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BERLIN Montag 13. Mai 1929

10 Pf. Nr. 219 B109 46. Jahrgang.

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Adolf Braun

Genosse Dr. Adolf Braun ist heute nacht nach lauger schwerer Krankheit verschieden. Adolf Braun war am 20. März 1862 in L a a g in Steiermark geboren als einer von fünf Geschwistern, deren jedes einen anderen Geburtsort aufweist. Denn der Vater war ein reicher Eisenbahnunternehmer, der bald hier, bald dort seinen Familiensitz aufschlug, um den Bau der von ihm projektierten und auszuführenden Eisenbahnen zu über- wachen, chauptsitz der Familie war Wien . Dort besuchte der ältere Bruder Heinrich die Universität und hörte die Vorträge Lorenz von Steina, an denen sich sein Interesse für die Ideen des Sozialismus entzündete. Heinrich tele- graphierte eines Tages an einen deutschen Buchhändler, er möge ihm alle sozialistische Literatur schicken, die erreichbar wäre; ein paar Tage darauf traf eine Sendung ein, die einen stattlichen Bücherschrank füllte. Adolf, der Gymnasiast, stürzte sich auf seinen Inhalt und damit war sein Lebensschicksal entschieden. Schulfreundschaft brachte die Geschwister Braun mit der Familie Adler, dem«Adlerhorst', zusammen. Aus der Schulfreundschaft wurde ein Bund für das Leben: die Schwester Emma wurde VittorAdlers Frau. Da waren nun vier junge Menschen, die den Reichtum, in dem sie auf- gezogen waren, verachteten, die ihre Leidenschaft nach unten zog zu den Brüdern und Schwestern, die Rot litten. Helfen wollten sie und befreien. Mit allem, was sie tonnten und be- saßen, mit all ihren materiellen Mitteln und ungewöhnlichen Geistesgaben stürzten sie sich in den Dienst der Allgemeinheit. Dieses wiedererstandene Nazarenertum, das in dem Kreise Braun-Adler lebendig war, fand vielleicht bei keinem eine so starke Ausprägung wie bei Adolf. Von ihm kann man nicht sagen, daß für ihn der Satz gegolten habe:Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" denn Adolf Braun hat sich selber nicht geliebt. Es hat sicherlich selten einen Menschen gegeben, dem die eigene Person so gleichgültig war. Kleidung, Wohnung, Nahrung, das nahm er eben hin wie er es fand gab es überhaupt etwas Begehrens- wertes, so waren es Bücher. Ehrgeiz, Eitelkeit waren Ge- fühle, die er nicht kannte; er hatte kein Verständnis für solche Schwächen und haßte sie, wo er sie bei anderen fand. Rest- lose Hingabe an die Sache bis zur Erschöpfung des Körpers, der oft genug unter solcher Mißachtung zu ammenbrach, war ihm innerstes Gebot. Die bis zum Extrem getriebene Verachtung der Form und des äußeren Erfolges hat die Folge, daß man in diesem Leben vergebens nach glanzvollen Höhepunkten suchen wird. Adolf Braun , der unermüdliche Journalist, Agitator und Gelehrte hat nie gesprochen oder geschrieben, um sich selber ins Licht zu setzen, er wünschte nichts anderes als Erkennt- nisse zu vermitteln, der Partei, den Gewerkschaften zu nützen alle Leistung stand unter dem Gleichmaß eines unpersönlich gemeinten sachlichen, nie ermüdenden, stetig- unablenkbaren Strebens. Adolf Braun , der, wie gesagt, schon als Gymnasiast Sozialist geworden war, ging an die Universität, um die für Sozialisten wichtigste Wissenschaft, die Nationalökonomie, zu studieren. In Basel kam er zu Ka r l Bücher, dessen er stets mit Dank gedachte, in Freiburg im Breisgau machte er seinen Doktor. Dann ging er nach Wien , war 1888 Dele- gierter auf dem Gründungsparteitag von Hainfeld , redigierte dieGleichheit", die Vorgängerin derArbeiterzeitung", kehrte wieder ins Reich zurück, arbeitete an derMünchener Post", an derSächsischen Arbeiterzeitung" in Dresden , bis ihn die Partei an denV o r w ä r t s" berief. Jahrelang leistete er unter Wilhelm Liebknechts Ehefredaktion als politischer Redakteur des Zentralorgans entscheidend wichtige Arbeit. Da traf ihn, den Oesterreicher, also Landfremden, 1898 die Ausweisung. Der Vertriebene fand in dem damals freieren Bayern seine Zuflucht; in�Nürnberg wurde er zunächst Arbeitersekretär, später für viele Jahre Chefredak- teur derFränkischen Tagespost". Bald war er im fränkischen Lande der unbestrittene geistige Führer der Arbeiter- bewegung, schon damals eine der historischen Gestalten der Partei, weit über seinen engeren Wirkungskreis hinausragend. Für eine Weile hatten ihn die Wiener an dieArbeiter- zettung" zurückgeholt. Aber Adolf war schon zu sehr Bürger des großen Vaterlandes geworden, als daß er dort hätte bleiben können. Abermals ging sein Weg nach Nürnberg und zurFränkischen Tagespost" zurück. Die Revolution brachte ihm auch das formale Bürgerrecht und einen Sitz in der Nationalversammlung. Er blieb dann Reichstagsab- geordneter bis zu den Wahlen des letzten Mai. Im Jahre 1920 wurde er als Sekretär in den P a r t e i-

