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1. Beilage zumVorwärts" Berlintt VoMlatt. Ur. 33. Dienstag, den 38. Januar 1896. 13. Jahrg. Arbeikev-SAnikätskommiWon. Städtische Gesundheitsaufseher und ein städtisches Gesundheitsamt haben wir von Anbeginn unserer Thätigkeit verlangt, ja gerade der Mangel dieser Ein- richtimgen veranlaßte die Begründung der Arbeiter-Sanitäts- koiuinission. Auch in wissenschaftlich-hygienischen Kreisen wird diese Forderung immer allgemeiner erhoben und mit dem Hin- weis ans die mangelhafte Vertretung der öffent- lichen Gesundheitspflege in unseren städtischen Behörden begründet. In Nr. 1 derHygienischen Rund- schau" vom l. Januar 1SS6 schreibt Professor Karl F r ä n k e l am Schluß eines längeren Aussatzes überWasser- fillration und Rieselwirthschaft": Wer die Berichte über die beiden Sitzungen der Berliner St'dtvcrordnetcn-Versammlnng vom 21. November und 5. De- zeniber 1895 liest, wird erstaunt sein über die Weisheit, die hier vielfach aus angeblichberufenem" Munde, von den hygienischen Bcrathern der Stadt zu Tage gefördert wird. Namentlich die Erörterung über die Wasserversorgung ist nach dieser Richtung sehr lehrreich; nur ein sozialdemokratischer Arzt vertritt den Standpunkt der neueren Gesundheitspflege, während besonders der eine seiner Gegner, gleichfalls ein Mediziner und Inhaber einer hohen Ehrenstelle in der Versammlung, seinen Zuhörern einen Gallimathias auftischt, der wirklich über jedes erlaubte Maß hinaus- geht. Das sollte nicht vorkommen. AlledieseFragenstndvielzuwichtig und viel zu kostspielig, als daß man sie Dilettanten überlassen dürfte, die gewiß ganz gute Leute, aber herzlich schlechte Mnsi- kanten sind. Die Zeiten der Amateurhygiene sind vorüber, e»d- giltig vorüber; unsere Wissenschaft erfordert heute eine eingehende und umfangreiche fachmännische Ausbildung, die sich nicht so nebenher erwerben läßt. Man hat in letzter Zeit von ver- schiedenen Seiten wieder die Gründung eines unter sachverstän- diger Leitung stehenden städtischen Gesundheitsamts in Berlin als»othwendig bezeichnet, und man wird angesichts der eben angeführten Thatsachen die Berechtigung dieses Verlangens nicht bestreiten wollen. Schon sind auch einige Gemeinwesen, wie Bremen und namentlich Hamburg hier mit gutem Beispiel voran- gegangen; die Hauptstadt wird im eigensten Interesse nicht lange mehr zögern dürfen, nachzufolgen. »* Dresden er str. 55 im Americain-Theater befindet sich die Herrenretirade in einem überaus vernachlässigtem Zustande. Am Abend der Untersuchung war in dem Pissoir ein ekelhafter Gestank. Die Urinpfützen waren derart, daß man nicht treten konnte; Schmutz und Spinnweben in den Ecken. Von den drei Klosets war eins sauber und hatte Spülung, das zweite war entzwei, das senkrechte Brett unter dem Sitz war losgetrennt, so daß man die Hand durchstecke» konnte. Wer das Kloset benutzte, setzte sich der Gefahr aus, sich zu besudeln. Das dritte Kloset war verstopft und die Wasserspülung funktionirte nicht. Novalis st raße 5. Die auf dem zweiten Hof belegene Molkerei mit ca. 16 Kühen verbreitet durch ihr Schlempelager und ihre ohne Rücksicht auf die Miether am Tage erfolgende Dungabfuhr einen ekelhaften Gestank, der besonders in de» oberen Etagen unerträglich ist und die Leute am Lüften hindert. A l t e I a k o b str. 20. In der Holzfraiserei und Schneiderei von Voigt und Krämer, Qnergeb. 2 Tr., herrscht schlechte staub- erfüllte Luft, da keine Ventilation vorhanden ist. Wasserleitung gibt's im Fabrikgebäude selbst nicht, die auf dem Hos befindliche Leitung liefert Wasser von schlechtem Geschmack, weshalb sich die Arbeiter ihr Trinkwaffer aus der Alte» Jakobstr. 