Morgenausgabe
Nr. 218
A 110
46.Jahrgang
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Sonntag
12. Mai 1929
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Vorwärts Verlag G. m. b..
Umfämpfter Schlußbericht.
Die Sachverständigenkonferenz hat in Besprechungen Dr. Schachts und Sir Josiah Stamps eine ruhige Phase tonzen trierter Arbeit erreicht, von deren Ergebnis das Ende dreimonatigen Ringens abhängt.
Es handelt sich dabei um die Vorbereitungen des Schlußberichts. Dafür liegt ein von den Alliierten unter Leitung Stamps ausgearbeiteter Entwurf vor. Er soll nach Möglich keit mit den von den Deutschen geltend gemachten Punkten in Einflang gebracht werden und darüber hinaus die verschiedenen Vorbehalte und Bedingungen enthalten, von denen Deutschland die Annahme des Youngschen Kompromißvorschlags abhängig gemacht hat. Leicht wird es nicht sein, diesem Bericht die Unterschriften sämtlicher Delegationen zu sichern. Die Schwierigkeit liegt nicht allein bei den Borbehalten, obwohl auch darüber noch lebhafte Diskussionen zu erwarten sind, sondern nicht minder bei den zahlreichen Forderungen der Gläubiger, die, wie z. B. die Aufrechterhaltung der Kon trolle über die Eisenbahnen sowie gewisse einzelne Pfän
der, für die deutsche Delegation ta m annehmbar sein dürften. Das Ergebnis dieser Arbeit soll am Dienstag der Bollfigung Bis dahin werden sich die Sachverständigen vorgelegt werden. offiziell nicht mit weiteren Gegenständen befassen, wenn auch natür
lich hinter den Kulissen die Verhandlungen über den Berteilungs schlüssel fortgehen. Für den Fall, daß eine Einigung fich als unschlüssel fortgehen. Für den Fall, daß eine Einigung sich als unmöglich erweisen sollte, scheint neuerdings der Gedanke, den Regie rungen die Entscheidung zu überlassen, wieder an Boden zu ge
winnen.
Auftralischer Einspruch.
D
Melbourne über Condon, 11. Mai. ( Eigenbericht.) Der australische Bundesministerpräsident Bruce hat an den britischen Ministerpräsidenten Baldwin gekabelt, daß er sich gegen den Reparations 3ahlungsplan verwahre. verleiht feiner Freude über Churchills Unterhauserklärungen Ausdrud und protestiert gegen jeglichen Berjuch, den Dominien einen Anspruch auf zukünftige Forderungen gegen Deutschland zu entziehen.
Schacht und Bögler im Ruhrgebiet .
Effen, 11. Mai.( Eigenbericht.) Reichsbankpräsident Dr. Schacht und Generaldirektor Dr. Bögler sind zu eintägigem Besuch in Essen eingetroffen. Mit den führenden Persönlichkeiten des Industriegebiets wurde die Frage der kreditpolitischen Maßnahmen der Reichsbank und ihre Wir fungen auf das rheinisch- westfälische Industriegebiet erörtert.
WIB. meldet:
Zu den schon gemeldeten 33 Fällen von Liquidation deutschen Grundbesitzes in Polen find inzwischen 10 neue Fälle gekommen, so daß seit dem 29. April dieses Jahres nach den Beröffentlichungen im„ Monitor Politi" bis heute 43 Liquidationsverfahren durchgeführt find. In allen diesen Fällen handelt es sich um Befih von wenigen Hetfat. Die Eigentümer sind besonders hart ge. troffen dadurch, daß der Liquidationserlös gering ift und ein angemeffenes Entgelt nicht darstellt für ihre jahrelange Arbeit. In einer Reihe von Fällen ist das Liquidationsverfahren nach deutscher Ansicht unzulässig, weil diese Besitzer am 10. Januar 1920 die polnische Staatsangehörigteit beseffen oder fie auch noch heute haben, so daß ihr Besitz nicht der Liquidation unterlag. Hieraus ergibt sich, daß diese Liquidationen als politisches Mittel zum Kampf gegen die deutsche Minderheit benutzt werden.
Der fehr eigenartige polnische Regierungsfurs der letzten zwei Jahre hat bei all seinen Exzessen wenigstens die Lage
Baldwins Wahlmanifest.
Für Schutzzoll.
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Konservative Wahlpropaganda auf Staatstoften.
London , 11. Mai. ( Eigenbericht.) Der tonservative Ministerpräsident Baldwin hat am Sonnabend sein Wahlmanifest veröffentlicht.
