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BERLIN Donnerstag 16. Mai

1929

Der Abend

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Nr. 225

B 112 46. Jahrgang.

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Friede in der Metallindustrie.

Der Schiedsspruch verbindlich.- Der Reichsbahnschlichter ernannt.

Der Schlichter für den Bezirk Brandenburg hat heute den Schiedsspruch des Schlichtungsausschusses Groß­Berlin vom 22. April 1929 für die Berliner Metall­industrie für verbindlich erklärt. Damit ist der Arbeitsfriede für die Berliner Metallindustrie mit rund 200 000 Arbeitnehmern bis 30. September 1930 gesichert. Der Schiedsspruch erstreckt sich auf die Betriebe des Verbandes Berliner Metallindustrieller, dem alle Groß­betriebe der Berliner Metallindustrie angeschlossen sind. Wie wir bereits mitgeteilt haben, bringt der Schieds­spruch in der Spike, d. h. für die qualifizierten Fach­arbeiter, eine Erhöhung des Einstellungslohnes für Zeit­arbeiter von 6 Pf. die Stunde, was für die Afford­arbeiter bei entsprechender Umrechnung der Affordjäge 7 Bf. der Spikenarbeiter ausmacht. Die Unternehmer haben sich aus den bekannten ,, grundsätzlichen" Erwägun­gen gegen den Schiedsspruch und seine Verbindlichkeits. erklärung ausgesprochen.

Der Reichsbahnschlichter ernannt.

Morgen erfte Besprechungen.

Im Konflikt bei der Reichsbahn hat der Reichsarbeifs minifter den Schlichter für Niedersachsen , Dr. Boelter, mit ter Schlichtung beauftragt. Der Schlichter hat die Parteien für morgen zu einer ersten informatorischen Borbesprechung eingeladen.

Schacht- Stamp.

Freundliche Aufnahme in der Pariser Preffe.

Paris , 16. Mai. ( Eigenbericht.)

Der Einheitsbericht Dr. Schacht- Stamp, ein Dofu. ment von etwa 60 Schreibmaschinenfelten, ist am Mittwoch der Pariser Sachverständigenkonferenz vorgelegt worden. Sein Jn­halt findet in der gesamten Pariser Presse eine durchaus freundliche Aufnahme. Man betont vor allem, daß es Stamp unter Mitwirkung von Owen Young gelungen sei, die anfäng­lich, unannehmbaren Borbehalte Schachts soweit abzumildern, daß fich ihre reibungslose Eingliederung in den Schlußbericht ermöglichen ließ. Sauerwein stellt im Matin" ausdrücklich fest, daß durch die deutschen Vorbehalte der Sinn des ursprünglichen Berichtes, den Stamp allein abgefaßt hatte, nicht geändert worden sei. Der Petit Parifien" feinerseits betont, daß man wieder optimistisch sein könne, denn mit diesem Einheitsbericht sei ein großer, wenn nicht sogar der

entscheidende Schrift zur Einigung gemacht worden. Allerdings macht der Petit Parifien" noch gewiffe Borbehalte gegenüber der Revisionsklausel, die, wenn fie vielleicht auch nicht den endgültigen Charakter der Sachverständigenlösung fompromittiere, doch gefährliche Jllufionen in Deutschland wachhalten fönne,

Bei allem aber ist der Streit um die Berteilung der deutschen Zahlungen im Lager der Alliierten noch nicht zu Ende gekommen. Pertinar im Echo de Paris" glaubt mitteilen zu können, daß man in den letzten Tagen den Anteil Italiens vermindert habe, um den Englands entsprechend zu erhöhen. Damit jei England zufriedengestellt, aber nun profeffiere Jtalien und mit ihm Belgien . Wie man die beiden beruhigen wolle, sei noch nicht Mar, zumal man es nicht wage, von Deutschland eine Erhöhung seiner Zahlungen zu fordern.

Ergebnis der Estland : Wahlen.

Lintsregierung behauptet.

Reval , 16. Mal

Obgleich die Zählung der bei den Wahlen abgegebenen Stimmen noch nicht völlig abgeschloffen ist, läßt sich bereits jetzt folgendes Bild der Mandatsverteilung im neuen effländischen Parlament geben: Estnische bürgerliche Parteien: Partei der Landwirte 24 Abgeordnete ( bisher 23), Arbeiterpartei 10( 13), Bolfspartei 9( 8), Chriftliche Boltspartei 4( 5), Partei der Hauswirte 3( 2). Estnische Links­parteien: Sozialdemokraten 25 Abgeordnete( bisher 24), Linksfozialisten 6( 6). Diese Zahlen können noch einige unwejent­liche Aenderungen erfahren. Im allgemeinen fann festgestellt werden, daß die Wahlen nur eine sehr geringe Verschiebung der Partei­verhältniffe gebracht haben. Das Ergebnis der Wahlen bedeutet

Schimpffreiheit für Abgeordnete?