120 holen inüssen. Infolge dieses Mangels ist, wenn sich ei» Arbeiter ge- schnitten oder an der Fraise verletzt hat, nicht gleich Wasser zur Stelle. Auf dem Hof befinden sich für ca. 150 Arbeiter 4 un- verschlossene Klosets, die nicht ausreichen, Abends nicht beleuchtet und trotz zweimaliger Reinigung in der Woche fast stets un- sauber sind. Schönhauser Allee 166, Hof rechts 3 Tr. links. Woh- nung(Stube und Küche) vollkommen naß, der Waschboden für das ganze Haus befindet sich darüber. Wände, Möbel und Kleidungsstücke sind mit Schimmel bezogen; die Mietherin klagt über Kopfschmerz und Reißen, doch will der Wirlh die Leute nicht ziehen lassen. B e s s e l st r. 7, Vorderhaus, Dachwohnung. Die Zustände find den oben geschilderten ähnlich, doch fast noch schlimmer; in der Küche läuft das Wasser durch die Decke. Im Zimmer sind an der Leiste morsche Stellen im Fußboden mit dicke» Schimmel auflagerungen. Auch dieseWohnung" ist unbewohnbar. C u v r y st r. 43, erstes Quergebäude 2 Tr. Wohnung aus Stube und Küche. Die Wände naß, sogar die Kleider im Schrank mit Schimmel bedeckt. Die Räume sind durchaus un- bewohnbar, wie auch der untersuchende Polizeilieulenant fest- gestellt haben soll, daß ebenfalls die darüber- wie darunter- hsgeiide» Wohnungen naß sind. Aber der Wirth läßt den Miether trotzdem nicht ziehen. N a u n y n st r. 29, Quergebäude 3�/s Tr. Die nach 3 Seiten freiliegende Wohnstube hat frei herunterhängende, auf Leinwand geklebte Tapelenwände, da die dahinter liegenden Mauern naß sind, daß das Wasser herunterläuft. Die Familie ist genöthigt, in der Küche zu wohnen und zu schlafen, die Frau kränkelt beständig. P a s s a n e r st r. 35. In dem neuen, zu ebener Erde ge- legenen Lokal des Gastwirths Schorz herrscht faule, modrige Luft, Schimmel findet sich dick an allen Wänden, sodaß die Tapeten verfaulen. In der Speisekammer ist es ebenso naß wie in den anderen Räumen, Fleisch- und andere Eßwaaren verschimmeln bald und verderben. Die Frau klagt über rheumatische Schmerzen. Kloset ohne Abzug, verpestet das Lokal. E l b i n g e r st r. 27,part., beim Schlächtermeister Schirm(Neu- bau). Wohnstube und Küche naß. Wände, Schuh- und Bettzeug ver- schimmeln. In der Küche regnet es durch. Die Fleischwaaren im Laden werde» als ungenießbar von den Leuten zurückgebracht. Frau und Mann haben rheumatische Beschwerden. Der Reviervorstand soll die Wohnung für unbewohnbar erklärt haben aber ohne Erfolg. Gr. F r a n k fu r t e r st r. 122. Ungesunde Kabusen, 2 Meter lang, IVs Meter breit und hoch, als Schlafräume für die Dienstmädchen 1, 2 und 3 Treppen. In den Seitenflügeln nasse Kellerwohnungen mit Zement-Fußböden. Für die Ärbeiter-Sanitätskommission gingen weiter ein: Von Dr. Bl. u. Fr. LS,. Vom Lese- und DiskutirklubAuf- klärung" 6,-.__ Uoksles. Tie Parteigenossen von Rixdorf werden wiederholt auf die Partsispedition aufmerksam gemacht und ersucht, recht- zeitig denVorwärts" sowie dasVolksblatt" zum 1. Februar zu bestellen, damit keine Störung in der Spedition stattfindet. Ter Genosse Osterniann wohnt Jägerstr. 