Beilage Montag, 13. Mai 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärt
Streifzug durch Galiläa
Reisebilder aus Palästina/ Von Rudolf de Haas
Ich bin bei deutschen Bauern in Galiläa auf Besuch. Es find durchweg Söhne der Ansiedler aus Haifa , die dort kein Feld für ihre Tätigkeit mehr fanden. Die sich in der Stadt am Meere einst niederließen, waren in der Mehrzahl Handwerker, ganz vereinzelt nur Landwirte. Ursprünglich besaßen sie das weite Land oben auf dem Karmel; jedoch die Reblaus vernichtete ihre Weinberge, und mehr als einer schlug seinen Grund und Boden los, als die neue jüdische Einwanderung nach dem Kriege einsetzte.
Meine Gastfreunde wohnen etwa auf der Hälfte des Weges zwischen Haifa und Nazareth . Sie haben hier zwei schmucke tleine Dörfer gegründet, die nun seit dreiundzwanzig Jahren bestehen. Die Milchwirtschaft ist ihre Haupternährungsquelle; daneben bauen sie Weizen, Kartoffeln und Wein. Die Trauben gedeihen hier tatsächlich in den fabelhaften Ausmaßen, von denen das Buch Josua erzählt, aber sie sind nur zum Essen zu verwerten. Orangen und Mandarinen wachsen ebenfalls, auch Pfirsiche, Aprikosen und Walnüsse.
Die eine der beiden Ortschaften ist fast restlos aus dem Bau= material errichtet worden, das eine Niederlassung aus der Kreuzfahrerzeit lieferte; auch eine uralte israelitische Ansiedlung schläft hier unter der Erde. Im nahen Eichwald, den der Krieg nicht ganz vernichten konnte, birgt sich eine ausgedehnte Totenstadt mit Gräberfammern, die in die Felsen gehauen sind. Im Osten hebt sich das alte Sepphoris mit den Resten eines Kreuzfahrerkaftells über das Land Sebulon . Im Südosten blicken Die Zypressen auf den höchsten Erhebungen über Nazareth ins Tal herab. Der Karmel schließt den Rahmen der Landschaft im Westen.
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Nichtendenwollende Regen, die das weite Land in einen Sumpf verwandelten, haben mich länger, als es meine Absicht war, in den deutschen Dörfern Galiläas zurückgehalten. Endlich zerstieben die Schleier, die das Antlig des Karmel mir gerade gegenüber verhüllten, und ich gewinne meine Freiheit wieder.
Der Weg nach Nazareth führt mich an der Stelle des Baches Kison vorüber, an dem der Prophet Elias einst nach dem Wetterwunder die vierhundert Baalspfaffen abschlachtete, wie die Schrift besagt. Mit anderen Worten, er schaffte sich die phönizische Konkurrenz vom Leibe, die mit der Königstochter aus Sidon ins Land gekommen war. Die Nachwelt hat es für ein verdienstliches Wert gehalten und ihm einen Glorienschein ums Haupt gewunden. Am Berge Karmel zeigen glaubenseifrige Leute noch heute die Höhlen, in denen der Prophet hauste. Das Abschlachten der Konkurrenz ist bedeutend schwieriger geworden, seitdem die Meteorologen die Wetterbeobachtung unter die wissenschaftliche Lupe genommen haben.
allumfassende Aussicht bietet. Mit ihm zugleich zeigt sich der so-| denkwürdiger Play, den ich hier schaue. Im Tal drüben vernichtete genannte ,, Berg des Absturzes".
Die Ebene Jesreel entzieht sich dem Blick. Der Rahmen der Landschaft spannt sich enger. Der Weg führt durch eine Steinwüste, die an das Gebirge von Judäa erinnert. Immer zahlreicher werden
die Blöcke, immer trostloser das Bild. Mitten in dieser Felseneinöde taucht links ein Dorf auf. Es ist uralt wie die Steine und heißt Jaffa , wie das Drangenparadies unten im Süden. Wie diese Leute hier leben fönnen, ist mir ein Rätfel, aber ihre Niederlassung erhielt sich durch die Jahrtausende.