Der Reichstag liefert Verleumder aus.

Der Reichstag erledigte heute vormittag zunächst einige fleine Borlagen und tam bann zu den Anträgen des Geschäfts­ordnungsausschusses auf Aufhebung der Immunität verschiedener Abgeordneter zur Strafverfolgung. Nach Ablehnung der Anträge Frid( Natjoz.) und Stöcker( Komm.) auf einstündige Redezeit, wird eine 10 minuten Redezeit beschloffen.

Der Ausschuß beantragt u. a. den Abg. Berz( Komm.) aus­3uliefern, weil er seinerzeit bei der Räumung der Zuhörer­tribüne von laut demonstrierenden Arbeitslosen Kriminal. beamte beleidigt habe.

Abg. Pied( Kommi.): Diele Individuen haben damals, als Ber fie fragte, mer lie feien, gefchwiegen. Sie haben lich nicht als Beamte legitimiert, fich auch nicht als Beauftragte des Präsidenten vorgestellt, und eine von ihnen verlangt die Strafverfolgung gar nicht.

Abg. Dr. Frid( Natfoz.) fordert, daß sein Parteigenoffe Straffer nicht ben racheschnaubenden CB.- Juben geopfert" werde. Re­gierungsrat Bundisch vom Berliner Polizeipräsidium schriebe auf einen Aft, daß der Reichstag jezt in Sachen Straffer will. fähriger fei. 2jo der Reichstag als Schlappen Schammes der Juftiz! Benn Strasser von der Geldsacrepublit spricht, so tut das Reichsbanner dasselbe, wird aber nicht verfolgt. Die zehn Wochen­blätter, die Straffer bis vor einigen Wochen verantwortlich zeichnete, find vollkommen inhaltgleich, nur der lofale Teil ist verschieden und dafür bestehen auch eigene Berantwortliche.

Der folgende Redner, Abg. Heilmann( Soz.) wird einige Zeit durch lärmende Zurufe der Hakenkreuzler und der Kommunisten am Reden gehindert. Präsident Löbe, der bereits während der Rede Frids diesen zweimal hatte zur Ordnung. rufen müssen, tut dies ein drittesmal, und da Frid weiterschimpft, wird er aus der Sigung ausgeschlossen. Er verläßt den Saal erst nach Androhung weiterer Folgen. Dieselbe Ankündigung veranlaßt schließlich auch die Kommunisten, fich zu beruhigen.

Abg. Heilmann( Soz.):

Eine Anweisung des preußischen oder des Reichsjustizmini­steriums, die nationalsozialistischen Abgeordneten besonders scharf zu verfolgen, wie Frid behauptet hat, besteht nicht. Der Reichstag hat gerade Herrn Straffer mit besonderer Großzügigkeit behandelt. Der Oberstaatsanwalt in Flensburg verlangt die Auslieferung Straffers, weil er in einer Rede den Reichstag als einen faulen Karpfenteich bezeichnet hatte; der Geschäftsordnungsausschuß hat die Auslieferung abgelehnt, da Straffer sich selbst von dieser Charakterisierung des Reichstags nicht ausgenommen hat.( Seiterfeit.) In anderen Fällen

Nach den Flitterwochen.

Zwischen Mussolini und dem Papst ist wegen der Rindererziehung eine beftige Auseinandersetzung entbrannt.

jedenfalls fein Mißtrauensuotum gegen die bisherige Linksregierung Die Erziehung unserer Kinder, lieber Mussolini , da hast

Rei

du gar nicht dreinzureden!"

wird die Aufhebung der Immunität Straffers empfohlen, weil er fie offenbar mißbraucht. Er hat verantwortlich eine Zeitung und ihre acht Kopfblätter gezeichnet, aber nicht nur den einheitlichen chwer beleidigen den Artikeln. Frid hat heute erklärt, das politischen Teit, sondern auch die lokalen Teile mit ihren jei jezt geändert Damit geben die Nationalsozialisten selbst zu, daß der Mißbrauch bestanden hat. Die Immunität der Abgeordneten war im Obrigkeitsstaat ein Kampfmittel des Parlaments gegen diesen Staat. Heute die Immunität unter allen Umständen aufrecht er­halten, würde bedeuten, daß