70 v. 2 Tr. Der Vertrauensinnnn Dohrmann. Die Liste» zur Gcmeiuderaths- Wahl in Weistensce liegen nur noch bis zum Donnerstag aus. Wer keine Zeit hat, die Listen selber nachzusehen, wolle sich bei folgenden Partei- genossen melden: Karow , Langhansstraße 150, III; Frentz, König- Chaussee Peukert, Langhansstraße 150; Kopf, Langhansstraße 6 I; Pfeifen Müller, König-Chaussee. Von dem Tode eines braven Parteigenossen erhalten wir erst nachträglich Kenntniß. Der Weber Richard B a ch m a n n aus Glauchau ist am 14. d. M. im Krankenhause am Urban ge starben, nachdem er dreiviertel Jahr darnieder gelegen hatte. In seiner Heimath hatte er mit eifrigem Bemühen die Gründung derGlauchauer Nachrichten" bewirkt; er war einer der opfer- freudigen Genossen, die sich, nachdem sie tagsüber in der Fabrik gefrohndet hatten, in der Nacht an der Druckpresse arbeiteten, um das Blatt zu halten. Als er zu Beginn des Sozialisten- gesetzes nach Berlin kam, war er auch hier mit Eifer thätig. Ehre seinem Andenken! Gegen die gewerbliche Nebenbeschäftigung von Schul- kindern wird wahrscheinlich nächstens auch von Vereinswegen vorgegangen werden. Im Januarheft der MonatsschriftDie Frau" bespricht die Herausgeberin Helene Lange die(von uns schon vor längerer Zeit mitgetheilten) Ergebnisse der in dieser Frage vorgenommenen statistischen Erhebungen in Rixdorf und Charlottenburg und fordert gleichzeitig, einer ihr gewordenen Anregung folgend, die Frauenvereine, Lehrerinnenvereine, Missions vereine und Vereine vom rothen Kreuz auf, sich zur Bekämpfung des Massenelends unter den gewerblich beschäftigten Schulkindern zusammen zu schließen.Wir dürfen uns selbstverständlich", fügt sie hinzu,über die Grenzen unserer Macht nicht täuschen. Wir werden das Kinderelend nicht beseitigen, weil wir die sozialen Ver Hältnisse nicht ändern können, denen es entstammt."Nicht ändern wollen," wäre richtiger gesagt. DieGrenzen ihrer Macht" bestimmen sich die Begründer und Leiter solcher Unter nehmungen in der Regel selber. Sie dehnen ihrewohlthätige" odergemeinnützige" Wirksamkeit höchstens so weit aus. als es ohne Schmälerung der Interessen der besitzenden Klasse möglich ist. Daß bei diesem Versahren die Roth der Besitzlosen, der Kinder wie der Erwachsenen, nicht beseitigt oder auch nur in nennens werther Weise gelindert werden kann, das ist allerdingsselbst- verständlich". Schulwesen Berlins . Nach dem jetzt erschienenen Bericht der städtischen Schuldcputation für 1894/95 bestanden Ende 1894 in Berlin insgesammt 375 Schulen mit 5001 Klassen und 231661 Schulkindern, darunter insbesondere 206 Gemeinde- schulen mit 8475 Klassen und 183 338 Kindern. Es kamen durchschnittlich auf 1 Gemeindcschule nahezu 17 Klassen und 890 Kinder, auf 1 Klasse nahezu 53 Kinder. Man vergleiche damit folgende Zahlen: Es kamen durchschnittlich auf 1 Klasse der königlichen Vorschulen 43, der städtischen 50, der königlichen Gymnasien 35, der städtischen 31, des königlichen Real- gymnasinms 37, der städtischen 33, der städtischen Ober-Real- schulen 36, der städtischen Realschulen 36, der städtischen höheren Mädchenschulen 37, der städtischen 46 Kinder. Eheschliestnnaen. In Berlin sind im Jahre 1395 17 248 Ehen geschlossen worden, dagegen in den Vorjahren (zurück bis 1890): 16 820, 16 955, 16 999, 17 649, 17 810. Die absolute Zahl der Eheschließungen ist also 1895 zum ersten Male(seit 1890) wieder etwas gegen das Vorjahr gestiegen, um 423. Ob auch relativ(im Vergleich zur mittleren Be- völkerung) eine Zunahme stattgefunden hat, läßt sich noch nicht völlig übersehen, da für 1895 die Berichtigung der Fortschreibung der Bevölkerungszahl(nach dem vorläufigen Ergebniß der Zählung vom I. Dezember 1395) erst bis Ende September aus geführt ist. 1394 machten die Eheschließenden rund 20l/e auf 1000 der mittleren Bevölkerung(mit der Berichtigung nach dem Zählungsergebniß) aus. Brausewetter- Prozesse. In der gestrigen General- Versammlung des