Befehl ausgegeben, sich bei den trotz des bestehenden Verbotes abzuhaltenden Umzügen ohne Bundeskleidung zu beteiligen. Dieser Befehl ist befolgt worden. Denn tatsächlich ist bei den Unruhen am 1. Mai und den folgenden Tagen in Berlin zwar fein uniformierter Roter Front fämpfer beobachtet worden, dagegen sind
unter den Demonstranten und Aufrührern eine große Anzahl von Mitgliedern des RFB . und der RJ. in bürgerlicher Kleidung feftgestellt und verhaftet worden.
Hieraus ergibt sich, daß der RFB. bewußt und planmäßig das von der zuständigen Behörde, dem Polizeipräsidenten in Berlin , erlaffene Demonstrationsverbot mit allen Mitteln zu durchbrechen versucht hat. Damit ist der Beweis erbracht, daß es zu den Zwecken oder Beschäf tigungen des Bundes gehört, Maßregeln der Verwaltung durch ungefegliche Mittel zu verhindern oder zu entträften(§ 129 RStGB.).
Seit Jahren wird der RFB. von fommunistischen Abgeordneten und Bundesführern als Elitetruppe für die kommende Revolution bezeichnet und angesehen. Nach der Broschüre Roter Frontfämpfer, tu einen Schritt weiter zur APD.!", herausgegeben von Hugo Eberlein , M. d. L., leiftet der RFB. eine wichtige, unentbehrliche Vorarbeit für den Machtkampf der Arbeiterklasse", indem er in das
| Bewußtsein der Massen den Gedanken einhämmert, daß der Sieg der Arbeiterklasse keine Frage des frie dlichen Hineinwachsens in den Sozialismus sei, vielmehr letzten Ende nur die bewaffnete Ma ch t" der Arbeiterklasse, die Entscheidung" bringen fönne. Daher ist der RFB. in straffer Disziplin für den Kampf zum Sturz der Regierung und Aufrichtung der Dit tatur des Proletariats geschult worden.
Danach ist der RFB. eine staatsfeindliche Verbindung, die die Bestrebung verfolgt, die verfaffungsmäßig festgestellte Staatsform des Reiches zu untergraben, ja, darüber hinaus, mit Gewalt zu stürzen.
Wie sich gelegentlich der Berliner Mai- Unruhen weiterhin ergeben hat, haben sich die an den Ereignissen beteiligten Roten Frontfämpfer auch im unbefugten Besit von Waffen befunden. Der RFB. ist somit auch als eine staatsfeindliche Verbindung anzusehen, deren Mitglieder unbefugt Waffen befizen.
Der RFB. ist nach militärischem Muster theoretisch und praktisch ausgebildet worden. Nach Auffassung der Führung des Bundes ist das Ziel des Um sturzes der bestehenden Verfassung und die Aufrichtung der proletarischen Dittatur nur von einer militärisch ausgebildeten und disziplinierten Kampftruppe zu erreichen. Deshalb hat jede Abteilung des RFB. neben dem politischen Führer einen sogenannten technischen Führer, dessen Aufgabe es ist, die Mitglieder des Bundes nach dem von der Bundesführung herausgegebenen Kommandoreglement auszubilden. Es ist danach festzustellen, daß der RFB. sich mit militärischen Dingen befaßt, daß also sein Verhalten im Widerspruch zu den Bestimmungen der Artikel 177-178 des Friedensvertrages stellt(§ 1 des Gesetzes zur Durchführung der Artikel 177-178 des Friedensvertrages vom 22. März 1921).
Die Häufigkeit und Planmäßigkeit der Angriffe und Ueberfälle auf politisch Andersgesinnte und Polizeibeamte rechtfertigen den Schluß, daß es sich hierbei um ein gewolltes, von der Führung zum mindesten gebilligtes Berhalten handelt. Es ist daher festzustellen, daß der RFB. fich auch damit beschäftigt, ja den 3wed verfolgt, Körperverlegungen, Landfriedensbruch und ähnliche Straftaten zu verüben. Es liegen also auch die Voraussetzungen des § 2 2bf. 1 des Reichsvereinsgefeß es vom 19. April 1908 vor.