v o r st a n d gewählt, dem er der willkommenste Helfer wurde. Als unermüdlicher Arbeiter hätte er am liebsten sein Nachtlager gleich neben dem Schreibtisch aufgeschlagen, wenn er es nicht vorgezogen hätte, die Nächte zu durchreisen, um die Partei auf wichtigen Tagungen zu vertreten und am nächsten Tage wieder daheim am Schreibtisch zu sein. Er genoß weder Alkohol noch Tabak, er kannte nur eine Art, sich zu betäuben: durch Arbeit. Damals sägte ein befreun- deter Arzt zu ihm; er selber erzählte es gerne lachend:Sie sind nicht normal. Denn ein normaler Mensch wäre bei Ihrer Art, zu leben, längst wahnsinnig geworden." Adolf Braun wurde nicht wahnsinnig, aber er wurde krank. Krank blieb er mitunter auf seinen Reisen liegen, krank kehrte er oft nach Hause zurück. Mißmutig fragte er, was er noch nützen könnte. Was er noch nützen könnte, das glaubte er gefunden zu haben in dem Entschluß, mit Vollendung des 65. Lebens- jahres von seinem Amt im Parteivorstand zurückzutreten und

auf seine Wiederwahl zum Reichstag zu verzichten. Das war gewiß ein großes Opfer, denn so wenig ihm an Aemtern und Titeln lag, soviel lag ihm an seiner Tätigkeit für die Partei. Doch weil er sich nicht mehr leistungsfähig fühlte, zog er, unerbittlich gegen sich selbst und unbeugsam im Beharren auf dem gefaßten Entschluß, die Konsequenzen. Der Parteitag in Kiel huldigte dem großen Charakter und wählte Braun als Beisitzer in den Parteivorstand. Als solcher setzte er nun mit dem letzten Rest seiner Kraft die gewohnte Arbeit fort als Berater in allen Angelegenheiten der Presse und des Buchoeplags; die unge- Heuren Schätze an Wissen und Erfahrung, die er in sich auf- gespeichert hatte, wirkten weiter zum Vorteil. Aber die Ver- kalkung der Blutgefäße und ein schweres Nierenleiden schritten fort, leichte Schlaganfälle setzten ein, die Kraft der Augen versagte plötzlich, kam später wieder zurück, aber die Zunge blieb schwer, der Gang schleppend. Als man ihn kurz nach Weihnachten vorigen Jahres ins Krankenhaus brachte, wünschten ihm alle, die ihn geliebt hatten, nur noch ein leichtes und rasches Ende. Aber noch trotzte die starke Lebenskraft des Körpers monatelang allen Angriffen, bis endlich eitle Bauchfellentzündung den Tod herbeiführte. Von Adolf Braun blieb nicht nur der entseelte Leib. es bleiben auch die Schriften, die er geschrieben hat: über den Arbeiterschutz, über die Hausindustrie, über die Ge- wertschäften. den Achtstundentag. Es bleibt noch mehr. Bücher haben viele geschrieben, aber ein Leben wie er haben wenige gelebt, und dieses Leben bleibt unver- gänglich in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Sehet, ein Mensch! Sehet, ein Sozialist! O In der Sitzung der Reichstagsfraktion vom 13. Mai widmete Genosse B r e i t s ch e i d dem in der Nacht zum Montag gestorbenen Genossen Dr. Adolf Braun einen warmen, tief empfundenen Nach- ruf. Er würdigte in ihm einen der treuesten, ausopferungsfähigsten Kämpfer für die sozialistische AR>eiterbewegung. Wenn er sich auch wegen Ueberschreitung der Altersgrenze, wie er selbst angab, bei der letzten Reichstagswahl nicht wieder als Kandidat ausstellen ließ, so bedeutete doch sein Ausscheiden aus dem Reichstag nicht, daß damit fein Wirken für die Partei aufhörte. Alle, die ihn kannten, wissen, daß er bis zuletzt für die Partei gelebt hat. Die Fraktionsmitglieder hatten sich zu� Ehren des Verstorbenen von den Plätzen erhoben und hörten, tief ergriffen von dem plötz- lichen Tode Adolf Brauns, die von Herzen kommenden Worte Breit- scheid? stehend an.