Bezirksvereins Alt-Cöln wurde demBerliner Tagebl." zufolge beschlossen. Schritte vorzubereiten, durch welche ein Wiederausnahme- Verfahren in denjenigen Prozessen ermög- licht wird, die in den letzten Wochen der Amtsthätigkeit des Herrn Brausewetter vor seiner Kammer verhandelt wurden und eine Verurtheilung der Angeklagten zur Folge hatten. Gewerbe-Ausstellung und öffentliche Sittlichkeit. Der Vorstand des Berliner Mannerbundes zur Bekämpfung der Un- sittlichkeit hat an den Vorstand der Berliner Gewerbe-Ausstellung folgendes Schreiben gerichtet:In bezug auf die Ankündigung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, wonach mit derselben allerlei Schaustellungen und größere Restaurants verknüpft sein sollen, erlaubt sich der Vorstand des Berliner Männerbundes Euer Wohlgeboren die Bitte auszusprechen, Ihren Einfluß dahin geltend machen zu wollen, daß auf dem Ausstellungsgelände nur solche Unternehinungen genehniigt werden, welche volle Gewähr dafür bieten, daß bei ihrem Betriebe jede Verletzung der guten Sitte und des Anstandes streng vermieden wird. Namentlich würde es sich darum handeln, die Errichtung von sogenannten Tingeltangeln und Restaurants mit weiblicher Bedienung zu ver- hindern und dafür Sorge zu tragen, daß in den Theatern nur Stücke zur Aufführung kommen, welche in sittlicher Beziehung unanstößig sind. Euer HochwoHlgevoren würden sich durch solches Vorgehen weite Kreise der Bevölkerung zu Dank ver- pflichten und find wir überzeugt, daß es nur dieser Anregung bedarf, um Euer Hochwohlgeboren zu veranlaffen, auch bei dieser Ausstellung die Interessen der öffentlichen Sittlichkeit ans das Entschiedenste wahrzunehmen." Mit diesem Ansuchen dürfte der Vorstand des MännerbundeS zur Bekämpfung der Unsittlichkeit wohl wenig Glück haben. Erst das Geschäft und dann das Vergnügen heißt es bei den Interessenten der Gewerbe-Ans- stellung. Ei» neueS SpirituS-Glühlicht. Es hat nie an Ver- suchen gefehlt, das Haupt-Beleuchtungsmaterial der Gegen- wart, das Petroleum, durch andere Mittel zu ersitzen. Abgesehen von dem Leuchtgase und der Elektrizität, die aber weder für den Haushall noch für isolirte Wohnungen ernstlich in betracht kommen können, da zu ihrer rationellen Er- zeugung größere Zentralanlagen mit kontinuirlichem Betriebe erforderlich sind, haben diese Versuche zu keinen positiven Resultaten geführt. Erst als es gelang, mit Hilfe des Auer'schen Glühkörpers an sich nicht leuchtende. aber sehr heiße Flammen zum Leuchten zu bringen, wurde in der Spiritus-Glühlampe ein Ersatz für die Petroleumlampe gefunden. Um in einer Glühlampe zur Verwendung kommen zu können, muß der Spiritus zunächst vergast und dann, mit Luft gemischt, in einem geeigneten Brenner zur Verbrennung gebracht werden. Die zahlreichen Konstruktionen von Spiritus- Glühlampen erfüllen mebr oder weniger vollkommen die an sie ge- stellten Ansprüche. Sie alle aber leiden an dem generellen Mangel, daß zur Vergasung des Spiritus besondere Heizflammen benöthigt werden, die übelriechende und geradezu gesundheitsschädliche Verbrennungsgase in die Stubenlust ge- langen lassen. Die ani letzten Freitag einem größeren geladenen Publikum vorgeführte Spiritus-Glühlichtlampe der Aktiengesellschaft Helios, die keine besondere Heizflamine be- fitzt, vielmehr durch ihre eigene Leuchtflamme selbsttbätig ihr Brennmaterial vergast, markirt deshalb auch einen ganz erheblichen be- leuchtnngs-technischen Fortschritt. Da dieHelios-Lampe außerdem keinen besonderen Docht braucht, kann auf ein Spiritusreservoir unter- halb des Brenners verzichtet