Ich befinde mich vor den Toren Nazareths. Schon zeigen sich rechts im Grunde Spuren eines Gartens. Ein Bachlauf wird sichtbar; wo Wasser fließt, wächst alles auf dieser Erde auch mitten unter den Steinen. Dattelpalmen streden ihre Wedel aus; Orangenbäume gedeihen, Granatbüsche entdecke ich, Pfirsiche und Aprikosenbäume.
Eine leichte. Anhöhe habe ich eben erstiegen und schaue nun in einen Felsenkessel hinab, der mich an Arabiens Wüsten erinnert. Auf den Höhen zeigen sich Missionsanstalten. Im Grunde taucht ein Hotel auf und eine Anzahl Häuser. Eine ausgesprochene Steinwüste, das ist mein bleibender Eindruck.
Es ist die Ortschaft, in der Jesus Christus seine Jugend verlebt hat. Das eigentliche Häusermeer Nazareths birgt sich weiter im Vordergrunde hinter einer Bergnase, aber hier beginnt die Stadt bereits. Das Hotel dort drüben ist das deutsche Hotel Heselschwerot, früher ,, Germania ", jeßt in ,, Galilee" umgetauft, seit die Engländer die Herren im Lande sind.
Nun, bin ich durch die ganze Stadt gewandert, durch den Markt mit seinen, jeden Beruf besonders angewiesenen Quartieren, wie das im Morgenlande überall der Fall ist, und durch die lange Hauptstraße. Man hat mir den Brunnen gezeigt, aus dem Maria ihr Wasser schöpfte, als noch niemand von ihr und ihrem Sohne sprach. Ich weiß, wo die paar Deutsche wohnen, die hier in Nazareth ansässig sind. Ich bin am anderen Ende der Stadt bei den Dester reichischen Barmherzigen Brüdern angekommen. Bruder Faustus führt mich zum deutschen Friedhof, den er persönlich angelegt hat. führt mich zum deutschen Friedhof, den er persönlich angelegt hat. Er zeigt mir die achtundvierzig Kreuze der deutschen Flieger, die hier in der Umgegend abgeschossen wurden, weil sie mit ihren armseligen Apparaten den Kampf gegen den wohlausgerüsteten Briten unmöglich aufnehmen konnten. Auch vor bie dreißig anderen Kriegerfreuze führt er mich und sagt, er werde wahrscheinlich noch dreihundert Tote hier auf seinem Friedof zur letzten Ruhe vereinigen müssen.
Und er erzählt mir vom letzten deutschen Tage in Nazareth und von der plötzlichen Ueberraschung durch die Briten , die im Ich komme an Nahalal vorüber, einer Musterkolonie der Morgengrauen hier weit hinter der Front das deutsche Hauptquartier überfielen.
Juden, die hier eine landwirtschaftliche Hochschule errichtet haben. Bald hinter dem Eukalyptenwäldchen ersteigt die Straße die Berge. Oben auf der Höhe birgt sich ein reiches arabisches Dorf im Kranz seiner, zum Teil uralten Delbäume. Nach der Zahl der Delbäume kann man mit gutem Grund die Wohlhabenheit der Bewohner beurteilen. Für den Neuling ist die Art interessant, in der die Leute hier den Brennstoff für ihre Backöfen gewinnen; oben auf dem Dach ihrer Häuser trocknen sie den Biehmist, der zur Feuerung Derwandt wird.