Landtagswahl in Sachsen . Die Sozialdemokratie gewinnt zwei Mandate.

Dresden . 1Z. Alai.(Eigenbericht.) Die sächsischen Landtagswahlen haben nach der vor. lövfigen amtlichen Aestslellung das folgende Ergebnis:

Die 96 Mandate im Sächsischen Landtag verteilen sich wie folgt: Sozialdemokraten 33(bisher ZI). Kommunisten 12 (bisher 14). Deutschnationole S(bisher 14). Deutsche Volksparlei 1Z |(bisher 12), wirtschaslspartei 11(bisher 10). Demokraten 4(bisher 5), Volksrecht und Auswertung Z(bisher 4). Altsozialiften 2(bisher 4). Nationalsozialisten S(bisher 2. Sächsisches Landvolk 5(bisher 0). Die sächsische Landtagswahl hat die p o I i t i s ch- p a r l a m e n- tarische Loge in Sachsen nicht erleichtert. Die Sozial- demotraten hatten einen schweren Kamps nach zwei Fronten ge- führt. Sie haben trotzdem zwei Mandate gewonnen,

die Kommunisten haben zwei verloren. Ein« Mehrheit aus Sozial- demokraten und Kommunisten besteht also so wenig wie im vorigen Landtag. Allerdings wäre noch den Borgängen der letzten Zeit«ine politische Ausnutzung einer solchen Mehrheit mit den Kommunisten auch nicht möglich gewesen. Im Lager der bürgerlichen Parteien hat sich«ine be- merkenswerte Veränderung vollzogen. Die bürgerlichen Wähler haben ihre Stimmen in verstärktem Maße den ausge- sprochenen Interessenparteien, der Wirtschaftspartei und der Deutschen Bolkspariet. aber auch den Nationalsozialisten gegeben. Die Nationalsozialisten sind von zwei auf fünf Mandate gestiegen. Der In t« r essen t e n kl ll n g el hat im bürgerlichen Lagereinen Sieg über die ernsthaften politischen Elemente davongetragen. Die Hoffmmg der D e m o k r a te n,' daß sich ein großer Teil des Bürgertums ihnen zuwenden würde, hat sich als irrig erwiesen. Die Altsozialisten haben nur noch zwei Mandate im Landtag. Eine merkwürdige Reststimmenberechnung gibt ihnen mit 39 601 Stimmen diese zwei Mandate, während das Zentrum mit 250)0 Stimmen kein Mandat erhält! Infolge dieser Veränderung ist die politisch-parlanieutarische Lage aber noch schwieriger geworden als zuvor. Den Ausschlag für die Bildung einer bürgerlichen Regierung geben nicht mehr die Altsozialisten, sondern die Demokraten und die National- so zio lösten. Sie müssen beide gemeinsani in eine Koalition ein- treten, wdnu eine bürgerliche Mehrheit zustande kommen soll. Dagegen bestehen bei den Demokraten die stärksten Hemmungen. Rein rechnerisch gesehen,� liegt in diesem Wahlergebnis der Zwang zu einer Koalition mit den Sozialdemokraten. Dagegen aber bestehen sehr starke psychologische Widerstände inner-