Es mag als ein erfreuliches Symptom der Besserung verbucht werden, daß jetzt die Reichsanstalt in einem ausführ lichen Schreiben an die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter zu Maßnahmen gegen ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung Stellung nimmt. Jede gründliche Diskussion über die sogenannten Mißstände hat immer wieder gezeigt, daß wirksame Abhilfe durch Ausbauzwedent= sprechender Berwaltungsmaßnahmen geschaf= fen werden kann. Das aber ist in erster Linie eine Personalfrage. Alle angebliche Ersparnis an dieser Stelle für den notwendigen Aufwand der Reichsanstalt erweist sich in der praktischen Auswirkung als große Verschwendung. Man muß die ganze Fülle der Aufgaben, die der Reichsanstalt obliegen, kennen, um die überragende Bedeutung richtiger Personalpolitik voll würdigen zu können. Die öffentlichen Angriffe gegen die Reichsanstalt, die ihr zu hohe Verwaltungskosten vorwerfen, sind von keinerlei Sachkenntnis getrübt.
Man darf bei der Reichsanstalt die Beitragseinnahme nicht in Beziehung setzen zum gesamten Verwaltungsaufwand, das muß ein ganz falsches Bild geben. Die Reichsanstalt hat nicht nur Versicherte, also Beitragszahler und Unterstützungsempfänger aus der Versicherung zu betreuen, sondern alle Arbeitsuchenden und auch die Empfänger von Krisenunterstügung. Würde man aber selbst den Aufwand für die Krisenfürsorge den Beitragseinnahmen hinzuzählen, bliebe die Inbeziehungseßung zum gesamten Berwaltungsaufwand immer noch unzulässig. Nach den amtlichen Ausweisen beträgt die Zahl der Arbeitsuchenden, die weder Arbeitslosen noch Krisenunterstützung erhalten, über eine halbe Million. Obwohl sie aber feine Unterstügungsempfänger sind, nehmen sie in hohem Maße die Arbeitsvermitt lung in Anspruch, verursachen also erheblichen Vermaltungsaufwand. Es ist überhaupt grundsäglich falsch, die Ausgaben für Arbeitsvermittlung als Verwaltungskosten in dem üblichen Sinne anzusehen, ganz abgesehen davon, daß die Arbeitsvermittlung sich auch auf die nichtversicherten Personenkreise zu erstrecken hat. Das eindringliche Beispiei dafür ist die Landwirtschaft. Ein Riesenheer ist von der Beitragsleistung befreit, so daß die erheblichen Kosten für die landwirtschaftliche Arbeitsvermittlung von den Beitragszahlern an= derer Wirtschaftszweige mit aufzubringen sind.
Das gleiche gilt für die Berufsberatung. Hunderf tausende von Schulkindern nehmen alljährlich die öffentliche Berufsberatung in Anspruch. Es entstehen aber auch hier erhebliche Ausgaben für Nichtbeitragszahler. All diese finanziellen Aufwendungen sind ihrer sozialen Wirkung nach pro= duktive Ausgaben im volkswirtschaftlichen Sinne. Zu ähnlichen Ergebnissen fommt man, wenn man den Verwal tungsaufwand für die Arbeitsmarktstatistik und für die produttive Arbeitslosenfürsorge untersucht.
Ergibt sich so, daß insbesondere eine gute Organisation der Arbeitsvermittlung fein eigentlicher Verwaltungsauf mand ist, daß sie vielmehr die entscheidende Voraussetzung für eine wirksame Durchführung des Arbeitslosenschuzes ist, so folgt weiter daraus, daß wirkliche Mißstände nur auf diesem Wege bekämpft werden können. Während bisher durch eine furzsichtige Personalpoliti? in Zeiten frisenhafter Zuspizung des Arbeitsmarktes die Arbeitsvermittlung häufig in höchst bedauerlichem Umfange vernachlässigt werden mußte, weil alle Kräfte in der Versicherung gebraucht wurden, wird man nach den neueren Anweisungen des Präsidenten der Reichsanstalt, die im Einvernehmen mit dem Vorstand erfolgten, die Hauptkraft auf den Ausbau der Arbeitsvermittlung zu richten haben. Wenn es den Unternehmern wirklich um die Beseitigung von Mißständen zu tun wäre, fönnten sie diese Bemühungen der Reichsanstalt wirksam unterstüßen durch die Meldung aller offenen Stellen. Das Angebot von angemessener Arbeit ist die einzige Möglichkeit, den Arbeitswillen ernsthaft prüfen zu können. Die Unternehmer lehnen diese Meldepflicht ab und beweisen damit, daß es ihnen gar nicht um die Prüfung des Arbeitswillens zu tun ist. Will man wirklich alle Möglichkeiten zur Beseitigung von Mißständen ausnuten, dann ist der Zeitpunkt ge= tommen, auf Grund des§ 65 des Gesezes über Arbeitsver