Baldwin wiederholt in diesem Manifest sein altes Schlagwort, daß er nicht gewillt sei ,,, theatralische Versprechungen".zu machen und bekennt sich wiederum zur„ Politit des Empire" als eines einheitlichen Wirtschaftstörpers. Es sei geplant, die Politit des sogenannten Industrieschußes fortzu führen. Mit Ausnahme der Lebensmittel dürfe keine Industrie davon ausgeschlossen werden, ein unparteiisches Tribunal um Schuß zoll anzugehen. Die von ihm betriebene Politik des Industrieschutzes habe den Handel gefördert. Die großen Ersparungen, welche die Regierung in den Ausgaben für die bewaffnete Macht durchgeführt hätte, lägen offen zutage, und es sei zu hoffen, daß internationale Abkommen und weitere Einsparungen innerhalb der Departements der bewaffneten Macht eine Fortsetzung der Verminderung der Rüftungsausgaben ermöglichen würden, ohne daß dabei jedoch die nationale Sicherheit Großbritanniens in Frage gestellt werde. Die Alternative für eine fonservative Regierung lautete eine sozialistische Regierung mit oder ohne liberaler Unterstützung, bzw. ein 3 u stand des politischen Chaos, in dem feine Partei die Mehrheit habe Jede dieser beiden Möglich feiten wäre für das Wirtschaftsleben und das Wohlergehen der Ration feiner Meinung nach fatastrophal.
Mit dem Baldwinschen Wahlmanifest ist der Deffentlichkeit ein amtliches Weißbuch zur Arbeitslosenfrage über geben worden, in dem sich fünf tonservative Minister gegen den Plan Lloyd Georges zur Ueberwindung der Erwerbslosigkeit in Großbritannien menden. Diese Beröffentlichung hat bei den Oppo
der Deutschen in Polen nicht wesentlich verschlechtert; es hat sogar an Versicherungen gerechter Minderheitenpolitik durch ganz hohe Staatsfunktionäre nicht gefehlt. Diese neue Enteignungsserie scheint auch auf diesem Gebiet eine starke Berschlechterung anzufündigen. Auf diese Weise durchkreuzt die Warschauer Regierung alle Verständigungsbestrebungen ehrlicher Friedensfreunde auf beiden Seiten der Grenze.
Raffowik, 11. Mai.
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Die Sachsenwahl.
Mehr Macht der Sozialdemokratie!
Heute wird in Sachsen der neue Landtag gewählt. Selten ist in einem Wahlkampf so wenig von positiver Landespolitik gesprochen worden, und soviel von Personen, selten hat das Refsentiment eine so große Rolle gespielt. Das Jahr 1923 mit seinen unglückseligen Ereignissen in Sachsen ist in der Erinnerung wieder aufgestanden. Abrechnung für 1923, für die Nachwirkungen dieses Jahres in der sächsischen Politik, das war im Wahlkampf vorherrschender als die nüchterne Frage: was soll werden? Zwischen 1923 und dieser Landtagswahl hat eine andere Landtagswahl gelegen, die von 1926 aber fie hat nicht zurückgeführt zur pofitiven Politik. Die Splittergruppe der vier altsozialistischen Abgeordneten, die nach dieser Wahl in den Landtag einzog, hat die psychologischen Spannungen verschärft, die der Bildung einer festen Regierungsmehrheit zur Durchführung und geordneten Kontrolle der Verwaltung entgegenstanden, sie hat zugleich die Tendenzen zum Bürgerblod gegen die Sozialdemokratie versteift. Die Folge war, daß unter Zuhilfenahme der ausgesprochenen Intereffentengruppen, der Wirtschaftspartei und der Aufwertungsgruppe, eine Regierung zusammengesetzt wurde, deren einzige positive Betätigung darin bestand, daß sie da war. Im Geiste dieser Regierung haben die bürgerlichen Barteien rechts von den Demofraten einschließlich der Altsozialisten den Wahlkampf geführt unter der Parole: nie wieder Sowjetfachsen! Es hat fein Sowjetsachsen gegeben, aber die braven Spießbürger, die mit dem Somjetgespenst geschreckt werden sollen, verstehen schon, was damit gemeint ist: die Sehnsucht nach dauernder politischer IsoTierung der Sozialdemokratie, die Aufrechterhal tung der Fiktion, daß auf der einen Seite der Staat und die Staatsbürger stehen. auf der anderen die Sozialdemokratie.
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Das sächsische Bürgertum ist zum großen Teil nicht nur jehr realtionär, sondern auch im Sumpf des Interessentenflüngels stedengeblieben. Die politischen Berhältnisse nach der Wahl von 1926 entsprechen seiner Geistesart. Im Froschteich der Klüngelwirtschaft plätscherten die Interessentenpolitifer, und eine selbstherrliche Bureaukratie, die sich über ihre Regierung luftig machte, sorgte dafür, daß die einzige große geschlossene politische Kraft im Lande außerhalb des Einflusses Verknüpfung der Umstände außerhalb der Regierung hielt. Nie wieder Sowjetsachsen das heißt, der politische und verwaltungsmäßige Einfluß der Sozialdemokratie muß auf dem Stande der Borkriegszeit gehalten werden.