2000 Menschen in Deutschland jeder strafrechtlichen Ber­antwortung entzogen

Die

wären. Ein Abgeordneter der eine Zeitung verantwortlich zeichnet, dürfte die Immunität gar nicht beanspruchen, denn wer ver antwortlich zeichnet, der erklärt, daß er die strafrechtliche Berant­zeichnung Heilmanns als eines meineidigen dreimal zur Ordnung wortung trägt.( Abg. Stöhr( Ratsoz.) wird wegen wiederholter Be­nationalsozialisten sind doch Gegner des Parlamentarismus, be­gerufen und darauf aus der Sigung ausgeschlossen.) anspruchen ober die parlamentarischen Rechte bis zur unerträglichen Ueberspigung für sich. Die Nationalsozialisten, die Helden vom dritten Reich, find doch, wenn sie jo auf ihre Immunität pochen, nur Leute, die das Vorrecht straflofer Berleumdung haben wollen.( Lebhafte Bustimmung der Mehrheit, Ordnungsruf für den Redner. Abg. Goebbels ( Natsoz.) wird wegen fortgesetter Schimpferei nach drei Ordnungsrufen ausgefchloffen.) Abg. Dingeldey( D. Bp.) äußert sich im gleichen Sinne. Abg. Pied( Komm.) spricht gegen die beantragte Auslieferung des Abg. Florin. Dieser habe als Abgeordneter von Essen und tom­munistischer Bezirksleiter ein Flugblatt gegen den Bokstand des Bergarbeiterverbandes geschrieben, weswegen Abg. Husemann eine Privatflage erhoben habe. Der Geschäftsordnungsausschuß beschul­bigt Florin des Mißbrauchs der Immunität, weil er ein von ihm geschriebenes Flugblatt wahrheitsgemäß auch als Berfasser zeichnete. Ganz anders verhalte man sich zu dem sozialdemokratischen Abg. Schiller , da habe Heilmann sich gegen die Auslieferung ausgesprochen.

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Abg. Heilmann( Soz.) wird von den Kommunisten wiederum mit andauernden Barmat- Rufen empfangen: Wenn mir an einer klärung meiner Beziehungen zu Barmat etwas läge, hätte ich die Aufhebung meiner Immunität beantragen fönnen. Diese Klärung ist aber in 50 Sigungen des Untersuchungsausschusses im Breußischen Landtag erfolgt. Nationalsozialisten, Kommunisten und politische Be­auftragte des Stahlhelms haben gegen mich Strafanzeigen erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat sie aber als unbegründet abge­lehnt, ohne mich auch nur zu vernehmen. Ich bin also gar nicht in die Lage gekommen, in bezug auf meine Immunität etwas zu tun. Im Preußischen Landtag haben die Kommunisten ihre Angriffe auf mich wegen Barmat usw. längst eingestellt, hier werden sie jetzt auf Befehl des Herrn Heckert wieder aufgenommen. Abg. Florin ist Metallarbeiter und hat ein Flugblatt ber Opposition des Bergarbeiterverbandes gegen Hufe­mann verantwortlich gezeichnet. Der Ausschuß hat geglaubt, daß Florin mit dem Bergarbeiterverband beruflich gar nichts zu tun hat( Schallendes Gelächter der Kommunisten.), die Zeichnung des Flugblattes vielmehr erfolgt sei, um es der Verantwortung zu ent= ziehen. Die Kommunisten behaupten, daß jedes Wort diefes Flug­blattes wahr sei. Da wollen wir Herrn Florin nicht die Möglichkeit abschneiden, den, Wahrheitsbeweis zu führen. Mein Parteigenosse Schiller redigiert seit vielen Jahren unser Göttinger Parteiblatt. Darin hat eine Notiz gestanden, die auch in zahllosen anderen deut­ schen Zeitungen enthalten war. Das Göttinger Blatt hat eine Be richtigung des nationalsozialistischen Abg. Len veröffentlicht. Er hätte die Möglichkeit, fich an zahllosen anderen Stellen Genugtuung zu verschaffen. Schiller zeichnet das Blatt seit Jahrzehnten per­antwortlich, wir sehen hier feinen Mißbrauch der Immunität, find aber zu einem allgemeinen Verbot der verantwortlichen Zeichnung durch Abgeordnete bereit.

Die Auslieferung der Abgeordneten Berk( Komm.), Florin ( Komm.) und Straffer( Natsoz.) wird beschlossen.

Es folgt die zweite Lesung des wirtschaftlichen Hilfsgesetzes für Ostpreußen .

Nach kurzer Debatte wird das Gesetz angenommen. Die Kommu­nisten stimmen dagegen, weil nicht Sicherheit geschaffen sei, daß das Gelez nicht nur Landbündlern zugute tomme. Während der Ab­stimmung also zu fpäthezweifelt ein Hakenkreuzler die Be­schlußfähigkeit des Hauses. Präsident Löbe gibt unter lebhafter Zu­stimmung feiner Berwunderung Ausdruck, daß bei einem solchen Gefeß diese Anzweiflung erfolgt.

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Es folgt die zweite und dritte Beratung des Gejegentwurfs über die Sanierung der Schichauwerft.