Eine Viertelstunde später öffnet sich vor dem erstaunten Auge ein Banorama, das ich in dieser Großartigkeit hier nie erwartet hätte. Eine ungeheure Ebene rollt sich in der Tiefe vor mir auf. Es ist die Ebene Jesreel oder Esdraelon, die uralte Kornfammer Palästinas, zugleich aber auch der Boden, auf dem die Jahrtausende hindurch alle Schlachten ausgefochten wurden, die das Schicksal dieses Landes entschieden. Zwei gewaltige Pfeiler ragen weiter vorn aus der Ebene auf und bilden ein Tor, durch das dieser Riefenteppich weiter nach Osten rollt. Es sind der Kleine Hermon und das Gebirge Gilboa, durch die die Ebene sich nach dem Jordan zu fortsetzt. Eine himmelblaue, unermeßliche Riefenmauer schneidet dort die Welt Palästinas ab; es sind die Berge Trans.. jordaniens, die aller Phantasie hier Einhalt gebieten.
In dieser weiten Ebene Jesreel fallen dem Auge allenthalten weiße und graue Pünktchen auf. Es find alte Dörfer und neubegründete Ackerbauansiedlungen. Die jüdischen Einwande rer haben dieses ganze Gebiet vor den ursprünglichen arabischen Besitzern aufgetauft.
An dem Hang zur Rechten, an dem sich ein Pfad zu den Ansied lungen im Tale hinunterzieht, gewahre ich eine Unmenge frisch angepflanzter junger Bäumchen, anscheinend Kiefern oder Kasnarinen. Eine Tafel verkündet dem Wanderer, daß diese Anlage ein Bal four Part" werden soll.
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Ueber die Berge vor mir hat sich für kurze Zeit ein freisrundes Haupt erhoben. Es ist der Tabor, von dessen Gipfel sich eine
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Ich habe die Höhen hinter Nazareth erstiegen und bin nun auf dem Wege nach dem See Genezareth .
Der Weg führt an Kana vorüber. Schade, ich hätte mir dort die Zeit nehmen sollen, einige der berühmten Krüge von der Hochzeit anzusehen, die das Wasser faßten, das mit einem Zauberwörtlein in Wein verwandelt worden war. Es wäre wirklich der Mühe wert
Bath Galim( jüdische Kolonie)
1187 der Sultan Saladin hier das Kreuzfahrerheer und gab damit dem fränkischen Königreich Jerusalem den Todesstoß. Hier oben an den Hörnern kämpften die Barone und Ritter den letzten Kampf, nachdem das gesamte Fußvolt bereits die Waffen gestreckt hatte. Auf dieser Höhe ließ Saladin die Großmeister der Templer und Johanniter, die selbst keine Gefangenen zu machen pflegten, mit zweihundert ihrer Bornehmsten enthaupten; dem König Gun von Jerusalem schentte er gegen Lösegeld das Leben,
Bor mir zur Linken bereitet mir die Erde Galiläas die größte Ueberraschung, über die fie verfügt. Ein ungeheurer Spalt hat sich geöffnet. Ein Abgrund, der durch einen See ausgefüllt wird. Es ist der See von Genezareth, das Galiläische Meer. Auf alles war ich gefaßt, nur nicht auf dieses Wunder der Natur. Zu unwahrscheinlich tief blitzt er da unten, zu plöglich hat sich die Erde zu meinen Füßen gespalten. Staunend stehe ich da. Was das Seltsamste ist: dieses Bild hat gar nichts orientalisches an sich. Es ist geradezu nordisch. Auf das Wüstenpanorama des Steinlabyrinths von Nazareth ist dieser plötzliche Uebergang geradezu unwirklich, unglaublich, gar nicht zu fassen. Welch grüne Berghänge, die an die Ufer des Rheins erinnern! Wie blau der Spiegel dieses Märchenbeckens! In langen Serpentinen müht sich die Fahrstraße ab, das Seeufer zu erreichen. Wo steckt denn nur Tiberias , das hier irgendwo doch sichtbar werden muß? Nur den See sehe ich, aber nirgends bewohnte Stätten. Kein Segel gewahre ich, wie weit das Auge schweift!