werden, und der Brenner, der dann von einem höher gelegenen Reservoir aus durch Röhren- leitung gespeist wird, kann ebenso leicht und graziös aus Krön- leuchtern, Wandarmen, in Straßenlaternen:c. untergebracht werden wie ein gewöhnlicher Gasglühlicht-Brenner. Die Betriebskosten einer Spiritus- Glühlampe sind bei den gegenwärtigen Spirituspreisen allerdings etwa doppelt bis drei- mal so groß, als die einer gewöhnlichen Petroleumlampe; da aber gleichzeitig die Helligkeit drei- bis viermal so groß als die einer Petroleumlampe ist, so ist eine vollkonimene Spiritus» Glühlampe wohl geeignet, die Petroleumlampe zu ver- drängen. Im Wege stehen nur wenn man die unvoll- kommenen Spiritus- Glühlampen außer bctrackt läßt die hohen Aiischaffungskoslen der Spiritus-Glühlampe Helios, die zur Zeit noch 2530 Mark kostet, weil sie exakt bisher nur durch Feinmechaniker hergestellt werde» konnte. Vorläufig sind sie also für Arbeiter unerschwinglich. Eine Illustration zur städtische» Armen-Krankeupflcge. Wohnt da, so wird uns berichtet, in der B.straße in arm- seliger Kellerwohnung der in den sechziger Jahren stehende Schuhmacher I. W., der sich seinen Lebensunterhalt durch Flickschusterei mühsam erwerben mußte. Der harte Kampf ums Dasein hatte auf W.'s Frau derart eingewirkt, daß sie nun schon seit etwa vier Jahren in der städtischen Jrren-Heilanstalt Herzberge in wohl hoffnungslosem Zustande darniederliegt. Vor Weihnachten erlrankte auch W., und da er ohne jeßen Beistand, auch wohl seinem Körper mehr als dieser vertragen konnte, zutraute, so ließ er nachbarlichen Rath auf Konsnltirung eines Arztes un- beachtet, wohl auch aus dem begreiflichen Grunde, die Kommune Berlin (infolge seiner gänzlichen Mittellosigkeit) um Gewährung armen ärztlichen Beistandes nicht ansehen zu wollen. W.'S Zustand verschlimmerte sich aber derartig, daß er am Sonn- abend, den 4. Januar das Bett nicht mehr verlassen konnte und hilfsbereite Parteigenossen vom zuständigen Armenkommisfions- Vorsteher einen Kranken- resp. Medizinschein beschafften. Dem vorgeschriebenen Armenärzte Dr. med. H., Ackerstraße, wurde von dem schlimmen Zustande des Kranken unter Ueberrcichung des betreffenden Scheines Mittheilung gemacht, und hierbei wurde der Arzt gebeten, den Kranken doch sofort zu besuchen. Man hatte indeß nicht mit dem bureaukratischen Formalismus gerechnet, der auch hier, trotz der Dringlichkeit dos Falles, ob- zuwalten hatte. Man erwartete die ärztliche Hilfe vergeblich am Sonnabend, ja auch noch am Sonntage. Da am Montag ent» deckte ein Bekannter des W., daß inzwischen jemand den bewußten Krankenschein dem Kranken unter das Kopfkissen ge- schoben hatte, weil auf demselben der Ge- burtstag W.'s fehlte; ohne diesen zu wissen, könne �er Herr Doktor nicht kommen. Nun muß mau bedenken, daß der arme W. in einem solchen Zustande bereits war, daß er für all diese Vorgänge kein Verständniß mehr hatte. Auf persönliche Vorstellungen hin erschien dann endlich Montag Mittag der Dr. H. und ordnete die Ueberführung mittels W.'s Krankenwagen nach dem Lazarus-Krankenhause an, was um»2 Uhr vor sich ging. Hier soll nun W. gebadet und dabei mit kaltem Wasser begossen wor- den sein, obwohl der Patient bat, letztere Prozedur nicht vorzu- nehmen. Noch ehe W. ins Bett gebracht werden konnte, verschied er. Wir geben diese Mittheilungen, ohne aber für deren Richtig. keit Bürgschaft übernehmen zu können. Bielleicht aber nehmen die zuständigen Behörden Anlaß, sich über den Sachverhalt zu äußern, denn die tausende Proletarier, welche in den Kranken- Häusern