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Die Sozialdemokratie fämpft bei dieser Wahl selbstverständlich um die ganze Macht. Jeder Wahlkampf ist Machtfampf. Um so ausgesprochener die bürgerlich- antifozialdemofratische Front aufgerichtet wird, um so stärker tritt diese Seite des Wahlkampfes hervor. Nach der Wahl beginnt die
Die außerordentlich start besuchte Generalversammlung des Deutschen Volksbundes. wählte zum 1. Vorsitzenden einstimmig den Prinzen Heinrich von Bleß. Zum 2. Vorsitzenden den Sejm abgeordneten Franz und zum stellvertretenden Geschäftsführer den Senator und Chefredakteur Dr. Pant. Die Versammlung nahm entschieden gegen die Oppelner Borgänge Stellung und gab der Hoffnung Ausdrud, daß die nationalen Gegenfäße in ab- Prüfung der Lage. Hat das Ergebnis der Wahl nicht einen Jehbarer Zeit überbrüdt werden.
fitionsparteien schärfften Widerspruch gefunden, da man hierin eine tonservative Parteipropaganda unter dem Deckmantel einer amtlichen Publitation auf Rosten der Gesamtheit der Steuerzahler erblickt.
Stichwahltag in Frankreich . Entscheidung über die Gemeinden.
politischen Bergrutsch, die Eroberung der Parlamentsmehrheit und damit der Regierung für die Sozialdemokratie her beigeführt, so entsteht die Frage nach dem Anteil der Macht.
Sachsen ist ein ausgesprochenes Arbeiterland. Parlamentarische Machtverteilung wie in Braunschweig , wo der Sozialdemokratie die Hälfte der Landtagsmandate gehört, müßte in Sachsen durchaus möglich sein. Wenn nicht die Kommunistische Partei eriftierte! Selbst wenn die Wahl mit einer Niederlage der bürgerlichen Front endet, die die Arbeiterschaft fern von Regierung und Verwaltung halten will, so gestattet die Existenz der Kommunistischen Partei dennoch nicht, den Sieg über diese Tendenz auszuwerten.
Die offizielle Kommunistische Partei hat von vornherein erklärt, daß sie einer sozialdemokratischen Regierung feinerlei Unterstüßung geben werde, daß sie jede parlamentarische Regierung bekämpfen werde, die doch nur im Rahmen der Verfassung alle gegebenen Möglichkeiten ausnuten soll, um die radikalisierte Arbeiterschaft im Interesse des Finanzkapitals zu betrügen." Die fommunistische Rechtsopposition will zwar eine fozialdemokratische Minderheitsregierung unterstüßen, aber nicht, um sie arbeiten zu lassen, sondern nur, um im trüben zu fischen. Mit den Kommunisten ist keine Politik zu machen. Ihr Ziel ist ebensogut wie das Ziel der bürgerlichen Front die Fernhaltung der Sozialdemokratie von Regierung und Verwaltung.
Der Sonntag wird die Entscheidung über die zukünftige Mehr heit in den Stadtparlamenten bringen. Die Vorbereitungen zu den Stichwahlen sind nicht einheitlich. Während in der Mehrzahl der Gemeinden, so in Lille , Chartres und Grenoble , Sozialisten und Radikale sich zu gemeinsamem Vorgehen entschlossen haben, stehen sie sich in anderen, z. B. Perpignan, St. Etienne und vor allem Lyon in heftigem Kampf gegenüber. Besonders überrascht hat die Kündigung des Kartells durch die Sozialisten in Lyon als einer offenen Rampfansage gegen Herriot . Die Lyoner Sozialisten fühlen sich diesmal start genug, den Wahlkampf allein zu führen. Die Radikalen geben ihrer Unzufriedenheit ziemlich gezu führen. Die Radikalen geben ihrer Unzufriedenheit ziemlich ge räuschvoll Ausdruc. In Lille ist es in letter Stunde noch zu einem Standal gekommen: der hier von den Radikalen unterstüßte sozialistische Bürgermeister wird von einem städtischen Beamien, der von der Liste abgesetzt wurde, beschuldigt, er habe ihn durch das Angebot eines wichtigen Amtes" zum Schweigen bringen wollen. Der Antläger, gleichfalls ein Sozialist, hat seine Die übermächtige Stellung der sächsischen Bureaukratie Gegenfandidatur aufgestellt. In anderen Städten gibt es sonder im Ministerial und Verwaltungsapparat ift während des bare Kombinationen. In Nancy ist unter Leitung des früheren Wahlkampfes oft hervorgehoben worden. Es gibt MinisterialPensionsministers Marin eine Liste zustandegekommen, die sich direktoren, die in Wahrheit ungefrönte Könige von Sachsen gegen einen auch von den Sozialisten bekämpften Kandidaten der sind. Der Ministerialdirektor Schulze im sächsischen InnenMittelparteien wendet. In Troyes hat sich ein Bürgerblod ministerium. ein vlelgenannter Mann, ist mächtiger als der unter Leitung der Rechten gebildet, da hier die Gefahr einer tom Ministerpräsident. Seine Macht erstreckt sich weit über den munistischen Mehrheit besteht. Die Radikalen haben sich ihm ange Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung hinaus in die schlossen, die Sozialisten haben ihren Kanditdaten zurüdgezogen.| Kommunalverwaltung. Er handhabt das Aufsichtsrecht und
Das sind die allgemeinen Boraussetzungen für die Prüfung der Frage nach dem Machtanteil, die sich schon vor der Wahl überblicken laffen.