Nun ist tief unten zu meinen Füßen auch die aus schwarzen Lavablöcken erbaute Stadt sichtbar geworden, nach der ich solange umhergespäht habe. Dicht an die Hänge schmiegt sie sich hin, an das schmale Ufer geduckt. Ein Minarett ragt aus dem Häusermeer; doch die Juden sind hier in der Mehrzahl, darüber bin ich schon in
Kenntnis gesetzt. Die Straße senkt sich durch eine an den Hängen neu erbaute jüdische Kolonie allmählich zum Strande hinab, an dem eben errichteten Hotel„ Elisabetha" vorüber. Unten in der Stadt gewahre ich das deutsche Hotel Tiberias ", das seit nahezu dreißig Jahren bereits hier besteht. Von der Dachterrasse bietet sich ein wundervoller Rundblic. Fern von Syrien her schaut das Schnees haupt des Hermon herüber und grüßt wie ein alter Freund.
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Wie still ist es an diesem See geworden! Wo find die Orte geblieben, die einem aus der Geschichte des Neuen Testamentes vertraut sind, Kapernaum , Chorazin und Bethsaida? Ihre Stätte ist wüft und leer geworden, kaum daß man der Ueber. lieferung zu folgen vermag, die hier oder dort die historischen Punkte
aufgefunden zu haben vermeint.
Der See ist geblieben und die ewigen Berge, und nirgendwon
Palästina kann ich mir die Gestalt des Mannes von Nazareth so
lebendig vergegenwärtigen, selbst in seinem heimatlichen Städtchen
nicht, wie hier an diesem See, an dem es so still geworden ist...
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Tiberias , eine Gründung des Herodes Antipas , und dem Cäsaren Roms zu Ehren so genannt, hat eine bedeutende Rolle in der Geschichte gespielt. Hier sammelten sich nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus, im Jahre 70 n. Chr., die Häupter des Judentums. Hierher siedelte das Syntedrium über. Hier entwickelte fich alles geistige Leben Israels in der Folgezeit.
Die Straße, die von Jerusalem nach Damaskus führt, läuft über Tiberias . Sie zieht sich am Seeufer entlang, bis sie die große Ebene Gennessar erreicht, in der einst Titus das Rückgrat der Galiläer brach, ehe er zur Belagerung Jerusalems schritt.
Links öffnet sich hier das Taubental, in dessen Felsenhöhlen die Juden schon zur Makkabäerzeit Schutz gegen ihre Unterdrücker suchten. Aus diesen Höhlen räucherte Herodes der Große die Räuberbanden aus, die sich zur Geißel der ganzen Landschaft entwickelt hatten. Er wurde ihrer nicht anders Herr, als dadurch, daß er hoch oben vom Kamm her seine Soldaten in Kästen an Stricken zu den Höhlen herabließ, die unten von Tale her nicht erstürmt werden fonnten. Später trieben die Römer die letzten Juden in ihrem Freiheitstampf nur unter den größten Schwierigkeiten aus denselben Felfenlöchern.
gewesen, nicht zwar die Riesentrüge, aber doch wenigstens die Leute anzusehen, die einem diese Krüge zeigen. Es ist eben nichts unmögertlettert das Hochland von Obergaliläa. Auf luftiger Zinne winkt lich in diesem Wunderlande.
Links von der Richtung erregt geraume Zeit später ein seltsamer Berg meine Aufmerksamkeit. Die Mitte ist herausgerissen, nur an zwei entgegengesetzten Enden ist je ein Fezen stehengeblieben. Man nennt die beiden Trümmer die Hörner von Hattin", nach dem Dorfe, das drüben am anderen Hang fich ausbreitet. Es ist ein
Drüben zweigt ein anderes Tal ab. Es birgt die Höhle, in der der Schädel des prähistorischen Galiläers vor drei Jahren gefunden wurde. Nunmehr verläßt die Straße den See und Safed , die höchstgelegene Stadt Palästinas . Der Weg hat längst in schwindelnder Tiefe den See Genezareth hinter sich gelassen und läuft schnurstracks auf die Stelle zu, wo der Jordan im Angesichte des schneestarrenden Hermon aus dem Hulefee fließt. Hier über. schreitet er den Fluß und windet sich durch die Bergschluchten nach Damastus.