Verpflegung suchen, sind an der Feststellung des wirk- lichen Thatbestandes sehr interessirt. W.'s Beerdigung auf dem Golgatha- Kirchhofe fand am 10. Januar unter zahlreicher Betheiligung der Parteigenossen des 6. Berliner Reichstags-Wahlkreises statt. Der flüchtige Prokurist der Papierfirma Ferd. Flinsch, Kaufmann Hans Priemer, ist demB. T." zufolge bereits in Siewyork gelandet. Mit ihm ist ein Hauptzeuge im künftigen Haminerstein-Prozeß verschwunden. Von Herrn Dr. Friedman» bringt ein hiesiges Lokalblatt die wundersame Mär, daß er sich demnächst freiwillig dem-Untcr- suchungsrichtcr stellen wolle. Auch meldete das Blatt, daß zwischen Herrn Friedmann und seiner Frau eine Aussöhnung stattfinden werde. Beide wollten später aus Kunftreisen gehen, sie als Sängerin, er als Improvisator. Diefe Geschichte klingt plausibel. Die Frau des flüchtigen Dr. Friedmann ist vom 1. Februar ab im Reichshallen-Theater als Sängerin engagirt. DieseAttraktion" dürfte dem bedenklich kranken Bergnügnngs- lokal auch nicht wieder auf die Beine helfen. Die deutsche Knust. Wilhelm II. giebt imReichs-Anzeiger" das folgende bekannt:Ich habe die bei der Generalverwaltung der königl. Museen von 13 Künstlern und einer Künstlerin recht» zeitig cingelieserten Arbeiten zur Ergänzung eines bei den Museen befindlichen Abgusses der antiken Marmorstatue einer tanzenden Mänade einer Besichtigung und Prüfung unterzogen. Bei aller Anerkennung der Vorzüge, welche einige Arbeiten in bezug auf Ausfassung und Ausführung einzelner Theile aufweisen, kann ich jedoch nicht anerkennen, daß die gestellte Aufgabe in ihrer eigentlichen Bedeutung richtig erfaßt und behandelt ist, und habe ich von der Verleihung des durch meinen Erlaß vom 27. Januar v. I. ausgesetzten Preises von 2000 M. absehen müssen. Unter diesen Umständen bestimme ich für den nächsten Weltbeiverb dieselbe Aufgabe und will ich den ans meiner Schatulle zu zahlenden Preis auf 3000 M. erhöhen." Es scheint, daß die deutschen Künstler bei all den Krieger- und Heldendenkmälern ganz verlernt haben, ein klassisches Bildwerk zu erfassen. Vom Schauspielhause. Ein Leser schreibt unS; An einem der letzten Sonntage wollte ich das Schauspielhaus besuchen und bemühte mich fürsorglich schon am Freitag um ein Billet. Leider vergeblich;alles ausverkausl", lautete die Antwort des Kassirers. Ich baute nunmehr auf die Billcthändler und erhielt auch am Sonntag von einem der Halsabschneider zum doppelten Preise einen Platz in der Prosceniumsloge des dritten Ranges. Aber das nunmehr glücklich erworbene Vergnügen war von sehr proble- matischer Art. Die Prosceniumsloge ist eine dunkle, für sich ab- geschlossene Kammer mit zwei viel zu hoch gelegenen feilster- ähnlichen Ausgucken. Die in dem Zellengcfängniß stehenden Stühle sind ziemlich zwecklos, denn man reicht im Sitzen mit der Nasenspitze kaum bis zum Ausguck und sieht alsdann nichts als die Saaldecke vor sich. Nur wenn man sich sehr weit ausreckt, kann man zum theil den Vorgängen auf der Bühne folgen. Ist es einesköniglichen Theaters" würdig, daß solche Plätze über- Haupt verkauft werden? Für Radfahrer. Die neulich von uns mitgetheilte Ver- ordnung betreffend die Freigabe einer Reihe Straßen für den Verkehr aus Zweirädern hat mit dem 25. Jaiinar Rechtskrast erlangt. Ei» Nachtbild. In einer Kellerwohnung des Hauses Chamissoplatz 8 hauste die 31 jährige Wittwe Spiegelberg mit dem im 35. Lebensjahre stehenden Hausschläckiter Hermann Rietze. Die Wittwe nährte sich durch Prostitution. Frau Spiegelberg empfing ihre Besuche in der Küche, während Rietze